Gesellschaft | Gastronomie

„Wer soll am Ende die Gäste bedienen?“

Herbert Hintner, einer der renommiertesten Köche Südtirols, Autor mehrerer erfolgreicher Kochbücher und Mitglied des HGV, über die Zukunft der Gasthauskultur.
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Foto: ss
Salto.bz: In der Peripherie werden immer mehr Gasthäuser geschlossen. Ist dieses Problem auch in der Sterne-Gastronomie ein Thema?
 
Herbert Hintner: Ich glaube, man muss hier unterscheiden. Die Hotel-Gastronomie bzw. die Gourmet-Restaurants, die in die Hotelanlagen eingebettet und somit wirtschaftlich abgesichert sind, müssen sich keine Sorgen um ihre Zukunft machen. In der Peripherie und insbesondere bei den kleinen Gasthäusern ist die Gefahr groß, dass diese aufgegeben werden – vor allem dann, wenn keine Nachkommen da sind, die im Betrieb mithelfen und ihn irgendwann übernehmen möchten und können. Ab einem bestimmten Zeitpunkt können diese Betriebe nicht mehr wirtschaftlich arbeiten.
 
Was ist das Problem?
 
Viele jungen Leute von heute haben schlicht und einfach keine Lust mehr, unzählige Arbeitsstunden in einen Betrieb zu stecken, wie es in meiner Jugendzeit noch gang und gäbe war. Viele haben bereits aufgegeben und viele werden dies noch tun. Sofern die Politik nicht geeignete Schritte wie beispielsweise Steuererleichterungen erlässt, wird es in einigen Ortschaften in absehbarer Zeit überhaupt keine Gasthäuser mehr geben. In diesen Fällen werden wohl die Vereine einspringen müssen, wenn die zu unserer Kultur gehörenden Totenmahle organisiert oder Jahrgangstreffen veranstaltet werden sollen.
 
Viele haben bereits aufgegeben und viele werden dies noch tun.
 
Steht hier ein Stück weit unsere Tradition und Kultur auf dem Spiel?
 
Wie bereits erwähnt, haben tatsächlich sehr viele Gasthäuser ihre Tore geschlossen – und es ist nicht sicher, ob sie wieder öffnen werden. Aufgrund der guten touristischen Auslastung herrscht zwar noch nicht Alarmstufe rot, aber die Tendenz, dass alte Traditionsgasthäuser nicht mehr weitergeführt werden, ist unübersehbar. Diese Entwicklung ist landesweit feststellbar, sei es nun im Vinschgau, im Pustertal oder im Eisacktal. Was die Südtiroler Gastronomie von anderen noch etwas abhebt, sind die Buschenschänke und das Törggelen. Dabei handelt es sich allerdings um Termingeschäfte, wo im Oktober die Betriebe für diese Events geöffnet und anschließend wieder geschlossen werden. Aber in einem Tal mit nur Tausend Einwohnern wird es in Zukunft sehr schwierig werden, einen Betrieb wirtschaftlich zu führen.
 
Sie schildern eine düstere Zukunft.
 
Ich halte mir die Situation in Süd-Deutschland und in Österreich vor Augen, wo das Gasthaussterben in vollem Gange ist. In Südtirol könnte dies genauso eintreten. Möglicherweise treten an die Stelle der Traditionsgasthäuser internationale Ketten oder Restaurants, in denen asiatische Küche oder türkische Gerichte angeboten werden. In der Regel wird dort allerdings unter Verwendung von sehr viel Industrieware bei den Arbeitskräften gespart. Wir müssen sehr achtsam sein, dass unsere Esskultur nicht verloren geht. Was uns nicht gerade entgegen kommt, ist, dass wir Touristiker momentan keinen guten Ruf haben. Wir werden verantwortlich gemacht für den Verkehr und viele anderen negativen Erscheinungen, die mit dem Tourismus zusammenhängen.
 
 
 
Zu Unrecht?
 
Zugegebenermaßen sind die Vorwürfe teilweise sogar begründet. Andererseits darf man nicht die gesamte Branche in unserem Land wegen 20 oder 30 Groß-Hotels in einen Topf werfen und die anderen Betriebe darüber vergessen. Wir haben nämlich auch viele kleine und familiengeführte Pensionen mit zwei oder drei Sternen, die derzeit allerdings die Küchen auslagern und nur mehr Zimmer mit Frühstück anbieten. Was heißt das nun? In diesen Ortschaften muss in irgendeiner Form Gastronomie angeboten werden, ansonsten wird sie sowohl für Einheimische als auch Gäste uninteressant.
 
Vor rund zwei Jahren hat die Landesregierung bereits die Möglichkeit von Förderungen für Nahversorgungs- und Gastronomiebetriebe erlassen. Welche weiteren Maßnahmen bräuchte es?
 
