Umwelt | Verkehrspolitik

Weniger auf Achse!

Das viel zitierte Verkehrsaufkommen stößt in unserem Land eindeutig und unstrittig an seine Grenzen. Ideen für eine mögliche Zukunft im Gastkommentar von Heinrich Zanon.
Stau Autobahn
Foto: Othmar Seehauser
Das viel zitierte Verkehrsaufkommen stößt in unserem Land eindeutig und unstrittig an seine Grenzen, auf der Brennerautobahn, auf den Staatsstraßen im Pustertal, im Vinschgau, im Überetsch, im Unterland und in Gröden, auf den Stadtzufahrten, in den Städten und häufig auch auf Landesstraßen und in vielen kleineren Ortschaften. Und jedenfalls verursacht es einen unzumutbar hohen Ausstoß an CO₂ und Feinstaub.
Dafür verantwortlich sind wir alle, wir hier, wir, die wir von hier wegwollen, diejenigen, die zu uns wollen, und diejenigen, die bei uns durchrauschen.
Anderswo sieht es kaum besser aus.
Nach Lösungen wird geforscht, um Lösungen wird gepokert. Der Ruf nach technolgieunterstütztem Verkehrsmanagement, nach neuen Straßen, nach zusätzlichen Umfahrungen und nach aberwitzigen Untertunnelungen wird lauter und gereizter.
Aber machen wir uns nichts vor: eine verlässliche Abhilfe vom unzumutbar gewordenen Übermaß an Verkehr wird es nur durch ein schmerzliches Weniger geben können, ein Weniger an Nachfrage nach Ortsveränderung für Personen und Waren, in unmissverständlich klaren Worten und generell: durch eine Kürzung des Bedarfs an Fahrten und durch Eingrenzung der Art des Fahrens im privaten, im beruflichen, im geschäftlichen und im gewerblichen Bereich.
Aber machen wir uns nichts vor: eine verlässliche Abhilfe vom unzumutbar gewordenen Übermaß an Verkehr wird es nur durch ein schmerzliches Weniger geben können
Das private Fahren zu Zwecken des Urlaubs und der Erholung, aus Neugier an fremden und fernen Ländern und Gegenden, zum Flanieren und Shopping, zum ziellosen Zeitvertreib oder zum Treffen von Familienangehörigen oder Freunden wird gezielt sparsamer werden müssen, und zwar weniger aufgeheizt in mehrfacher Hinsicht:
  1. weniger oft;
  2. weniger weit;
  3. weniger schnell;
  4. weniger belastend.
Zu 1:  Erwartet werden muss vor allem ein weitgehender Verzicht auf häufiges Urlauben anderswo und auf Fahrten aller Art zur Freizeitgestaltung ohne wirkliche Dringlichkeit oder Notwendigkeit. Jedenfalls sind Wochenendtrips oder Anreisen zu kurzfristigen Mega-Events zu unterlassen.
Zu 2:  Reisen und Fahrten zu fernen Destinationen sind überhaupt zu vermeiden, zumindest wenn nicht wirklich und deutlich längere Aufenthaltszeiten dazu eingeplant sind.
Zu 3:  Zur Befahrung von Autobahnen, Überlandstraßen und innerstädtischen Straßen sind für Fahrzeuge jedweder Art einengende Höchstgeschwindigkeitslimits zu verordnen und rigoros zu kontrollieren (einerseits zum Zweck der Minimierung des Energieverbrauchs, von Lärmemissionen und des Ausstoßes von Schadgasen, anderseits auch, um den Reisenden den Umstieg auf weniger belastende Fortbewegungsformen schmackhafter zu machen). In den Straßenverkehrsordnungen sind Vorschriften zu verankern, die den Fahrzeugen des öffentlichen Personenverkehrs grundsätzlich die Vorfahrt gegenüber privaten Fahrzeugen aller Art einräumen.
