Gesellschaft | Flüchtlinge

Positive Nachbarschaft

Robert Hillebrand wohnt unweit der Flüchtlingsunterkunft in Prissian. Seinen neuen Nachbarn kann er einiges abgewinnen, aus menschlicher und wirtschaftlicher Sicht.

Kein Thema beschäftigt die Medien derzeit mehr als das der Flüchtlinge. Kein Tag vergeht ohne Meldungen über neue Ankünfte, Todesopfer oder Dramen, die sich auf der Flucht von unzähligen Menschen abspielen. Auch die Politik ist inzwischen tätig geworden. Die deutsche Regierung etwa setzte vor einigen Tagen die Dublin-Regeln für Flüchtlinge aus Syrien aus. Menschen, die aus dem kriegsgeplagten Land im Nahen Osten Deutschland erreichen, dürfen nicht mehr abgeschoben werden. Auf der anderen Seite hat Ungarn begonnen, eine vier Meter hohe und 175 Kilometer lange Mauer an der Grenze zu Serbien zu bauen. Dadurch will man jene Flüchtlinge, die über den Balkan in die EU zu gelangen versuchen, von der Einreise abhalten. Auf europäischer Ebene denkt man laut über ein Hilfsprogramm im Westbalkan nach, der UN-Flüchtlingskommissar fordert mittlerweile die Einrichtung so genannter “hot spots” an den EU-Außengrenzen. Dort sollen Flüchtlinge registriert und es soll vorab geklärt werden, ob sie schutzbedürftig sind und daher weiterreisen dürfen.

Doch man muss den Blick nicht so weit schweifen lassen. Auch in Südtirol bewegt das Thema Flüchtlinge die Menschen. Im Gegensatz zu den mehr oder weniger konstruktiven Diskussionen in sozialen Netzwerken meldet sich im “wahren” Leben aber kaum jemand zu Wort. Jene, die mit den Flüchtlingen zu tun haben, verrichten ihre großteils freiwillige Arbeit im Stillen. Laut geworden sind bislang meist nur die rechten Oppositionsparteien im Landtag. Besonders fleißig waren Andreas Pöder von der Bürgerunion und die Freiheitliche Ulli Mair. Während Pöder letzthin mit der Einführung einer “Gutmenschensteuer” von sich reden machte, empörte sich Mair auch darüber, dass die Südtiroler Medien “keine ausgewogene Diskussion” in der Flüchtlingsfrage zuließen. “In der Flüchtlingsfrage werden in Südtirol Meinungen, die von der ‘Politcial Correctness’ abweichen, strikt verschwiegen, zensiert und aussortiert”, so das Urteil Mairs. Laut ihren Vorstellungen seien das immerhin “über 50 Prozent der Meinungen, die im Volk vorherrschen”.

Wie sie zu dieser Annahme kommt, verrät Ulli Mair nicht. Inzwischen treten jedoch einige Menschen im Land den Gegenbeweis zu ihrer Behauptung an. Ungewöhnlich klar äußerte sich Thomas Aichner vor einigen Tagen zum Thema Flüchtlinge. Als Direktor der Meraner Marketinggesellschaft (MGM) schlug er denselben Ton an, wie bereits der Meraner Bürgermeister Paul Rösch. Aichner sieht in den Flüchtlingen keinen “Störfaktor” für das Land. Vielmehr erwarte er sich von den hier urlaubenden Gästen Verständnis dafür, dass Südtirol ankommende Flüchtlinge nicht tatenlos sich selbst überlasse, sondern Rahmenbedingungen für ein würdevolles Leben schaffe, so Aichner. Auf den MGM-Direktor folgt Robert Hillebrand. Der Aspiag-Direktor wohnt in Prissian, nicht weit von der Flüchtlingsunterkunft im Ex-Salus-Center. Was sagt nun ein bekannter Wirtschaftsvertreter und Prissianer Bürger zum Thema Flüchtlinge?

