Umwelt | Interview

„Von Greenwashing unterscheiden“

Madeleine Rohrer, Geschäftsführerin des Dachverbands für Natur- und Umweltschutz, über den Entwurf des Mobilitätsplans, die Weltklimakonferenz und soziale Gerechtigkeit.
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Foto: KARLHEINZ SOLLBAUER
salto.bz: Frau Rohrer, wie bewertet der Dachverband den Entwurf für den nachhaltigen Mobilitätsplan des Landes?
 

Madeleine Rohrer: Der Entwurf wird den Pariser Klimazielen nicht gerecht und entspricht auch nicht den Zielvorgaben, die im Klimaplan des Landes vorgegeben werden. Denn laut dem Südtiroler Klimaplan sollen die CO2-Emissionen im Vergleich zum Jahr 2019 bis 2030 um 55 Prozent und bis 2037 um 70 Prozent sinken. Bis 2040 will Südtirol klimaneutral werden, was wir Umweltorganisationen großartig finden. Im Entwurf zum Mobilitätsplan geht man aber beim Hauptverursacher Verkehr von einer Reduktion von nur 50 Prozent bis 2035 aus.
 

Das scheint nicht zusammenzupassen.
 

Genau, der Unterschied ist hier zu groß. Zudem soll laut dem Klimaplan der motorisierte Individualverkehr bis 2030 um 40 Prozent reduziert werden. Der Mobilitätsplan hingegen geht von einer Reduktion des Verkehrs ausschließlich zwischen den Gemeinden um 26,1 Prozent bis 2025 aus. Für den Verkehr innerhalb der Gemeinden sind die Gemeinden selbst verantwortlich. Die Gemeinden brauchen zwar einen Mobilitätsplan als Teil des Gemeindeentwicklungsprogramms, allerdings gibt das 2018 verabschiedeten Gesetz für Raum und Landschaft keine Ziele für den Klimaschutz oder gar einen Klimaplan vor.

Das finde ich einen großen Erfolg der Umweltbewegungen und absolut notwendig.
Was muss das Gemeindeentwicklungsprogramm enthalten?
 

Die Gemeinden müssen unter anderem bestimmen, wo noch gebaut werden soll, welche Gebäude als Ensembles geschützt werden und wie der Tourismus sich entwickeln soll. Es fehlt im Gesetz Raum und Landschaft die Verpflichtung eines dem allen übergeordneten Klimaplans. Damit bleibt es den Bürgermeister:innen überlassen, ob sie ein Gemeindeentwicklungsprogramm für die nächsten 15 Jahren schreiben, das den Pariser Klimazielen entspricht oder nicht. Sowohl beim Mobilitätsplan als auch beim Gemeindeentwicklungsprogramm fehlt die politische Vorgabe, die Pariser Klimaziele einzuhalten. Diese internationale Zielvorgabe hätte die Landesregierung bereits vor Genehmigung des ersten Teils des Klimaplans vorschreiben können.
 

 
Wissenschaftler:innen sagen, dass das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens nicht mehr erreichbar ist. Wieso diskutieren die Staaten nun bei der Weltklimakonferenz COP 27 in Ägypten trotzdem darüber?

 
Staaten wie China stellen das 1,5-Grad-Ziel bereits offen in Frage, deshalb ist es jetzt sehr wichtig, keinen Schritt zurückzumachen. Als Beobachterin aus der Ferne denke ich, dass die aktuellen Klimaverhandlungen die letzthin schwierigsten sind, weil inzwischen andere Krisen dazugekommen sind. Denn solche Verhandlungen leben davon, dass alle teilnehmenden Länder zur Lösung beitragen wollen. Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine gibt es eine Spaltung zwischen dem Westen und Russland freundlich gesinnten Staaten wie China. Das ist extrem schwierig. Das Pariser Klimaabkommen war unter anderem dadurch zustanden gekommen, dass China und die USA erstmals den bilateralen Dialog zum Klimaschutz aufgenommen hatten. Aufgrund der massiv gestiegenen Energiepreise wurden in der Zwischenzeit die Subventionen für fossile Energieträger fast verdoppelt.
 
Wieso wird das 1,5-Grad-Ziel aber nicht überdacht, wenn es eh nicht erreicht werden kann?

