Politik | Russland

Die Ukraine, die Krise und wir

Der russische Honorarkonsul Bernhard Kiem über Südtiroler Beziehungen nach Russland, den Einfluss der Ukraine-Krise und wie das Autonomie-Statut nach Moskau kam.

Herr Kiem, wie kam es dazu, dass ein russisches Honorarkonsulat 2010 in Bozen gegründet wurde und was sind Ihre zentralen Aufgaben? 

Mit der Idee, ein Honorarkonsulat in Bozen für die Region Trentino-Südtirol zu gründen, kam 2004 ein russischer Diplomat auf mich zu. Ich willigte ein und 2010 war es dann soweit. Meine Aufgabe ist primär die Unterstützung russischer Staatsbürger in der Region Trentino-Südtirol sowie die Verbesserung der bilateralen Beziehungen. Honorarkonsulate sind der verlängerte Arm der Botschaft und damit Institutionen, die den Staat selbst vertreten. Immerhin leben allein in Italien etwa 700.000 russische Staatsbürger. Ich habe für meine Aufgabe zwar einen semidiplomatischen Status, arbeite aber als Volontär. Das heißt, hauptberuflich bin ich Unternehmer, ich zahle mein Büro in Bozen und meinen Benzin selbst. 

Wie haben sich die bilateralen Beziehungen mit Russland entwickelt, nachdem das Honorarkonsulat entstanden ist? 

Es ist viel passiert! Viele Südtiroler Betriebe haben in Soči mitgearbeitet, die Region Trentino-Südtirol exportiert 26.000 Tonnen Äpfel im Jahr nach Russland – derzeit ist das nicht möglich, aber der Markt ist da. In der Hochsaison fliegen heuer zwischen Verona und Moskau vier Maschinen täglich. Südtiroler Tourismusverbände und Skigebiete haben angefangen, in Russland direkt Werbung zu machen, der Kronplatz etwa oder auch Dolomiti Superski. Zum ersten Mal haben wir dieses Jahr die „Russian Card“ eingeführt. Russische Gäste erhalten sie, wenn sie in einem der 60 teilnehmenden Hotels einchecken. Darauf steht eine Notrufnummer, unter der in russischer Sprache geantwortet wird. Das Projekt ist mit den Notrufzentralen in Südtirol und dem Trentino abgesprochen. Wir werden mittlerweile auch direkt von diesen kontaktiert. 

Inwiefern haben die Ukraine-Krise, die EU-Sanktionen und das russische Import-Verbot in den vergangenen Monaten die Region Trentino-Südtirol beeinflusst?

Grundsätzlich beeinflusst das Import-Verbot die Südtiroler Wirtschaft – immerhin betrifft es Obst, Gemüse, Milch und Fleisch. Ausnahmen sind laktosefreie Produkte, weil es sie in Russland nicht gibt, sowie Speck. Die russischen Supermärkte betrifft das kaum, oftmals sind sie mit Produkten aus China gefüllt. Hier müssen wir aufpassen, keine Kunden zu verlieren. Eine Folge des Importverbots war auch die Entwertung des Rubels. Das spüren wir im Tourismus. In Südtirol haben wir sehr gute Hotelstrukturen, unser Zielpublikum ist der Luxusgast sowie der Mittelstandsgast. Ersterer lässt sich nicht beeindrucken, zweiterer überlegt: Er zahlt den doppelten Preis und wählt daher ein billigeres Hotel. Pauschaltouristen werden wir hingegen wesentlich weniger haben – sie können es sich so nicht leisten. Pauschaltourismus haben wir in Südtirol kaum, im Trentino dagegen beklagt man sehr hohe Einbußen. 

"Diese Junta-Regierung hat in der Ukraine die russische Sprache verboten, die russischen Schulen verboten und die russisch-orthodoxe Kirche verboten. Denken Sie an Südtirol: Was würde bei uns passieren, wenn der italienische Staat so etwas tun würde?"

Wie beeinflusst diese Situation konkret Ihre Arbeit? 

Ganz einfach: Es ist im Moment kaum möglich, Geschäftsbeziehungen zu knüpfen. Was wir aber in die Hand genommen haben: Das Südtiroler Autonomie-Statut wurde noch vor dem Krim-Referendum ins Russische übersetzt und nach Russland geschickt. Es wurde dort sehr positiv aufgenommen – vom Duma-Präsidenten Sergej Naryškin etwa. Es soll geprüft werden, ob das Autonomie-Statut auf den Donbas (derzeit umkämpfte Region im Osten der Ukraine, Anm.) angewendet werden kann. Unterstützung bekommen haben wir diesbezüglich auch vonseiten der Provinz sowie von Alessandro Bertoldi, der als Wahlbeobachter 2014 während des  Krim-Referendums und auch während der Parlaments-Wahlen im Donbas im Oktober vor Ort war. 

