Gesellschaft | Bürgergenossenschaft

Gemeinsam für eine gute Zukunft arbeiten

Von Bürger für Bürger. Die Bürgergenossenschaft Obervinschgau stellt sich vor
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Obststand Bozen
Foto: BGO
Zum Auftakt des Frühlings möchte die Bürgergenossenschaft Obervinschgau (BGO) ihr Vinschger Standl am Bozner Obstmarkt ins Gespräch bringen und uns auch etwas mehr über Ihre Struktur, Ideen und Ziele verraten. Dafür haben wir uns mit Michael Hofer und Martina Schäfer auf ein Interview getroffen.
Michael Hofer: Vizepräsident (leitet die operativen Geschäfte der BGO)
Martina Schäfer: Verantwortlich für den Obstmarktstand, Vorstandsmitglied
 
Wofür steht die BGO und welche Werte vertritt sie?
 
Michael: Die BGO steht für sehr vieles. Der Dreh-und Angelpunkt unserer Genossenschaft ist die regionale Entwicklung des oberen Vinschgaus. Der ländliche Raum ist unser Geburtsort, aber wir gehen auch darüber hinaus und sind grenzübergreifend unterwegs. So arbeiten wir zum Beispiel mit der Schweiz oder Österreich zusammen und sind in ganz Südtirol aktiv. Die Projekte, die wir angehen sind meistens weder für die öffentliche Hand noch für Private interessant, jedoch für die Region und die Menschen, die hier leben und arbeiten, sind sie wichtig. Es gibt wirtschaftliche, aber auch soziale und kulturelle Gründe für unsere Projekte. Hauptaktivitäten, die wir in den letzten Jahren gestartet haben, liegen vor allem im Bereich der Landwirtschaft bzw. in der Vermarktung von landwirtschaftlichen Bio-Produkten aber auch in der Herstellung derselben. Dort haben wir gesehen, dass es einen neuen Schwung braucht - Innovationskraft, die andere Marktteilnehmer nicht bringen können oder wollen. Zum Beispiel haben wir mit der Dorfsennerei in Prad eine Käserei vor dem Aus gerettet und stellen jetzt dort biologischen Ziegenkäse her. Auch die Vinschger Palabirne versuchen wir wieder mehr ins Bewusstsein bringen, indem wir neue Produkte entwickeln und sie auf den Markt bringen. Wir schätzen das, was da ist und möchten die lokale Kreisläufe und den sozialen Zusammenhalt stärken.
 
Wie kam es zur Gründung eurer Genossenschaft?
 
Michael: Die Genossenschaft wurde 2016 gegründet und ist aus der zivilgesellschaftlichen Bewegung rund um den sogenannten Malser Weg entstanden. Das Bestreben nach einer pestizidfreien Landnutzung führte nach der Durchführung des Referendums dann zu dem Wunsch über eine unternehmerischen Plattform die Regionalentwicklung und Nachhaltigkeit im Obervinschgau aktiv zu gestalten. So kam es zur Gründung der Bürgergenossenschaft. Diese Art der Genossenschaft ist neu und vor allem in ländlichen peripheren Regionen Italiens entstanden, beispielsweise in der Toscana und Emilia-Romagna. Menschen aus der Region schließen sich zusammen, um sich selbst bzw. ihre Region zu fördern. Sie bieten Dienste an, die keiner mehr macht. Das kann vielfältig gestaltet werden. Wir sind fürs Obervinschgau gegründet worden und haben eine sehr breite Mitgliederbasis. Über 40 bei der Gründung und nun schon 150. Darunter Hotellerie, Unternehmer, Geschäfte, Privatpersonen, Landwirte, Künstler, es ist alles vertreten.
 
Welche laufenden Projekte habt ihr?
 