Bevor Steuergelder für Betriebe ausgeschüttet werden, brauchen diese zuallererst ein sehr gutes Konzept. Man darf meiner Meinung nach nicht pauschal Fördergelder oder Erleichterungen bei Stromrechnungen gewähren. Die zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten für ein Gasthaus müssen gegeben sein und dafür braucht es ein gutes Konzept. Ein Gasthaus zu führen, weil man nichts anderes kennt, wird in Zukunft zu wenig sein, um damit Erfolg und ein sicheres Einkommen zu haben. Die Küche verändert sich, die Schließungszeiten ändern sich und damit auch die Anforderungen. Einen Betrieb zu fördern, wenn beispielsweise die Nachfolge nicht geklärt ist, bringt meiner Meinung nach nichts. Die Schließung wird damit höchstens um einige Jahre hinausgezögert. Ich glaube, dass es sinnvoller wäre, Steuererleichterungen bei der Betriebs-Übergabe einzuführen.
 
Einen Betrieb zu fördern, wenn beispielsweise die Nachfolge nicht geklärt ist, bringt meiner Meinung nach nichts.
 
Das Hauptproblem scheint die Nachfolge zu sein …
 
Kein Junggastwirt ist heute mehr dazu bereit, seinen Betrieb von 10.00 Uhr vormittags bis Mitternacht offen zu halten für zwei Personen, die vielleicht vorbei kommen, um einen Cappuccino zu trinken. In den Dörfern ist das passé. Auf der anderen Seite loben sowohl die Einheimischen wie auch die Gäste die kleinen traditionsreichen Gasthäuser. Mit einem guten Konzept kann es somit durchaus gelingen, sich eine Zukunft aufzubauen. Die Frage ist jedoch, wie wir unsere Jugend dazu bewegen können, weiterzumachen. Ein weiteres ungelöstes Problem ist der Fachkräftemangel. Wir bekommen kaum noch gute Leute für unsere Betriebe.
 
Was das Thema „gutes Konzept“ betrifft: Seit Kurzem wird ein Schulterschluss zwischen Gastronomie und Landwirtschaft zunehmend ein Thema. Der Agronom und Hobby-Bauer Thomas Zanon macht dies in Barbian bereits vor. Wäre dies eine mögliche Richtung, welche die traditionellen Dorfgasthäuser einschlagen könnten?
 
Jene Betriebe, die auf meine Initiative „Südtiroler Gasthaus“ hin entstanden sind, haben sich genau dieses Konzept zum Ziel gesetzt. Wir wollen damit das Brauchtum wieder aufleben lassen und beispielsweise wieder alte Rezepte wie Blutwurst oder Wurzelgemüse anbieten – allerdings nur zu bestimmten Jahreszeiten, wie es früher eben Brauch war. Um die Einheimischen dafür zu sensibilisieren, benötigen wir allerdings eine sehr gute Kommunikationsstrategie, denn es dreht sich alles um die Frage, wie man die jungen Leute dazu bewegen kann, in ein Gasthaus zu gehen, dort gemeinsam etwas zu essen und vielleicht auch über die Esskultur nachzudenken. Die Jugend ist es mittlerweile gewohnt, im Stehen und in Schnell-Imbissen zu essen, um gleich wieder zu verschwinden oder sich mit dem Handy zu beschäftigen. Ich will nicht nur Schwarz malen, glaube aber, dass die Nahversorgung zukünftig sehr leiden wird.
 
Gastwirt und Koch zählen zu den angesehensten Berufen. Eigentlich müsste es doch genügend Interessenten für Gasthäuser geben, auch wenn diese vielleicht sogar aus einer anderen Branche kommen …
 
Das mag schon sein, allerdings braucht es als Voraussetzung eine große Leidenschaft für diesen Beruf, man muss die Gesellschaft der Menschen mögen und die Zahl der Arbeitsstunden soll keine Rolle spielen. Wenn heute europaweit bereits über die 4-Tage-Woche diskutiert wird, dann wird das schwierig. Es scheint, als wollten die jungen Leute heute nicht mehr arbeiten.
 
 
 
 
Für manche mag das zutreffen, die Jugend von heute scheint aber klare Vorstellungen von ihrer Zukunft zu haben und es zu etwas bringen zu wollen.
 
Das mag sein, ich frage mich aber, wer irgendwann den Schnee räumen oder das Auto reparieren wird, wenn sich alle nur mehr mit der digitalen Welt beschäftigen wollen. Spätestens die dritte Frage bei einem Bewerbungsgespräch lautet heute „Wieviele Stunden muss ich arbeiten?“ Junge Angestellte wollen keine 60 Stunden arbeiten – für uns war das noch selbstverständlich – sondern es soll sich im Rahmen bewegen und wenn sie die Wahl hätten, würden sie sich für eine 30-Stunden-Woche entscheiden. Wer soll am Ende die Gäste bedienen, wenn jeder samstags und sonntags frei haben will?
 
