Gesellschaft | Klimakrise

Eineinhalb Krisen

Auch an Weihnachten wollen Fridays for Future die Politik in die Pflicht nehmen. Klimaschutz sei “schon allein aus rein kapitalistischem Denken” notwendig.
FFF 23. Dezember 2022
Foto: Othmar Seehauser

Am Vortag von Heiligabend geht es rund um den Bahnhof in Bozen hektisch zu. Viele Leute hasten zum Zug, genauso viele kommen an. Vollbepackt mit Gepäck und Geschenken. Im Park frönen Touristen und Einheimische, die sich zwischen den Holzhüttchen des Weihnachtsmarktes durchschlängeln, dem Konsum. Es wird immer noch früh dunkel. Daher entgehen so manchem auch die Lichter auf dem von Streusalz bedeckten Asphalt zwischen Landtag und Palais Widmann nicht. Dort, auf dem Magnagoplatz, haben sich ein Dutzend junger Leute und genauso viele etwas weniger Junger eingefunden. Andächtig stehen sie im Kreis. In ihrer Mitte haben sie mit Teelichtern eine Zahl gelegt: 1,5. Im Kreis wissen alle, wofür die Zahl steht. Neugierigen, die stehen bleiben, dem erklären es die Aktivistinnen und Aktivisten von Fridays for Future, die hinter der Aktion stehen. Einer davon ist der Filmemacher Moritz Holzinger: “Im Pariser Klimaabkommen wurde festgelegt, dass der weltweite Temperaturanstieg möglichst auf 1,5 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter beschränkt werden soll. Alles über 1,5 Grad setzt irreversible Effekte und Kettenreaktionen in Gang.”

 

2022 war in Südtirol vielerorts das wärmste Jahr, das je gemessen wurde. An das Eineinhalb-Grad-Ziel erinnern und jene, die es vereinbart haben, in die Pflicht nehmen – die Politik –, das ist das Ziel der kleinen vorweihnachtlichen Aktion am 23. Dezember. “Heute mag es kalt sein, aber die Erde brennt. Wir sehen es jedes Jahr deutlicher, von Australien bis Südtirol – die sich verschärfenden Naturkatastrophen sind eine Folge der Klimakrise, die immer schlimmer wird, wenn nichts dagegen unternommen wird”, zeigt Holzinger auf. Um die Krise abzumildern und ihre Folgen zu reduzieren müssten Gesetze und Regeln entsprechend geändert werden. “Schon allein aus rein kapitalistischem Denken”, meint der FFF-Aktivist, “denn wenn es so weiter geht, werden in naher Zukunft massiv Ressourcen und Geld in Resilienz und Reparaturen der von der Klimakrise verursachten Schäden investiert werden müssen”.

 

Seit vier Jahren veranstalten die Fridays for Future Protestmärsche, Aktionen für mehr Klimaschutz und eine lebenswerte Zukunft für ihre und die kommenden Generationen. Dass sie immer noch an die Politik appellieren müssen, sei schon auch frustrierend, gesteht man am Magnagoplatz ein: “Am meisten frustriert aber, dass es so viele positive Beispiele gibt, wie man es anders, besser machen kann. Etwa in der Mobilität, wo man nur nach Kopenhagen blicken und sich viel abschauen könnte. Die Politik müsste nur entscheiden!”, erklärt Holzinger das Unverständnis im jungen Aktivistenkreis. Dort wird gegen Ende der Aktion eine Kerze herumgereicht. Jede und jeder darf sagen, wofür er oder sie dankbar ist. Es sind insbesondere die Älteren am Platz, die zum Weitermachen motivieren, ja darum bitten. “Ich bin dankbar für meine Kinder, die die Augen offen halten und der Politik dieselben öffnen”, sagt eine Mutter.

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Hartmuth Staffler Mo., 26.12.2022 - 18:02

"Kapitalistisches Denken" wird meistens interpretiert als Gewinnmaximierung ohne Rücksicht auf langfristige Folgen. Derzeit ist derartiges kapitalistisches Denken immer noch möglich, weil man immer noch Gewinne auf Kosten der Nachwelt erzielen und maximieren kann. Ein Kapitalist, der längerfristig denkt, eventuell auch an seine Nachkommen, denen er ja sein Kapital und ein gutgehendes Geschäft hinterlassen will, der ist sich bewusst, dass er mit dieser Einstellung am Ast sägt, auf dem er selbst sitzt und auf dem einmal seine Nachkommen sitzen sollten. Es gibt also durchaus auch den Kapitalisten, der nicht nur an Gewinnmaximierung denkt, sondern sich Gedanken macht, wie sein Kapital auch noch für seine Enkel erhalten werden kann. Das macht den Kapitalismus zwar nicht sympathischer, aber eine differenzierte Betrachtung ist immer sinnvoll, wenn man ein Phänomen, und sei es der Kapitalismus, erfassen will.

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Dietmar Nußbaumer Mo., 26.12.2022 - 20:32

Es ist wohl eher dem Aktienhandel zu verdanken, dass, um Rendite zu erzielen, auf Nachhaltigkeit gepfiffen wird. Noch schlimmer, wenn die Produktion in die 3. Welt verlegt wird, z.B. die Pharmaproduktion nach Indien (und dort zur Brutstätte für antibiotikaresistente Keime wird, auf Grund der "nachsichtigeren" Sicherheitsauflagen, nur um eine der vielen Auswirkungen dieser Auslagerung zu benennen).

Mo., 26.12.2022 - 20:32 Permalink
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Josef Fulterer Di., 27.12.2022 - 07:54

Antwort auf von Dietmar Nußbaumer

Die auf dem Magnago-Platz a u s g e l e g t e n 1,5, sind inzwischen wohl überschritten.
Angesichts der auffallend häufigeren punktuellen Starkregen,
der Windkatastrophen,
der abrupten Wetterveränderungen und der Temperatur-Ausreißer nach Unten und Oben,
stellt sich die Frage, ob die 1,5 ° nich bereits schon zuviel sind?
Durch die leichtfertige Verschwendung der fossilen Brennstoffe (die derzeit verfeuerte Jahresmenge, wurde in der 4,6 Milrd. alten der Erde, in 1 Mio. Jahren gebildet),
wird die Luft aufgeheizt,
die deswegen mehr Wasserdampf aufnimmt,
der zu 2/3 an den Klimagasen beteiligt ist,
die zuviel Wärme aus der Atmosphäre zurück strahlen und deshalb die KLIMA-KATASTROPHE befeuern!

Di., 27.12.2022 - 07:54 Permalink