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„Schulpsychologie: Klarheit ist gefragt“

Die Psychologenkammer kritisiert die Aussagen der Landesdirektorin Falkensteiner: Die Schule brauche die Unterstützung ausgebildeter psychologischer Fachkräfte.
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Foto: Psychologenkammer Bozen
Der Rat der Psychologenkammer Bozen reagiert auf die Äußerungen der Schulamtsleiterin und Landesschuldirektorin für deutschsprachige Schulen, Sigrun Falkensteiner, im Gespräch mit salto.bz zum Thema Schulpsycholog*innen: „Verwirrung und Fehlinformationen sollen beseitigt und die Rolle der Schulpsychologie unterstützt werden.“
Es ist nicht akzeptabel, die Beratung von Erzieher*innen oder Sozialpädagog*innen einer psychologischen Beratung gleichzustellen.
„Der Rat der Psychologenkammer der Provinz Bozen ist über die Äußerungen der Schulamtsleitung und Landesschuldirektion für deutschsprachige Schulen äußerst verwundert. Dies nicht nur aufgrund des Anscheins, dass bedeutsame Probleme, die deutlich durch Anfragen von Lehrpersonen deutscher Schulen angesprochen wurden, unter den Teppich gekehrt werden, sondern auch wegen der Verwirrung, die um die Schulpsychologie und die Rolle des*der Psychologen*in an der Schule entsteht. Missinformationen diskreditieren die Tätigkeit der psychologischen Beratungsstelle ‘…Parliamone’, die seit 20 Jahren erfolgreich an italienischen Schulen implementiert ist.“
Es sei wichtig in Bezug auf die Rolle der Schulpsychologie klar zu sein: In der Schulpsychologie gebe es keine Therapie oder Psychotherapie: Der*die Schulpsychologe*in an der Schule gibt seine*ihre fachliche klinische Einschätzung der Situation ab und leistet eine limitierte Anzahl an psychologischen Gesprächen. Mit seinem*ihrem Fachwissen beurteilt der*die Psychologe*in somit die Situation und kann Schüler*innen und ihre Familien bei Bedarf an die zuständigen sanitären Dienste weiterleiten, wo die Behandlung gegebenenfalls vom zuständigen Gesundheitsdienst übernommen wird.
 

Schule als Auffangbecken?

 
„Die Panikmache in Bezug auf die psychische Gesundheit, die Darstellung der Schule als einen Ort, der vor ‚sehr persönlichen Situationen‘ geschützt werden sollte, kann die Stigmatisierung und das Gefühl der Unzulänglichkeit derjenigen nähren, die Unterstützung brauchen und sich ohnehin bereits schwertun, danach zu fragen“, erklärt die Psychologenkammer.
Diese Hilfe sollte des Weiteren nur von eigens dafür ausgebildeten Fachpersonen geleistet werden. Wenn die Unterstützung allein von Berufsfiguren ohne klinische Ausbildung geleistet werde, so sei das oft nicht ausreichend und könne die Situation sogar verschlimmern bzw. chronifizieren. „Nur klinisch geschulte Fachleute dürfen, können und sollen solche teils hochkomplexen Situationen korrekt einschätzen.“
 
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Jugendliche im Oberschulzentrum Galileo Galilei in Bozen: Die Psychologenkammer fordert eine klare Aufgabenteilung, um Kinder und Jugendliche gemeinsam mit den Schulen bestmöglich zu begleiten. (Foto: LPA)
 
Eine weitere Aussage Falkensteiners habe ebenfalls verwundert: „Ob jemand Medikamente nehmen muss oder nicht, das hat uns als Schule nichts anzugehen.“ Wie sei das zu verstehen? „Sollte die Schule sich nicht als Netzwerkpartner verstehen, der mit dem lokalen Umfeld zusammenarbeitet und bei der Bewältigung von Schwierigkeiten von Schüler*innen einen wichtigen Beitrag leistet und das Wohlbefinden der Kinder und Jugendlichen fördert? Don Milani hat es gesagt: Die Schule kann kein ‚Krankenhaus sein, das die Gesunden heilt und die Kranken abweist‘. Die Schule, die Bildungseinrichtungen vor Ort, die Institutionen sollten doch einen Weg einschlagen, der von Inklusion, von Unterstützung und Solidarität geprägt ist und Schüler*innen, welche leiden, Medikamente einnehmen, unterstützend begegnen. Eine andere Haltung diesbezüglich kann nicht förderlich sein“, so die Psychologenkammer.
Dies sei vor dem Hintergrund, dass das Gesetz die Möglichkeit vorsieht auf Grundlage einer Psychologischen Diagnose, individualisierte bzw. maßgeschneiderte Bildungspläne zu erstellen, umso wichtiger. Diese können für Schüler*innen – auch für begrenzte Zeiträume – erstellt werden, wenn diese sich in einer schwierigen Situation befinden.
 

