Wirtschaft | Arbeitsmarkt

„Antiquierte Sichtweise“

Landesrat Achammer und die Junge Wirtschaft plädieren für ein Umdenken in Familien: Die akademische Laufbahn sei nicht vielversprechender als praktische Berufe.
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Foto: Peter Natter
Die Jugend ist auf dem Arbeitsmarkt heiß begehrt. In Zeiten von Fachkräftemangel und demografischem Wandel buhlen die Branchen bereits bei Mittel- und Oberschüler:innen um ihre Gunst. In einer gemeinsamen Imagekampagne, finanziert von der Provinz, dem Südtiroler Wirtschaftsring und der Handelskammer Bozen, werben die Junghandwerker im lvh, die Südtiroler Bauernjugend (SBJ), die Hoteliers- und Gastwirtejugend (HGJ), Junge im hds und die Jungunternehmer im Unternehmerverband für praktische Berufe und die duale Ausbildung. Bei der dualen Ausbildung besuchen Jugendliche nicht nur die Berufsschule, sondern werden parallel dazu in Betrieben ausgebildet.  
 

Die Aktion

 
Die Kampagne der Jungen Wirtschaft, die sich aus den fünf Jugendorganisationen zusammensetzt, läuft im Jänner in Form von Videos in den sozialen Medien auf Tiktok und Instagram und ist auf Werbeposter bei Bushaltestellen zu sehen. „Es ist noch in den Köpfen verhaftet, dass die Arbeit mit der Hand weniger cool und sexy ist als die Arbeit mit dem Kopf“, bringt es Handelskammer-Präsident Michl Ebner auf den Punkt. Das müsse geändert werden, da es bei der Berufswahl darum gehen sollte, eine Tätigkeit zu wählen, die den eigenen Fähigkeiten entspricht und ein erfülltes Leben verspricht – und das treffe nicht nur auf Berufsbilder zu, für die ein Studium notwendig ist.
 
 
„Mit unserer Kampagne wollen wir auch Eltern ansprechen und zeigen, dass es verschiedene Wege für die Zukunft ihrer Kinder gibt“, erklärt Valentina Pezzei, Vorsitzende der Jungen im Handels- und Dienstleistungsverband Südtirol (hds). Wie sehr das Image bestimmter Berufe im Argen liegt, zeige eine kürzlich von AFI und Eurac Research veröffentlichte Studie zu den Bildungswegen in Südtirol, so Bildungslandesrat Philipp Achammer.
„Es hat mich erschreckt, dass in dieser Studie unter anderem von Millennials in ‚unteren ‘und ‚oberen‘ Berufsklassen die Rede ist, die ‚high class‘ und die ‚working class‘. Ich habe ein massives Problem damit, denn damit sagen wir, dass die Oberen die Akademischen und die Unteren die Berufsbildungsklassen sind. Das ist eine antiquierte und falsche Sichtweise für mich und wieder einmal sinnbildlich, warum wir gerade an der Gleichwertigkeit der Ausbildungswege arbeiten müssen“, so Achammer.
 
 
„Praktische Berufe haben auch im digitalen Zeitalter nicht an Wichtigkeit verloren“, so Angelika Springeth, Landesleiterin der Südtiroler Bauernjugend. „Wenn ein junger Menschen zufrieden nach Hause geht und sagen kann, heute habe ich etwas geschaffen, dann haben wir eine zufriedene Gesellschaft“, so Springeth. „Es war schon immer wichtig und es ist heute wichtiger denn je, Jugendliche optimal auf ihren Berufsweg vorzubereiten. In der dualen Ausbildung können sie früh Theorie und Praxis verbinden“, führt Thomas Mair von der HGJ aus.
 

Die Bezahlung

 
Darüber hinaus würden sich praktische Berufe auch finanziell lohnen, wenn die Gesamtsituation am Arbeitsmarkt und die beruflichen Chancen nach den Ausbildungsjahren betrachtet werden, gibt Ebner zu bedenken. „Dadurch dass immer weniger junge Menschen in praktische Berufe gehen, sind die Wenigen sehr gefragt und werden dementsprechend bezahlt. Sei es in der Gastronomie, im Handel, im Handwerk oder bei den Bauern – man hat dort sicher gute Verdienstmöglichkeiten“, so Priska Reichhalter, Mitglied im Landesausschuss der Junghandwerker.
 
 
Dass die akademische Laufbahn sichere und vor allem gute Arbeitsplätze in der öffentlichen Verwaltung garantiert, sei laut Achammer fraglich: „Ich bezweifle, dass etwa ein Politikwissenschaftler im Landesdienst besser bezahlt wird als ein Tischlermeister. Ein guter Praktiker hat eine sehr gute Verdienstmöglichkeit auch im Vergleich zu manchen Akademikern in Bereichen, wo es viele gibt und es keine ganz spezifische Sparte ist.“  
Die von Achammer angesprochene Studie bestätigt übrigens den Trend, dass im Vergleich zu den früheren Generationen die Millennials (1980—1997) häufiger die Matura machen oder ein Studium abschließen. Ob sich diese Tendenz trotz dem großen Bedarf an Fachkräften auf dem Südtiroler Arbeitsmarkt fortsetzt, wird die Zukunft zeigen.
 