Herr Hillebrand, Mitte der Woche hat MGM-Direktor Thomas Aichner gesagt, Südtirol erfülle alle Voraussetzungen, um Verantwortung in der Flüchlingssache zu übernehmen. Können Sie Aichners Worten etwas abgewinnen?
Robert Hillebrand: Unser Land und unsere Gesellschaft befinden sich auf einem so hohen wirtschaftlichen Niveau, dass wir diese Verantwortung getrost übernehmen können. Eigentlich ist es unsere Pflicht zu helfen.

In Ihrem Wohnort Prissian sind seit kurzem rund vierzig Asylwerber untergebracht. Wie erleben Sie Ihre neuen Mitbürger?
Ich wohne in der unmittelbaren Nachbarschaft der Flüchtlingsunterkunft. Und ich muss eingestehen, dass die Asylanten bisher ohne Ausnahme vorbildhaft aufgefallen sind. Sie sind freundlich und überhaupt keine ‘Störfaktoren’. Im Dorf sind fast alle positiv überrascht von der Situation.

Bei einer Bewerbung zählt nicht so sehr, woher jemand kommt, sondern vielmehr, ob die Person mit ihren Kompetenzen den Betrieb bereichern kann.

Sie sagen fast alle. Was sagen Sie jenen Menschen im Dorf, die Zweifel daran haben, dass die Flüchtlinge in Prissian am richtigen Ort sind?
Schauen Sie, es ist ganz einfach: In den Landgemeinden ist der Kontakt mit Asylanten schlicht nicht so häufig wie anderswo. Da ist es verständlich, dass Ängste entstehen. Daher ist es meiner Meinung nach ganz wichtig, dass Personen mit Erfahrung und Kompetenz in diesem Bereich die Leute gut informieren und involvieren. Also die Akzeptanz ist ganz wichtig. Die jungen Menschen, die da zu uns kommen sind ja doch ein positiver Faktor.

Inwiefern?
Sie spielen eine gute und wichtige Rolle in unserer Gesellschaft, die mehr und mehr überaltert. Und wenn jemand schon nicht unsere Pflicht, diesen Menschen zu helfen, anerkennen will, dann kann man zumindest diesem Aspekt etwas Positives abgewinnen.

Flüchtlinge und Asylwerber als frische Arbeitskräfte? Dabei heißt doch es oft, “die nehmen uns die Arbeit weg”?
Ich kann Ihnen unseren Betrieb als Beispiel nennen. Wir haben gar einige Ausländer beschäftigt. Darunter Kollegen, die hochspezialisiert sind und sehr gute Positionen besetzen. Gleichzeitig haben wir auch Kollegen aus dem Ausland, die Arbeiten verrichten, die die eigenen Leute, sprich die Südtiroler, nicht mehr gewillt sind zu machen. Und dabei handelt es sich nicht automatisch um schlechtere Posten. Sondern die Südtiroler verlangen mittlerweile zum Beispiel mehr Flexibilität, etwa bei den Arbeitszeiten. Auch, weil sie es sich leisten können – aufgrund ihrer Ausbildung oder Kompetenzen.

Wir sollten alle etwas offener und bereitwilliger auf das Thema und die Menschen zugehen. Dann werden wir auch einen positiven Beitrag für die Gesellschaft zurückbekommen.

Wenn sich eine Person mit Migrationshintergrund bei Ihnen bewirbt, ist dies kein unmittelbarer Grund, ihn oder sie abzulehnen?
Wir sind einer jener Betriebe mit einem sehr großen Anteil von Mitarbeitern mit Migrationshintergrund im Land. Bei der Aspiag sind Menschen aus ungefähr dreißig Nationen angestellt. Wir haben zum Beispiel Kollegen aus Südamerika, Süd-Ost-Asien, Südafrika oder auch Deutschland. Bei einer Bewerbung zählt nicht so sehr, woher jemand kommt, sondern vielmehr, ob die Person mit ihren Kompetenzen den Betrieb bereichern kann.