(Anm.: Die Beobachtungsmission, an der Bertoldi beteiligt war – wie übrigens auch Johann Gudenus und Johannes Hübner, beide Mitglieder der österreichischen, rechtspopulistischen FPÖ –  war vom EODE initiiert, dem Eurasian Observatory for Democracy and Elections. Die OSZE, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, verweigerte eine Beobachtungsmission, nachdem das Referendum als rechtswidrig angesehen wurde.)

Wie kommt es, dass Russland eine derart wichtige Rolle auf ukrainischem Territorium spielt, dass es darüber urteilt, ob das Autonomie-Statut dort anwendbar ist? 

Ich glaube nicht, dass Russland in der Ukraine eine wichtige Rolle spielt. Sowohl die OSZE als auch die EU sagen bis heute, dass es keine Beweise für Waffenlieferungen vonseiten Russlands gibt. 

Putin hat selbst im Interview mit dem ARD-Journalisten Hubert Seipel zugegeben, dass Soldaten auf der Krim waren, die das Referendum überwacht haben. Was hat es mit diesen militärischen Kräften auf sich?

Die Soldaten auf der Krim sind wegen der russischen Schwarzmeerflotte seit 1992 in Simferopol' stationiert. 

Während des Referendums klang aber durch, dass Soldaten ohne Hoheitszeichen auf der Krim stationiert waren – wie das? 

Davon weiß ich nichts. Fest steht, dass die Stationierung russischer Soldaten auf der Krim völkerrechtlich verankert ist – die sind nicht einfach gekommen, wie uns das die Medien weismachen wollen, sondern sind seit zwanzig Jahren dort. Und eines muss man sagen: Auf der Krim ist heute Frieden. Die Bewohner haben sich einen russischen Pass geholt und viele haben mir gesagt, sie seien nun endlich heimgekehrt. 

Sehen das die Krimtataren auch so? 

Die Krimtataren haben am Referendum genauso teilgenommen wie alle anderen Bürger der Krim. 

Waren die Krimtataren nicht zum Wahlboykott aufgerufen?  

Die Wahlbeteiligung lag bei 97 Prozent. Verstehen Sie mich nicht falsch: Die Situation, wie wir sie jetzt haben, ist furchtbar. Wenn ich mit Leuten in Russland über den Donbas rede, kommen ihnen die Tränen. Ukrainer und Russen sind Brüder, die Spannungen, die da hineingekommen sind, werden von außen geschürt. 

Wie sind diese Spannungen ihrer Ansicht nach entstanden? 

Diese Spannungen sind entstanden nachdem der ukrainische Staatspräsident (Janukovič, Anm.) widerrechtlich von der Junta – so nenne ich es – von der Junta-Regierung entmachtet wurde. Diese Junta-Regierung hat in der Ukraine die russische Sprache verboten, die russischen Schulen verboten und die russisch-orthodoxe Kirche verboten. Denken Sie an Südtirol: Was würde bei uns passieren, wenn der italienische Staat so etwas tun würde? 

Letztendlich wurde dies aber nie umgesetzt.

Ja, das Gesetz wurde wieder zurückgenommen, aber es war der Auslöser für den Schockzustand. Ganz klar, niemand hat hier alles richtig gemacht – das müssen wir uns vor Augen halten. 

Bild
Profil für Benutzer Sepp.Bacher
Sepp.Bacher Di., 13.01.2015 - 11:35

Es wird von einem Südtiroler - zwar mit russischer Frau - schon Mut brauchen, um die Position Putins 1:1 bei uns wieder zu geben - zu vertreten, aber gut-heißen kann man sie nicht. Sicher sind wir mit Informationen und Meinungen der Ukrainischen Propaganda überschwemmt, da der Westen anscheinend strategische Interessen in der Ukrainer verfolgt. Aber die Situation nur in Schwarz oder Weiß darzustellen genügt auch nicht . Meistens ist die Realität differenzierter und bunter - sicher auch jene in der Ukraine, auf der Krim und im Dombas.
Wenn Herr Kiem behauptete, die russischen Soldaten - die Schwarzmeertruppe - waren schon vorher auf der Krim. Dann frage ich ihn, warum sie dann nicht auch in der ihr eigenen Uniform aufgetreten sind.
Was mich unabhängig von ober Beschriebenem noch interessiert: Aus welchen Interesse vertritt Herr Kiem ehrenamtlich als Konsul Russland und halst sich Spesen (Büromiete usw.) auf und opfert Arbeitszeit? Kann er von Geschäftskontakten profitieren, dass sich das dann ausgleicht? Kann er sich in Russland Vorteile für irgendwelche Geschäfte ausrechnen? Aus welchem Interesse exponiert er sich?

Di., 13.01.2015 - 11:35 Permalink