Zu 4:  Ortsveränderungen durch Fußgänger und Radfahrer sind uneingeschränkt willkommen und sind durch öffentliche Investitionen zum Bau, zur Instandhaltung und zur Bekanntmachung von Fußpassagen, Wanderstrecken und Radwegen zu fördern. Sonstige Ortsveränderungen sind - falls nicht auf sie verzichtet werden kann - vorzugsweise mit Fahrzeugen des öffentlichen Nah- bzw. Fernverkehrs (Bus oder Eisenbahn) anzutreten. Flugreisen oder Helikopterflüge zu privaten Zwecken sind, außer bei Vorliegen besonderer einsichtiger Gründe, zu vermeiden.
Der Betrieb privater PKWs und LKWs ist unter Einräumung angemessen gestaffelter Übergangszeiten auf solche mit ökologischem Antrieb (über Elektroenergie oder Treibstoffe aus grüner Gewinnung) umzustellen. Der Bau und die Zulassung von PKWs mit übertrieben hoher Leistungskraft ist zu unterbinden. Car-Sharing-Programme und Initiativen zum Angebot von Leihfahrzeugen sind zu fördern.
Der Bau und die Zulassung von PKWs mit übertrieben hoher Leistungskraft ist zu unterbinden. Car-Sharing-Programme und Initiativen zum Angebot von Leihfahrzeugen sind zu fördern.
Da aller Mobilität nicht unbedingt ein großer Wert an sich zukommt, ist generell vom Grundsatz auszugehen, dass Verkehr und Transport - zumindest auf längere Sicht hin - nicht durch Mittel aus öffentlichen Haushalten gefördert zu werden verdienen, dass also für die Nutzung von Straßen, Schienensträngen und Flughäfen Kostenwahrheit (unter Einbeziehung der Kosten, die durch Umweltbelastungen entstehen) gelten müssen wird. Dies wird durch graduell anzuhebende Tarife und Preise für Treibstoffe, Strombezug und Mautzahlungen umzusetzen sein.
Eine weniger rigorose Regelung wird allerdings für das Fahren im Nahverkehr gelten müssen, zumindest soweit es Pendler, Studenten und Schüler, Bewohner von Berggebieten oder entlegenen Ortschaften, alte Menschen und Personen mit Behinderungen in Anspruch zu nehmen haben. Zur Deckung des Bedarfs nach Ortsveränderung solcher Nutzer ist, auch durch Förderung über öffentliche Mittel, ein Transportsystem mit kapillarer Reichweite, mit zumutbar häufiger Frequenz und bei sozial verträglicher Tarifgestaltung aufzubauen.
Die Nutzung der Fahrzeuge des öffentlichen Personennahverkehrs durch Personen, die den schutzwürdigen Kategorien nicht angehören, erfolgt zu Tarifen, welche dem Grundsatz der Kostenwahrheit entsprechen. Personen, die den oben genannten Gruppen zugehören und denen ein Fahren mit Mitteln des öffentlichen Personennahverkehrs aus welchen Gründen immer nicht möglich ist oder nicht zugemutet werden kann und welche auf Fahrten mit Privatfahrzeugen angewiesen sind, haben Anspruch auf öffentliche Beihilfen für ein angemessenes Kontingent an notwendigen Fahrten.
