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Nicht auch noch Nachhaltigkeit

Eigentlich war die Beteiligungskampagne von Landesrätin Hochgruber Kuenzer innovativ. Doch die Sternstunde der Gemeinden für Klimaschutz könnte klanglos vorübergehen.
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Foto: Usman Yousaf on Unsplash
Mit dem 2020 in Kraft getretenen Gesetz für Raum und Landschaft von Landesrätin Maria Hochgruber Kuenzer sind alle Gemeinden verpflichtet, ein Gemeindeentwicklungsprogramm (GEP) auszuarbeiten. Neu ist, dass das GEP nicht allein von Fachleuten ausgearbeitet wird, sondern durch Arbeitsgruppen, die eine aktive Beteiligung der Bevölkerung vorsehen. Die dazugehörige Sensiblisierungkampagne „Gestalte Zukunft mit“ endete vor wenigen Tagen. Interessierte Bürger:innen können sich weiterhin auf der Webseite www.gemeindeentwicklungsprogramm.it registrieren und sich bei ihrer Gemeinde melden.  
Andreas Schatzer, Präsident des Gemeindenverbandes, steht der Bürger:innenbeteiligung positiv gegenüber, auch wenn der Zeitpunkt der Sensibilisierungskampange aus seiner Sicht hätte besser gewählt werden können. „Die Bürger:innenbeteiligung ist notwendig und sinnvoll“, erklärt er gegenüber salto.bz. Elide Mussner, Gemeindereferentin und Nachhaltigkeitsbeauftragte in der Gemeinde Abtei im Gadertal, pflichtet Schatzer bei: „Die Kampagne war gut gemeint, die Kommunikation dazu im Vorfeld ist aber nicht bis zu uns durchgedrungen“, erklärt sie.
 

Aufklärung notwendig

 
Bis jetzt hätten sich keine Bürger:innen in Abtei für den Beteiligungsprozess gemeldet. Das überrascht Mussner nicht, schließlich gebe es noch wenig Wissen über partizipative Prozesse in der Bevölkerung, aber auch in den Gemeindeverwaltungen. „Hier ist noch viel Aufklärungsarbeit notwendig. Denn es reicht nicht, Bürger:innen über etwas zu informieren, sie müssen bereits vor den Entscheidungen in die Diskussion miteinbezogen werden.“
Die Ausgangslage scheint dafür in den Südtiroler Gemeindestuben alles andere als ideal zu sein: „Der Trend geht dahin, dass viele Aufgaben an die Gemeinden delegiert werden und die Verwaltung hat alle Hände voll zu tun“, so die Gemeindereferentin von Abtei. Sich jetzt auch noch mit Nachhaltigkeit und Partizipation zu beschäftigen, sei sehr schwierig.
 
 
„Partizipation erfordert Zeit und finanzielle Ressourcen.“ Bei den regelmäßigen Treffen mit den Nachhaltigkeitsbeauftragten der Gemeinden und dem Nachhaltigkeitsbeauftragten der Provinz, Klaus Egger, sei klar geworden, dass es viele Ideen gebe, die Umsetzung dann aber sehr schwierig ist. Außerdem stelle die Einbindung der Bürger:innen eine Herausforderung dar. „Es wird viel von ihnen abverlangt, weil sie für Partizipation ihre Freizeit investieren müssen, dazu sind nicht alle bereit“, so Mussner.
„Am Ende ist der partizipative Prozess aber für beide Seiten sehr positiv, das haben noch nicht alle verstanden. Der Prozess hat einen Bildungseffekt, weil die Bürger:innen mehr über die alltägliche Arbeit in den Gemeinden, über die Schwierigkeiten und Möglichkeiten erfahren. Gleichzeitig kann dadurch der Gap zwischen Gemeindeverwaltung und Bevölkerung geschlossen und die Politikverdrossenheit angegangen werden“, erklärt die Gemeindepolitikerin.
Große Hoffnung setzt sie dabei auch in die Zusammenarbeit der Gemeinden und in den Gemeindeverband: „Mit der Unterstützung des Gemeindeverbandes wird es leichter, sich zwischen den Gemeinden abzustimmen“, so Mussner. In Zukunft soll eine Person beim Gemeindeverband für die Koordination der Gemeinden bei Nachhaltigkeitsbelangen zuständig sein.
 

Große Chance

 
Umweltorganisationen wie der Dachverband für Natur- und Umweltschutz sehen in der Erarbeitung des GEP die Möglichkeit, die Gemeindepolitik in eine nachhaltige Richtung zu lenken. Der Dachverband fordert, dass der vom Land verabschiedete erste Teil des Klimaplans, mit dem Ziel bis 2040 klimaneutral zu werden, auch von den Gemeinden bei der Ausarbeitung des GEP berücksichtigt wird.
Eine Orientierung dafür biete der „Technische Leitfaden für die Ausarbeitung des Gemeindeentwicklungsprogramms“, so die Vegetationsökologin Kathrin Kofler. Dort sind die Entwicklung eines Netzes von Frei- und Grünflächen im Siedlungsgebiet, Maßnahmen zur Entwicklung ökologischer Netzwerke sowie die Pflege und Entwicklung von Natur- und Kulturlandschaften als Ziele festgelegt.
 