Muss auch aus diesem Grund zunehmend auf ausländische Arbeitskräfte zurückgegriffen werden, weil die Südtiroler nicht mehr am Wochenende arbeiten wollen?
 
Auch hier sind die Unterschiede teilweise sehr groß. Es gibt sehr arbeitswillige und anständige Leute, die Geld verdienen und sich etwas aufbauen möchten und es gibt auch die Sozialschmarotzer, die Krankenstände hinausschieben. Wir beschäftigen bereits sehr viele ausländische Fachkräfte in der Hotellerie und Gastronomie, vor allem im Küchenbereich oder als Zimmerpersonal. Junge Südtiroler wollen vor allem Karriere machen und wenn es ums Kochen geht, dann vor allem im Gourmet-Bereich. Das bringt schließlich Werbung und einen Namen. Nur bis dahin ist es ein sehr langer Weg.
 
Macht man ein tolles Schäumchen, landet man in der Zeitung, macht man einen tollen „Kasknödel“, bleibt das unbeachtet.
 
Die traditionellen Gasthäuser dagegen haben nicht diese mediale Aufmerksamkeit und diese Strahlkraft, obwohl sie es sich eigentlich verdient hätten. Macht man ein tolles Schäumchen, landet man in der Zeitung, macht man einen tollen „Kasknödel“, bleibt das unbeachtet. Die mediale Aufmerksamkeit ist sehr gering gegenüber den Südtiroler Gasthäusern und das muss sich ändern.
 
Generell scheint die Bedeutung der Lebensmittel und das Genießen in unserer Gesellschaft abhanden gekommen zu sein.
 
Heute muss alles schnell gehen und möglichst unkompliziert. Wir reden alle von Nachhaltigkeit, sind in Wirklichkeit aber weit davon entfernt. Hier wird sicher etwas passieren müssen, aber das schnelle Essen wird sicher noch lange eine Erscheinung unserer Gesellschaft bleiben. Man wird sehen müssen, ob man wieder eine Stammtisch-Kultur oder vielleicht auch ein Gasthaus-Theater etablieren kann. Momentan ist es allerdings sehr schwierig, die Leute für unsere Gasthäuser zu begeistern.

 

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kurt duschek Mo., 07.11.2022 - 07:02

....volle Zustimmung! Ergänzend würde ich die gelebte Gastfreundschaft erwähnen, der Gast muß das Gefühl haben willkommen zu sein und gerne "bedient" zu werden. Leider erlebe ich ich immer wieder genau das Gegenteil. Wer seine Arbeit nicht gerne macht sollte den Beruf wechseln!

Mo., 07.11.2022 - 07:02 Permalink
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Salto User
Günther Alois … Mo., 07.11.2022 - 13:08

Antwort auf von kurt duschek

Stimmt leider,kann das voll bestätigen! Im Kaunertal ist man im "Gasthaus" noch willkommen,wird freundlich und zuvorkommend bedient und die Einheimischen grüssen dich noch freundlichst als Gast! Die haben noch eine "ehrliche" Willkommenskultur,was man von Südtirol leider oft nicht mehr erlebt! AUSNAHME BESTÄTIGT NOCH ZUM GLÜCK DIE "Guten"SCHADE!!!!

Mo., 07.11.2022 - 13:08 Permalink
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Peter Gasser Mo., 07.11.2022 - 09:19

Das Problem ist wohl vordergründig ein demographisches:
- die ältere zahlreichere Generation, welche gern ins Gasthaus ging, ist bald nicht mehr da,
- die jüngere Generation ist (zahlenmäßig) kaum bis nicht vorhanden, zudem am Studieren (im Ausland), oder online unterwegs.
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Der immer wieder herangezogene „Fachkräfte-Mangel“ ist eigentlich ein Kinder-Mangel, der mit derzeitigen gesellschaftspolitischen Maßnahmen weiter verschlimmert, anstatt nachhaltig verbessert wird.
Das Problem ist - näher betrachtet- wohl eben ein demographisches.

Mo., 07.11.2022 - 09:19 Permalink
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Dietmar Nußbaumer Mo., 07.11.2022 - 21:25

Ein Dorf ohne Gasthaus, idealerweise ein Treffpunkt für Jung und Alt, verliert ein Stück seiner "Seele". Verschwinden dann noch der Dorfladen, der Pfarrer und die Vereine, dann bleibt noch ein "asoziales " Schlafdorf. Noch können wir Bürger mithelfen (mit Hilfe der Landesregierung) dieses Szenario möglichst aufzuschieben.

Mo., 07.11.2022 - 21:25 Permalink