Wirtschaft | Einkaufszentrum

Ladenschluss

Der Staatsrat hat die Baukonzession und die Lizenzvergabe für das Bozner Einkaufszentrum Twenty endgültig für rechswidrig erklärt. Damit droht ernsthaft die Schließung
twenty
Foto: Salto.bz
Es ist ein Urteil, das selbst für Anwälte eine Herausforderung ist. Auf 82 Seiten zertrümmert der fünfköpfige Richtersenat des Staatsrates nicht nur eines der größten Einkaufszentren Südtirols, sondern auch die Art, wie zwei verschiedene Landesregierungen ihrerWirtschaftspolitik ausgelegt haben.
Mit dem Urteil 8564/2022 zieht der Staatsrat einen Schlussstrich unter einen politischen, ökonomischen und rechtlichen Streitfall, der seit über 9 Jahren schwelt. Das Ergebnis ist für die Besitzer und Betreiberfamilie Podini der worst case. Im Klartext: Nach der offiziellen Zustellung des Urteils an die Gemeinde Bozen müsste diese umgehend die Schließung des Einkaufszentrum verfügen.
Denn der Staatsrat hat nicht - wie von einigen Medien berichtet - die Erweiterung des Einkaufszentrum für rechtswidrig erklärt, sondern die gesamten Baugenehmigungen und die Lizenzvergabe für den Einzelhandel für das ganze Einkaufszentrum für ungültig erklärt. Zudem hat das höchste Verwaltungsgericht mit diesem Urteil der Südtiroler Landesregierung und noch mehr der Anwaltschaft des Landes einen Rüffel erteilt, der einer Betonwatschen gleichkommt.
 

Die Prozesse

 
Ökonomisch und gesellschaftlich ist das Twenty eine Erfolgsgeschichte. Der Zulauf im Einkaufstempel in der Bozner Galileo-Galilei-Straße ist so enorm, dass die Besitzerfamilie Podini wenige Jahre nach der Eröffnung das Zentrum erweiterte und die Verkaufsflächen damit fast verdoppeln konnte. Heute ist das Twenty ein Publikumsmagnet, der weit über die Landeshauptstadt hinaus zum Shopping-Anlaufpunkt geworden ist.
Die Kehrseite der Erfolgsgeschichte zeigt sich aber an der Gerichtsfront. Denn von Anfang an war der Genehmigungsprozess des ersten Bozner Einkaufszentrums umstritten und von Gerichtsverfahren gesäumt.
Schon in der ersten Projektphase waren alle Gutachten der Fachkommissionen negativ. Die problematischsten Punkte dabei: Der Gefahrenplan der Flughafenbehörde ENAC und das Gutachten der direkt darüber verlaufenden Brennerautobahn. Beide Gutachten kamen zum Schluss, dass weder in der Einflugschneise zum Flughafen noch direkt unter der Autobahn ein Einkaufszentrum entstehen kann.
Doch die Landes- und Gemeindepolitik setzte sich über alle Bedenken und Fachgutachten hinweg. Es war der politische Wille, in Bozen ein Einkaufszentrum zu errichten und so stellte man dann auch die Baugenehmigungen zuerst für den Bau und dann für die Erweiterung des Twenty aus.
 
 
 
Für zwei der Hauptbeteiligten hatte dieser Genehmigungsweg unangenehme Folgen. Die Entscheidungen der Landesregierung fielen 2013 noch unter der Regierung Durnwalder. Zuständiger Wirtschaftslandesrat war damals Thomas Widmann. Weil Widmann mit der Betreiberfamilie Podini nicht nur eng befreundet ist, sondern auch lange Zeit wirtschaftlich mit dieser in einem Weingut in der Toskana verbunden war, ermittelte die Bozner Staatsanwaltschaft lange Zeit gegen den SVP-Politiker. Diese Ermittlungen wurden schließlich archiviert, da keinerlei strafrechtliche Verstöße nachgewiesen wurden.
Schlechter erging es dem heutigen Neo-Senator Luigi Spagnolli. Gegen Spagnolli, der als damaliger Bozner Bürgermeister die Baugenehmigung ausgestellt hatte, kam es am Bozner Landesgericht zur Anklageerhebung. Aber auch Spagnolli wurde inzwischen rechtskräftig freigesprochen.
 

