Wirtschaft | Saatgut-Verordnung

Appell für die Vielfalt

Am Montag stellt die EU-Kommission ihre neuen Regeln für die Zulassung und Kontrolle von Saatgut vor. Der breite Protest im Vorfeld beweist, dass der Wert kleiner regionale Kreisläufe immer mehr zählt.
Foto: pexels - Jack Sparrow

Vielfalt braucht nur wenig Fläche: Das beweist Elisabeth Kössler auf ihrem ein Hektar großen „Höfl“ im Sarntal.  Unter unzähligen Gemüsesorten, Blumen und Kräutern finden sich hier allein 15 verschiedene Sorten von Salat, 20 Tomatensorten oder zehn unterschiedliche Arten von Bohnen. Vielfach sind es Raritäten, die Kössler teils über biologische Samengärtnereien in Österreich Deutschland und der Schweiz bezieht. Fast die Hälfte ihres Saatgutes vermehrt Kössler allerdings selber oder tauscht es mit anderen Bäuerinnen des Vereins Sortengarten Südtirol und Saatgutvermehrern. „Besonders bei alten Sorten oder Raritäten wird alles weitergegeben, damit es erhalten bleibt“, sagt sie. „Denn wenn mir einmal eine Vermehrung nicht gelingt, ist die Gefahr groß, dass ich die Sorte sonst nicht mehr finde.“

Die Sorge um den Verlust vieler alter und lokaler Obst-, Getreide- und Gemüsesorten steht hinter dem breiten Protest gegen die neue EU-Saatgutverordnung, deren Entwurf am Montag erstmals öffentlich vorgestellt werden soll. War die Produktion und Weitergabe von Saat- und Pflanzgut bisher in verschiedenen EU-Richtlinien geregelt, sollen diese nun in einem Regelwerk vereinheitlicht werden. Die bisher bekannt gewordenen Informationen deuten laut NGOs wie „save our seeds“ oder Arche Noah jedoch in eine klare Richtung: eine weitere Normierung und Bürokratisierung der Produktion und Vermarktung von Saatgut, die sich klar an den Bedürfnissen der großen industriellen Saatgutkonzerne orientiere – und durch die Verpflichtung zu kosten- und bürokratieintensiven Zertifizierungen und Zulassungsverfahren die Vielfalt an regionalen Sorten bedrohe.

Multis haben die Macht 

Denn was als Qualitätsgarantie für die Massenproduktion Sinn machen mag, ist für kleine regionale Produzenten nicht bewältigbar. „Wir haben allein 13 Hofsorten von Roggen, die es nur im Vinschgau gibt“, sagt Konrad Messner von der Interessensgemeinschaft Kornkammer Vinschgau. Nur einige die Sorte zu zertifizieren, wäre bei solch kleinen Produktionsmengen ein unverhältnismäßiger Aufwand. Darüber hinaus ist nicht einmal sicher, ob bestimmte, auf breiter genetischer Basis beruhende Getreidesorten überhaupt amtlich zugelassen würden.

Denn obwohl laut Messner immer noch rund die Hälfte der landwirtschaftlichen Produktion weltweit in kleinen regionalen Kreisläufen passiere, werden die Regeln von den Interessen weniger großer Saatgutproduzenten bestimmt, die ausschließlich Hybridsorten herstellen. Also im Labor gezüchtetes Saatgut, das nur ein Mal trägt und nicht vermehrt werden kann. In Kombination mit der Patentierung des Saatguts führt diese Entwicklung in immer mehr Ländern weltweit zur kompletten Abhängigkeit der Bauern von Saatgut-Multis wie Monsanto, die zusätzlich die für die Industriesorten notwendigen Düngemittel und Pestizide verkaufen. 

Schwindende Vielfalt

Die Folge? Die Vielfalt schwindet. Laut Studien der Welternährungs-Organisation sind seit 1900 rund 75 Prozent der in der Landwirtschaft genutzten Kulturpflanzenvielfalt für immer ausgestorben. „Auch in Südtirol hatten wir einmal 130 Apfelsorten, heute sind es nur mehr die Hälfte“, sagt Messner.  Gerade deshalb beurteilt er es als extrem wichtiges Signal, das in den vergangenen Woche allein in Österreich und Deutschland über Basisinitiativen mehrere 100.000 Unterschriften für den Schutz und die Förderung der Saatgut-Vielfalt gesammelt wurden sind, die morgen der EU-Kommission vorgelegt werden. „Ich glaube nicht , dass die EU-Verordnung nun Anlass zu Panik gibt“, meint er. „Doch sie ist ein wichtiger Anlass, dass die Menschen aufwachen und ein klares Signal geben, was für sie gut ist.“

