Gesellschaft | Interview

“Ein normaler Winter”

Ist Skifahren riskanter geworden? Nicht wegen des Klimawandels, meint AVS-Rechtsexperte Ivo Tschurtschenthaler. Welche Verantwortung haben Skifahrer und Pistenbetreiber?
Skipiste
Foto: Toa Heftiba on Unsplash

Wenig Schnee, überfüllte Pisten, ungeübte Fahrer: Vor allem in Österreich stellt die heurige Skisaison Betreiber von und Retter in Skigebieten auf eine harte Probe. Sicherheit und zugleich Skispaß zu gewährleisten, ist eine “alles andere als leichte Aufgabe”, sagt Ivo Tschurtschenthaler. Der Brunecker Rechtsanwalt ist im Alpenverein Südtirol für Rechtsfragen zuständig. Wie schätzt er die Situation in Südtirol ein? Und was schreibt das Gesetz genau vor?

salto.bz: Herr Tschurtschenthaler, in Österreich hat es seit 1. November 2022 13 Tote auf den Skipisten gegeben, 11 davon in Tirol (Stand: 10. Jänner 2023). Ist Skifahren heuer auch in Südtirol besonders unsicher?

Ivo Tschurtschenthaler: In den letzten Wochen war das Skifahren in Südtirol keinesfalls besonders unsicher. Tatsächlich sprechen sowohl die Liftbetreiber als auch die medizinischen Erstversorger von einem normalen Winter. Die Unfallzahlen stehen in Proportion zum Gesamtaufkommen der Skifahrer und den Pistenverhältnisses: Beides war heuer durchaus in der vor der Corona-Pandemie vorherrschenden Norm. 

Dennoch gibt es Berichte über Ambulatorien, die wegen der Skiunfälle an ihre Grenzen stoßen.

Dass für die Behandlung verletzter Wintersportler die Sanitätsstrukturen an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen, ist keine Überraschung. Die Ärzte und das Sanitätspersonal haben lange vor Beginn dieser Wintersaison davor zeitgerecht gewarnt.

Als mit Schuld an den steigenden Unfällen und Todesfällen auf den Pisten sieht Peter Paal, Präsident des Österreichischen Kuratoriums für Alpine Sicherheit (ÖKAS), Anästhesist und Intensivmediziner die “sinkende Ski-Fitness”. Er sagt: “Es nützt der beste Formel-1-Bolide nichts, wenn der Pilot schlecht ist. Und bezogen auf das Skifahren muss man sagen: Die Piloten sind schlechter geworden.”

Ich glaube nicht, dass die “körperliche” Ski-Fitness gesunken ist. Die Skifahrer erscheinen durchschnittlich körperlich fitter als vor einigen Jahrzehnten. Wohl aber verabsäumen es viele Skifahrer, ihre “technische” Ski-Fitness ausreichend an neues, im professionellen Rennsport entwickeltes Material anzupassen. So kann es aufgrund falscher Selbsteinschätzung zu Gefahrensituationen kommen. In den Morgenstunden sind die Pisten meistens perfekt plattgewälzt und griffig. Vor allem nicht geübte Skifahrer bekommen auf solchen Pisten ein verfälschtes Bild ihres tatsächlichen technischen Könnens – dazu genügt es zu beobachten, mit welchen halsbrecherischen Geschwindigkeiten solche plattgewälzten Pisten absolviert werden. Die Beibehaltung eines derartigen Fahrstils in den Mittagsstunden und am Nachmittag auf einer vielleicht dann schon von Skifahrern stark frequentierten und von den ansteigenden Temperaturen lädierten Piste ist auch für geübte Skifahrer oftmals nicht mehr kontrollierbar. Die meisten, auch schweren Unfälle, ereignen sich in dieser Zeitspanne.

Für die Skigebietsbetreiber ist die Abwägung zwischen den zu ergreifenden Sicherheitsmaßnahmen und der Wahrung der Attraktivität der Anlagen eine verantwortungsvolle und alles andere als leichte Aufgabe

Würden Sie sagen, dass der Klimawandel Skifahren riskanter macht – etwa, weil vielerorts mittlerweile weniger Schnee liegt?

Nicht der Klimawandel macht Skifahren riskanter, sondern die vielleicht fehlende Bereitschaft oder das Unvermögen der Skifahrer, sich an die durch den Klimawandel verursachten, besonderen Verhältnisse anzupassen.

