Kultur | Neuerscheinung

SELfservice - Ein Südtiroler Skandal

Nach Sichtung Hunderter Seiten Beweismaterial, nach jahrelangen Recherchen zeigt Autor Christoph Franceschini in seinem Buch das ganze Ausmaß des SEL-Skandals.

Auszug aus dem Buch SELfservice von Christoph Franceschini, erschienen im Raetia Verlag, Buchvorstellung am 10.11. um 18 Uhr im Hotel Laurin, Damensalon. Mit Gerhard Mumelter und dem Autor.

„Diese Unterstellungen gegen mich gehen von Christoph Franceschini aus. Wer dahinter steht, weiß ich nicht.“

SEL-Direktor Maximilian Rainer in einer E-Mail an Landesrat Michl Laimer

Vorwort: Ein Südtiroler Sittenbild

Es ist ein Bild, das den Beginn einer neuen politischen Ära symbo­lisiert. Auf der Bühne des Meraner Kursaals stehen zwei junge Männer dicht beisammen und genießen den Applaus der über tau­send Delegierten. Der 28-jährige Philipp Achammer ist kurz zuvor mit einer überwäl­tigenden Mehrheit von 94,43 Prozent der Delegiertenstimmen zum neuen SVP-Obmann gewählt worden. Die Südtiroler Volkspartei kürt nun auf ihrer 60. Landesversammlung an diesem 3. Mai 2014 den jüngsten Parteiobmann ihrer langen Geschichte. Neben Achammer steht aber der eigentliche Star dieses Tages: Arno Kompatscher. Kompatscher wurde fünf Monate zuvor mit 42 Jahren zum neuen Landeshauptmann gewählt. Auch er ist der bisher Jüngs­te im höchsten politischen Amt des Landes. Bei den Landtagswah­len am 27. Oktober 2013 hat der damalige Völser Bürgermeister mit 81.107 Vorzugsstimmen einen überwältigenden persönlichen Triumph eingefahren. Dieser Erfolg rettet die Volkspartei vor einem histori­schen Wahldebakel. Arno Kompatscher und Philipp Achammer sind die Gesichter einer politischen Wende. Einer Wende, die so eigentlich nie vorgesehen war. Denn an diesem Samstagvormittag sitzen unter den frenetisch applaudierenden Delegierten im Meraner Kursaal mindestens drei Dutzend hohe SVP-Funktionäre beiderlei Geschlechts, die alles ge­tan haben, damit das Duo Kompatscher/Achammer nicht dorthin kommt, wo es an diesem Tag steht. Auch wenn sich viele der Hauptakteure heute demonstrativ als glü­hende Kompatscher-Anhänger der ersten Stunde gebärden, gibt es zwischen 2011 und 2013 doch konkrete personelle Pläne, politische Abmachungen und genaue Schlachtordnungen, wie man das Südti­roler Machtgefüge in der Nach-Durnwalder-Ära aufteilen will. Viele der treuesten Diener Luis Durnwalders sehen endlich ihre Stunde gekommen. Manche können es fast nicht mehr erwarten, den Platz des politischen Übervaters, der 25 Jahre lang das politische Gesche­hen Südtirols bestimmt hat, endlich einzunehmen.

Luis Durnwalder und Arno Kompatscher: Politische Wende (Foto: Othmar Seehauser)

Südtirol ist aufgeteilt in politische Seilschaften und finanzielle Inte­ressengemeinschaften, die sich daran machen, ihre Macht zu kon­solidieren und noch auszubauen. Es gibt nur eines, was diese Inter­essengruppen fürchten wie der Teufel das Weihwasser: das Wort Erneuerung. Denn politische Erneuerung bringt das Machtgefüge nachhaltig durcheinander. Ein perfekt austariertes und geöltes System muss sich dann mit neuen Variablen auseinandersetzen. Variablen, die unbe­kannt und daher unberechenbar sind. Sowohl in der Politik als auch beim Geschäftemachen goutiert man solche Unwägbarkeiten nicht. Deshalb wird einer zum Durnwalder-Nachfolger auserkoren, der von der Optik her zwar als neu verkauft werden kann, inhaltlich aber ein Garant dafür ist, dass alles so weitergeht wie im Jahrzehnt zuvor: Richard Theiner. Der Vinschger Landesrat, politisch alles andere als ein Schwergewicht, hat in diesem Sinne als SVP-Obmann seine Feuertaufe bestanden. Theiner darf im Scheinwerferlicht glänzen, während hinter den Kulissen andere lenken und ihre privaten Ge­schäfte machen. Genau dieses Modell soll nun auf die Landesregie­rung übertragen werden. Die echte und auch gefürchtete Erneuerung personifiziert Arno Kompatscher. Besagte Machtblöcke versuchen deshalb alles, um den politischen Aufstieg des jungen Bürgermeisters zu verhindern. Phi­lipp Achammer hingegen steht erst gar nicht auf ihrer Agenda. Der Plan wäre wahrscheinlich auch aufgegangen; doch dann kommt es zu einem Skandal, der das vorbereitete Politdrehbuch völlig durch­einanderbringt: der SEL-Skandal. Die Aufdeckung der größten Affä­re im Nachkriegssüdtirol verschiebt das politische Koordinatensystem inn- und außerhalb der Volkspartei. Dieser Fall macht die politische Wende im Land erst möglich. 