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Stereo Typ Mi., 11.01.2023 - 16:03

Der Fachkräftemangel geht nicht darauf zurück, dass die Millenials eher studieren und weniger praktische Berufe ergreifen. Wir haben den Fachkräftemangel ja auch bei Ärzt*innen, Ingenieur*innen, Jurist*innen, Lehrer*innen usw. - Der Grund ist doch einfach der, dass die Geburtenrate ständig sinkt und die Gesellschaft altert. Der Schlüssel ist nicht eine Umverteilung der jungen Menschen (und die akademischen Berufe madig zu machen), sondern eine Familienpolitik, die jungen Menschen dabei hilft, eine Familie zu gründen. Dann sind auch die Fachkräfte da und man muss nicht Headhunting betreiben und sie anderen Sparten abwerben.

Mi., 11.01.2023 - 16:03 Permalink
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G. P. Mi., 11.01.2023 - 19:42

Antwort auf von Stereo Typ

Ganz richtig. Nur tun jetzt alle - auch die verantwortlichen Politiker - so, als käme das Problem aus heiterem Himmel. Von ständig sinkenden Geburtenraten und von sehr starken 1960er-Jahrgängen, welche nun in Rente gehen, weiß man eigentlich seit 20 Jahren.

Mi., 11.01.2023 - 19:42 Permalink
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Dietmar Nußbaumer Mi., 11.01.2023 - 18:38

Italien führt die Geburtenrate europaweit von hinten an. Tolle Leistung der vergangenen Regierungen, wobei die derzeitige auch nicht viel besser scheint. Ob Militärdienst und Beschränkung der Abtreibung die Geburtenrate wirklich steigern? Oder der Reddito, Staatsschulden, geringe Löhne, ... ? Boh

Mi., 11.01.2023 - 18:38 Permalink
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Dietmar Holzner Mi., 11.01.2023 - 20:11

Dass die betroffenen Verbände hier Werbekampagnen lancieren, finde ich ja in Ordnung (auch wenn ich nicht weiß, was der Unternehmerverband ohne Ingenieure machen würde). Dass aber Ebner und Achammer hier dermaßen exponiert auftreten, ist schon ziemlich daneben.

Mi., 11.01.2023 - 20:11 Permalink
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Heinrich Zanon Do., 12.01.2023 - 12:13

Der Diagnose und den Schlussfolgerungen von Landesrat Achammer kann man durchaus beipflichten.
Der Problematik des Arbeitskräftemangels in Südtirol, die sich nach Erkenntnissen der Statistiker in Zukunft noch zunehmend verschärfen sollte, wird man allerdings mit Aussicht auf Erfolg nur durch zwei alternative Strategien begegnen können.
Eine erste - wohl sehr fragwürdige - Chance der Abhilfe könnte sich durch die Förderung eines (möglichst kontrollierten) massiven Zuzugs auswärtiger Arbeitskräfte aus Ländern ergeben, die nicht bereits selbst eine überhitzte Wirtschaft aufweisen oder in näherer Zukunft der Gefahr fehlender Arbeitskräfte ausgesetzt sein würden. Eine Zuwanderung aus notgedrungen mehr oder weniger exotischen Ländern würde aber ohne Zweifel mit nicht unerheblichen Risiken für unsere kulturelle Identität, mit der Notwendigkeit der (bodenfressenden) Schaffung neuen Wohnraums, mit der Gefahr von Qualitätseinbußen an unseren Schulen und im Bildungsbereich überhaupt und wohl auch mit Verwerfungen anderer Art einhergehen.
Die zweite und wohl adäquate Antwort auf die entstandene Mangellage müsste somit in einem Verzicht unternehmungsbereiter Mitbürger auf potentiell gute Geschäfte und also auf Wertschöpfung bestehen, nach welchen auf Verbraucherseite durchaus Nachfrage vorhanden wäre. Ein solcher Verzicht müsste sich natürlich vorrangig auf die Herstellung von Produkten oder auf die Erbringung von Dienstleistungen auswirken, die als nicht "systemrelevant" und demnach als für das klaglose Funktionieren unseres Gesellschaftssystems nicht unbedingt notwendig anzusehen wären (zu denken wäre beispielsweise, um nur einige zu erwähnen und mit aller Vorsicht, an Angebote im Bereich der Gastronomie, der Mode, der Luxusindustrie, des Kunstschaffens, der plastischen Chirurgie, der medizinischen Überversorgung in hoffnungslosen Fällen, aber wohl auch an viele weitere). Die Marktregulierung in solchen Bereichen würde sich mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Form eines übermäßigen Ansteigens der Preise für die bezeichneten Produkte und Dienstleistungen abspielen und damit zu einer Verknappung des Angebots und der Einschränkung der Bedienung auf betuchte Konsumenten führen (die bei extremen Ausschlägen Probleme der Sozialverträglichkeit heraufbeschwören und sogar gesetzgeberische oder behördliche Eingriffe nötig machen könnten).
Eine gewisse, sicherlich weit weniger ins Gewicht fallende Abmilderung der Dramatik des Arbeitskräftemangels könnte schließlich auch noch durch einen Rückbau der Bürokratie in der öffentlichen Verwaltung erzielt werden. Sie würde aber wohl vor allem durch eine entschiedene Austrocknung des Subventions(un)wesens umzusetzen sein.

Do., 12.01.2023 - 12:13 Permalink
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G. P. Do., 12.01.2023 - 14:55

Antwort auf von Heinrich Zanon

Wenn wir die Bürokratieschraube allgemein um 30 oder gar 40 Jahre zurückschrauben, dann haben wir wieder Arbeitskräfte in Überfluss. Geht nicht, gibt's nicht! Oder doch ...

Do., 12.01.2023 - 14:55 Permalink