Mächtiger Gegner

 
Alex, Stefan und Giovanni Podini haben aber von Beginn an einen ökonomisch mächtigen Konkurrenten. Die Aspiag AG, der Konzern, der in Italien die Despar-Kette führt, wollte ebenfalls in Bozen Süd ein großes Einkaufszentrum errichten. Diese Plan wurde aber von den Landesämtern und der Landesregierung gestoppt.
Daraufhin zog die Aspiag gegen die Twenty-Betreiberfirmen Podini Holding Spa und Twentyone Srl vor das Bozner Verwaltungsgericht. Obwohl die öffentliche Verwaltung - vor allem das Land - im Verfahren die privaten Betreiber allumfassend unterstützte, kam das Bozner Verwaltungsgericht 2019 zum Schluss, dass die Baukonzession und die Lizenzvergabe für das Einkaufszentrum nicht rechtens sind.
 
 
 
Unmittelbar nach diesem Urteil erließ die Gemeinde Bozen bereits eine Schließungsverfügung für das Twenty. Doch die Podini-Unternehmen rekurrierten gegen das Urteil und die Schließung vor dem Staatsrat und erreichten per Eilantrag die Aussetzung der Schließungsverfügung.
Weil das Problem damit akut wurde, befasste sich auch die Landesregierung erneut mit dem Fall. 2020 fasst die Kompatscher-Regierung einen neuen Beschluss, ausgearbeitet von der Anwaltschaft des Landes, mit der die Position der Twenty-Betreiber ein- für allemal - auch in Hinblick auf das schwebende Verfahren vor dem Staatsrat - abgesichert werden sollte.
Zudem ließ sich das Land in das Verfahren vor dem Staatsrat auf der Seite der Twenty-Betreiber ein.
 

Peinliche Rüge

 
Doch in Rom ist man jetzt auf ganzer Linie untergegangen. Denn der Staatsrat hat nicht nur das Urteil des Bozner Verwaltungsgerichtes in jedem Punkt bestätigt, sondern er hat auch den politischen Sanierungsversuch des Falles durch die Südtiroler Landesregierung in der Luft zerrissen.
Das Urteil, geschrieben von der Südtiroler Staatsrätin Ulrike Lobis, führt die Praxis der  Landesregierung und der Anwaltschaft des Landes vor. Denn im Urteil wird mehr als deutlich dargestellt, dass es die Aufgabe eines Rechtsamtes sei, Rechtsgutachten für die Politik und die Verwaltung zu erlassen; in diesem Fall aber sei das Rechtsamt weit über diese Aufgaben hinausgegangen und habe inhaltlich Verwaltungsmaßnahmen aktiv gesetzt.
Der Staatsrat geißelt die Vorgangsweise der Landespolitik und das Gutachten mit vernichtenden Worten. So schreibt Richterin Ulrike Lobis im Urteil:
 
“L’intervento dell’Amministrazione, fondato su alcuna procedura amministrativa legislativamente prevista e rimesso, per quanto concerne forma e modalità, alla mera valutazione della propria Avvocatura, risolvendosi in un tentativo di rendere legittimo ciò che era stato giudizialmente statuito illegittimo, non solo rende inutile e privo di effettività il diritto fondamentale dei cittadini di adire i giudici per ottenere la tutela delle proprie situazioni giuridiche, ma rappresenta anche una ingerenza negativa sulle attribuzioni costituzionali dell’autorità giudiziaria”.
 
 
 
Besonders brisant wird die Sache, wenn man weiß, wer in diesem Fall der Hauptakteur in der Anwaltschaft des Landes war. Fabrizio Cavallar war jahrelang der Leiter des Rechtsamtes für urbanistische Angelegenheiten und damit mit der Ausarbeitung aller Gutachten rund um das Twenty betraut. Aus seiner Feder stammt dann auch hauptsächlich der Sanierungsversuch, den die Landesregierung 2020 beschlossen hat.
Ausgerechnet Fabrizio Cavallar wurde jetzt aber vom Südtiroler Landtag zum neuen Richter am Verwaltungsgericht Bozen ernannt.
Dieses Urteil dürfte für einen angehenden Verwaltungsrichter keine gute Visitenkarte sein.
 