Christoph Franceschini, geboren 1964 in Eppan, Journalist und Dokumentarfilmer. Studierte Geschichte, Philosophie und Politikwissenschaften an der Universität Innsbruck, reichte Diplomarbeit aber nie offiziell ein. Autor mehrerer Fernsehdokumentationen (Claus-Gatterer-Preis für die Doku „Bombenjahre") und einer der am besten vernetzten politischen Journalisten Südtirols. Seit 1984 freier Mitarbeiter des Rai Senders Bozen. 1996 bis 2013 Redakteur bei der Neuen Südtiroler Tageszeitung. In Eppan seit zehn Jahren in der Bürgerliste aktiv.

Der SEL-Skandal ist eigentlich ein Konglomerat aus verschiedenen Affären. Im Zentrum steht der größte öffentlich gewordene Betrug der Südtiroler Nachkriegsgeschichte: der Schwindel um die Vergabe von über einem Dutzend Konzessionen für Südtiroler Großkraftwer­ke. Die Werte, um die es dabei geht, lassen die Dimension erahnen: über eine Milliarde Euro. Der Anfang allen Übels ist, dass man bei der Konzessionsvergabe eine Konstellation zugelassen hat, bei der das Land faktisch gleich­zeitig Schiedsrichter und Spieler auf dem Spielfeld des Stromge­schäfts ist. Allein die personelle Vernetzung und die politischen Ab­hängigkeiten zwischen Landesregierung und SEL, vor allem aber die simple Tatsache, dass die SEL dem Land Südtirol gehört, hätten von vorneherein klar machen müssen, dass es so niemals zu einem fairen Wettbewerb kommen kann. Wer aber in Südtirol rechtzeitig darauf hingewiesen hatte, wurde als lästiger Unruhestifter abgekanzelt. Das Ergebnis sehen wir heute. Der zweite Hauptstrang des Skandals sind die Machenschaften um das Mittewalder Kleinkraftwerk der Stein an Stein Italia GmbH. Es ist der Versuch öffentlicher Verwalter, über ein Umweggeschäft in die eigene Tasche zu wirtschaften. Dass dieser Fall im Umfeld der SEL nur die Spitze des Eisbergs ist und es andere solche Aktionen gibt, wird in diesem Buch detailliert dargestellt. Teil des SEL-Skandals sind aber auch die Treuhandermittlungen, in die höchste Landespolitiker verwickelt sind, sowie die Versuche, privaten Konkurrenten auf dem Stromsektor durch Erpressung und finanzielle Daumenschrauben den Garaus zu machen sowie kommu­nale Energiebetriebe durch politischen Druck in die Knie zu zwingen. Auch die systematische Ausgrenzung einer oppositionellen und parla­mentarischen Kontrolle und die Verschwendung von Steuergeldern für politische Verschleierungsaktionen gehören dazu. Beteiligt ist nicht zuletzt auch ein Netzwerk von Direktoren, Präsidenten, Beratern und echten oder vermeintlichen Fachleuten, für die „Interessenkon­flikt“ ein Fremdwort ist. Öffentlicher Auftrag und private Interessen werden vermischt. Auf der einen Seite kassiert man für Aufträge von der SEL Millionenhonorare, auf der anderen Seite betreut man die privaten Anliegen der Hauptakteure als Wirtschaftsberater oder An­walt. Getanzt wird hier auf allen Hochzeiten, und zwar gleichzeitig. Ein gemeinsamer Nenner all dieser Affären ist die Unverfrorenheit, mit der die Hauptakteure vorgehen. Manche öffentliche Verwalter sind sich bei den illegalen Machenschaften, bei den Mauscheleien und bei den Straftaten so sicher, dass sie eine Arroganz und Selbst­überschätzung an den Tag legen, die man sonst nur von Vertretern der organisierten Kriminalität kennt. 

Christoph Franceschini, SELfservice, Raetia Verlag, Erscheinungstermin 10.11.2014, Online Preis und Buchhandel 17,90 Euro, 356 Seiten, ISBN: 978-88-7283-500-5

 
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Maria Theresia… Mo., 10.11.2014 - 22:18

Chaupeau, Herr Franceschini. Danke für die mutige politische Aufklärungsarbeit in Südtirol. Ihr Buch vermutlich ein Bestseller, eine Empfehlung unter den Christbaum.
Werd ich morgen kaufen, Pflichtlektüre.

Mo., 10.11.2014 - 22:18 Permalink