Michael & Martina: Viele (lachen)!
Michael: Die Dorfsennerei ist auf jeden Fall eines unserer großen Projekte. Wir arbeiten mit 3-4 verschiedenen Höfen zusammen, die uns Ziegenmilch liefern, die wir dann zu Joghurt, Frischkäse, Weich- und Schnittkäse und manchmal auch Ricotta verarbeiten. Wir wünschen uns einfach, dass solche Strukturen, die in den letzten Jahren rationalisiert wurden, wieder mehr ins Zentrum rücken und Wertschätzung erfahren. Dann haben wir letztes Jahr ein Kulturcafé eröffnet. Das „Salina“ in Glurns. Ziel ist es, einen neuen Treffpunkt im Obervinschgau zu schaffen, für Kulturbegegnungen, Lesungen, Kunstaustellungen und vieles mehr. Essen und Trinken kann man dort in Bio-Qualität, außerdem gibt es einen kleinen Bereich, wo wir die Produkte der Genossenschaft und unserer Mitglieder anbieten.
Martina: Seit Juli 2020 haben wir zudem das Vinschger Standl auf dem Bozner Obstmakt eröffnet. Wir möchten unsere Mitglieder in der Vermarktung unterstützen und bieten auf dem Obstmarkt Produkte aus kleinstrukturierten und handwerklich arbeitenden Höfen an. So zeigen wir auch die Vielfalt im Obervinschgau, die es jenseits der Apfelplantagen gibt. Marmelade, Honig, Käsesorten, Korn, Eier, Säfte und vieles mehr ist dabei. Bei Gemüse und Obst findet man hier auch alte rare Sorten und manches findet man in Bozen nur bei uns. Klar, wollen wir auch die Genossenschaft und ihre Ideen dahinter vermitteln und vor allem, die Geschichten und Gesichter hinter den Produkten. So kommen wir mit den Leuten ins Gespräch und auch in den Austausch.  
 
 
 
Auf welche Laufkundschaft trefft ihr am öftesten, Einheimische oder Touristen?
 
Martina: Sowohl als auch. Natürlich ist der Obstmarkt einer der prominentesten Plätze in der Stadt und somit auch touristisch stark geprägt. Mag sein, dass dies Einheimische abhält oder die Leute ihrer Wege gehen, ohne rechts und links zu schauen. Dennoch kaufen auch viele Einheimische auf dem Obstmarkt ein. Wir würden uns jedenfalls sehr über mehr interessierte Hierlebende freuen.
 
Was sind die Benefits von euch für die Gesellschaft?
 
Martina: Wir möchten dazu beitragen den Blickwinkel neu auszurichten. Nachdenken darüber, was es wirklich in unserer Zeit braucht, wo so vieles im Wandel ist. Wie können wir unser Gedankengebäude aufbrechen, um neue Wege zu gehen? Es wird zuviel in Autobahnen gedacht. „Das haben wir immer schon so gemacht, das war schon immer so.“ Also, was heißt es denn, gut zu leben? Was bedeutet das wirklich? Indem wir nicht nur Nachdenken sondern auch Tun, wollen wir dazu bewegen, sich für einen Wandel zu öffnen, der zweifellos notwenig ist. Es gibt viele spannende Wege, die noch gegangen werden müssen, vor allem im Hinblick auf eine dienende Ökonomie. Wir brauchen uns gegenseitig und ja, es ist auch schön, miteinander zu arbeiten und zu gestalten um etwas Sinnvolles zu schaffen. Auch der Mutter Erde, der Natur wollen wir dabei wieder mehr Würdigung und Achtsamkeit entgegenbringen. Wir hoffen auf ein kulturelles Annähern, beieinander zu sein, Feste zu feiern und auf mehr Austausch und Gemeinschaft. Gemeinschaftsgeist ist nicht nur wichtig sondern auch eine Notwendigkeit um den ganzen Herausforderungen, die direkt vor unserer Tür stehen, fruchtbar zu begegnen. Jedenfalls möchten wir mit unserer Struktur und unserem Wirken Impulse setzen, zum Nachdenken anzuregen, ein Teil des Wandels sein und zeigen, dass Veränderungen möglich sind.
Michael: Genau dafür sind wir da. Gleichzeitig versuchen wir auch immer motivierte Leute zu finden, die ausbrechen und bei uns mitarbeiten wollen. Wir haben mit unserem Team sehr viel Glück, da wir immer mehr motivierte und gut ausgebildete Leute ins Boot holen, die eine Arbeit wollen, von der sie wissen, sie trägt einen guten Teil zum Gemeinschaftsleben bei, zur Natur und allem, was damit zusammenhängt. Wir schaffen somit hochwertige Arbeitsplätze in der Region mit viel Wertschöpfung. Bei uns bleibt alles vor Ort. Was eingezahlt wird von den Mitgliedern, was die Strukturen an Umsatz generieren, es wird alles wieder in die Region und die Projekte investiert.
 