 
Dann würde diese Klimakonferenz zum Fiasko werden und man müsste wieder von vorne anfangen. Der eigentliche Knackpunkt bei dieser Konferenz sind die Kompensationszahlungen der wohlhabenden, industrialisierten Staaten, die den Klimawandel verursacht haben, an vulnerable Staaten, die am wenigsten zur Erderwärmung beigetragen haben.

Es werden Skigebiete ausgebaut, obwohl Skifahren angesichts des Klimawandels und der Energiekrise in der heutigen Form keine Zukunft mehr hat.
Das ist ein ständiger Streitpunkt.

 
Der Westen befürchtet, dass er bei einer Zustimmung für Kompensationszahlungen finanziell überfordert wird. Zusätzlich könnten irgendwann auch Kompensationszahlungen für andere Umweltvergehen oder gar die Folgen der Kolonialisierung gefordert werden. Außerdem steht zur Debatte, ob die reichen Staaten den Klimawandel als Grund für Asyl anerkennen müssen. Es geht um nichts Geringeres als soziale Gerechtigkeit.
 
Wie beurteilen Sie die Entwicklung, dass sich nicht mehr nur die Grünen, sondern alle Parteien Nachhaltigkeit auf die Fahnen schreiben?

 
Das finde ich einen großen Erfolg der Umweltbewegungen und absolut notwendig. Jetzt ist für uns Umweltorganisationen die Herausforderung, echte Klimaschutzpolitik von Greenwashing zu unterscheiden.

 
Macht die Regierungskoalition von SVP und Lega auf Landesebene mehr Greenwashing oder echte Klimaschutzpolitik?

 
Ich bin mir nicht sicher, ob jeder das gleiche Programm verfolgt und Klimaschutz an die gleiche Stelle stellt. Ich begrüße die Zielvorgaben im Klimaplan, aber gleichzeitig werden Skigebiete ausgebaut, obwohl Skifahren angesichts des Klimawandels und der Energiekrise in der heutigen Form keine Zukunft mehr hat. Auch die jüngsten Bestimmungen zum Bauen in Grün treiben die Bodenversiegelung weiter voran. Deshalb habe ich meine Zweifel, ob die Politik den Ernst der Lage erkannt hat. 

 
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Josef Fulterer Sa., 12.11.2022 - 21:10

Eine vernünftige Klima-gerechte Verkehrspolitik für Südtirol könnte so programmiert werden:
° beim Privat- und Südtirol-Binnenverkehr max. 100 Km / Stunde (wie vor 60 Jahren)
° den überegionalen Personen- und Lastenverkehr auf die 4sptuhrige Schiene, mit 1-2 Container-Bahnhöfen
° den regionalen Lastenverkehr übernehmen Frächter
° Verzicht auf Flureisen für wenige Tage (passende Steuern)
Im Luftraum über Südtirol kreisen untertags nie weniger wie 5 Großflugzeuge (bei Kondensstreifen-Bildung gut sichtbar) immer noch "mit Steuer-freien Treibstoff! Höchste Zeit für die EU: hohe Steuern auf dem Flugtreibstoff einführen und die CO2 Belastung voll mit Steuern belasten.

Sa., 12.11.2022 - 21:10 Permalink
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Josef Fulterer Do., 17.11.2022 - 02:42

Antwort auf von Karl Trojer

Der verrückte und gefährliche Geschwindigkeits-Drang, den sich die Auto-und Flug-Industrie gezüchtet hat, ist nur die Frage einer vernünftigen Zeit-Einteilung.
Bis zum Bau der Eisenbahn von Nürnberg nach Fürth (1830) mit dem "rasenden Roland," der 30 km / Stunde geschafft hat, war das zu Fuß gehen, das Reitpferd oder die Kutsche auf holprigen Schotter-Wegen, die einzige Möglichkeit zum Reisen.
Außer den Brieftauben, die 30 km / Stunde sicher nicht geschafft haben, gab es "Nichts" und die Welt hat sich doch gedreht.
Angesichts der Klima-Krise wird es für Verantwortungs-bewusste Politiker höchste Zeit, endlich die total verrückten "Formel 1-Rennen, das unsinnige Treiben der Rally-Fahrer, aber auch den Hals-, Sehnen- und Knochen-brechenden Wahnsinn auf den Eis-glatten Rennstrecken zu verbieten!"
Und im Luft-Raum über uns, ist mit angemessenen Steuern auf dem Flug-Treibstoff und der Anrechnung der vollen Klima-Belastung gründlich aufzuräumen!

