Gesellschaft | Bildung

Deutsch auf Arabisch

Viele Kinder in deutschen Schulen kennen die Unterrichtssprache nicht von Zuhause. Für Eltern und Lehrpersonen eine Herausforderung, die neue Wege erfordert.
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Foto: Aziz Acharki on Unsplash
Die Anzahl der ausländischen Schüler:innen ist in den letzten Jahrzehnten laut ASTAT gestiegen. Während vor einem Vierteljahrhundert noch fast die Hälfte der Menschen mit Migrationshintergrund aus dem deutschsprachigen Raum stammte, reduzierte sich ihr Anteil in den folgenden Jahren zugunsten von Menschen aus anderen Kulturkreisen kontinuierlich. Gemessen an der Zahl ausländischer Kinder und Jugendlichen im Schulalter ist die Quote der Bundesdeutschen, Österreicher:innen und Schweizer:innen nunmehr auf 4,3 Prozent gesunken.
 
 
Mehr als die Hälfte, nämlich 55,3 Prozent, aller ausländischen Kindergartenkinder sowie der Schüler:innen gehörten im Schuljahr 2020/21 einem europäischen Staat an. Aus Asien stammten 22,9 Prozent und aus Afrika 17,3 Prozent. Als Herkunftsländer sind am häufigsten Albanien, Marokko, Pakistan und Kosovo vertreten. Der Ausländeranteil an Südtirols Bildungseinrichtungen aller Schulstufen beträgt 12,3 Prozent.
 

Beispiel Meran

 
Im Schulsprengel Meran/Stadt hat rund ein Viertel der Schüler:innen einen „offiziellen“ Migrationshintergrund, das heißt diese Schüler:innen sind im Besitz einer ausländischen Staatsbürgerschaft. „Migrant:innen, die mittlerweile eine italienischen Staatsbürgerschaft erlangt haben, sind hier nicht miteingerechnet“, erklärt die Schulführungskraft des Sprengels, Dagmar Morandell. „Dazu kommen noch italienischsprachige Kinder, welche an deutschen Schulen eingeschrieben werden. In Bezug auf den Sprachenhintergrund haben wir aus diesem Grunde sehr unterschiedliche Situationen – jene vom Kind mit deutscher Muttersprache bis hin zum Kind, das ohne jegliche Deutschkenntnisse in die Schule kommt.“
 
 
Viele Kinder im Schulsprengel sprechen Deutsch nur in der Schule, Italienisch ist meist Umgangssprache außerhalb der Schule, deshalb sei es schwierig einzuschätzen, wie viele Kinder rein italienischer Muttersprache die deutschsprachige Schule besuchen. Zudem gebe es auch Kinder aus zweisprachigen Familien. „In vielen Familien sind die Sprachen bunt gemischt, Kinder wachsen oft mit vier bis fünf verschiedenen Sprachen auf“, so Morandell.
Es brauche dabei manchmal den Mut aufeinander zuzugehen und den Willen, bewusst Momente und Orte der Begegnung zu schaffen.
Die Schulführungskraft weiß, dass das Thema Migration im Zusammenhang mit den Deutsch-Sprachkenntnissen an Südtiroler Schulen Lehrpersonen und Eltern beschäftigt. Vor allem Letztere fragen sich, welche Auswirkungen die Mehrsprachigkeit und die Begegnung mit neuen Kulturen auf den Unterricht in deutschsprachigen Schulen mit sich bringen. „Sie befürchten einerseits, dass der Unterricht darunter leidet, andererseits auch, dass die Südtiroler Kultur verwässert werden könnte. Einige fragen sich beispielsweise, ob in den Schulklassen dann noch das Nikolausfest gefeiert wird“, so Morandell.
Auch das Thema Freundschaft zwischen Schulkindern mit und ohne Migrationshintergrund sei für die Eltern wichtig. „Hier herrschen oft Berührungsängste mit anderen Kulturen“, erklärt die Schulführungskraft. Es brauche dabei manchmal den Mut aufeinander zuzugehen und den Willen, bewusst Momente und Orte der Begegnung zu schaffen.
Es sei für viele nichtdeutschsprachige Eltern in Südtirol wichtig, dass ihre Kinder die deutsche Sprache erlernen, um sowohl in Südtirol als auch im deutschsprachigen europäischen Raum bessere Chancen auf dem Bildungs- und Arbeitsmarkt zu haben. Gerade für migrantische Familien sei oft unklar, ob sie in Südtirol bleiben oder etwa weiter nach Deutschland, Österreich oder in die Schweiz ziehen wollen. „Im Vergleich zum Italienischen ist das Deutsche in Europa einfach weiterverbreitet“, betont die Schulführungskraft der Schulen-Gemeinschaft Meran/Stadt.
 

