Kultur | Salto Weekend

Zukunftsweisende Nutzungen

Eine aufschlussreiche Diskussion über Neu-, Zwischen- und Nachnutzung von alten Militärkasernen in Südtirol lockte viel Publikum ins Museion. Der Abend verlief ruhig.

Eigentlich hätte man sich einen Rüffel des Landeshauptmanns Arno Kompatscher, oder der anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Podium, gegen den Schlanderser Bürgermeister Dieter Pinggera erwartet, erwarten müssen – doch dazu kam es nicht. Es gab bei der Diskussion am vergangenen Donnerstag im Museion wohl eine Absprache vorab, die Vinschger Vorkommnisse zu den plötzlichen Abbrucharbeiten auf dem Areal der Drususkaserne in Schlanders bestenfalls nicht anzusprechen. Vielleicht war der rasch genehmigte Baggereinsatz vor ein paar Wochen ja nur eine Fake-Aktion, oder gar ein Vorlauf für eine noch ausstehende „Wetten, dass…“-Bagger- und Außenwette demnächst. Denn schnell sind sie, die Bagger im Vinschgau.
 


Wer im Museion auf eine Bagger-Diskussion setzte, zählte zu den Verlierern. Im Rahmen der an das Podiumsgespräch angehängten Fragerunde erinnerte lediglich eine Wortmeldung aus dem Publikum an einen anderen nebulösen  Baggereinsatz, jenen im November 1979, als in den Morgenstunden des 5. November das Ex-Monopol-Gebäude in Bozen auf Anordnung des damaligen DC-Bürgermeisters Giancarlo Bolognini von Baggern plattgewalzt wurde. Dort wo einst deutsch- und italienischsprachige Jugendliche und Erwachsene ihren Traum vom offenen und selbstverwalteten Kulturzentrum umsetzen wollten, wurde mit Gewalt und nicht mit Argumenten gehandelt. Auf dem Areal der zerstörten Gebäude entstand ein „Schotterparkplatz“, der über Jahrzehnte bis zum Museion-Bau als Blechoase dahinsiechte. Das war die einzige Bagger-Geschichte an diesem Abend. Niemand wollte (oder durfte) das bodenlose Fass an kulturpolitischer Unanständigkeit öffnen. Schwamm drüber.
 


Organisiert wurde der Diskussionsabend vom Club Alpbach Südtirol Alto Adige. Nach einführenden Worten von Simon Mariacher und Hausherr Bart van der Heide folgten Vorstellung und Statements der Podiumsteilnehmer*innen. Der Kulturarbeiter und "Gemeinwesenentwickler" Hannes Götsch (Basis Vinschgau Venosta), erzählte über das Vorzeige-Projekt im strukturschwachen Gebiet und wie es mit Innovation in wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Hinsicht weiter gestaltet werden kann. Gemeinsam mit der Gemeinde Schlanders entwickelte er seit 2016 den Prozess zur Erschließung des lange nicht zugänglichen Areals. Mittlerweile wurden zahlreiche Investitionen gemacht und Praxiserfahrung gesammelt. Vor ihm plauderte der junge Stadt- und Raumplaner Philipp Rier über zwei Projekte seines Kollektivs LiA, zum einen über die Beteiligung beim Wettbewerb zum Kasernenareal in Eppan, zum anderen über die Initiative A place to B(z), für die Zwischennutzung auf der 16 Hektar großen Fläche des ARBO-Bahnhofsareals in Bozen. „Es geht darum die Bevölkerung über ungenutzte Flächen zu informieren“, betonte Rier und brachte auch den einen und anderen Gedanken über „neue Formen des Wirtschaftens“ in die Diskussion ein. 
 


„Man muss von dem ausgehen, was schon da ist“, warf der Künstler Daniel Costa in den Raum. Costa ist Mitglied der Initiativgruppe Drusus-Kaserne in Schlanders. Nach Jahren in der Großstadt habe er die „Leerräume“ in Schlanders entdeckt, „die gar nicht leer sind“ erzählte er: „Das war unglaublich spannend. Man nimmt hier Geschichte neu auf und wahr, die Geschichte der Soldaten, der Anrainer.“ Mit den sich aufdrängenden Inhalten setzte er sich auseinander, auch mit „der rationalistischen Architektur“, die sehr kühl und kalt daherkäme so Costa, aber auch „viel Freiraum der Vorstellung“ zuließe, für „neue Interaktionen“. 
 


