Politik | Umweltschmutz

Wohnung putzen

Beobachtungen über den Zustand der Luft und des Wassers beim Wohnungsputz in Berlin und Istanbul.

Wenn ich eine Wohnung verlasse, wie am Wochenende meine (sehr kleine) in Berlin, dann putze ich sie gründlich, um sie bei der Rückkehr aufgeräumt und sauber wiederzufinden. Ende März war ich das letzte Mal in Berlin, vier Monate später habe ich sie wieder betreten und tagelang benutzt. Zu meinem grossen Erstaunen war das Boden-Spülwasser nach getaner Arbeit hell-silbergrau, was bedeutet, dass meine alten und schwer in Mitleidenschaft gezogenen Dielen relativ unverschmutzt waren.  

Mir fiel das auf, weil ich in Istanbul jeden zweiten Tag den Boden wische, wobei die Farbe des Spülwassers zwischen dunkelgrau und schwarz variiert. Oft muss ich das Spülwasser mehrmals wechseln, weil es nach dem Aufwischen eines einzigen Zimmers schon grausig dunkel ist.

Dabei haben wir es uns in Istanbul angewöhnt, die Schuhe auszuziehen, bevor wir die Wohnung betreten. Das ist üblich in der Türkei und ich verstehe auch, weshalb es nicht nur eine religiöse, sondern eine hygienische Gepflogenheit ist.

Was ich am Boden aufwische, ist Staub von der Straße, den ich tagsüber zusammen mit dem Smog und den Feinstaubgiften einatme. Seitdem ich hierhergezogen bin, habe ich ständig Bronchitis und eine verschnupfte Nase. Es gibt keine Abgas-Beschränkungen, Autos parken überall, auch mit dem Auspuff direkt vor Obst- und Gemüsegeschäften, die ihre Ware auf der Straße anbieten .

 In der Landwirtschaft sind in der EU verbotene Pestizide erlaubt, Abwässer (auch von stark verschmutzenden Industrieen) werden direkt in die Flüsse und Seen geleitet, die dann die Felder bewässern.

Und überhaupt – das Wasser: Aus den Wasserhähnen in den Istanbuler Wohnungen fliesst eine seifig-salzige Flüssigkeit, die nicht getrunken werden darf. Sie wird von den Behörden als gesundheitsschädlich klassifiziert. Die Fünf-Liter-Wasserflaschen, die sich vor den Wohnungstüren stapeln, sind sichtbares Zeichen dieser Trinkwassernot. Auch wenn ich das Wasser nicht trinke – waschen muss ich mich damit. Der Genuss einer Dusche kommt hier abhanden.  

Abgesehen von mir, die ich in einem Jahr Istanbul mehr Gifte und Smog aufgenommen habe als in allen vorhergehenden Lebensjahren, sind es die Menschen in Istanbul, denen dieses grundsätzliche Fehlen von Umweltschutzbestimmungen das  Leben kostet. Laut meiner Freundin Muge gibt es in jeder Familie ihres großen Bekanntenkreises permanent entweder Krebskranke oder Krebstote zu beklagen. 

Muge, ihre Mutter und Großmutter sind engagierte Umweltschützerinnen  geworden. Sie lieben Pflanzen und Tiere, bemühen sich um korrekte Müllentsorgung  und nehmen lange Einkaufstouren in Kauf, um Biogemüse zu ergattern. Muge entstammt einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie und ihr "grünes" Engagement ist typisch für die Istanbuler Mittelschicht. 

Die Jugendlichen, die vor zwei Jahren am Istanbuler Gezi-Park wochenlang demonstrierten, gehören großteils solchen Familien an. Sie waren von ihren Müttern begleitet, als sie gegen die Umwandlung des Parks in ein Einkaufszentrum protestierten. Dabei ist dieser Park in einem schlechteren Zustand als der Bozner Bahnhofspark, über den wir uns in Südtirol immer aufregen.

Die Gemeindeverwaltung war schon dabei, die wenigen verbliebenen Bäume zu fällen, als der Protest begann, der weltweit auf Zustimmung und Verständnis stieß. Denn Istanbul hat zwar eigene Parks, doch in der Stadt selbst wurde alles abgeholzt, was irgendwie im Weg stand. Jetzt  fehlt es überall an Sauerstoff und Schatten, was Touristen und Einwohnern in der brütenden Sommerhitze schmerzlich erleben. 

Erst jetzt wird mir klar, wie wichtig und für das türkische Regime gefährlich die Proteste am Gezi-Park waren. Staatspräsident Erdogan hat seit seiner Machtübernahme vor 13 Jahren nur ein Ziel gehabt: das ungehemmte Wirtschaftswachstum. Dafür braucht es – laut Erdogan – vor allem Investoren aus dem Ausland, die es schätzen, wenn keine störenden Umweltauflagen Produktion und Profit beeinträchtigen. 

Die Türkei hatte bis vor zwei Jahren tatsächlich ein beneidenswertes Wirtschaftswachstum von bis zu 7 Prozent vorzuweisen. Die aus den armen Gebieten in die Städte zugewanderten Türken hatten für den Umweltschutz ebenfalls wenig Verständnis. Sie, die Stammwähler von Erdogan, waren nur froh darüber, endlich eine Arbeit und eine Wohnung über dem Kopf zu haben. Und die bekamen sie aufgrund des entfesselten Baubooms, der die Stadt Istanbul in ein Monster verwandelt hat.

Weil der Islam ausserdem auf einer fatalistischen Weltauffassung fusst, werden Kausalzusammenhänge (Umwelt-Gesundheit) als unwichtig abgetan. Wenn es in den Sternen so geschrieben steht, stirbt man halt und aus – basta. Diese Lebens- oder Todesphilosophie eignet sich kaum für militanten Umweltschutz.  

Im Gegensatz dazu ist die moslemische, aber nicht praktizierende Istanbuler Mittel- und Oberschutz für Umweltschutz-Themen empfänglich. Ebenso engagiert sind Jugendliche und Studenten, die durch die sozialen Medien weltweit vernetzt sind. Einige von ihnen haben im vergangenen Frühjahr im Park der Mimar Sinan Universität in Beyoglu eine berührende, originelle Ausstellung organisiert. Sie "umstrickten" und "umhäkelten" die Baumstämme mit bunter Wolle, um zu zeigen, wie wertvoll und schützenswert jeder Baum ist.

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Rita Barbieri Mi., 12.08.2015 - 16:42

Was wollen Sie uns indirekt sagen? Vielleicht, dass die Türkei in die EU soll und muss, damit sie sich andere Standards aneignen muss? Vielleicht, dass Sie sich in abgehobenen Kreisen der "grünen Oberschicht" bewegen, die außer Schwärmereien nichts bewegen kann? Oder vielleicht, dass wir es in Bozen so schön haben, auch weil viel Grün im Bahnhofspark erhalten bleibt, jetzt nachdem das Viertel weiter hinvegetiert?
Oder, dass auch Sie die Wohnung putzen und erst so die Güte des Wassers testen durften? Wie wäre es, wegen Ihres Zustandes öfters anderswo zu verweilen?

Mi., 12.08.2015 - 16:42 Permalink