Gesellschaft | Gastbeitrag

Visionen für unser Land

Stephan Lausch zieht Bilanz: 20 Jahre Initiative für mehr Demokratie. Was ist Illusion und was ist berechtigte Hoffnung? Ein Gastkommentar.

„Die Zerstörung aller Illusionen ist die Bedingung für jede wirkliche Veränderung.“
(Erich Fromm)

Für mich hat sich in den letzten Wochen endgültig eine schwache Hoffnung als Illusion erwiesen. Der zwanzigjährige Weg für eine gute Regelung der Direkten Demokratie ist zur Erfahrung geworden, dass eine Weiterentwicklung der Demokratie in diesem politischen System nicht möglich ist und wir grundsätzlicher ansetzen müssen!

Wir haben versucht, eine Vervollständigung der Demokratie mit den vom politischen System gebotenen Möglichkeiten und unter seinen Bedingungen zu verwirklichen. Um ein Weniges ist es uns 2009 auch gelungen – dann aber waren die Vertreter des politischen Systems alarmiert und haben, kurz vor der ersten landesweiten Volksabstimmung 2009, das einzige vorhandene institutionelle Fenster geschlossen. Ab da konnten wir nur noch auf die Einsicht der politischen Vertretung setzen.

Bis 2013 war ausdrücklich Durnwalder schuld, dass eine gute Regelung der DD nicht möglich war. So hat es, wiederholt, Arnold Schuler zu verstehen gegeben. Und nun, wer ist jetzt schuld? Neue Ansätze sind da: der bis jetzt parteiübergreifende Ansatz des Gesetzgebungsausschusses (GGA) und seine Öffnung zum Gespräch mit der Zivilgesellschaft. Deren Wert ist aber allein abhängig vom Ziel und vom Zweck, die damit verfolgt werden. Über Ziel und Zweck kann es jetzt noch kein abschließendes Urteil geben, aber einiges deutet darauf hin, dass sich die Haltung nicht geändert hat. Die klare Ablehnung der beratenden Volksabstimmung über den Vorschlag des GGA und unseren Entwurf spricht eine klare Sprache. Man will sich nicht mehr mit unseren Vorstellungen von einer guten Regelung messen und mit ihnen konfrontiert sein. Das Ziel ist nicht eine wirklich gute Regelung, sondern weiterhin der Kompromiss innerhalb der SVP.

Der Bevölkerung ist vor den Wahlen eine Erneuerung versprochen worden. Viele haben darauf gehofft, andere haben das gleich schon als Wahlwerbung abgetan. Eine Erneuerung ist schon da, aber es ist nur eine Erneuerung der Methode, mit der das Zustandekommen politischer Entscheidungen präsentiert wird, nicht aber eine Erneuerung in der politischen Ausrichtung. Dafür gibt es wirklich viele Beispiele.

Ich habe keine Erwartungen mehr an diese politische Vertretung und an diese Scheindemokratie. Wir leben in einer Elitenherrschaft, in einer Oligarchie. Die Hälfte der Bevölkerung hat keine Lust mehr in diesem politischen Spiel mitzuspielen und jene, die bei Wahlen noch mitmachen, tun das mehrheitlich nicht aus Überzeugung, sondern nur um schlimmeres zu vermeiden. Wir stehen am Ende eines politischen Systems, einer unfertigen Demokratie, die wie ein unfertiges Haus schutzlos den widrigsten Einflüssen ausgesetzt ist.

1994 war ich überzeugt, dass „eine umwelt- und sozialverträgliche Entwicklung“, dass die „ökologische Wende“ nur möglich sein wird, wenn es uns Bürgerinnen und Bürgern gelingt, die Rahmenbedingungen für die zukünftige Entwicklung bestimmen zu können, also zu Gesetzgebern zu werden und die uns vertretenden Gesetzgeber direkt kontrollieren zu können. 20 Jahre später bin ich immer noch davon überzeugt, dass dieser Weg der richtige war, auch wenn wir das Ziel in so langer Zeit nicht erreicht haben. Es war der richtige, weil er dahin geführt hat zu sehen, was im Grunde notwendig ist: eine demokratische Neugründung unseres Landes.

Die geltende politische Ordnung wurde von einer kleinen Elite vorgegeben und immer mehr ihren Interessen angepasst. Es ist ihre Ordnung, eine Ordnung im Sinne der Wenigen, nicht eine von uns Vielen. Wir Bürgerinnen und Bürger waren und sind nicht beteiligt am Entwurf dieser Ordnung und an ihrer Ausgestaltung. Die Erneuerung, die stattfinden muss, erwarten wir vergebens von denen, die von ihr profitieren, sie muss von uns Bürgerinnen und Bürgern kommen. Die einzige wirkliche Erneuerung ist die Neugründung unserer demokratischen Gesellschaftordnung durch uns selbst.