 

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Albert M. So., 05.05.2013 - 16:48

Vom Glühbirnenverbot, Einschränkungen für die Verwendung von Heilkräutern, Förderung der Verbreitung von gentechnisch veränderten Futter- und Lebensmitteln, über Bestrebungen zur Privatisierung der Trinkwasserversorgung, jetzt die drohende Saatgutverordnung: die Liste der EU-Sünden wird immer länger!
Natur- und Umweltschutz werden mit Füßen getreten, die Interessen der Bevölkerung werden den Interessen weniger Großkonzerne geopfert. Die EU sollte Vielfalt als größten Wert anerkennen, regionale Kreisläufe fördern, statt dessen arbeitet sie der Globalisierung in die Hände.

So., 05.05.2013 - 16:48 Permalink
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Benno Kusstatscher Di., 07.05.2013 - 00:40

Es tur mir echt leid. Ich versuche es seit Tagen zu ignorieren und hinterzuschlucken, aber jetzt ist halt ein etwas ausführlicher Kommentar fällig:

Als die EU die CE-Verordnung verabschiedete, fanden das wohl alle eine tolle Sache. Im Sinne der Bürger. Im Sinne des Konsumenten. Jeder Hersteller oder Importeur musste von nun an garantieren, dass sämtliche, relevanten EU-Verordnungen bei der Markteinführung bedacht, beachtet und befolgt wurden. Gute Sache, oder? Dann kam die Elektroschrottverordnung. Freute es euch nicht, dass nun endlich diese ominösen Hersteller gerade stehen mussten, für den „Dreck“, den sie uns Konsumenten verkauften. Reinwaschen unseres Gewissens. Bärig!

Und was hatte es gebracht? Na logo: kaum ein Hardware-Startup konnte sich seitdem mehr im Markt etablieren. Die bürokratischen und finanziellen Hürden wurden für Jungunternehmer schlagartig astronomisch. Hatte die Regelung der Umwelt genutzt? Möglich. Hat es dem Konsumenten genutzt? Sicher! Hat es der Wirtschaft genutzt? Den großen Konzernen hat es in die Hände gespielt, von den kleinen Firmen sind so manche auf der Strecke geblieben, neue sind kaum mehr entstanden. Kein Problem, sind junge Elektronik-Unternehmer ja flexibel, können im Internetzeitalter mit Software oder Consulting oder so etwas auch ihren Weg finden.

Aber es geht immer weiter: von ISO9000 über CO2-Ausstoss bis dieser Tage sehr aktuell, die Verordnungen zur Funktionalen Sicherheit IEC61508, oder im Automobilbereich ISO26262 zur Erlangung der begehrten fünf EuroNCAP Sterne. Übrigends, Software muss mittlerweile auch Qualitätsmanagement unterzogen werden. Mit SPICE wurde nun endlich ein Mittel gegen die Open-Source-„Macht“ gefunden. Für eure Sicherheit! Nicht alles ist EU getrieben, aber doch von der EU freundlich unterstützt. Immer mehr Last auf den Schultern der Unternehmen, die die großen relativ leicht stemmen oder juristisch umschiffen können – und die die kleinen zur Verzweiflung treiben. Ja, OPEL, FIAT und die Franzosen sind als „kleine“ ganz schön unter Druck, da mitzuhalten. Für eure Sicherheit. Für eure Umwelt.

Hand aufs Herz: Fühlt ihr euch nicht von der EU gut vertreten, wenn Martell-Barbiepuppen keine Schadstoffe mehr enthalten, wenn Autos per Legislative sparsamer und sicherer werden und Fernsehgeräte wieder einen Netzschalter bekommen? Aber dann kauft ihr trotzdem die iHandys mit dem abgebissenen Apfel, obwohl die von der EU „empfohlenen“ Micro-USB Einheitsstecker doch eine tolle Sache wären, und uns und der Umwelt das Hantieren mit unterschiedlichen Ladegeräten ersparen würden? Also soll die EU nicht „empfehlen“, sondern verbieten? Nur weil ein einziger Hersteller sich nicht an Empfehlungen hält?

Und wenn die selbe Logik dann aufs Saatgut übergreift und statt Jungunternehmer/innen plötzlich Jungbauern/bäuerinnen betroffen sind, dann nennt ihr die EU plötzlich alles Mögliche, ja sogar „faschistoid“? Auch mir ist Artenvielfalt lieb und ich möchte jede/n alternativ wirtschaftende/n Jungbauern/bäuerin von Herzen unterstützen. Und trotzdem finde ich es beruhigend, wenn nicht jede minderwertige, möglicherweise nicht astreine Saat aus Übersee auf unseren Markt, unsere Felder gelassen wird. Denkt doch morgen früh beim herzhaften Biss ins Frühstückbrot, was da denn alles drin sein könnte! Sagt „Faschistoider Konsumentenschutz“ und dann schluckt den Bissen hinunter!

