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Vormarsch der Rechten in Europa

Rechtspopulistische und rechtextreme Parteien bringen die EU zum Zittern

Und schon wieder ein Erdrutschsieg! Nach Marine Le Pen in Frankreich und der Strache-FPÖ in Österreich ist jetzt die „Dänische Volkspartei“ bei den Parlamentswahlen mit 21 Prozent zur zweitstärksten Kraft im Lande geworden. Bei der letzten Wahl zum EU-Parlament war sie mit 26,6 Prozent sogar Nummer Eins geworden.

Anti-Islam, Anti-Einwanderung, Anti-EU und verstärkt soziale Themen sind das Erfolgsrezept – in Dänemark ebenso wie in den anderen Ländern. Und obwohl die bürgerlichen und liberalen Parteien Dänemarks große Stimmenverluste hinnehmen mussten, werden sie dank der Unterstützung durch die als „gemäßigt rechtsextreme“ eingestufte Dänische Volkspartei wohl die nächste Regierung stellen.

Schicksalsjahr für die EU

2015 könnte ein Schicksalsjahr für die EU werden.  Ein Drittel der EU-Bürger war oder ist in diesem Jahr zu den Urnen gerufen: Präsidentenwahlen, Parlaments- und Regionalwahlen unter anderem in Griechenland, Großbritannien, Spanien, Frankreich, Italien, Polen, Portugal und Dänemark – ein EU-Superwahljahr.

Die Bilanz dieses Superwahljahres zur Jahreshälfte ist zumindest ernüchternd:

1. Bei so gut wie allen Wahlgängen ist die Wahlbeteiligung drastisch eingebrochen – zwischen 10 und 15%. Ausdruck des Vertrauensverlustes in „die Politker“ allgemein und eines Fehlens glaubhafter Zukunftsvisionen, die die Bürger motivieren könnte, zu den Urnen zu gehen.
2. Mit wenigen Ausnahmen haben die traditionellen Volksparteien – Sozial- und Christdemokraten – Federn lassen und krasse Niederlagen einstecken müssen.
3. Haben populistische Protestbewegungen die politische Szene dominiert.

EU-Skeptiker ist nicht gleich EU-Feind

Dabei muss man eine sehr wichtige Unterscheidung treffen. Die Erfolge der sehr linkslastigen Syriza in Griechenland oder der Indignados und Podemos bei den jüngsten Wahlen in Spanien sind keinesfalls rassistisch, fremdenfeindlich und gegen die EU gerichtet. Sie wollen in der EU und im Euro bleiben, verlangen aber eine „Korrektur“, eine „andere, sozialere, gerechtere EU“. Das ist ein ganz wesentlicher Unterschied zu all den rechten bis rechtsextremen Kräften in Europa, die ganz offen einen Austritt aus dem Euro und der EU und eine Rückkehr  zur „nationalen Souveränität“ fordern.

EU-Feindlichkeit – der Trend nimmt zu

Man sollte nicht vergessen, dass ein Drittel sämtlicher Abgeordneten im EU-Parlament EU-skeptischen oder gar offen EU-feindlichen Formationen angehört. Ein Paradox? Nein. Die charismatische Führerin des französischen Front National (FN), Marine Le Pen, erklärt bei jeder Gelegenheit, sie sitze nur im EU-Parlament, um die EU „von innen her zu demontieren“. Und damit hat sie immerhin bei den letzten beiden wichtigen Wahlen jeden vierten Wähler für sich gewinnen und den FN in die Position der zweitstärksten Partei Frankreichs hieven können. Dabei hat die Spätvierzigerin eine grundlegende Veränderung der Partei vorgenommen, seit sie das Erbe des Parteigründers Jean-Marie Le Pen übernommen hat. Schluss mit den Glatzköpfen und Schlägern bei ihren Veranstaltungen, Schluss mit den antisemitischen Rülpsern ihres Vaters. Ja, sie hat sogar den Vatermord gewagt. Sie hat seinen De-Facto-Parteiausschluss durchgesetzt, weil er wiederholt mit seinen provokanten Äußerungen („die Gaskammern waren nur ein Detail der Geschichte“) ihren Erneuerungsprozess in Richtung Salonfähigkeit sabotierte.