Wären wir ein Schweizer Kanton, dann könnten wir jetzt die Totalrevision der Verfassung verlangen, aber das hätten wir dort ja nicht nötig. Hier wird man uns mit dem Südtirol-Konvent neue Grundlagen und Perspektiven für die Zukunft vorgaukeln, sie bleiben im Rahmen der herrschenden politischen Ordnung, die keine Souveränität für die Bürger kennt. Das System blockt, es stockt, es fällt langsam in sich zusammen. Wir müssen es umfahren, wir dürfen nicht mit falschen Erwartungen in ihm hängen bleiben. Wenn wir wollen ist das möglich: mit der Einrichtung einer verfassungsgebenden Versammlung.

Sie soll von uns Bürgerinnen und Bürgern nominiert werden und mit uns zusammen an einem Verfassungsentwurf für Südtirol arbeiten. Das Ergebnis dieser Arbeit, für die es über Island bis Equador weltweit Beispiele gibt, wird zeigen, ob die Ordnung, die wir für uns als die beste ansehen, im italienischen Verfassungs- und Rechtsrahmen Platz haben kann. Wenn nicht, dann wird sie die Grundlage sein für eine neu zu definierende Eigenständigkeit unseres Landes.

Die politische Ordnung, in der wir Bürgerinnen und Bürger wirklich souverän sind, können wir nur in kleinen, übersichtlichen Territorien schaffen, in großen Einheiten wie Staaten und Staatenbünde werden es immer nur Eliten sein, die sich Ordnungen in ihrem Interesse zurechtlegen. Goethe hat sich von dieser Erkenntis in seinem Weimarer Projekt leiten lassen. Immer mehr werden Menschen in Europa an solchen Neugründungen zu arbeiten beginnen. Nur so kann auch ein neues Europa entstehen. Wir werden uns gegenseitig anregen und unterstützen und Beispiel sein. Wir haben gehört: das Trentino macht sich gemeinsam mit uns auf den Weg. Ladinien wird hellhörig werden, das Cador, Carnia, Valtelina, in Aosta regt es sich auch schon. Und neben uns haben wir das lebendige Beispiel dafür, wie es aussehen könnte: ein föderativer Bund souveräner Kantone, ein jeder mit Verfassungshoheit, in einem jeden bestimmen die Menschen über ihr Grundgesetz, passen es an neu gewachsene Überzeu gungen, Einsichten und Notwendigkeiten an, entscheiden selber oder kontrollieren alle Regeln, die in ihrem Namen beschlossen werden, stehen die Institutionen nicht Kopf, wie bei uns, sondern auf dem Boden der Gemeinden, legen sich die Bürger selbst ihre Steuern fest. Alpine Konföderation, Confederazione Alpina, Confederaziun Alpinia könnte der neue Bund heißen. Das wäre eine Arbeit an überzeugenden-, befriedigenden und dauerhaften Grundlagen.

Wir müssen aber auch an der Umsetzung arbeiten. Die Illusionen sind dahin, wir müssen uns auf die nächsten Wahlen vorbereiten. Nicht eine Partei werden, das ist klar, aber den Menschen im Land die Möglichkeit geben, Menschen zu wählen, die sie selber wählen wollen können, das ist möglich. Menschen wählen können, die bereit sind, unter selbstbestimmten Bedingungen (Mandatsbeschränkung, Entlohnung, Arbeitsweise), die notwendige Demokratiereform innerhalb einer Legislatur zu verwirklichen.

„Menschen können zu verändernden Handlungen nur motiviert werden, wenn sie Hoffnung haben, und sie können nur Hoffnung haben, wenn es eine Vision gibt und sie können nur eine Vision haben, wenn man ihnen Alternativen zeigt.“ (Erich Fromm)

Eine Landesordnung, eine Landessatzung, eine Landesverfassung ist eine solche Alternative!

Stephan Lausch, März 2015

 

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Jörg Bauer Mo., 23.03.2015 - 22:35

Stephan Lausch als Kopf und Sprecher der Initiative für mehr Demokratie, Bozen bringt die politische Situation im Lande auf den Punkt: > nach Abgang des Despoten Durnwalder regiert der Hoffnungsträger Arno Kompatscher mit einer geschwächten Mehrheitspartei aus Unbedarften und befleckten Altmandataren - ohne Profilierung der autonomen Befugnisse - ohne erkennbare Bereitschaft zu mehr demokratischer Bürgermitsprache / Bürger-mitentscheidung bei Grundsatzentscheidungen - ohne solidarische Öffnung für soziale Belange - sehrwohl aber unter dem Druck der Wirtschaftlichs-Lobbies und Wahrung der parteilichen Machterhaltung samt ihrer Privilegien. Weitere skandalöse politische Fehlentscheidungen häufen sich ( Sanität, Finanzen, Bauleitkonzepte, Energie ) zu Lasten des Volksetats. Die Mehrheit der Bevölkerung im Lande leidet unter der parlamentarischen Machtmonokratie von oben, deren politische Verantwortung - ohne Einbindung der Bürger-Mitentscheidung durch ein faires direktdemokratisches Gesetz in nächster Zukunft - für Südtirols Zukunftsperspektiven untragbar wird.