 
Wichtig sei nicht, keine Eingriffe oder Bauarbeiten mehr durchzuführen, sondern wenn, dann auch Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen für Landschaft und Natur umzusetzen. Werden Kompensationsmaßnahmen im GEP festgelegt, werde die Verbindlichkeit erhöht. Außerdem biete die Strategische Umweltprüfung (SUP) der Landesagentur für Umwelt und Klimaschutz eine hilfreiche Analyse der Umweltauswirkungen von Bauprojekten. Deren Ergebnisse können idealerweise im Planungsprozess berücksichtigt werden, um landschaftliche und ökologische Aspekte besser zu berücksichtigen.
 

Die Folgen des Klimawandels

 
Anlass dafür gäbe es genug, schließlich beeinflusst der Klimawandel unsere Lebensqualität und Sicherheit, wie Stefan Schneiderbauer (Universität der Vereinten Nationen und Eurac Research) und Peter Laner (Institut für Regionalentwicklung der Eurac Research) betonen. „Durch den Klimawandel ist in Zukunft mit mehr Starkregen-Ereignissen, höheren Temperaturen, längeren Trockenperioden und einem saisonal verringerten Angebot von Frischwasser aufgrund verringerter Schneebedeckung in den Bergen zu rechnen“, so die Experten in der jüngsten Ausgabe des Naturschutzblattes (Ausgabe Nr. 3 / 2022).
 
 
Dabei sei jede Gemeinde je nach Standort mit anderen Herausforderungen konfrontiert. Während Städte sich vor Hitzeinseln und Überschwemmungen schützen sollten, stehen stark touristisch geprägte Ortschaften vor der Aufgabe, ein effizientes Wassermanagement aufzustellen und die Infrastruktur für Skiurlauber:innen sorgfältig zu planen. Gemeinden mit ausgeprägtem landwirtschaftlichem Sektor stehen vor der Herausforderung, genügend Wasser zu sparen, um Hitze- und Trockenphasen zu überstehen. „Diese und weitere Maßnahmen sind auch im Klimaplan Südtirol 2040 erwähnt und zum Teil in den dort vorgeschlagenen Zielen verankert“, erklären Schneiderbauer und Laner.
Eine besondere Stellung haben dabei naturbasierte Lösungen, da sie nicht nur Treibhausgase senken und zur Klimawandelanpassung beitragen, sondern meist auch die Biodiversität fördern. Dazu zählen beispielsweise das Schaffen von Ausgleichsflächen für Gewässer oder der Erhalt und die Ausweisung von Schutzwald. Außerdem seien naturbasierte Lösungen im Vergleich zu technischen Maßnahmen weniger kostspielig.
Für David Hofmann von dem Bündnis Climate Action South Tyrol und Scientists for Future liegt im GEP die Möglichkeit, dass Gemeinden Klimaschutz selbst in die Hand nehmen, kreative und innovative Maßnahmen entwickeln und eine Infrastruktur aufsetzen, die ein Umdenken „lebbar“ macht. „Wir brauchen jetzt Gemeindeentwicklungsprogramme mit konkreten Maßnahmen zum Klimaschutz. Dann vermeiden wir das Schlimmste und bauen zudem ein schöneres, weil sauberes, ruhigeres und gesünderes Südtirol. Wir haben nur zu gewinnen, packen wir’s an“, so Hofmann im Naturschutzblatt.
Von den 116 Südtiroler Gemeinden haben Stand November 2022 bereits 70 den Kontakt mit dem Amt für Gemeindeplanung zum Thema GEP aufgenommen, 35 Prozent suchten um den Förderbeitrag des Landes in Höhe von 80 Prozent an. Anspruch darauf haben die Gemeinden nur, wenn sie in mindestens drei Bereichen mit anderen Gemeinden zusammenarbeiten.
 
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Albert Pürgstaller Fr., 16.12.2022 - 14:38

Gemeindeentwicklungspläne sehe ich an und für sich sehr sinnvoll, aber nur dann wenn sie auch für die nachfolgenden politischen Nachfolger zumindest für eine gewisse Zeit eine hohe Verbindlichkeit darstellen. Wir hatten in Brixen bereits vor ca. 10 Jahren einen solchen erarbeitet, unterstützt von kompetenten Fachreferent*innen; ich kann mich aber des Gefühls nicht erwehren, dass dieser leider in den konkreten Verwaltungsmaßnahmen außen vor gelassen wird. Somit ist ein GEP zwar eine schöne und teure Willenserklärung, wenn auch vom Gemeinderat genehmigt, bei der auch die Bürger*innen partizipativ mitarbeiten, jedoch der Erfolg mißt sich einzig und allein an dem, was daraus konkret zur Umsetzung gelangt. Wie heißt es schön: "außer Spesen, nicht(s) viel gewesen"

Fr., 16.12.2022 - 14:38 Permalink