Wirtschaft | DONNE IN COOPERATIVE

Wandel, Geschlecht und Alternativen

Monica Devilli, Coopbund-Vorsitzende, betont den Mehrwert von Genossenschaften, in Zeiten von Wandel und Geschlechterdifferenz am Arbeitsplatz, aus eigener Erfahrung.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Monica Devilli
Foto: Coopbund

Es sind Zeiten multipler Krisen, in denen Monica Devilli ihren Posten als Vorsitzende des Südtiroler Genossenschaftsverbandes bestreitet. Im Gespräch eröffnet sie aus eigener Erfahrung, wie sie die Rolle von Frauen Arbeitsmarkt aus Perspektive des Genossenschaftswesens versteht und welches Potenzial der alternativen Wirtschaftsweise von Genossenschaften innewohnt, den aktuellen sozialen Wandel zu begreifen sowie neuen sozialen Bedürfnissen gerecht zu werden. Allen Faktoren ist gemein: der Mensch und die Gemeinschaft stehen im Zentrum.

 

 

Sie sind nun seit Oktober 2021 als Vorsitzende von Coopbund tätig. Welche Erfahrungen oder Eindrücke waren für Sie persönlich prägend?

Monica Devilli: Ich möchte nicht immer von der Pandemie sprechen, aber die letzten Jahre waren schon besonders! Unser Verband ist nicht nur ein Interessensverband für genossenschaftliche Unternehmen, was politische Vertretung, Beratungen oder dergleichen Unterstützungen impliziert. Uns geht es vorerst darum zu jeglichen Mitgliedern Beziehungen aufzubauen und zu pflegen. Denn nur so können wir uns gegenseitig auf kritische Angelegenheiten aufmerksam machen, angemessen über Schwierigkeiten sprechen und Probleme lösen. Das ist wie im Privatleben: Wenn ich keine Beziehung zu einer Person habe, fällt es mir schwer, mich zu öffnen oder Probleme anzusprechen. Im Zuge der Pandemie erhielt jene Beziehungsarbeit einen umso höheren Stellenwert. Wir konnten nicht im Büro warten, bis unsere Mitglieder zu uns kommen, sondern mussten sie besuchen, um zu erfahren, wie sie die Krise erleben und wo wir helfen können.

 

Will man Lösungen finden, gilt es bürgernahe Perspektiven einzunehmen.

 

Bis heute scheint das Tempo eines globalen Wandels rasend zuzunehmen, nehmen Sie einen solchen Wandel auch bei Coopbund wahr?

Als Verband lehrten uns die letzten Jahre, dass wir keine langfristigen 5-Jahrespläne mehr machen können, sondern uns Schritt für Schritt vorarbeiten müssen. Dazu kommt, dass wir stets das soziale, politische und wirtschaftliche Geschehen im Auge behalten müssen, um für alle möglichen Situationen reaktionsfähig zu bleiben. Ein aktuelles Beispiel ist die Frage, warum wir keine ArbeitnehmerInnen finden. Diese Schwierigkeit betrifft nicht nur unsere Sparte, sondern ganz Südtirol, ganz Italien und weit darüber hinaus. Will man hier Lösungen finden, gilt es bürgernahe Perspektiven einzunehmen. Die Frage ist: Wie sehen das die Menschen? Junge Menschen haben sich in den letzten Jahren stark verändert und bringen eine neue Lebenseinstellung mit. Wir müssen uns mit ihren Fragen und Schwierigkeiten auseinandersetzen und versuchen, ihnen zu helfen, diese zu bewältigen. Im Genossenschaftswesen haben wir hierzu vorteilhafte Strategien, denn der Mensch steht für uns im Zentrum. Jenseits der Businesspläne und wirtschaftlichen Lagen, gilt es die Menschen nach ihrer eigenen Sichtweise zu fragen, nach ihren Schwierigkeiten und wie wir ihnen helfen können, diese zu bewältigen. Zugegeben war auch für uns die Welt vor 2019 eine andere. Heute befinden wir uns in der Welt der Flexibilität und des Smart-Workings. Die Bedürfnisse haben sich verändert und wir müssen herausfinden, wie wir uns diesen Veränderungen anpassen können. Zum Beispiel: Energie kostet heute zu viel. Wir wollen es schaffen, dass BürgerInnen Kosten einsparen können! Dafür gilt es einen Draht zu den BürgerInnen aufzubauen und ihnen die Möglichkeit zu bieten, sich zu kleinen dezentralen Einheiten der Energieversorgung zusammenzuschließen und Teil einer Gemeinschaft zu werden, die zusammen durchaus in der Lage sind einem Problem, wie etwa jenem der Energiekrise entgegenzuwirken. Das bedeutet man erreicht mit gemeinsamen Kräften ein Ziel, man erwirtschaftet, reinvestiert und spart Profit für die Gemeinschaft, natürlich auch zu Gunsten des Individuums und ist für ein gemeinsames Projekt verantwortlich. Et voilà, ein gemeinschaftlicher Umgang mit Wandel und Krisen nach dem Prinzip der Genossenschaften.