Mo., 23.03.2015 - 22:35 Permalink
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Martin Daniel Di., 24.03.2015 - 12:39

Ja, Lausch sagt es ganz richtig: Wir leben in einer Oligarchie (und einer Plutokratie, würde ich hinzufügen), in der sich die Machthaber die Regeln so zurechtrücken, wie es ihnen und ihren Cliquen dienlich ist. So interveniert man in Rom so lange, um nicht in Südtirol die Gehaltsdeckelungen der staatlichen Regelung übernehmen zu müssen, die den Landtagspolitikern kein höheres Salär als jenes des bestbezahlten Bürgermeister der Region/Provinz zugesteht (und dies obwohl unsere BM die bestbezahlten Italiens sind: Spagnolli kriegt 12.000 brutto, Roms BM 5.000 netto); auch die zwingende Monti-Gehaltsreduzierung für den Landeshauptmann ist noch ausständig und wird wohl nie umgesetzt werden; während man die kleinen Gemeinderäte reduziert (Anlass war die Unregierbarkeit der großen Städte!) und den Räten und Referenten die beruflichen Freistellungen nimmt, wird hinter den Kulissen die Pensionsabsicherung für die BM vorbereitet. Im Grunde wird eine breite Beteiligung der Bürger unterdrückt und die Position der Berufspolitiker weiter gestärkt. Schaut euch auf den Homepages von Gemeinden/Bezirken deren Gehälter und Spesenvergütungen an, da sind gar einige Dorfhäuptlinge auch dank ihrer Posten in Verwaltungsräten und Bezirksgemeinschaften (es wurde ja der Rückzieher bei der Unvereinbarkeit gemacht!) an und über der 100.000er Grenze.
Und ja Lausch hat auch recht, dass die Eliten im Eigeninteresse handeln. Wer heute noch glaubt der BBT sei eine verkehrspolitische Angelgenheit, der weiß nicht, wer alles daran verdient und um welche Summen es da geht. Da werden Steuergelder in private Kanäle gelenkt, dass einem Hören und Sehen vergeht und der LH spricht von der Verkürzung der Fahrtzeit nach Innsbruck!
Nur Lauschs' Hoffnung auf eine Wende teile ich weniger. Viele Leute haben sich ausgeklinkt und die anderen werden von der Propagandamaschinerie (Medien, "Infostelle", "Show-Room", "Umfragen") derart eingelullt, dass sie in einer Volksabstimmung für jede dargebotene Shoppingmeile stimmen würden.

Di., 24.03.2015 - 12:39 Permalink
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Benno Kusstatscher Mi., 25.03.2015 - 12:26

Auch wenn der Begriff der "alpinen Konföderation" treffend scheint, ist er historisch nicht ganz unbelastet und evtl. problematisch. Stichwort Otto Feger bzw. Bernhard Dietrich.

Mi., 25.03.2015 - 12:26 Permalink
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Initiative für… Do., 26.03.2015 - 12:55

Antwort auf von Benno Kusstatscher

Da bitte ich um genauere Information. Beide Herren sind mir kein Begriff. Eine schnelle Interneterkundung ergibt mir für Otto Feger nichts Problematisches, zu Bernhard Dietrich kann ich nichts finden. Jedenfalls beruft sich die hier ausgesprochene Idee einer Alpinen Konföderation nicht auf iregendwelche in der Vergangenheit entwickelten Konzepte, sondern orientiert sich am Beispiel der Schweiz.

Do., 26.03.2015 - 12:55 Permalink
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Benno Kusstatscher Do., 26.03.2015 - 17:47

Antwort auf von Initiative für…

Als Nichthistoriker möchte ich mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, aber beide Herren strebten nach einem völkisch-national definierten Territorium mit bajuwarischem/alemannischem/schwäbischem Selbstverständnis. Obwohl die föderale Struktur der Schweiz als Vorbild galt, sollten sich eben die deutschsprachigen Gebiete von der Schweiz trennen, um sich der "Alpinen Konföderation" einzugliedern. Teile Österreichs ebenso, wobei Feger sich auf das alemannisch-schwäbische konzentrierte (und letztendlich in abgeschwächter Form das Bundesland Baden-Würtemberg erwirkte).

Auszug aus Jürgen Klöcker "Abendland-Alpenland-Alemannien: Frankreich und die Neugliederungsdiskussion in Südwestdeutschland", Oldenburg Verlag 1998:

"Die alpine Konföderation hätte das Kernstück des christlichen Abendlandes zu bilden, folgerichtig ließ er (B.Dietrich ndr.) seine Ausführungen mit dem Ausruf 'Mit Gott ins neue Vaterland' enden."

Wir sprechen wohlbemerkt von den frühen Nachkriegsjahren.

Do., 26.03.2015 - 17:47 Permalink