Waren es Industrie-Lobbyisten, die die EU dazu getrieben haben, als Bienen-schädlich verdächtige Pestizide vorerst zu untersagen? Es wenigstens zu versuchen, wie wir mittlerweile wissen. Was meint ihr, war die EU Lobbyist von OSRAM und co als sie im guten Glauben, Innovation anzutreiben und Energie zu sparen, die Glühlampe abschaffte? Ist jetzt die EU schuldig, weil uns die Innovation verweigert wird?

Manchmal fühlt man sich durch Regeln geschützt, manchmal eben behindert. Trotzdem ist Tempo 30 in der Innenstadt nicht „faschistoid“. Die US-Amerikaner diskutieren über Waffenverbote. Ah, bekommt der Begriff „Lobby“ da plötzlich eine andere Dimension?

Ihr, die ihr da laut herumschreit, seid genau jene Konsumenten, die die EU mit viel Verantwortungsgefühl zu schützen versucht. Mal mehr, mal weniger gelungen. Seid ein bisschen konstruktiver, seid in eurem Konsumentenverhalten eben auch ein bisschen verantwortungsvoller. Dann kann sich die EU so manche Regelung sparen und euch ungeschützt den Wirren des globalen Marktes aussetzen, was ihr dann wohl wieder als "faschistoid" empfinden würdet.

Di., 07.05.2013 - 00:40 Permalink
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Benno Kusstatscher Di., 07.05.2013 - 09:15

Oliver, leider werden solche Betitelungen benutzt. siehe oben.
Mit der Glühbirnensituation ist keiner glücklich. Andererseits sieht man bei Verbrennungsmotoren, dass Brennstoffzellen & co nur halbherzig weiterentwickelt werden, solange keine gesetzlich Reglementierung besteht. Ist jetzt Fingerzeigen auf die Industrie angebracht? Oder auf die Konsumenten, weil sie den Konsum von E-Mobilen verweigert? Oder auf die EU, weil sie die Daumenschrauben nicht endlich anzieht? Ich finde, die EU sollte nicht wieder Glühbirnen erlauben, sondern vielmehr den nächsten Schritt gehen: Quecksilber und HF-Technik zur Lichterzeugung verbieten. Ein goldener Markt! Ich weiss, viele finden Solarenergie und Pumpkraftwerke doof, mit guten Argumenten! Und trotzdem freut mich die "Energiewende", die leider keine EU- Initiative ist.
Worauf ich hinaus will? Ich will vorwärts. Nicht rückwärts. Und die EU als Chance nutzen, denn sie prinzipiell in Frage zu stellen, wenn einmal etwas nicht perfekt läuft. Wir können und müssen uns mit den EU-Institutionen raufen. Dürfen aber nicht vergessen, dass es unsere EU ist. Ich seh schon die "Los von Brüssel" Plakate, wenn wir nicht endlich den Diskussionsmodus ändern.

Di., 07.05.2013 - 09:15 Permalink
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Salto User
Manfred Gasser Di., 07.05.2013 - 16:34

Antwort auf von Benno Kusstatscher

Das europäische Volk kann eben nicht mit den Institutionen raufen, dazu fehlt einfach die Möglichkeit!!
Um über die Arbeit der Eu-Institutionen, egal ob für Südtirol positiv oder negativ, egal ob für oder gegen die Industrie, mit derselbigen zu raufen, muss man die Ergebnisse dieser Arbeit kommunizieren, und zwar so, dass das Volk es verstehen kann! Oder hat hier jemand verstanden, wie das mit der Wasserprivatisierung genau laufen soll? Das Volk, wir alle, müssen verständlich informiert und in die Entwicklungen eingebunden werden!! Geht nicht?? Dann geht EU nicht.