Andere Voraussetzungen

 
Die Schule muss sich darauf einstellen, dass die Sprachkenntnisse in gemischtsprachigen Klassen andere seien als in einer Klasse mit ausschließlich Kindern deutscher Muttersprache. „Der Unterricht muss anders gedacht werden. Die Mehrsprachigkeitsdidaktik sieht jede einzelne Sprache, die ein Mensch beherrscht, als wertvolle Ressource. Deshalb bieten wir an unseren Schulen beispielsweise auch Kurse in der Muttersprache der Kinder an – zurzeit läuft für Grund- und Mittelschüler:innen etwa Albanisch- und Arabischunterricht.“ Wenn Kinder in ihrer Muttersprache gefestigt werden, erleichtere das den Erwerb anderer Sprachen.
Die Lehrpersonen für Deutsch als Zweitsprache (DAZ) sind dazu ausgebildet, die Kinder gezielt im Sprachenerwerb und in ihrer Sprachentwicklung zu fördern. Teamunterricht und Klassenteilungen bieten weitere Möglichkeiten, den Unterricht bedarfsgerecht zu gestalten und auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Schüler:innen eingehen zu können. „So werden auch Kinder mit Deutsch als Muttersprache zusätzlich gefördert“, erklärt Morandell.
 
 
Sie gesteht ein, dass es keine Patentrezepte gebe, die Suche nach neuen Unterrichtsmodellen betreffe nicht nur die Bildungslandschaft in Südtirol, sondern aufgrund eines ständigen Zuwachses an Menschen mit Migrationsgeschichte wohl ganz Europa. Eine wichtige Voraussetzung für gelingende Unterrichtsmodelle liege in einer den Bedürfnissen angepassten Ausbildung der Lehrpersonen, welche diese auf die komplexe Schulwelt von heute vorbereite. „Hier arbeiten wir sehr eng mit dem Meraner Sprachenzentrum und dem Referat für Migration in Bozen zusammen.“
Irene Windegger ist am Meraner Sprachenzentrum für die Beratung von Schulen und Familien in den Bereichen Migration und Mehrsprachigkeit zuständig. Die ehemalige Grundschullehrerin arbeitet seit 20 Jahren mit Menschen mit Migrationshintergrund zusammen. „In meinem Arbeitsalltag sind vor allem Sprachbarrieren und die Ressourcenknappheit Herausforderungen. Wenn beispielsweise eine Familie gerade aus Pakistan hierhergekommen ist, ist es nicht immer einfach sich zu verständigen“, so Windegger.
 

Die Perspektive der Migrant:innen

 
„Die Familien sind sehr offen und hoffen auf eine gute schulische Bildung, die später ein Studium ermöglicht. Ihnen ist nicht klar, wie schwierig das oft für ihre Kinder ist.” Besonders dann, wenn die Eltern noch zu 100 Prozent an ihrem Herkunftsland hängen, sei das für den Nachwuchs spürbar und erschwere die Inklusion. „Die Kinder müssen hier Wahnsinniges bewältigen, denn sie sind in Südtirol mit zwei neuen Sprachen konfrontiert, dazu kommt noch der Dialekt, der in den Tälern variiert.”
 
 
Um Menschen für das Erlernen der hier gängigen Sprachen zu motivieren, erfordere es Offenheit und Ehrlichkeit. „Man muss entspannt sein, um lernen zu können”, weiß die Bildungs- und Migrationsexpertin. Dabei sei es wichtig, an Gemeinsamkeiten zwischen Kulturen anzuknüpfen. Auf die Frage, ob es in Meran Parallelgesellschaften gibt, bejaht Windegger teilweise: „Es gibt in Meran mehrere Communities, etwa aus Albanien oder Pakistan. Diese Menschen haben für sich Parallelgesellschaften aufgebaut, auch wenn es einige gibt, die einen wertvollen Brückendienst in der Gemeinde Meran leisten. Diese Menschen sollten dafür auch angemessen belohnt werden.” Es gebe Kulturkreise, etwa Familien aus dem ländlichen Pakistan, die sich von Haus aus schwertun, sich zu inkludieren. „Sie sind offen und herzlich, aber bei bestimmten Themen wie beispielsweise der Ehe wird es vielleicht etwas schwierig.”
Um auch den Eltern die Inklusion zu erleichtern, werden nun an einigen Schulen in Meran niederschwellige Deutschkurse für sie angeboten, die als Trittbrett für einen weiterführenden Deutschkurs dienen sollen.
 
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Profil für Benutzer pérvasion
pérvasion Do., 24.11.2022 - 06:02

Toller Beitrag, danke für diesen Einblick. Ich finde, hier wird Großartiges geleistet. Leider sind die (Personal-)Ressourcen meines Wissens extrem knapp. Sie müssten dringend aufgestockt werden.

Do., 24.11.2022 - 06:02 Permalink