Sie äußerten bereits, dass Veränderung, Flexibilität und Anpassung zur DNA von Genossenschaften gehören. Spiegeln sich jene Attribute auch in Ihrer Tätigkeit wieder?

Auf jeden Fall. Die Person steht sowohl für mich als auch für den Verband im Mittelpunkt. Gewinnmaximierung ist nicht unser Hauptziel, sondern vielmehr möchten wir eine andere Art des Wirtschaftens aufzeigen, die für Menschen jeden Alters und für jegliche erdenkbare Tätigkeit eine erfüllende Alternative zu herkömmlichen Unternehmen sein kann. Natürlich ist die Zusammenarbeit mit anderen Wirtschaftssektoren wichtig und wir streben auch Kollaborationen an, aber unser Hauptanliegen bleibt es, den Menschen die Vielfalt und Möglichkeiten der Genossenschaft zu vermitteln. Wie ich es bereits angedeutet habe, bedeutet dies auch eine besondere Flexibilität aber auch Sensibilität für die unterschiedlichen Bedürfnisse der Menschen. Als Dachverband vertreten wir sowohl Deutsch- als auch Italienisch-sprachige Genossenschaften, da ist es für mich besonders wichtig, die unterschiedlichen Mentalitäten und Bedürfnisse der Menschen zu verstehen und zu berücksichtigen. Spreche ich mit einer frauengeführten Arbeitsgenossenschaft in Graz, werden die mir eine völlig andere Zielsetzung schildern als eine Frau im freien Unternehmertum Bozens. Dabei gilt es sein Urteilsvermögen einzusetzen, um gemeinsame Interessen zu finden und zwischen den Mitgliedern Beziehungen aufzubauen. Nur so können wir einen fruchtbaren Austausch zwischen den Genossenschaften fördern und die Vielfalt und Stärke kollektiver Unternehmen als wirtschaftliche Alternative demonstrieren.

 

Die Frau wird immer noch in der Diskussion über die Kinderbetreuung strikt mit der gesellschaftlich bestimmten Mutterrolle assoziiert.

 

Stichwort: Frau. Sie erwähnten bereits, dass die Arbeit an den ‚Möglichkeiten und Herausforderungen‘ von Frauen ein zentraler Punkt bei Coopbund sei. Wie würden Sie selbst, jenseits gesellschaftlich bestimmter Rollenzuschreibungen, vom weiblichen Aspekt in der Arbeitswelt sprechen?

Um über den weiblichen Aspekt sprechen zu können, bedarf es eines Blickes auf die alltäglichen Leistungen von Frauen, ohne die ein Betrieb undenkbar wäre. Ein Beispiel hierfür sind Sozialarbeiterinnen in Sozialgenossenschaften. Dabei handelt es sich vorwiegend um Genossenschaften, deren Hauptaufgabe die Arbeitsintegration benachteiligter Personen ist. Hierbei ist ein zerbrechliches Verhältnis zwischen Wirtschaftlichkeit und Fürsorge zu wahren. Meiner Erfahrung nach sind in diesem Bereich meist Frauen die zentralen Akteurinnen. Sie arbeiten Konzepte aus, verwalten Aufträge und gehen im selben Akt mit besonderer Sensibilität auf die Bedürfnisse von Menschen ein. Menschen, die sich in verschiedensten Notlagen befinden, einen eigenen Arbeitsrhythmus haben und spezielle Begleitung brauchen. Wenn die Sozialarbeiterin hier merkt, dass etwa der Arbeitsplan unstimmig für die zu integrierende Person ist, dann muss sie die Flexibilität besitzen den bisherig erarbeiteten Plan neu aufzusetzen oder sich etwa mit Empathie der Person widmen können: mit ihr sprechen, ihr Selbstwertgefühl geben und sie begleiten. Diese Arbeit geschieht meist hinter den Kulissen und bleibt unsichtbar.