Do., 17.11.2022 - 02:42 Permalink
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Hartmuth Staffler Do., 17.11.2022 - 09:02

Antwort auf von Josef Fulterer

Die erste mit Dampflokomotiven betriebene Eisenbahn (nach verschiedenen Pferdebahnen) war wohl die 1825 eröffnete Stockton and Darlington Railway, die auf einem leicht abfallenden Teilstück immerhin 24 km/h erreichte. 1835 wurde die Bahnstrecke Nürnberg-Fürth als erste mit einer Dampflokomotive betriebene Eisenbahn am Kontinent in Betrieb genommen. Die Lokomotive "Adler" schaffte immerhin schon 30 km/h. Wege der teuren Kohle wurden aber die meisten Züge noch von Pferden gezogen.

Do., 17.11.2022 - 09:02 Permalink
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Stefan S Do., 17.11.2022 - 13:38

Antwort auf von Josef Fulterer

"angemessenen Steuern auf dem Flug-Treibstoff und der Anrechnung der vollen Klima-Belastung gründlich aufzuräumen"
Dient ausschließlich der Steuergerechtigkeit und null dem Klimaschutz. Haben wir doch die letzten Monate gelernt das wir für Energie auch bereit sind das doppelte und mehr zu bezahlen. Wir müssen endlich von der falsch verbreiteten These der fossilen Brennstoff Branche abdrücken das CO2 Mehrverbrauch nur eine Frage des Preises ist. Völliger Irrglaube. Technologisch haben wir mittelfristig nur die Chance über erneuerbare Energien und parallel eine Änderung des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Werteverständnis. Die bisherigen Maßnahmen sind vielfach als Greenwashing enttarnt und dienen hauptsächlich der Gewinnoptimierung der Wirtschaft.
Die fossilen Energieträger haben die letzten knapp 200 Jahre den Erfolg unserer Wirtschaft und Entwicklung bestimmt und die Großen dieser Branche werden nicht einfach das Feld anderen Energieträgern überlassen. Der Ukraine Krieg begründet sich größtenteils an diesem fossilen Lobbyismus. Beim globalen Corona Lockdown waren die Fossilen einer der großen Verlierer, diese Gewinnverluste wurden in den letzten Monaten um ein vielfaches kompensiert.

Do., 17.11.2022 - 13:38 Permalink
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Josef Fulterer Sa., 19.11.2022 - 06:48

Antwort auf von Stefan S

Die Preissteigerung bei der fossilen Energie haben die Verbraucher bereits "zu einem sparsameren Umgang erzogen."
Wenn dem hoch-suventionierten-Treiben im Luftraum oben, die Beiträge gestrichen und vollen Klima-Schaden-Kosten angerechnet werden, sind die Tickets so teuer, dass "sich auch die besser-Verdienenden diesen Frevel an der Umwelt nicht mehr leisten können."
Und den ganz-Reichen könnte man ja mit einer Sonder-Steuer zur Einsicht bringen, dass "Fliegen nicht sein muss."

Sa., 19.11.2022 - 06:48 Permalink
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Stefan S Sa., 19.11.2022 - 11:44

Antwort auf von Josef Fulterer

"Wenn dem hoch-suventionierten-Treiben im Luftraum oben, die Beiträge gestrichen und vollen Klima-Schaden-Kosten angerechnet werden,"
Leider noch nicht im interkontinentalen aber im europäischen Luftraum müssen die Fluggesellschaften CO2 Zertifikate erwerben welche bis 2030 stufenweise reduziert werden.
Ich glaube aber nicht das dies für eine Kehrtwende reicht. Überhaupt bin ich von einer CO2 Steuer nicht überzeugt weil die Mehreinnahmen oftmals nicht zielgenau den erneuerbaren Energien zugeführt werden wie uns die aktuellen Strompreise deutlich vor Augen führen.

Sa., 19.11.2022 - 11:44 Permalink