Gesellschaft | Migration

Neue Flüchtlingskrise in Europa?

Die 2023 gemeldete Zahl der Ankömmlinge in Italien übersteigt bereits die Zahl des Vorjahreszeitraums. Auch in der EU war in den letzten Monaten ein Anstieg spürbar.
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Foto: UNHCR / F. Malavolta
Im Jahr 2023 sind bereits in den ersten Tagen bis zum 9. Jänner fast zehnmal so viele Migrant:innen in Italien angekommen als noch im Jahr zuvor. Waren es 2023 3.673 Personen, erreichten 2022 in diesem Zeitraum nur 378 italienischen Boden. Im Vergleich zu den letzten Jahren steigen die Zahlen der Ankünfte, auch wenn die Gesamtsumme der 2022 nach Italien Geflüchteten mit 105.140 Personen noch weiter unterhalb der Zahlen von 2016 (181.436 Personen) oder 2014 (170.081 Personen) liegen.
Wie Matteo Villa vom Istituto per gli studi di politica internazionale (ISPI) bestätigt, kamen im Jahr 2016 45 Prozent der Geflüchteten mithilfe einer Nichtregierungsorganisation (NGO) nach Italien, dieser Prozentsatz sank aber in den letzten Jahren auf rund 15 Prozent. In den letzten Monaten seit Oktober 2022 kamen weniger als 10 Prozent der Migrant:innen mithilfe einer NGO nach Italien. Für die Regierung unter Giorgia Meloni ist das noch nicht genug: Anfang des Jahres hat sie die Regeln zur Seenotrettung auf dem Mittelmeer erneut verschärft.
Unter anderem dürfen die Schiffe von NGOs wie „Ärzte ohne Grenzen“ oder „SOS Mediterranee“ nur noch in sieben von der Regierung ausgewählte Häfen einlaufen: Ravenna, Ancona, Livorno,Taranto, Goia Tauro, Salerno, Bari. Interessantes Detail ist dabei, dass es sich fast ausnahmslos um Städte handelt, die von Links-Koalitionen regiert werden. Außerdem dürfen Mitarbeiter:innen der Küstenwache nur noch nach expliziter Erlaubnis mit Medien sprechen.
 

Situation der EU

 
Auch außerhalb Italiens ist die Zahl der Ankömmlinge 2022 deutlich gestiegen. Die EU-Grenzschutzagentur Frontex registrierte in den ersten elf Monaten des letzten Jahres rund 308.000 illegale Grenzübertritte – ein Zuwachs von 68 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Die Neue Zürcher Zeitung spricht bereits von einer Migrationskrise in Europa. Neben den Fluchtbewegungen aus der Ukraine setzen täglich Migrant:innen ihr Leben aufs Spiel, um auf unseren Kontinent zu gelangen.
 
 
Beliebte Routen sind dabei weiterhin der Seeweg von der Türkei nach Griechenland und von Libyen über das Mittelmeer nach Italien oder Spanien. Auch über den Ärmelkanal erreichten im vergangenen Jahr über 45.000 Menschen Großbritannien.
Nachdem die Balkanroute nach dem Jahr 2015, als sich Hunderttausende Geflüchtete über den Landweg auf nach Westeuropa machten, in den darauffolgenden Jahren nicht mehr im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand, ändert sich das nun. Im Jahr 2022 versuchten wieder deutlich mehr Menschen über Südosteuropa, wie Bulgarien oder Rumänien, in den Schengenraum zu gelangen. Von Jänner bis November 2002 wurden rund 130.000 irreguläre Grenzübertritte in die EU über die Balkanroute registriert. 
Die EU befürchtet eine neue Flüchtlingskrise, die ähnliche Ausmaße wie 2015 annehmen könnte. Indessen steht ihre Grenzschutzagentur Frontex in der Kritik, aus moralischer Sicht fragwürdige Kooperationen einzugehen, etwa mit dem Bürgerkriegsland Libyen. Mit der finanziellen Unterstützung dieses Landes nimmt die EU in Kauf, dass Migrant:innen in libyschen Internierungslagern massiver sexueller und physischer Gewalt ausgesetzt sind, wie Dokumentationen bestätigen.
Außerdem soll es laut Flüchtlingsorganisationen und Migrant:innen an den EU-Außengrenzen auch zu sogenannten Push-Backs kommen. Dabei werden Menschen von Sicherheitskräften teilweise sehr brutal zurückgedrängt, ohne die Möglichkeit einen Asylantrag zu stellen.
 
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Karl Trojer Mi., 18.01.2023 - 10:29

Um die Not der Flüchtlinge zu begreifen, müssten wir uns wohl in deren Lage versetzen. Bevor jemand aus seiner Heimat flüchtet, muss dessen Not beachtlich sein. Wenn jemand wie wir allermeisten Europäer menschenwürdig in Frieden leben können, dürfen wir jenen Menschen, die aus der Not kommen, die Aufnahme nicht verwehren. Das Bevölkerungswachstum Europas ist schwindend, wir brauchen Zulauf von außen, um langfristig bestehen zu können. Durch den Klimawandel wird die Flucht von Afrika nach Europa noch stark zunehmen darauf müssen wir uns vorbereiten. Wir werden nicht mit Panzern gegen diese Flut schießen können und auch Grenzmauern werden nichts nützen.
Wenn jeden unserer vielen Gemeinden auch nur 10% ihrer Bevölkerungsanzahl aufnimmt, dann sind dies mehr als 50 Mio Flüchtlinge.
Wesentlich aber ist, dass Europa den Herkunftsländern unverzüglich derart unter die Arme greift, dass diese ihren Bürgern lebenswürdige Bedingungen anbieten können.

Mi., 18.01.2023 - 10:29 Permalink
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Gianguido Piani Mi., 18.01.2023 - 10:57

Seit Jahren wird ein Vorschlag gemacht, der leider nicht umgesetzt wird. Viele drängen zur EU, (angeblich) aus politischen Gründen. Die Bearbeitung aller Anträge ist schlicht unmöglich oder fordert eine Unmenge Zeit. Warum denn nicht die ganze Bürokratie abschaffen und auf gewisse Orte anweisen, wo ein neues Leben angefangen werden kann? In Mittel- und Süditalien, sowie in anderen Gegenden Europas, gibt es viele verlassene Dörfer. Dort könnten Flüchtlingsfamilien sofort arbeiten: Landwirtschaft, Umbau, Instandsetzung. Oder drängen die meisten eher nach GB, Frankreich und Deutschland, weil deren Sprachen weltweit wichtig sind und die Unterstützung besser als, beispielsweise, in Polen oder Rumänien?
Nach unseren Gesetzen müssen alle Fälle individuell betrachtet werden. Das kann man bei Millionen Antragssteller nicht tun. Lieber sollten wir uns an die USA des 19. Jhdt orientieren. Migranten brauchten damals nicht lange zu erzählen, dass sie in Europa oder woanders unterdrückt waren. Sie kamen sowieso zu 99% wegen der Arbeit. Dann hieß es einfach, wenn Du arbeiten willst, kannst Du bleiben. Da wird eine Eisenbahn gebaut, geh' hin.
Europa sollte sich auch Gedanken über einige Hunderttausende Russen, die nicht nach Russland zurück wollen. Als Flüchtlinge nach WWII aus den Sudeten oder 1956 aus Ungarn nach Westeuropa kamen konnten sie eigene Städte und Gesellschaften aufbauen. Können wir heute nicht desgleichen tun?

Mi., 18.01.2023 - 10:57 Permalink