Angesichts der steigenden Gefahren und Risiken wird in Österreich darüber diskutiert, Pisten oder ganze Skigebiete zu sperren. Halten Sie das für eine sinnvolle Option?

Das italienische Gesetz schreibt die Schließung von Pisten bzw. Skigebieten immer dann vor, wenn die Sicherheit für die Nutzer nicht gewährleistet werden kann. Die Entscheidung dazu muss vom Betreiber des Skigebiets getroffen werden. Es ist daher müßig darüber zu debattieren, ob das sinnvoll ist oder nicht.

 

Zu welchen Vorkehrungen gegen Gefahren sind Pistenbetreiber in Italien vom Gesetz her verpflichtet? 

Das Gesetz sieht eine Reihe von Sicherheitsmaßnahmen vor. Angefangen von der Pflicht zur Einstufung der Pisten nach Schwierigkeitsgraden, der Beschilderung und Abgrenzung der Pisten, der ordentlichen und außerordentlichen Instandhaltung der Pisten zur Vermeidung von objektiven Gefahren, der Kennzeichnung von atypischen Gefahrenstellen, der Schließung der Pisten vor nicht erfolgter Beseitigung einer Gefahrensituation, der Absicherung von auf der Piste installierten technischen Anlagen, bis zur Einrichtung einer effizienten Pistenrettung. 

Was droht, wenn diese Vorkehrungen nicht oder unzureichend getroffen werden?

Bei Unterlassung dieser Maßnahmen sieht das Gesetz Verwaltungsstrafen vor, die mitunter empfindlich hoch ausfallen können wie z.B. bei unterlassener ordentlichen Instandhaltung der Pisten und bei nicht erfolgter Einrichtung einer Pistenrettung. Als gravierendste Verwaltungsstrafe ist der Entzug der Betreiberlizenz vorgesehen.

Wissen Sie, ob in Südtirol Maßnahmen getroffen werden, die über die gesetzlich vorgeschriebenen hinausgehen, etwa zusätzliche Netze?

Das Gesetz verpflichtet zur Ergreifung sämtlicher zur Vermeidung von Gefahrensituationen notwendigen Maßnahmen. Falls dazu im Einzelfall auch die Absicherung von Pisten mit Fangzäunen erforderlich ist, handelt es sich nicht um zusätzliche, sondern zur Gewährung der Sicherheit grundsätzlich notwendige Maßnahme. Man kann davon ausgehen, dass in Südtirol diese gesetzliche Verpflichtung von den Pistenbetreibern sehr ernst genommen wird. Das mit der Pistenpräparierung betraute Personal kennt in der Regel jeden Meter der Piste, kennt auch das Fahrverhalten der Pistenbenutzer und kann daher aus Erfahrung eventuell gefährliche Abschnitte sehr gut einschätzen.

Das Gesetz lässt darauf schließen, dass das Alkoholverbot auch für Rodler und Skitourengeher gilt, auch wenn sie nicht auf den Skipisten abfahren

Wer haftet bei Unfällen auf Skipisten oder Rodelbahnen?

Allein aus dem Verstoß gegen dem Betreiber einer Skipiste oder Rodelbahn gesetzlich auferlegten Verpflichtungen kann keine Haftung gegenüber den Nutzern der Anlagen abgeleitet werden. Dazu ist der Nachweis des Kausalzusammenhanges zwischen der Unterlassung des Betreibers und dem Eintritt des Schadensereignisses erforderlich. Zum Beispiel: Wenn ein Betreiber es verabsäumt, eine auf der Piste installierte Stütze eines Lifts mit Schutzmatten abzusichern, setzt er sich einer Verwaltungsstrafe aus, haftet jedoch nicht für einen Zusammenstoß zwischen zwei Skifahrern in der Nähe der Stütze.

In welchen Fällen können Pisten- bzw. Liftbetreiber zur Verantwortung gezogen werden?

Um beim obigen Beispiel zu bleiben: Der Betreiber haftet dann, wenn ein Skifahrer gegen die nicht abgeschirmte und auch nicht als Gefahrenstelle gekennzeichnete Liftstütze prallt.