Die neuen alten Themen der Rechten - Antikapitalismus

Marine Le Pen hat längst verstanden, wo sie weitere Wähler abholen kann: bei sozialen Themen, vor allem seit der anhaltenden Finanz- und Wirtschaftskrise. Sie versäumt keine Gelegenheit, um eine Philippika gegen die spekulativen Geschäfte der Finanzindustrie, gegen die großen multinationalen Konzerne, gegen die überbezahlten Manager, gegen die Steuerparadiese und die Steuerhinterziehung im großen Stil zu reiten.  Jeder Satz Marine Le Pens könnte vom Programm der globalisierungskritischen Organisation attac, von occupy wallstreet, von der spanischen Podemos oder der griechischen Syriza abgeschrieben sein! Mit einem doch sehr wesentlichen und grundsätzlichen Unterschied: für Le Pen liegt das Heil in einem „Zurück zur Nation“ und nicht in der Forderung nach mehr Finanzkontrolle, nach einer Finanztransaktionssteuer, nach Vermögens- und Erbschaftssteuern und einer demokratischeren EU wie bei den Linksradikalen. Neben ihren seit Jahren klassischen Themen – Ausländer `raus, gegen die Islamisierung Europas, unsere Bürger zuerst, mehr Polizei, eventuell sogar Wiedereinführung der Todesstrafe etc. – haben die extremen Rechten die antikapitalistische Propaganda im Stil der 1920er Jahre wieder entdeckt. „Banken zur Kasse - statt die breite Masse“ lautete schon vor etlicher Zeit ein Haupt-Slogan der österreichischen FPÖ – sie bezeichnet sich nicht zufällig als die „Soziale Heimatpartei“.

Die rechten Nationalisten im Vormarsch – kann die EU dem standhalten?

Die Liste der rechtspopulistischen bis rechtsextremen Bewegungen und Parteien in Europa ist lang. Ungarn ist gerade dabei einen 175 Kilometer langen und 4 Meter hohen Stacheldrahtzaun entlang der serbischen Grenze zu errichten, um Flüchtlinge und Migranten abzuhalten. Und die Regierungspartei FIDESZ mit Premierminister Viktor Orbán geht fast täglich an die Grenzen einer mit den Werten der EU noch vereinbaren Politik – soweit, dass sich Kommissionspräsident Junker gezwungen sah, Orban zu warnen: wenn er in Sachen Todesstrafe nicht zurückstecke, drohe der Ausschluss aus der Union – schon sehr drastisch. Zudem floriert an der rechten Seite der FIDESZ die rechtsextreme „Jobbik“ und zwingt Orbán zu weiteren Zugeständnissen.

Skandinavien war einmal Musterschüler für ganz Europa

Die rechtspopulistischen „Schwedendemokraten“ haben im Dezember die sozialdemokratische Regierung gestürzt und dadurch ihre Beliebtheitswerte  von 12 auf 16% steigern können. Nach Rechten in Norwegen sind auch in Finnland die rechtspopulistischen „Wahren Finnen“ als zweitstärkste Kraft in die Regierung gekommen, mit bedeutenden Ämtern: Außen-, Verteidigungs- und Sozialministerium. Und nun der spektakuläre Erfolg der  Dänischen Volkspartei. Der niederländische Islam-Hasser Geert Wilders tourt unterdessen wie ein Popstar als beliebter Gastredner von Wien, über PEGIDA in Deutschland zu antiislamischen Veranstaltungen in den USA.