Klare Rollenaufteilung gefordert

 
Es sei außerdem sinnvoll, die Rollen, Kompetenzen und die Ausbildung der genannten Berufsbilder zu klären: Psycholog*innen absolvieren ein fünfjähriges Studium, es folgt ein einjähriges Pflichtpraktikum, ein Staatsexamen und die anschließende Eintragung in das Berufsverzeichnis der Psychologenkammer, die zur Ausübung des Berufs berechtigt. Psycholog*innen können Diagnosen stellen, aber keine Medikamente verschreiben. Nur Ärzt*innen, im Speziellen Fachärzt*innen für Psychiatrie können Medikamente verschreiben.
Psychotherapeut*innen hingegen sind Psycholog*innen, die eine weitere vierjährige Spezialisierung zu 2.000 Stunden, von denen mindestens 800 Stunden praktischer Ausbildung entsprechen, und eine Abschlussprüfung absolviert haben, welche sie nach der Eintragung in das Verzeichnis der Berufskammer zur Ausübung des Berufs des*der Psychotherapeuten*in befähigt.
 
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Unterricht: Die Psychologenkammer plädiert für eine klare Aufgabenteilung und will Lehrkräfte nicht überlasten. (Foto: Taylor Flowe / Unsplash)
 
Das Berufsprofil für Sozialpädagogik beschreibt eine fünfjährige Ausbildung in Pädagogik und nicht in Psychologie. In Italien gebe es zudem keine Psychopädagog*innen (es sei denn, man hat beide Abschlüsse: Psychologie und Pädagogik, was zwei getrennte und unterschiedliche Studiengänge seien), allerdings bietet die Pädagogische Abteilung des Landes die sogenannte Psychopädagogische Beratung an. Dennoch sei man laut dem Berufsverband entweder Psychologin oder Pädagoge. Die Erklärung, dass „sozialpädagogische Fachkräfte ausreichen“, wie in den Medien von der politischen Führung in der deutschen Kultur berichtet werde, bedeute, dass Sozialpädagoginnen wie Psychologen agieren, was Szenarien der Illegalität eröffne.
Auch aus diesem Grund sei der geforderte psychologische Beratungsdienst an Schulen ein grundlegender und notwendiger Dienst: Es ist ein Ort des Dialogs und der Beratung, aber vor allem ein kompetenter Dienst des Zuhörens, der von professionellen Psycholog*innen geleistet wird, die in der Lage sind, Anzeichen von Unbehagen sofort zu erkennen, um zu verhindern, dass diese zu schwerwiegenden Formen von Unbehagen werden.
„Die Ausbildung von Fachleuten für psychische Gesundheit ist umfassend, komplex und spezifisch. Als Berufskammer haben wir die Aufgabe, nicht nur die missverständlichen Informationen zu klären, die in den letzten Tagen in den lokalen Medien aufgetaucht sind und das wichtige Präventions- und Unterstützungsangebot der italienischen Schulen in ein falsches Licht rücken, sondern auch die Rollen, die Kompetenzen und, sic et simpliciter, das zu erklären, was andere Berufsgruppen tun dürfen oder was diese nicht dürfen“, teilt der Berufsverband mit.
Die Arbeit der Psycholog*innen umfasse nicht nur die Diagnose und Behandlung von Störungen, sondern beinhaltet auch Interventionen zur Steigerung des Wohlbefindens und der Prävention. Der Beratungsdienst an italienischsprachigen Schulen kann von den Schüler*innen bereits in den Mittelschulen in Anspruch genommen werden, ist aber auch für Lehrkräfte, Familien, Schulpersonal und Schulführungskräfte da.
Es handle sich um ein konkretes Angebot, das dem aktuellen Hilfeschrei des Lehrpersonals Rechnung tragen könne. Wenn es stimme, dass „es sehr wichtig ist, einen niedrigschwelligen Zugang zu psychologischer Hilfe zu gewährleisten und als Schule mit dem Psychologischen Dienst zusammenzuarbeiten“, wie Falkensteiner im Gespräch mit salto.bz betonte, was könne dann besser sein als eine psychologische Fachkraft vor Ort, die genau diesen Zugang sicherstellt, fragt die Psychologenkammer. „Warum gibt es in ganz Europa (Österreich, Dänemark, Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Portugal, Schweden, Slowakei) einen Schulpsychologischen Dienst und in deutschen Schulen in Südtirol nicht?“
 