Wie wird eure Arbeit von der Gesellschaft angenommen?
 
Martina: Am Obstmarkt schätzen viele unsere Arbeit und wünschen uns Glück, da sie wohl ahnen, dass es nicht immer einfach ist. „Machts weiter!“ hören wir immer wieder. Man spürt aber, dass wir eine kleine Keimzelle sind und die große Keimzelle noch was ganz anderes darstellt. Die Leute merken, dass es Durchhaltevermögen und Begeisterung vermag, um das zu machen. Natürlich ist es manchen auch egal, aber wir versuchen sie trotzdem zu sensibilisieren und ihnen die Idee und Geschichten hinter den Produkten und unserer Genossenschaft nahe zu bringen. Ich empfinde das Feedback als positiv und bin dankbar dafür, weil es einfach ein Ausdruck der Wertschätzung für unsere Arbeit ist.
 
Wie ist es im Kulturcafé?
 
Michael: Sowohl von den Einheimischen als auch von den Touristen wird das Café viel frequentiert. Wir haben großes Glück mit unserem Team. Sie sind es, die die Idee und unsere Werte nach außen tragen. Ich denke, das gelingt uns aber auch deshalb, weil es stimmig ist, was wir machen. Wir verkaufen kein Gift (lacht), somit stoßen wir immer auf Rückhalt und wir denken, dass eigentlich jeder das befürworten kann, was wir machen.
 
 
 
Welche kulturelle Veränderung wünscht ihr euch von der Gesellschaft, von den Menschen, von der Art zu arbeiten?
 
Martina: Kooperation statt Konkurrenz. Zusammen miteinander gehen und versuchen zu gestalten.
 
(An Michael) Ist es auf dem Land schwerer zu den Leuten durchzudringen?
 
Michael: Sicher ist es auf dem Land anders und nicht immer leicht, aber es sind immer mehr Leute individuell unterwegs und befruchten sich mit dem Ideengut gegenseitig. Deshalb gibt es schon ein Miteinander. Vielleicht ist es in anderen Tälern oder in der Stadt aber noch etwas einfacher zu Leuten durchzudringen. Auf alle Fälle würde ich mir für die Zukunft mehr Wir und weniger Ich wünschen. Ich fordere aber auch von der Politik, dass die Ziele für Nachhaltigkeit umgesetzt und andere Wirtschaftsformen auch gefördert werden. Das beinhaltet ganz viele verschiedene Punkte, die angegangen werden müssen, wie z.B. Kosteninternalisierungen. Bei Produkten muss endlich eine Kostenwahrheit entstehen, die Umweltschäden mit einpreist und und somit das Bioprodukt nicht mehr so teuer im Vergleich zu schädlicheren, aber billigeren Produkten macht. Wir geben unser Bestes, als Graswurzelbewegung von unten eine Veränderung anzugehen, aber wenn wir den Wandel schaffen wollen, braucht es alle Akteure. Da sehe ich immer dringenderen Handlungsbedarf.
Martina: Ich wünsche mir, dass wir wieder mehr zu einer Kultur des Spielens zurückfinden, das heißt, ausprobieren - angstfrei. Wir sind gesellschaftlich schon sehr geprägt durch Ängste, gerade auch durch die letzten Krisen. Das Angstgeprägte grenzt einen schnell ein und macht einen starr und da fände ich es schön, wenn wir anfangen wieder zu wagen Fehler machen zu dürfen indem wir ausprobieren und uns so in einer lockeren Fehlerkultur üben. Wenn wir uns alle gemeinsam auf diesen Spielplatz bewegen, können wir ja schauen was dabei rauskommt.
 
Wo könnten oder sollten sich andere Teile Südtirols ein Beispiel an euch nehmen?
 