In Italien hat nach der Implosion Berlusconis „Forza Italia“ die „Lega Nord“ mit  Matteo Salvini einen rasanten Aufstieg erlebt. Ursprünglich unter Umberto Bossi eine auf Separatismus Norditaliens ausgerichtete Bewegung, verwandelt Salvini die Lega längst zur gesamtnationalen Bewegung mit dem französischen FN als Vorbild und Wladimir Putin als Freund. Und er hat bei den jüngsten Regionalwahlen mit Werten zwischen 20 und 50% den Platz als 3. Kraft in Italien errungen und damit Silvio Berlusconi als Führer der Rechten überholt.  Ja selbst die als Basis-Internet-demokratische, anfangs eher linke, „Bewegung der 5 Sterne“  Beppe Grillos ist mittlerweile in Einwanderungs- und EU-Fragen so weit nach rechts gerückt, dass sie bekanntlich im EU-Parlament eine Allianz mit der radikalen britischen UKIP eingegangen ist.

Und sogar in Deutschland, in jenem Land, in dem die Last der Verantwortung für den 2. Weltkrieg und den Holocaust am gründlichsten aufgearbeitet wurde, sehen wir ein Erstarken EU-feindlicher und  fremdenfeindlicher Kräfte, auch wenn derzeit innere Spaltungstendenzen in der AFD und der PEGIDA Schlagzeilen machen – aber das Wählerpotenzial und die Stimmung im Land – gewaltsame Aktionen gegen Asylheime inklusive - bleiben.  Last but not least: in Österreich rangiert die Strache-FPÖ in allen Umfragen zumindest gleichauf mit den beiden traditionellen Volksparteien ÖVP und SPÖ und hat gerade zwei beeindruckende Erdrutschsiege eingefahren.

Gegen Globalisierung, Politiker-Kaste und EU

Gemeinsam ist all diesen Rechten ihre populistische Ausbeutung der Nöte und Missstände, die seit dem Fall der Berliner Mauer die ungebremste und unkontrollierte Globalisierung verursacht hat: enorme Arbeitslosigkeit, Jugend ohne Zukunft, milliardenschwere Bankenrettung bei gleichzeitiger Sparpolitik für Soziales und Bildung, Steuerungerechtigkeit und: die Reichen werden reicher und immer mehr, die Armen ärmer und ebenso immer mehr. Die EU wird dabei als transnationale Bürokratie der Eliten, als der direkte Vollstrecker dieser „verrückt gewordenen Politik“ (Alt-Kanzler Helmut Schmidt) gesehen. Das Heil glauben immer mehr Bürger in einer ängstlichen Rückkehr zur nationalen Souveränität, in der Abschottung nach außen, zu finden. Und eines haben die Wahlen in Dänemark und Österreich auch gezeigt. Die traditionellen Parteien haben angesichts der Hetze gegen Ausländer und Einwanderer durch die Rechten entweder geschwiegen oder haben versucht, sich selbst als die besseren Beschützer des Landes vor dem Ausland zu profilieren. Aber da sind die Wähler lieber zum Schmied als zum Schmiedl gegangen. Schlechte Zeiten für die EU.

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Sepp.Bacher Sa., 20.06.2015 - 16:19

Lorenz, du schreibst: " Ungarn ist gerade dabei einen 175 Kilometer langen und 4 Meter hohen Stacheldrahtzaun entlang der serbischen Grenze zu errichten, um Flüchtlinge und Migranten abzuhalten." Nun ist das nichts Neues und nicht nur einer rechten Regierung anzukreiden. Angefangen hat wohl Spanien, seine nordafrikanischen Exklaven mit einem "Eisernen Vorhang" abzuschotten. Wie es den Spaniern gelingt, den Seeweg über die Straße von Gibraltar für Migranten und Flüchtlinge unpassierbar zu machen, ist mir nicht bekannt. Aber es geschieht und gelingt, sonst müsste Spanien wegen seiner Nähe zu Afrika ja das Einwanderungsland Nr. 1 sein, ist aber eines der Schlusslichter.
Bulgarien und Griechenland haben ihre Grenzen zur Türkei längst auch abgeriegelt und Zäune gebaut. Es wird nur nicht viel darüber berichtet.
Der Rechtsruck in einigen skandinavischen Staaten überrascht mich nicht. Die Bevölkerung lebt in einem sozialen Wohlstand in Ruhe und sozialem Frieden. Sie hat aber Angst, diesen Zustand aufs Spiel zu setzen und zu verlieren. Je mehr die Linken und religiös motivierten Gruppen und Kirchen fordern, den Wohlstand mit Flüchtlingen und Einwanderern zu teilen, denen sogar den gleichen Standard bieten zu wollen, desto mehr ängstliche oder auch neidische Bürger wenden sich den Rechten zu. Angst und Neid sind m. E. Dinge, die man nicht so einfach rational wegdiskutieren kann; man muss sie auch ernst nehmen.