In der Sackgasse

 
Die große Frage, die derzeit niemand beantworten kann: Was passiert jetzt?
Sicher ist, dass man sich in einer Sackgasse befindet, aus der man kaum herauskommen wird. Die Ausgangslage ist verzwickt. Sperrt man das Einkaufszentrum zu, vernichtet man rund 300 Arbeitsplätze. Zudem dürften dann Schadenersatzklagen auf die öffentliche Verwaltung - Land und Gemeinde - vonseiten der Twenty-Betreiber zukommen.
Eine Sanierung des widerrechtlichen Baus ist mit dem neuen Urbanistikgesetz nicht mehr möglich. Deshalb wird die unendliche Geschichte Twenty höchstwahrscheinlich so enden, wie viele in diesem Land: Mit einem Anlassgesetz.
Die Landesregierung und der Landtag werden einen Gesetzespassus erlassen, der das florierende Bozner Einkaufszentrum vor der Schließung rettet.
 
 
 
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Profil für Benutzer alfred frei
alfred frei Fr., 07.10.2022 - 14:11

Wann erscheint das Buch "die Freunde der Immobilienhaie"; eine schonungslose Offenlegung der öffentlich-Privaten Seilschaften wäre mehr als angebracht, oder ?

Fr., 07.10.2022 - 14:11 Permalink
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Michael Mutsch… Fr., 07.10.2022 - 21:17

Sich zuerst über alle Gutachten hinwegsetzen, alles mit viel Geld verbiegen, nur um die ganz Großen noch größer zu machen und nachher jammern dass doch so viele Arbeitsplätze in Gefahr sind?

Fr., 07.10.2022 - 21:17 Permalink
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Christoph Bart… Sa., 08.10.2022 - 10:25

Irgendwie stellt sich bei dieser und der Berichterstattung über andere Sachen in nördlichen Tälern, in die sich kein normaler Mensch außer Opfer millionenschwerer PR (=TouristInnen/KonsumentInnen) verirren, dass es bei manchen Gerichtsprozessen um die Angelegenheiten von Big Playern und derer, die es mal werden wollen (Parvenü), gehe. Die einen wollen ihren, natürlich mit eigener Leistung aufgebauten, Wohlstand verteidigen, die anderen was vom Kuchen abhaben. Man darf als Bürger (mit gleichen, nicht selben Rechten) dem bunten Treiben zusehen, wie der Gesetzestaat versucht, zwischen Saturierten und Ambitionierten die Waage zu halten.

Sa., 08.10.2022 - 10:25 Permalink
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Salto User
Günther Alois … So., 09.10.2022 - 06:43

Wieder ein lange unter den Tisch vertuschter SVP Skandal. Weiter so SVP,dann verliert ihr noch euer letztes Quäntchen an eine glaubwürdige Partei,im Gegenteil,ihr seid zu einer "Lobbypartei" für die Bonzen geworden.Höchste Zeit für einen Wechsel 2023!!

So., 09.10.2022 - 06:43 Permalink
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Tschoerner Hagen So., 09.10.2022 - 14:15

Beschlüsse austauschen... über alle negativen Gutachten hinwegsetzen.
Und dann trotz Staatsrat Urteil ein Gesetz erlassen wollen, um alles zu sanieren?
Klingt VERBRECHERISCH.
In einer INDUSTRIEZONE wo gearbeitet wird mit einem Einkaufszentrum den Verkehr zum erliegen zu bringen ist ja per se schon Grenzdebil.

So., 09.10.2022 - 14:15 Permalink
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Dietmar Nußbaumer Di., 11.10.2022 - 20:58

Das Twenty kann ja umsiedeln ins Benko-Einkaufszentrum, verdient halt ein anderer. Aus dieser Immobilie lässt sich sicher auch in der Industriezone etwas machen (PlanB liegt sicher schon auf). Ist ja schließlich nicht ein baufälliger Kasten (und geht, gottlob, den "eifrigen" Denkmalschutz nix an).

Di., 11.10.2022 - 20:58 Permalink