Zur Reduzierung der Notwendigkeit des Pendelns durch Arbeitnehmer ist vermehrt auf Home-Office-Lösungen im öffentlichen Bereich sowie (allenfalls auch durch Förderprogramme) bei privaten Arbeitgebern zu setzen. Mit derselben Zielsetzung sollten möglichst Betriebsentflechtungen durch die Auslagerung von Fertigungsstätten und Büros in periphere Ortschaften angestrebt werden.
Zur Vermeidung von Fahrten zu bürokratischen Erledigungen bei zentral organisierten Behörden ist der digitale Amtsverkehr zu erleichtern (auch durch wohnortnahe Unterstützungsdienste für unerfahrene oder schlecht ausgerüstete Nutzer) und sollte nach Möglichkeit ein Angebot von ausgelagerten Dienstschaltern geschaffen werden.
Zur Vermeidung von Fahrten zu bürokratischen Erledigungen bei zentral organisierten Behörden ist der digitale Amtsverkehr zu erleichtern
Notwendige und nicht durch Videokonferenzen zu ersetzende Fernfahrten für berufliche und geschäftliche Zwecke, mit welchen Fortbewegungsmitteln immer sie unternommen werden, unterliegen zur Wahrung des Grundsatzes der Kostenwahrheit den vollen Kosten und Tarifen.
Für die nähere und fernere Zukunft ist schließlich eine massive Einschränkung des Warenverkehrs und also der Notwendigkeit der Beförderung von Betriebsmitteln, Baubestandteilen, Zwischenprodukten und Erzeugnissen aller Art anzustreben.
Dies sollte im Bereich der Landwirtschaft durch Verzicht auf Monokulturen, durch Diversifizierung und vermehrt durch stark und gezielt auf den regionalen Bedarf ausgerichtete Produktionsstrategien möglich werden.
Im Bereich der industriellen Fertigung wird dazu auf ein graduelles und zunehmendes Abgehen von zweifelhaften Segnungen der Globalisierung, auf möglichst vollständige Herstellungsprozesse an einem einzigen Standort oder an örtlich nahe angesiedelte Entwicklungs- und Fertigungsstätten und auf die Verlagerung des Produktionsgeschehens auf mehr mittelständische Unternehmen oder auf jedenfalls autonom peripher organisierte Betriebsstätten zu setzen sein.
Der ausufernde Bedarf an Transportleistungen, den derzeit der Online-Handel verursacht, ist schleunigst einzugrenzen, etwa durch einheitliche, für alle Anbieter gemeinschaftliche Auslieferstationen und durch rigorose Kostenpflicht für die Beförderung von Retourware.
Der ausufernde Bedarf an Transportleistungen, den derzeit der Online-Handel verursacht, ist schleunigst einzugrenzen
Es ist zwar klar, dass durch ein stärker kleinräumiges Produzieren und Vermarkten in der Landwirtschaft und im Bereich der Industrieproduktion höhere Kosten entstehen werden, sie würden aber durch eine geringere Schädigung der Umwelt, durch die erhöhte Absicherung einer zeitgerechten Versorgung mit oft lebenswichtigen Erzeugnissen und durch ein vertrauensbildendes Naheverhältnis zwischen Herstellern und Abnehmern kompensiert.
Jedenfalls sollte Lebensfreude ohne dauernde Außentermine entwickelt werden können und sollte ein erfolgreiches Wirtschaften unter deutlicher Reduzierung des derzeit ausufernden hektischen Herumfahrens und Herumkarrens machbar sein.
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Profil für Benutzer Dietmar Nußbaumer
Dietmar Nußbaumer Fr., 17.02.2023 - 20:44