Michael: Wir sind selbst auch auf den Märkten in ganz Südtirol oft vertreten. Es werden aber auch immer mehr Bürgergenossenschaften in allen Tälern angedacht und umgesetzt, was wir sehr positiv sehen, da jeder Teil Südtirols wieder andere Themen hat und diese dann direkt von den Betroffenen bearbeitet  und umgesetzt werden können. Auch in der Politik wird mehr und mehr der Weg für Bürgergenossenschaften geebnet und geschaut, wie diese Genossenschaften strukturiert und wie sie gefördert werden können. Es wird sicher noch einiges kommen.
 
 
Welche kommenden Projekte sind geplant?
 
Michael: In Glurns wollen wir wir nach dem italienischen Konzept „Albergo Diffuso“ ein Streuhotel aufbauen, mit unserem Kulturcafé „Salina“ als Dreh-und Angelpunkt. Das heißt, Private stellen uns Wohnungen zur Verfügung, die sich nicht für Langzeitmieten eignen. Wir verwalten diese Wohnungen, in etwa wie Air b’n’b, aber mit mehr lokaler Wertschöpfung, da sie vor Ort zentral geführt werden. Sie sind steuerlich in Ordnung und dem Besitzer wird die Sicherheit gegeben, durch einen Mietvertrag monatlich einen Betrag zu erhalten und dabei keine Arbeit zu haben. Starten wird das Ganze noch in diesem Jahr. Damit wollen wir mithelfen, die Gastronomie und Hotellerie in eine erfrischende Richtung zu bringen.
In der Dorfsennerei Prad wollen wir die Verarbeitung der Milchprodukte weiter ausbauen und auf Kuhmilch-Produkte erweiteren. Es gibt viele junge motivierte Milchbauern und vielleicht auch bald Bäuerinnen, welche Ihre Tiere auf die Alm bringen wollen, alte Zweinutzungsrassen halten, teilweise kraftfutterfrei füttern und dabei viele nachhaltige Ideen umsetzen. Die möchten wir gerne unterstützen und deren Milch verarbeiten. Auch die Fleischverarbeitung, die zur Milchwirtschaft dazugehört, ist angedacht.
Einige Projekte stecken noch in der Schublade, aber von denen erzählen wir ein anderes Mal.
Da unser Präsident, Armin Bernard heuer völlig überraschend gestorben ist, was für uns alle einen großen Verlust bedeutet, möchten wir uns dieses Jahr auch nicht verausgaben. Um der Verantwortung gerecht zu werden, konzentrieren wir uns jetzt auf die laufenden und bereits geplanten Projekte. Wir haben teilweise bis zu 16 Mitarbeiter und möchten deshalb nichts überstürzen.
 
Noch irgendwelche letzten Worte?
 
Martina: Kems zun Obstmorkt!
 
Beitrag von Anna Morandell
Bild
Profil für Benutzer Dietmar Nußbaumer
Dietmar Nußbaumer Di., 21.03.2023 - 21:42

Jede Initiative, die die nachhaltige regionale Produktion und den dazugehörigen Handel unterstützt, ist wünschenswert. Wünsche allen ähnlichen Projekten ebenfalls Erfolg. Solche Projekte gibt es auch in Österreich und Deutschland, Italien wurde ja bereits im Artikel erwähnt. Heißt für die Konsumenten: Solche Projekte unterstützen statt nur meckern, auch wenn man etwas tiefer in die Tasche greifen muss als beim Lidl.

Di., 21.03.2023 - 21:42 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Anna Mora
Anna Mora Mi., 22.03.2023 - 16:37

Antwort auf von Dietmar Nußbaumer

Es war ein sehr spannendes Interview, das zeigt, dass bei uns auch vieles initiiert wird um für eine bessere Zukunft zu kämpfen. Dem gebührt meiner Meinung nach Respekt und Unterstützung. Alle zusammen können wir etwas verändern. Ich bin sehr dankbar deren Bekanntschaft gemacht zu haben, da ich als Südtirolerin selbst selten von solchen Projekte mitbekomme, aber es gibt sie und sie brauchen unsere Unterstützung!

Mi., 22.03.2023 - 16:37 Permalink