Wie würden Sie die gegenwärtige Lage von Frauen in der Arbeitswelt bewerten?

Gegenwärtig habe ich den Eindruck, dass die Rolle der Frau im Arbeitsmarkt ein beliebtes Thema geworden ist, vor allem in Zeiten von Wahlkampagnen. Zurzeit wird Kinderbetreuung diskutiert, wobei der öffentliche Diskurs dahin tendieren zu scheint, dass Frauen nicht im öffentlichen Dienst arbeiten können, wenn keine 11-monatige Kinderbetreuung angeboten wird. Das wahre Problem hierbei ist, dass die Frau immer noch in der Diskussion über die Kinderbetreuung strikt mit der gesellschaftlich bestimmten Mutterrolle assoziiert wird. Jenseits der finanziellen Frage will ich damit nicht sagen, dass alle Frauen für die eigene Selbstverwirklichung zwingend arbeiten müssen. Gleichwenig, wie Männer dafür zwingend arbeiten müssen, aber eine stabile Rollenverteilung ist nach wie vor nicht zu leugnen. Wir haben es auch heute diesbezüglich noch mit einem subtilen Machtspiel aus gesellschaftlich klar definierter Rollenverteilung und Strukturproblematik zu tun: Im Beirat für das weibliche Unternehmertum diskutieren wir seit Jahren über die Verlängerung der Kindergartenzeit, wohingegen wir eigentlich der Frage nachgehen müssten, warum Frauen von Arbeitgebern andauernd nur Halbtagesstellen angeboten werden. Das schlägt sich nämlich nieder, blickt man nur in die Führungsgremien, in welchen von zehn Sitzen nur zwei weiblich besetzt sind.

Welche Perspektiven bietet diesbezüglich das Genossenschaftswesen?

Im Genossenschaftswesen habe ich viele Frauen kennengelernt, die sich mit ihren Genossenschaften mitentwickeln konnten, jung wie alt. Viele entwickelten sich zu Unternehmerinnen, entfalteten sich, brachten neben ihrer Betätigung noch ein Studium zustande und das im Alter von 70 Jahren. Dadurch, dass es den Prinzipien von Genossenschaften entspricht die Bedürfnisse der jeweiligen Mitglieder zu achten und jedes Mitglied zu inkludieren, birgt jene Form des Wirtschaftens große Vorteile, wenn es um die persönliche Entfaltung geht. Andererseits aber auch, wenn es darum geht den Mehrwert des Kollektivs zu erkennen. Im Zuge der Pandemie haben Genossenschaften, wie jede andere Art von Unternehmen, auf Grund anfallender hoher Aufwände der Umorganisation gelitten. Die Beteiligungs- und Partizipationspolitik im Genossenschaftswesen macht ein Unternehmen jedoch zum persönlichen Projekt aller Beteiligten. Das Bewusstsein entsteht: Ich bin Teil dieser Sache, habe sie mitaufgebaut und so werde ich auch behandelt. Ich werde involviert in die Strategien, darf mitbestimmen. In Genossenschaften hat jedes Mitglied eine Stimme, also jeder die gleiche Rolle, unabhängig des Geschlechts, Status oder investierten Kapitals. Integriert man Menschen auf diese Weise, werden Handlungsmotivation, Selbstbewusstsein und Verantwortlichkeit erzeugt. Das ist der Nährboden auf dem fruchtbare Ideen gedeihen. Zudem gehört es zur genossenschaftlichen Praxis, Umsätze nicht unter den Mitgliedern aufzuteilen, sondern als Reserven für das kollektive Unternehmen anzulegen und diese Reserven waren auch im Angesicht der Krise ein großer Vorteil.

 

Meine Rolle ist es also jenen Blick für multidimensionale Faktoren zu wahren. 

 

Zurückblickend auf Ihre Erörterungen, wie verstehen Sie Ihre Rolle als Vorsitzende von Coopbund?