Die meisten, auch schweren Unfälle, ereignen sich zwischen Mittag und nachmittags

Mit 1. Jänner 2022 wurden in Italien gesetzliche Neuerungen eingeführt, um die Sicherheit bei der Ausübung von Wintersportarten zu erhöhen. Welche Punkte wurden verschärft?

Verschärft wurden sowohl die Verpflichtungen für die Betreiber der Skigebiete, als auch die Verkehrsregeln für die Benutzer der Anlagen. Pistenbetreiber und -nutzer werden also gleichermaßen in die Pflicht genommen. Einige Abschnitte der neuen gesetzlichen Regelung erscheinen auf Anhieb nicht ausreichend klar zu sein, so z.B. das erstmals gesetzlich verankerte Alkoholverbot “beim Skifahren”. Dazu können “die Skifahrer” kontrolliert werden. Laut Gesetz gelten die Bestimmung für Skifahrer auch für die Snowboard – und Telemarkfahrer, aber auch für jene Nutzer die sich “anderer Abfahrtstechniken” bedienen. Daraus kann geschlossen werden, dass das Alkoholverbot auch für Rodler und Skitourengeher gilt, auch wenn sie nicht auf den Skipisten abfahren.

Gehen die neuen Vorschriften weit genug? 

Interessant und notwendig sind jedenfalls die Bestimmungen, wonach die Skifahrer ihre Geschwindigkeit an die Pistenverhältnisse anpassen müssen und so genannte “schwarze Pisten” nur dann befahren dürfen, wenn sie im Besitz ausgeprägter technischer und körperlicher Voraussetzungen sind. Was immer man darunter verstehen will – bei Zuwiderhandlung dieser Verhaltensregeln können empfindlich hohe Verwaltungsstrafen verhängt werden. Ob dann die Skifahrer tatsächlich die von den Pistenbetreibern direkt bei den Anlagen kundzumachenden Verhaltensnormen, wie z.B. auch die Vorfahrt/Überhol- und Kreuzungsregeln, überhaupt lesen und sich einprägen, muss sich erst noch zeigen.

Auf der Piste unterwegs sein soll sicherer werden – schmälert das die Lust am Skifahren?

Für die Betreiber der Skigebiete sind die neuen Bestimmungen allemal eine große Herausforderung. Durch die aufwändige Pistenpräparierung schaffen sie es, auch bei nicht geübten Skifahrern das Selbstwertgefühl und persönliche Genugtuung über die eigene sportliche Leistungsfähigkeit zu animieren – vielleicht ist das einer der wichtigsten Gründe für die nach wie vor anhaltende Attraktivität der Skigebiete und damit in direktem Zusammenhang deren wirtschaftlichen Erfolges. Einige Sicherheitsmaßnahmen wie z.B. die Sperrung von vereisten Pisten sind der Attraktivität der Skigebiete hingegen nicht unbedingt förderlich. Insofern ist die Abwägung zwischen den zu ergreifenden Sicherheitsmaßnahmen und der Wahrung der Attraktivität der Anlagen, auch für geübte Skifahrer, eine verantwortungsvolle und alles andere als leichte Aufgabe, die jedenfalls sehr viel Wissen und Erfahrung abverlangt.

Allein aus dem Verstoß gegen die gesetzlich auferlegten Verpflichtungen kann keine Haftung gegenüber den Nutzern der Anlagen abgeleitet werden

Wintersportler sind seit 1. Jänner 2022 auch verpflichtet, eine private Haftpflichtversicherung abzuschließen. Für wen gilt diese Versicherungspflicht? 

Gemäß Gesetz gilt diese Verpflichtung für Ski-, Snowboard-, Telemarkfahrer und für alle weiteren Nutzer, die mit anderen Techniken die Pisten benützen. Somit gilt das auch für Skitourengeher, Rodler und Langläufer, die zum Aufstieg oder Abfahrt Skipisten benützen. Und zwar unabhängig davon, ob das zugelassen ist oder nicht.

Muss die Versicherunspolice mitgeführt werden? Bzw. wie wird kontrolliert?

Die Ordnungshüter – Polizei, Carabinieri, Finanzwache, Gemeindepolizei – können Kontrollen vornehmen. Für die Nutzer der Skigebiete ist es daher ratsam, den Nachweis der durch den Erwerb des Lifttickets oder separat abgeschlossenen Versicherung bei sich zu führen.