Gesellschaft | flucht

wo ist Ndidi - eine gedankenjagd

vertraut und fremd. hier zuhause. zuhause. oder doch nicht?
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genaugenommen bin ich ja ausländerin hier in Innsbruck. nein, als solche habe ich mich nie gefühlt. bis da ein neues österreichisches gesetz in kraft trat und ich innerhalb einer frist unser drittgeborenes kind an der gemeinde am schalter für ausländische angelegenheiten als legalen ewr einwanderer melden sollte. da stand ich dann. mit meinem kind im tragetuch. wartend. ewig. so kam es mir zumindest vor.

neben, hinter und vor mir noch andere menschen. auch keine österreichischen staatsbürger. offensichtlich. im amt natürlich die übliche bürokratie. genervte beamte.  ich geh nach hause mit meinen papieren und fühle mich seit den 15 jahren, die ich nun in dieser stadt lebe und arbeite das erste mal fremd. nicht weil ich irgendwelche identifikationsprobleme mit der kultur oder sprache hätte. ich bin ja eine von ihnen. eine tirolerin. die gleiche sprache. gebranntmarkt von idyllischen satteldachkonglomeraten, eingebettet in saftigem grün, mit herrschaftlicher bergkulisse im hintergrund. die kirche im dorf. die geschichte von der Oma auf der küchenbank oft erzählt bekommen. 

was war es dann, das mir damals so unbehagen bereitete? damals, mit meinem kind im tragetuch vor dem meldeamt für ausländer. es war ein gefühl, nicht ganz dazuzugehören. fehlende papiere. denn alles andere war ja irgendwie schon da. mein ururopa war kein südtiroler. ein wanderhändler ausm Welschtirol. wie es dem dann in Südtirol ergangen ist, als er mit seiner südtiroler frau seinen krämerladen in einen dorf in Südtirol eröffnete, würde mich heute brennend interessieren. er war erfolgreich. sein enkel hat den laden weitergeführt. deren frau hat sich dann alleine durchgeschlagen. er ist gefallen. im krieg. eine starke frau. vier kinder. der krieg. die option. geblieben ist sie. in Tirol. gehasst wurde sie, als verräterin beschimpft. sie hat ihr leben lang gewartet auf ihren mann, weil niemand wusste was.

heute steht er nicht da. der 20er verkäufer vor dem supermarkt. grad vor vier tagen war er noch da. Ndidi. aus Nigeria. seit sechs jahren steht er vorm supermarkt in meiner nachbarschaft. alle tage. bei jedem wetter. manchmal fröhlich singend, manchmal gelangweilt. aber immer freundlich. vor vier tagen unterhalten wir uns darüber, wie die zeit vergeht. das baby im tragetuch ist mittlerweile schon ein schulkind. und stell dir vor, sagt er. seit sechs jahren warte ich auf meine papiere. ich möchte endlich richtig arbeiten.' sagt er mir. die wartezeit damals vor dem amt in Innsbruck kommt mir plötzlich so lächlich vor.

wir werden täglich über unglaubliche zahlen von schutzsuchenden menschen in den medien informiert. die möchten bleiben. hier oder weiter im norden. so wie mein ururopa damals. so wie ich nach meinem studium. so wie meine schwiegereltern damals, nach ihrer flucht aus Prag. so wie Ndidi. Ndidi, der so gewissenhaft die 20er zeitschrift tag für tag an die frau bringt, wartet da seelenruhig sechs jahre lang auf papiere.

wo ist Ndidi heute? fragt meine tochter als wir den supermarkt verlassen. ich weiß es nicht.

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Sepp.Bacher So., 23.08.2015 - 13:24

Schöner Text - sprachlich. Ansprechende Geschichte - inhaltlich. Ich würde mir auf diesem Portal mehr Erfahrungsberichte zu Migration, mit Migranten wünschen und weniger die vielen Besserwisser-Streit-Kommentare von Menschen die von der spezifischen Realität oft keine Ahnung haben.

So., 23.08.2015 - 13:24 Permalink
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gorgias So., 23.08.2015 - 19:29

als Sie vor 15 Jahren zum Einwohnermeldeamt mussten fühlten Sie sich da auch fremd?
Oder fühlten Sie sich nur jetzt fremd, da Sie sich mit den Ausländern verglichen haben, die man auch auf dem ersten Blick für Ausländer hält?

So., 23.08.2015 - 19:29 Permalink
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Nord licht -r So., 23.08.2015 - 21:13

Antwort auf von gorgias

ich versteh schon, "offensichtlich" ist das problem.
nein. hab ich mich nicht. ich fühle mich auch jetzt nicht fremd. (nur noch manchmal, wenn ich dreckige ausländerfeindliche Kommentare oder posts auf sozialen netzwerken sehe)
mir ist in form dieses absurden scheins bewusst geworden, dass ich und meine kinder ausländer sind. es reicht nicht mehr, beim meldeamt die staatsangehörigkeit in die dafür vorgesehene zeile zu schreiben. nein. noch ein schein. mit paragrafen und geldstrafandrohungen...
das war mein problem. bzw. dachte ich. mein kleines fremdheitsgefühl von damals ist nichts gegen das, das jene empfinden müssen, die nach 6 jahren hier nicht mal legal arbeiten dürfen.

So., 23.08.2015 - 21:13 Permalink
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Oskar Egger Mo., 24.08.2015 - 07:40

Fremdheitsgefühl, Nordlicht, kenne ich in Südtirol, die ganze Kindheit und Jugend hindurch. Auch mein Vater verlor seine Heimat im Sudetenland und hier? Ich gehörte einfach nicht dazu. Auf dem Schulweg gab's Schläge weil meine Mutter mich evangelisch getauft hatte und Freunde? Freunde waren die Italiener, denn die wußten nicht um den Unterschied.

Mo., 24.08.2015 - 07:40 Permalink