Die Südtiroler Landeskonservatorin Karin Dalla Torre brachte nicht nur ihren beruflichen Umgang mit historischen Gebäuden zur Sprache, sondern bettete auch das Thema Erinnerungskultur in die Diskussion mit ein. Südtirol habe eben die spezifische Situation einer Grenzgegend, wo Gewaltherrschaften Gebäudestrukturen erstellten oder besetzten. „Es geht deshalb nicht nur um Architektur, sondern auch um die Bewältigung von Zeitgeschichte. Wir haben die historischen Traumata in Südtirol noch nicht bearbeitet und ich glaube, die Kasernen sind Kristallisationskerne der Zeitgeschichte“, so Dalla Torre.
 


„Natürlich werden nicht alle Areale unter Denkmalschutz gestellt, aber ich denke es ist wichtig, dass wir die kulturelle Relevanz überprüfen“ betonte Dalla Torre. In Meran seien beispielsweise vier von den rund dreißig Gebäuden kulturhistorisch interessant – „auch wenn das nicht heißt, dass diese auch unter Denkmalschutz gestellt werden.“ Als Denkmalamt wolle sie „nicht die Areale besetzen und vereinnahmen“, es gehe ihr vielmehr darum „die historische Komponente in den Diskurs miteinzubinden.“ 
 


Für einen „guten Mix“ möchte sich die stellvertretende Bürgermeisterin der Gemeinde Meran Katharina Zeller bei der Gestaltung des 30 Hektar großen Militärareals in Meran stark machen. Es gehe ihr dabei vor allem um „Kultur, Wirtschaft und Partizipation“, insbesondere aus dem bereits erprobten Blickwinkel der Basis im Vinschgau betrachtend, wo man sich einiges für die Zwischennutzung „abschauen“ könne. Zudem sollten nicht nur „ein paar Köpfe im Stadtrat entscheiden, was mit dem großen Areal“ passiere, meinte Zeller, sie wünsche sich jedenfalls einen „gemeinsamen Entwicklungsprozess mit Bürger*innen und Expert*innen“, der auch zukünftigen Generationen noch etwas an öffentlichem Raum bietet. Auch die Tatsache, „dass viele Talente und kreative Köpfe Südtirol verlassen und ihre Zukunft im Ausland sehen“, sei ein Argument diese Orte neu zu erschließen. 
 


Der Präsident des Unternehmerverbandes Heiner Oberrauch stellte zunächst die Stärke Südtirols in den Vordergrund und sprach von den Vor- und Nachteilen der Provinz, über Work life balance und leistbares Wohnen: „Junge Menschen geht es weniger um Besitz, wie bei der älteren Generation, die wollen mehr erleben, sie sind flexibler und wollen sich auch nicht auf längere Sicht an einem Ort festmachen.“ Man müsse Innovation bieten und den kreativen Bereich stärken. Die Basis in Schlanders habe diesbezüglich „wichtige Vorarbeit“ geleistet. 
 


„Wir müssen auch auf das ökonomische Gleichgewicht schauen“ mahnte Landeshauptmann Arno Kompatscher und erzählte von den goldenen Jahren der Südtiroler Wohnbaupolitik und den aktuellen Problemen in diesem Sektor. Kompatscher lobte außerdem die Eppaner Vorgehensweise beim Wettbewerb und unterstrich die Wichtigkeit von Freiräumen, die kreativ bespielt werden können.
Der besonnen und sachlich geführte Plausch und Austausch endete friedlich und mit viel optimistischem Elan. Und es scheint am Ende mit diesen Arealen auch gar nicht so dringlich zu sein, wie gewisse Bürger- und Sagmeister im Vinschgau glaubten.
 

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Salto User
Margot Wittig Mo., 28.11.2022 - 18:54

Kompliment für diesen sehr gut formulierten Artikel! Er lässt den Mehrwert von professionell moderierten öffentlichen Diskussionen erkennen: diese zeigen uns wo die Zukunft hingehen sollte und wie wichtig eine offene Gesprächskultur für die Entwicklung unseres Landes ist. Genauso wie die rechtzeitige Einbeziehung von uns Bürger*innen in wichtige Entscheidungen, welche unsere Zukunft betreffen.

Mo., 28.11.2022 - 18:54 Permalink