Gesellschaft | Neue Gesellschaft

Der Philosoph

Arno Kompatscher hat viele Seiten, gestern zeigte er in der Cusanus-Akademie seine philosophische – allerdings nicht, ohne ein paar Seitenhiebe auszuteilen.
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Foto: Salto.bz
Anlass war die Bürgerversammlung der Gemeinde Brixen, in welcher Bürgermeister Peter Brunner und die Gemeindereferenten Projekte und Tätigkeiten vorstellten und im Anschluss auf Fragen der Bürger eingingen. Zugegen waren die Landtagsabgeordneten aus Brixen und dem Eisacktaler Raum sowie Landeshauptmann Kompatscher, der eine eindringliches Plädoyer hielt für den Umbau der Gesellschaft in eine gerechtere, lebenswertere und auch umweltfreundlichere. Die Politik und die Verwaltung könnten hier die Voraussetzungen schaffen, indem sie die dafür notwendigen Infrastrukturen realisiert, aber die Politik könne keine Probleme lösen, so die Kernbotschaft des Landeshauptmanns, der damit eine neue Form des Denkens von den Bürgern einfordert.
 

Eine Krise jagt die nächste

 
Die Herausforderungen auf den Weg zu einer nachhaltigen Gesellschaft sind nicht gerade klein, der Weg ein schwieriger. Die Corona-Pandemie gerade überwunden, stehen die nächsten Krisen bereits vor der Tür: Der Krieg ist nach Europa zurückgekehrt und die Energie-Krise hat den Kontinent fest im Griff. Diese ist jedoch nicht nur auf den Ukraine-Krieg zurückzuführen. „Der Krieg hat das Ganze nur befeuert und beschleunigt. Die Hauptursache liegt im Umstieg von den fossilen Energie-Trägern auf die erneuerbare“, so Kompatscher, der als Beipiel China nannte. Die Volksrepublik verbraucht zusätzlich jedes Jahr jene Menge an Gas, die in Italien insgesamt verbraucht wird. Der Grund dafür ist, dass auch China zwischenzeitlich von der sehr umweltschädlichen Kohle auf das weniger umweltschädliche Gas umsteigt.
 
Ich sehe die große Sorge der Menschen und ich sehe ihre Angst. Angst führt oft auch zu Aggression.
 
„Ich sehe die große Sorge der Menschen und ich sehe ihre Angst. Angst führt oft auch zu Aggression“, erklärte der Landeshauptmann. Während der Pandemie habe die Gesellschaft eine Spaltung erleben – Bruchlinien und Risse, die bereits vorher da war, haben sich vertieft. In aller Deutlichkeit erklärte Kompatscher, dass die Politik die Probleme nicht lösen könne und „wir vermeiden es, diese Botschaft nach außen zu tragen“, sie könne aber versuchen zu unterstützen. Derzeit geschieht das mit Hilfsgeldern, mit denen 60 Prozent aller Familien in Südtirol unterstützt werden können. Verwundert habe er jedoch feststellen müssen, dass die Gewerkschaften nicht mit ihrer Kritik an den Einmalzahlungen hinter dem Berg hielten, obwohl sie selbst mit am Verhandlungstisch saßen. Die Forderung nach einem Einheitsbeitrag sei eigentlich von ihnen ausgegangen, obwohl die Landesregierung eine Staffelung der finanziellen Hilfe je nach Einkommen vorgeschlagen habe. „Kein Witz. Das ist die Wahrheit. Es gibt genügend Zeugen“, so Landeshauptmann Kompatscher, der damit einen ordentlichen Seitenhieb Richtung Gewerkschaften austeilte und anmerkte: „Ich bin schon ein bisschen enttäuscht.“
 
 
 
 

Es braucht den Menschen

 
Energie sparen und umsteigen, laute die Devise, an welcher die Landesregierung arbeite. Dafür müssten die Produktionssysteme verändert und Investitionen in neue Technologien getätigt werden. Denn das größte Problem, mit dem man derzeit konfrontiert sei, ist die Klimaerwärmung. „Wir können in unserem Land eine Erwärmung von zwei Grad Celsius feststellen. Das Ziel war eigentlich, unter einem Anstieg von 1,5 zu bleiben“, so Kompatscher und betonte, dass man neue Technologien brauche, um neu zu wirtschaften. Alle diese Investitionen seien notwendig, aber das reiche nicht aus. „Es braucht uns Menschen und es braucht ein neues Denken“, betonte der Landeshauptmann und erklärte, dass „denken“ nicht unbedingt mit dem Wort Verzicht zu tun haben müsse. Dinge nicht mehr zu tun, weil es sie nicht mehr braucht, könnte sich auch als lustvoll herausstellen.
 