Die Zielsetzungen wären schon mal übersichtlich sortiert. E-Bikes könnten hier helfen, Mobilität und Freizeitvergnügen zu kombinieren, das Netz an Ladestationen wäre noch ausbaufähig. Nicht zuletzt hat Corona zu einem regelrechten E-Bike-Boom geführt, was ja an sich nicht schlecht ist.
In meinem geistigen Auge sehe ich wieder die Blechlawine zum Gardasee rollen, alles südlich des Weißwurstäquators und jedes Wochenend - ein Graus.

Fr., 17.02.2023 - 20:44 Permalink
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Profil für Benutzer Josef Fulterer
Josef Fulterer Fr., 17.02.2023 - 22:07

X Höchstgeschwindigkeit 100 km / Stunde auf allen Straßen
X progresive kräftige Steuern für den Ankauf + Betrieb der über-motorisierten PKWs
X passende Kraftstoff-Preise, um die Autofahrer zum Überlegen bringen, ob gefahren werden muss
X volle Umwelt-Schäden + Kosten-deckende Auflagen, mit angemessenen Steuern für das Kraftstoff-fressende Sinn-lose Treiben in der Luft usw.

Fr., 17.02.2023 - 22:07 Permalink
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Klemens Riegler Fr., 17.02.2023 - 23:42

Das mit der ENTHALTUNG ist wohl tatsächlich der sinnvollste Ansatz.
Wobei heute die Demografie (wie in allen anderen Bereichen auch) komplett unbeachtet bleibt. Wer rechnen kann, wird feststellen dass in 20 oder 30 Jahren die Auto-Boomer eh nur mehr Engelen chauffieren oder in der Klima-Hölle schmoren. Das Auto hat bei den jüngeren zum Glück nicht mehr den Stellenwert (Statussymbol) von früher. Früher haben wir einem Ferrari, Porsche, RS4 oder anderen 400PS-Boliden noch neidisch nachgeschaut. Heute würde ich mich schämen mit sowas durch die Stadt zu fahren. Ich bin also OPTIMISTISCH.

Fr., 17.02.2023 - 23:42 Permalink
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Luis Durni So., 19.02.2023 - 08:03

Gesetze abschaffen nicht neue erfinden.
DIE LEBENDIGE MOBILITÄT MUSS ÜBERALL MÖGLICH SEIN.
Wer schon mal in Asien unterwegs war, hat das sicher erlebt.
Wo nicht motorbetriebener Verkehr gleichberechtig unterwegs ist, bemerkt jedes die Entschleunigung.
Ich fordere:
1. Fahrräder auf der Autobahn
2. Ampeln mit zufälliger Farbenfolge
3. Leihesel an Stellplätzen mit dazugehöriger App
4. Keine Stoppschilder und Zebrastreifen
5. Toiletten in Kreisverkehrsinseln
6. Fernreisen sind frei, mit ein wenig Glück, begegnet es schon Punkt 1-5

So., 19.02.2023 - 08:03 Permalink
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Profil für Benutzer Erich Daniel
Erich Daniel Mo., 20.02.2023 - 13:27

Sehr gut, H. Zanon!
Aber machen wir uns nichts vor: Es geht nur mit radikaler Abkehr vom Individualverkehr! Auch das Elektro- oder Wasserstoffauto ist nicht die Lösung: Auto bleibt Auto: Es verbraucht zur Herstellung wertvolle Rohstoffe, braucht immer wieder neue Straßen, Umfahrungen, Tunnels, Parkplätze, versiegelte Böden, erzeugt Staus, verbraucht Strom oder teuren Wasserstoff und muss am Ende teuer entsorgt werden. Wenn wir endlich ernsthaft etwas für das Klima tun wollen, muss die Revolution in unseren Köpfen stattfinden, und die vier vorgeschlagenen Punkte können dazu sehr hilfreich sein!

Mo., 20.02.2023 - 13:27 Permalink
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Salto User
Margot Wittig Mi., 22.02.2023 - 16:35

die Argumente sind gut dargestellt, nur mit diesen Forderungen stehen wir in Südtirol noch ziemlich alleine da. Wir werden als „Verbieter und Miesmacher“ dargestellt, weil die Folgen und vor allem Kosten der Klimakrise noch nicht von der breiten Bevölkerung wahrgenommen werden. Kann es gelingen, nicht mehr von „Verzicht“ zu sprechen und von „müssen und sollen“, sondern von positiven und anreizenden Vorschlägen für ein „anderes“ Umgehen mit unseren endlichen Ressourcen? Kann es nicht Spass machen, neue Wege zu suchen und zu gehen? Weshalb immer noch auf dem Weg des Neoliberalismus weiter machen, der bekanntlich unseren Planeten zu Grunde richtet?
Anstatt nur der Technik die Lösung zuzuschieben, könnten wir doch kreativ unsere Gewohnheiten umstellen... siehe Corona, da ging plötzlich auch ganz vieles, was vorher unvorstellbar war!
Es braucht jeden Einzelnen, damit genügend Druck auf die Verantwortlichen gemacht wird und um genügend Druck zu machen, braucht es eine ordentliche Masse von Einzelnen, die sich für die notwendige Transformation begeistern, da sie neue Lebensqualität verspricht, im Sinne von "langsamer und weniger"...

Mi., 22.02.2023 - 16:35 Permalink