Sa., 20.06.2015 - 16:19 Permalink
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Lorenz Gallmetzer Sa., 20.06.2015 - 18:27

Lieber Sepp Bacher, liebe postings-Schreiber!
Bin überrascht, dass ihr vor allem die Mängel der EU und die Ängste der Europäer betont. Wer wirklich interessiert ist, sich ein genaueres Bild der Lage zu verschaffen, möge sich die Mühe machen und die Artikel folgender links lesen.
VOR ALLEM UMBERTO ECO, der schon vor 25 Jahren in einer seiner "bustine die minerva" mit großem Weitblick alles vorausgesagt hat!!!
http://www.wuz.it/archivio/cafeletterario.it/141/cafelib.htm
Und Eugenio Scalfari in Repubblica:
http://www.repubblica.it/politica/2014/11/23/news/le_nuove_povert_che_b…
Und natürlich der unermüdliche Ankläger und Mahner Jean Ziegler:
http://derstandard.at/1360161035793/Ziegler-Hunger-ist-organisiertes-Ve…
Aber wie sehr die reichen Länder nach wie vor mit neokolonialistischen Methoden den afrikanischen Kontinent ausbeuten, macht jede Unterscheidung zwischen politisch verfolgten Asylwerbern und den "Wirtschaftsflüchtlingen" zum völlig zynischen Selektionsmechanismus.
http://www.zeit.de/politik/ausland/2013-05/afrika-steuerflucht

Sa., 20.06.2015 - 18:27 Permalink
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Harald Knoflach Sa., 20.06.2015 - 19:36

Antwort auf von Lorenz Gallmetzer

du hast völlig recht, was das neo-koloniale gehabe durch westliche konzerne betrifft. ich finde es aber falsch, da eine art "aufrechnung" zu machen. denn das "unwohlsein" der europäer (wenngleich im ungleich geringeren ausmaß als in den meisten afrikanischen ländern) hat doch unmittelbar mit den mängeln der eu zu tun, welche wieder mitverantwortlich für die machenschaften in und um afrika ist (stichworte schleppnetzfischerei, agrarsubventionen, freihandel usw.). im grunde ist das doch ein und dasselbe problem.

Sa., 20.06.2015 - 19:36 Permalink
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Sepp.Bacher Sa., 20.06.2015 - 21:27

Antwort auf von Lorenz Gallmetzer

Lorenz und Sylvia, um es kurz zu machen: auch linke Regierungen haben Zäune gebaut oder Tsipras wird den bestehenden Grenzzaun wahrscheinlich nicht abbauen. Den Flüchtlingen muss geholfen werden. Aber mit Maß und Ziel: sie brauchen das Notwendigste und nicht den gleichen Luxus, den wir z. T. haben. Übertriebene Forderungen erzeugen Neid und spielen der Rechten "in die Hände". Ein Beispiel ist die Forderung Renzis, allen Romas, die in Baracken wohnen, Sozialwohnungen zu geben. Langfristig vielleicht ja, aber unter bestimmten Bedingungen (Bildungspflicht einhalten, Ausbildungen zu machen, Arbeitsplätze zu suchen, Steuern zu zahlen). Ich bin mir der Problematik schon bewusst - es nicht so einfach. Sozialwohnungen muss man aber allen Bedürftigen geben und nicht nur speziellen Gruppen - sonst schlägt das "rechts" aus.

Sa., 20.06.2015 - 21:27 Permalink