Jetzt frag ich Sie: Sind wir denn alle glücklicher und zufriedener geworden.
 
Südtirol hat ein kaufkraftbereinigtes Brutto-Inlandsprodukt pro Kopf von 56.000 Euro, erklärte Kompatscher mit Verweis auf die Statistik von Eurostat. Das bestperformende österreichische Bundesland liegt dagegen bei 48.000 Euro. Das zeigt die enorme Entwicklung der Südtiroler Gesellschaft während der vergangenen Jahre. „Jetzt frag ich Sie: Sind wir denn alle glücklicher und zufriedener geworden“, so Kompatscher an die Zuhörer gewandt, um gleich darauf zu erklären, dass es sich dabei um rhetorische Frage handle, auf welche er die Antwort inzwischen kenne – denn er stelle sie auf jeder Bürgerversammlung. Die Reaktion sei immer dieselbe. „Gibt uns das nicht zu denken?“, fragte der Landeshauptmann und erklärte, dass sich unsere Gesellschaft wieder „freischwimmen“ müsse. Diese habe nämlich in der Vergangenheit gelernt, mit Handbewegungen zu sich – sprich anhäufen, sammeln, Ich, Ich … – zu schwimmen. Nun gelte es, wieder zu verteilen, um eine solidarischere Gesellschaft zu werden. „Ich bin nicht der Prediger in der Sonntagsmesse“, erklärte der Landeshauptmann (obwohl seine Ansprache tatsächlich an eine christlich geprägte philosophische Predigt erinnerte). Grund für seine Ansprache sei, dass in diesem Land eine Erwartungshaltung auf kommunaler wie auch auf Landesebene geschaffen worden sei: nämlich dass die Politik die Probleme lösen könnte. „Die Politik kann Rahmenbedingungen schaffen, fleißig sein und Gehsteige interessanter machen“, erklärte der Landeshauptmann und betonte, dass dies wichtig und richtig sei, „aber wir müssen es dann leben. Es geht nicht anders! Wir müssen eine Gesellschaft werden, die sich wieder die Zeit für die wichtigen Dinge im Leben nimmt. Dafür müssen wir zunächst an uns selber arbeiten. Wir haben diese Riesen-Chance, es zu tun, weil wir es tun müssen. Wir werden also vielleicht zu unserem Glück gezwungen. Das ist zumindest meine Hoffnung.“

 

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rotaderga Do., 27.10.2022 - 15:40

"kaufkraftbereinigtes Brutto-Inlandsprodukt pro Kopf"
Kann mir jemand erklären was das ist und wie der Betrag von 50.000€ zusammengesetzt ist.
Ich glauben zu den ganz, ganz armen Teufeln zu gehören.

Do., 27.10.2022 - 15:40 Permalink
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Josef Fulterer Fr., 28.10.2022 - 07:08

Antwort auf von Dietmar Nußbaumer

Für "das leidige Flickwerk mit den Sofort-Hilfe-Maßnahmen" müssen die Politiker 3 € an Steuern eintreiben (... gilt auch für die sehr beliebten Suventionen mit denen sich "die Landesräte ihre Anerkennung ..."), um "gütigst 1 € spendieren zu können!"
Warum wagen sich die Politiker, die von sich sogern behaupten ALLES im Griff zu haben, nicht an die NEO-LIBERALEN Spekulanten heran, die FÜR SICH zunehmend mehr Geld von der arbeitenden Bevölkerung WEG SCHAUFELN???

Fr., 28.10.2022 - 07:08 Permalink
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Michael Bockhorni So., 30.10.2022 - 11:59

"Verwundert habe er jedoch feststellen müssen, dass die Gewerkschaften nicht mit ihrer Kritik an den Einmalzahlungen hinter dem Berg hielten, obwohl sie selbst mit am Verhandlungstisch saßen." Warum wurde denn das Ergebnis dieser Verhandlungen nicht gemeinsam der Öffentlichkeit / Presse vorgestellt, dann hätte sich das vermeiden lassen.

So., 30.10.2022 - 11:59 Permalink