Schule unterstützen

 
Der Präsident der Nationaler Psychologenkammer David Lazzari hat in diesen Tagen erneut die zentrale Funktion der Schule als erstes Auffangbecken von Belastung unterstrichen. „Die Schule kann hier eine wichtige präventive Rolle einnehmen. Setzen wir hier nicht auf hochqualifizierte präventive Maßnahmen, so eskalieren die Situationen, was dann in einem zweiten Moment auch die Kapazitäten der sanitären Dienste sprengt“, warnt die Psychologenkammer.
Sie hält es auch für kontraproduktiv, den deutschen Lehrpersonen, die zum Teil schon erschöpft seien, zusätzliche Lasten aufzubürden, wie es kürzlich in den lokalen Medien angesprochen wurde. Selbst bei einer eventuellen Fortbildung der Lehrkräfte, die in jedem Fall sinnvoll sei, sei es nicht ihre Aufgabe, sich mit bestimmten spezifischen Fragen zu befassen, die ausschließlich Psycholog*innen betreffen.
Was das Angebot an deutschen Schulen betrifft, sei jede Unterstützungsmaßnahme wertvoll. „Pädagog*innen in den Schulen leisten einen wichtigen Dienst für individuelle Wege und Pläne im Falle von Schulabbrecher*innen. Time-Out-Projekte sind wichtige Ressourcen zum Auffangen von Mädchen und Jungen, die sich in schwierigen Lebenslagen befinden. Ebenso leisten Sozialpädagog*innen wertvolle Beratungsdienste. Für die Psychologenkammer ist es jedoch wichtig, dass die Rollen nicht verwechselt werden: Es ist nicht akzeptabel, die Beratung von Erzieher*innen oder Sozialpädagog*innen einer psychologischen Beratung gleichzustellen.“
Es sei wichtig, dass jede Berufsfigur mit dem Beitrag ihrer Fachkompetenz und ihrer Fertigkeiten zum Wohle und zum Schutz der psychischen Gesundheit beiträgt. „Wir denken es braucht die Kräfte aller, um Schüler*innen, Familien, Lehrpersonen und das System Schule zu unterstützen. Gerne sind wir als Kammer bereit, uns konstruktiv einzubringen und wir stehen selbstverständlich für ein klärendes Gespräch zur Verfügung.“
 
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Simonetta Lucchi Mo., 05.06.2023 - 17:29

Trovo interessante questo articolo perché evidenzia numerosi punti critici:
"Mit seinem*ihrem Fachwissen beurteilt der*die Psychologe*in somit die Situation und kann Schüler*innen und ihre Familien bei Bedarf an die zuständigen sanitären Dienste weiterleiten, wo die Behandlung gegebenenfalls vom zuständigen Gesundheitsdienst übernommen wird." In sostanza, non viene percepita la necessità di lavorare insieme agli insegnanti in team, come io mi auspicherei.
Non viene concesso l'accesso a tutti gli nsegnanti ai corsi di formazione in ambito medico/ psicologico, come nel caso che ho già alcune volte evidenziato( e non ottengo spiegazioni in merito)

Sie hält es auch für kontraproduktiv, den deutschen Lehrpersonen, die zum Teil schon erschöpft seien, zusätzliche Lasten aufzubürden, wie es kürzlich in den lokalen Medien angesprochen wurde. Selbst bei einer eventuellen Fortbildung der Lehrkräfte, die in jedem Fall sinnvoll sei, sei es nicht ihre Aufgabe, sich mit bestimmten spezifischen Fragen zu befassen, die ausschließlich Psycholog*innen betreffen.

Tenere rigidamente divise le due funzioni non è utile alla scuola. Sarebbe invece molto utile formare anche docenti - se sono interessati - su questi temi.
Il problema del sovraccarico riguarda non solo docenti tedeschi ma anche ladini e italiani.
Io credo che sul tema "psicologia a scuola" ci sarebbe ancora molto da discutere.

Mo., 05.06.2023 - 17:29 Permalink
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Dietmar Nußbaumer Mo., 05.06.2023 - 19:41

Gut, dass das Berufsbild genau beschrieben wird. Es ist nicht Aufgabe der Lehrer, die Schüler zu psychologisieren. Lehrer sind Pädagogen, nicht mehr und nicht weniger. Ich finde, dass eine psychologische Beratung in fordernden Situationen sicher eine Hilfe für alle Beteiligten sein könnte.

Mo., 05.06.2023 - 19:41 Permalink