Jonny

Di., 07.05.2013 - 16:34 Permalink
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Benno Kusstatscher Di., 07.05.2013 - 20:21

Antwort auf von Manfred Gasser

hallo Manfred (warum "Jonny"?). Eigentlich sollte ich jetzt auf den viel zitierten Menasse verweisen, der doch genau die These vertritt, dass man sich mit der EU nicht raufen kann, weil Parlament und Kommission nur beschränkt durchsetzungsfähig sind, weil sie meistens vom Rat überstimmt werden. Und den EU-Rat können wir eben wählen (und somit nicht mit ihm raufen), weil ja aus Staatsvertretern zusammen gesetzt. Als müssen wir lokal (meinetwegen "national") raufen, um in der EU etwas zu bewegen.
Zu theoretisch ?
Zum Glück habe ich heute ein wunderbares Beispiel zur Hand: die Bienen-Pestizide. Von der Kommission wurde das das (temporäre) Verbot vorgeschlagen, von den nationalen Großkopfeten niedergestimmt. Frust. Dann aber doch national gerauft und den guten Minister umgestimmt. Lies mal:
http://www.tt.com/Nachrichten/6540315-2/bienengipfel-beschloss-verbot-v…
So schön kann man mit der EU raufen. Man muss nur die Stellschrauben kennen :-)
Das mit der schlechten Information kann man doch nicht den Brüsselern und Strassbourgern vorwerfen. Dann wohl eher den Medien, die halt lieber "national" berichten, oder ? (jetzt klinge ich so nach Menasse, dass es mir schon physisch weh tut, aber es trifft halt den Punkt)

Di., 07.05.2013 - 20:21 Permalink
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Benno Kusstatscher Di., 07.05.2013 - 12:48

würde auch ich auf Quecksilber und HF-Licht und andere Übergangstechnologien verzichten. Und wir würden in alle Zukunft bis zu 100W verbraten und uns über den fast 100%en Wirkungsgrad bei deren Heizwert erfreuen. Wie würdest Du die Hersteller motivieren wollen, nach 150 Jahren wieder einmal etwas Neues, Sinnvolleres auf den Markt uzu bringen?

Den Atomausstieg würdest Du nicht als "Verbot" bezeichnen?

Di., 07.05.2013 - 12:48 Permalink
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Peter Rabanser Di., 07.05.2013 - 13:36

Wer das Öl kontrolliert, ist in der Lage, ganze Nationen zu kontrollieren; wer die Nahrung kontrolliert, kontrolliert die Menschen. Zitat von Henry Kissinger
Die wichtigsten Grundlagen des Lebens sind nicht mehr frei verfügbar und müssen reguliert, kontrolliert und patentiert werden, damit die großen Konzerne daraus Profit schlagen können. Die Bürokraten der EU wollen den Agrokonzernen noch mehr Macht und Profit einräumen. Monsanto & Co. sind so ziemlich die schlimmsten und teuflischsten Monster die es gibt, neben den Kriegsprofiteuren der Rüstungsindustrie und der Pharma- und Finanzmafia.

Es liegt deshalb an uns selber, durch unser Verhalten dem System die rote Karte zu zeigen.

Di., 07.05.2013 - 13:36 Permalink
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Benno Kusstatscher Di., 07.05.2013 - 20:39

Antwort auf von Peter Rabanser

Peter, "Monsanto" klingt schon so abgedroschen, dass es fast nicht mehr wirkt. Hat es doch schon so viele Dokumentationen und Berichte über das furchteregende Thema gegeben. Erst in amerikanischen Medien und immer mehr in europäischen. Warum suchst Du die Feindbilder in Übersee? Warum nicht naheliegenderweise (auch geographisch) die BASF benennen. Könnte ich mir jetzt glatt nicht vorstellen, das die EU irgend etwas zu Gunsten Monsantos und gegen BASF durchziehen würde. Teufle doch gegen BASF, das klingt dann authentischer! Und was die EU betrifft, hatte sie mit der REACH-Verordnung den Chemiegiganten doch kräften eines vor den Latz geknallt. Oder bin ich da falsch informiert?
http://de.wikipedia.org/wiki/Reach
Zeig diesem "System" die rote Karte und schau Dich nach einem mutigeren um. Oder lerne aus den Bienen-Pestiziden und zeige die rote Karte dort, wo sie hilft!

Di., 07.05.2013 - 20:39 Permalink
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Peter Rabanser Di., 07.05.2013 - 22:26

Antwort auf von Benno Kusstatscher

Ich behaupte ja nicht dass alles was die EU auf den Weg gebracht hat schlecht ist.Ich kenne die REACH-Verordnung,da ich im Lebensmittelbereich tätig bin.
Aber, wehe dem wer sich skeptisch gegen das bestehende System äußert,und nicht in Konformität damit steht.
Es reicht schon,einer Nation,einem Volk Informationen einerseits vorzuenthalten und andererseits mit bestimmten Informationen zu füttern,ob nun wahr oder nicht,um ein gewünschtes,kollektives Verhalten zu erzeugen.

Di., 07.05.2013 - 22:26 Permalink