Kultur | Ausstellung

Die Bunkerologen

Spannenden Geschichtsunterricht gibt es in der Galerie Foto Forum: gezeigt werden dort deutsche Spionagefotos von Bunkeranlagen in Südtirol.

Es sind an die 70 Fotografien im Ausmaß von 30x20 zirka, Schwarz-Weiß-Bilder die Landschaften zeigen, gewöhnliche Wiesen, Hügel, Wälder, einige Häuser und andere Gebäude sind darauf zu sehen. Und jedes Bild ist versehen mit kleinen Pfeilen, die auf Bauten hinweisen, welche auf den ersten Blick nicht zu sehen sind. Bunker, Beobachtungs- und Maschinengewehrstände, Panzerglocken und Talsperren, die während der Kriegsjahre 1939 bis 1943 in Südtirol gebaut wurden, auf Geheiß von Diktator Mussolini zum Schutz seiner Nation vor den Deutschen. An die 800 solcher Bauten waren geplant, ausgeführt wurden knapp 400, verteilt zwischen Reschen und Winnebach, wobei bis zum Ende der Bauarbeiten große Teile davon im Rohbau oder unfertig blieben. Zur Einstellung der Bauarbeiten hatte unter anderem der Protest des Dritten Reichs geführt, das sich mit Italien im Bündnisvertrag befand. „Das ist ja das Absurde an der ganzen Geschichte,“ betont Alessandro Bernasconi während der Ausstellungseröffnung, „Mussolini ließ den Alpenwall bauen, aus Angst vor seinem Verbündeten Hitler.“ Ein historischer Einzelfall sei das, meint Bernasconi, eine derartig massive und betont heimliche Aufrüstung trotz Bündnis. Von Ventimiglia in Ligurien über den gesamten Alpenbogen bis nach Fiume im Friaul wurden die Anlagen des Alpenwalls errichtet.

Die heimliche Bauerei blieb den deutschen Verbündeten natürlich nicht verborgen. „Immerhin waren allein in Südtirol 19.000 Arbeiter damit beschäftigt, diese waren ja irgendwo untergebracht und verpflegt, außerdem wurde Material herbeigeschafft, Zement und Stahlteile, auch das wurde zumindest von einem Teil der Bevölkerung bemerkt.“ Bernasconi ist passionierter Forscher und Hobbyhistoriker, er war es, der die Fotos in einem Archiv in Freiburg ausfindig gemacht hat. „Das sind klassische Spionagefotos, gemacht aus großer Entfernung mit Teleobjektiv, einige auch aus der Nähe von lokalen Helfern. Diese kamen oft aus den Kreisen des Völkischen Kampfrings Südtirol und erhielten eine schnelle Ausbildung in Sachen Fotografie. Man sieht den Fotografien an, dass sie in Eile und in der Gefahr entdeckt zu werden, gemacht wurden, teilweise aus fahrenden Autos oder Zügen heraus geschossen und unscharf, oder aus ungünstigen Blickpunkten aufgenommen.“ Die Namen der Fotografen seien im Archiv natürlich nicht vermerkt gewesen, sonst wären es ja keine Spionagefotos, meint Bernasconi. Er habe, als die Militärarchive im Jahr 1992 geöffnet wurden, angefangen nach den Dokumenten zu suchen, zuerst im Militärarchiv in Rom, dort gab es den Hinweis auf Freiburg. Auch in Bozen seien noch einige Dokumente einzusehen, in der Militärkaserne in Gries.

Übersicht der Schussfelder aller Verteidigungslinien auf Südtiroler Terrain

 

Die einzigartige Ausstellung hat aber noch andere Autoren, neben Bernasconi den Architekten Heimo Prünster, der seit Jahren mit seinem Institut für angewandte Bunkerologie zum Thema forscht. Genauer steht sein Interesse für eine „Programmatik, die sich mit architektonischen, kulturhistorischen, wissenschaftlichen und künstlerischen Fragen im Zusammenhang mit dem italienischen Alpenwall, ursprünglich als "Vallo Alpino Littorio" (VAL) bezeichnet, befasst.“ Teilweise auf Basis von Bernasconis Unterlagen und weiteren selbst ausgehobenen Archivbeständen  hat Prünster eine Karte rekonstruieren können, auf denen sämtliche in Südtirol stationierten Bunker eingetragen sind. „Südtirol wurde in drei Sektoren aufgeteilt, nach den Flussläufen der Etsch, des Eisacks und der Rienz bzw. Drau,“ erzählt Prünster. „Gebaut wurden die Anlagen so, dass wenn eine erste durchbrochen würde, es noch eine zweite und eine dritte dahinter gäbe. Die Schussanlagen hatten einen Radius von 8 Kilometern.“

Erwin Seppi und Matthias Schönweger vom Verein kasematte 

 

Eine wichtige Verteidigunsroute verlief etwa von Norden nach Süden, von Passeier über den Gampenpass bis nach Bozen Süd. Dort gab es Bunker in der Industriezone, aber auch in der Gegend der Haselburg und des heutigen Friedhofs, weiß Erwin Seppi vom Verein bunkerforum kasematte: „Einen Bunker bei der Haselburg haben wir bereits renviert, und wir wollen auch die anderen Bozner Bunker zugänglich machen.“ Dies geschieht natürlich in Zusammenarbeit mit dem Künstler Matthias Schönweger, der als Bunkerspezialist gelten darf und zu Zeiten als die Verteidigungsanlagen vom Land Südtirol verkauft wurden, 50 dieser Bunker ersteigert hatte. „Heute würde man viel mehr Geld dafür zahlen, ich aber habe mich bereits als kleiner Bub für diese Anlagen interessiert und habe sie – natürlich abusiv – genutzt und beizeiten gekauft, als sich noch niemand dafür interessierte“. Matthias Schönweger hat etliche dieser Bunker in Galerien umgewandelt, hat dort sozusagen seine Kunstschätze gebunkert und diese von Zeit zu Zeit gezeigt. „Ich habe geschaut, ob diese Militäranlagen nicht nur bedrohlich wirken können, sondern ob sie auch Freiheiten zulassen, ob sie, ähnlich wie die Schlösser und Burgen in unserem Land, nicht nur exklusiv, sondern auch inklusiv wirken.“

Die Ausstellung BUNKER NOW #2  der Galerie foto-forum bietet mit den nüchternen und doch geheimnisumwobenen Bilddokumenten reichlich Anlass für Fragen, Vermutungen und Überlegungen; Geschichtsunterricht at it’s best.

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Hartmuth Staffler So., 10.01.2016 - 15:51

Um Verwechslungen mit Rijeka/Fiume in Kroatien zu vermeiden, sollte man die Gemeinde Fiume in Friaul mit ihrem vollständigen Namen "Fiume Veneto" bezeichnen. Zum besseren sprachlichen Verständnis wäre es hilfreich, zu schreiben, dass die Ausstellung ... mit ihren (nicht mit seinen) Bilddokumenten ... Anlass für Fragen bietet.

So., 10.01.2016 - 15:51 Permalink