Thomas Aichner hat unter anderem die Frage in den Raum gestellt, wie nicht mehr gebrauchte Lebensmittel den Menschen in den Flüchtlingsunterkünften schnell und unkompliziert zur Verfügung gestellt werden könnten. Die Aspiag wäre doch ein idealer Partner für solche Initiativen?
Wir lassen uns gerne in solche Aktionen involvieren. Mit diversen Vereinen, darunter Volontarius und Caritas, pflegen wir heute schon eine gute Zusammenarbeit. Wir haben uns auch bereits zur Flüchtlingsproblematik zusammengesetzt, um zu schauen, was wir für eine unmittelbare Hilfe tun können.

Es ist verständlich, dass Ängste entstehen. Aus eigener Erfahrung kann ich nur sagen: Wenn ich korrekt auf eine Person zugehe, passiert es kaum, dass von dieser Person eine unkorrekte Antwort kommt.

Sie sind – noch – einer von wenigen Interessenvertretern, die in Sachen Flüchtlinge Stellung beziehen. Sollte sich diesbezüglich etwas ändern?
Mein Appell ist folgender: Etwas offener auf das Thema und die Menschen zugehen. Ich sage immer. “Wie man in den Wald hineinruft, tönt es auch heraus’. Das heißt, wenn wir etwas bereitwilliger auf die Menschen zugehen, werden wir auch einen positiven Beitrag für die Gesellschaft zurückbekommen. Und wenn sich jemand an der Gesellschaft beteiligt und beteiligen will, sind wir auch bereit, Verantwortung zu übernehmen.

An wen ist ihr Appell gerichtet? An die Gesellschaft, die Politik?
Das ist etwas Grundsätzliches, das für alle gelten sollte. Ich spreche als Privatperson und maße mir nicht an, an irgendjemanden zu appellieren. Aus persönlicher Erfahrung kann ich nur sagen: Wenn ich korrekt auf eine Person zugehe, passiert es kaum, dass von dieser Person eine unkorrekte Antwort kommt. Nur wenn ich provoziere, erhalte ich auch eine entsprechende Reaktion.

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Sepp.Bacher Fr., 28.08.2015 - 10:30

Mir gefällt der Artikel grundsätzlich gut. Interessant, als im Vorfeld in Prissian Gegenstimmung gemacht wurde, wurde Herr Hillebrand als Beispiel genannt, dem es nicht zumutbar wäre, direkt neben einem Asylantenwohnheim zu wohnen.
Beanstanden möchte ich, Frau Lisa Maria Gasser, aber den tendenziösen Satz: "Auf der anderen Seite hat Ungarn begonnen, eine vier Meter hohe und 175 Kilometer lange Mauer an der Grenze zu Serbien zu bauen." Im Beitrage, den Sie verlinken steht aber nur: Unter der Überschrift "Neuer Grenzzaun in Europa" der Satz "Letzten Monat hat Ungarn mit dem Bau eines vier Meter hohen und 175 Kilometer langen Grenzzauns an der Grenze zu Serbien begonnen." Wie kommen sie auf Mauer? Bereits die Überschrift "Neuer Grenzzaun.....) sagt ja schon, dass es nicht der erste ist. Schon vergessen den "eisernen Vorhang", den Spanien schon vor Jahren um Ceuta und Mellila gezogen hat. Noch nie etwas gehört, dass Bulgarien seine Grenze zur Türkei ebenfalls mit einem Zaun abgeschottet hat? Griechenland hat seine Landgrenze zur Türkei einem Fluss entlang ebenfalls unpassierbar gemacht. Ungarn ist das letzte Land in einer Kette - aber dem Letzten beißen die Hunde! Übrigens: in dem von Ihnen verlinkten Artikel ist die Rede, dass 65 Länder einen Grenzzaun verfügen. Also nichts Neues und nichts Spektakuläres!

Fr., 28.08.2015 - 10:30 Permalink