Ich habe mich gelöst von meiner Rolle, die ich in den vorigen 19 Jahren hatte. Das war nicht einfach, muss ich sagen. Vor allem in den ersten Monaten habe ich hart daran gearbeitet, mich weitergebildet und eine völlig neue Organisationsweise entwickelt. Früher hätte ich noch gesagt: heute habe ich fünf Gutachten erstellt, vier Beratungen gemacht, Papierstapel für Stapel abgearbeitet, ja heute habe ich gearbeitet! Tja, nun kann nicht mehr kiloweise arbeiten... Meine Rolle ist mehr eine Rolle der Vermittlung, der Vertretung und der Netzwerkbildung geworden. Und zwar nicht nur unter den genossenschaftlichen Unternehmen, sondern ebenso zwischen den genossenschaftlichen Unternehmen und der Wirtschaft. Den Bereich, den wir in der Wirtschaft bekleiden, bezeichnet man als Dritten Sektor, als non-profit-orientierte Gemeinnützigkeit. Dabei ist es meine Rolle in vielschichtigen Dimensionen zu denken. Nehmen wir Wohnbaugenossenschaften. In Projekten des geförderten Wohnungsbaus, gilt es nicht nur darauf zu achten, den Menschen 30% Ersparnis beim Wohnbau einzufahren, sondern Wohnprojekte zu entwickeln, die einen sozialen Mehrwert bergen, also generationenübergreifendes Wohnen ermöglichen, um Synergien zu schaffen. Nach der Logik, dass ich dem netten Rentnerpaar von nebenan einkaufe, wofür sie morgen nachmittags während meiner Spätschicht auf die Kinder aufpassen. Meine Rolle ist es also jenen Blick für multidimensionale Faktoren zu wahren.

 

Man muss sich Zeit geben, um jene nötige Ebene der Empathie bzw. der Sensibilität zu erreichen.

 

Worin würden Sie ihren persönlichen Mehrwert sehen, den Sie zu Coopbund beitragen?

Als Vorsitzende merkte ich bald, dass es nötig war, noch ein bisschen weiter aus meiner Komfortzone herauszukommen. In der Arbeitspraxis entwickelt man eine Formel, nach der man gut arbeiten kann. In den letzten eineinhalb Jahren musste ich eine neue entwickeln. War ich zuvor konkreter Natur, habe ich nun gelernt, dass es manchmal auch wichtig ist, Menschen zu treffen und sie einfach nur über etwas sprechen zu lassen. Bisher musste ich stets Lösungen parat haben oder eine klare Richtung vorgeben. Nun finde ich mich aber in einer Phase des Zuhörens wieder. Man muss sich Zeit geben, um jene nötige Ebene der Empathie bzw. der Sensibilität zu erreichen. Damit wächst man in seine politische Rolle hinein und lernt, wie man Interessen richtig vertritt, an welche Menschen man sich wenden kann und wie man Belange einer Vielzahl von Genossenschaften weiterbringt. In dieser Art von Sensibilität, kombiniert mit meiner langjährigen Erfahrung, würde ich meinen Mehrwert verorten.

 

Ein Beitrag von David Orrú

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Josef Fulterer Mi., 29.03.2023 - 09:07

Die abgehobenen Herren des RAIFFEISEN-VERANDES sollten das Maß beim Coop Bund am Mazziniplatz nehmen, der eine ähnliche Zahl von Genossenschaften "wirklich im Sinn Friedrich Wilhelm Raiffeisen betreut" und "nicht das solide gebaute nicht Abbruch-reife Raiffeisen-Haus von 24.000 m3, auf pharaonische und babilonische 80.000 m3 aufblähen, um sich auf Kosten der Mitglied-Genossenschaften ein mehr als fragliches Denkmal zu setzen!"
In Genossenschaften erwirtschaftete Erträge gehören den Mitgliedern und "dürfen nicht für den Größenwahn einiger abartiger Manager missraucht werden!"
Dem Vernehmen nach soll auch der Hager mit im Spiel sein, der mit dem Burger / Huber / Alber / Zampierei / Reinalter schon bei der MILA / MILKON / BERGMILCH, die Mitglieder um über 300 Mio. € Milchgeld gebracht hat.

Mi., 29.03.2023 - 09:07 Permalink
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Dietmar Nußbaumer Mi., 29.03.2023 - 20:52

So ist es, die Genossenschaften gehören den Mitgliedern, das scheint den Mitgliedern oft allerdings nicht klar zu sein.

Mi., 29.03.2023 - 20:52 Permalink