Politik | Gesellschftaftpolitische Erneuerung

Zweisprachige Schule und Autonomiestatut

Schon seit längerer Zeit wird von verschiedener Seite die zweisprachige Schule in Südtirol gefordert. Seitdem es kein Tabu mehr ist, von einer Reform des Autonomiestatuts zur reden, ja eine solche sogar in Aussicht gestellt worden ist, kann man wohl beginnen ganz konkret darüber zu diskutieren.
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.

In Südtirol gibt es bereits eine gut funktionierende dreisprachige Schule und zwar in den Ladinischen Tälern. Ich glaube, es ist höchst an der Zeit, eine zwei- bzw. dreisprachige Schule auch außerhalb der Ladinischen Täler nicht nur an- sondern auch durchzudenken. Politisch wird immer argumentiert, dass eine zweisprachige Schule (paritätisch Italienisch und Deutsch) in Südtirol wegen des Art. 19 nicht möglich ist. Was für die Ladiner gut und billig ist und auch hervorragend funktioniert, sollte auch für andere Südtiroler in Städten und größeren Zentren möglich sein. Um dem Sinn des derzeitigen Artikel 19 Genüge zu tun, könnte ich mir eine Lösung so vorstellen: Man muss nichts neu erfinden, sondern es genügt das bereits bekannte und erfolgreiche Modell nicht nur auf die Ladinischen Täler zu begrenzen. Mein Vorschlag sieht also folgendermaßen aus:

Im Vorschulbereich:
Zweisprachige Kindertagesstätten und Kindergärten für alle Interessierten in allen größeren Ortschaften und Städten.
Im Pflichtschulbereich:
Dreisprachige Grund- und Mittelschule: (Voraussetzung wäre eine Ladinische Einheits-Schriftsprache)
·         für Ladinische Familien außerhalb ihrer Täler,
·         für zweisprachige Südtiroler Familien (mit oder ohne Ladinisch),
·         für Kinder von Zuwanderern (anstatt Ladinisch, soweit als möglich ihre Muttersprache, z.B. Albanisch, Serbokroatisch, Arabisch, Spanisch).
·         Bei Verfügbarkeit auch für weitere Interessenten.
Nach der Schulpflicht: (optional)
Zweisprachige Klassenzüge für alle Interessierten an den
·         Berufs- und Fachschulen
·         Fachoberschulen
·         Allgemeinbildenden Oberschulen
An den Hochschulen ist dieses Prinzip schon verpflichtend für alle eingeführt.

Ich glaube, dass diese von mir vorgeschlagene Lösung nicht nur für die Ladiner außerhalb ihrer Heimattäler wichtig wäre, sondern auch für Kinder, die nicht nur einsprachig, sondern mit einer Mutter- und einer Vatersprache aufwachsen. Bisher war es in solchen Familien meist üblich, ihre Kinder in den deutschen Kindergarten, sowie in die Deutsche Schule zu schicken. Dies geht/ging in den meisten Fällen gut. Ich habe als Berufsberater aber auch die Erfahrung gemacht, dass z. B. männliche Jugendliche, wenn sie sich mehr mit ihrem italienischen Vater und oft auch mit ihren italienischen Freunden, ihrem italienischen Umfeld, identifizierten, in der deutschen Schule versagten und/oder unter Identitätsproblemen litten. Ebenso wäre es auch für Kinder von Zuwanderern gut und wird oft auch von den Eltern gewünscht, dass sie in der Schule beide Landessprachen in paritätischer Weise erlernen.

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Martin B. Do., 21.01.2016 - 23:18

Beginnend mit der Volksschule müssen Kinder! den ganzen! Tag konzentriert, aufmerksam und ruhig die Schulbank drücken (kein Samstag sei dank). Machen Sie es nicht die gnadenlosen Diagnosen und Urteile: Aufmerksamkeitsdefizit, SchulpsychologInnen, Sonderlehrer/stunden, ADHD, (schlimmstenfalls) Psychopharmaka.
Im Zusammenhang mit unserer Gesellschaft weitere regelmäßige Hürden für Kinder: Trennung der Eltern, frequente Umzüge, Verlust von Vertrauenspersonen, Leistungsdruck, große Niveauunterschiede in Klassen, Smartphone/Online-Sucht, Körperliche Gewalt (besonders bei Buben) bricht durch, etc. etc.
Was ich zum Thema sagen will: Ist jemand klar wieviel neue und herausfordernde Pflichfächer + Reformen + Bewertungen + Projekte in den letzten 30 Jahren eingeführt wurden? Wie reagieren die vielen Schüler die bereits auf die Versuche die "Muttersprach"-kompetenz zu steigern pfeifen?
"Was für die Ladiner gut und billig ist und auch hervorragend funktioniert..." beruhend auf welchen Tatsachen? Weil Ladiner auf Deutsch und Italienisch komunizieren können?
Ich sehe nicht ein wieso Mehrsprachkompetenz nicht als Wahlfach ab der Mittelschule (z.B. Literatur) und z.B. auch im Sommer deutlich optimiert werden kann. Kinder und Jugendliche wollen nicht weitere Grammatik etc. lernen, wennschon kommunizieren und anwenden, also möglichst außerschulisch. Ohne diese Anwendung der Mehrsprache hat alles keinen Sinn, wie man am äußerst dürftigen Zweitsprachniveau von vielen Maturanten sieht (wieviele Stunden Zweitsprachunterricht?).
In Summe: Verkomplizieren wir nicht noch mehr für die Kinder, vermeiden wir erwachsene Pläne, Ehrgeiz und Wunschdenken. Und insbesondere: schicken wir die Kinder auch in der Schule zum Toben öfter raus (nicht nur die mikrigen Turnstunden). Das täte Ihnen viel besser als all die gescheiden Lehrpläne und Experten.

Do., 21.01.2016 - 23:18 Permalink
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Sepp.Bacher Fr., 22.01.2016 - 09:30

Antwort auf von Martin B.

Nun Martin, dieser Text ist ein Diskussionsvorschlag. Und die von mir vorgeschlagene Schule wäre eine, die gewählt oder auch nicht gewählt werden könnte. Oder auch erst in einer bestimmten Schulstufe. Die Realität in der Stadt (Bozen, Meran) ist eine andere als auf dem Lande. Denkst du, es ist besser, wenn Kinder aus einer gemischtsprachigen Familie nur deshalb in die deutsche Schule schicken, weil es dann mehr Chancen hat. Noch schlimmer ist es, wenn rein italienischsprachige oder fremdsprachige Familien (wie z. B. meine Zugehfrau) ihre Kinder nur deshalb in die deutsche Schule schicken, weil sie dann realistisch bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben?

Fr., 22.01.2016 - 09:30 Permalink
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Sepp.Bacher Fr., 22.01.2016 - 11:28

Antwort auf von Sepp.Bacher

Nun Martin habe auch ich auf dieser BBD-Seite gestöbert und in einem Kommentar folgenden Passus gefunden: "Dann haben wir die städtische Situation. Hier wird es schon komplexer. Meine zwei Kinder sind in deutschsprachigen Strukturen in der Stadt. In der deutschsprachigen Schule hat man teilweise kaum deutschsprachige Schüler, der Anteil an italienischsprachigen Kindern und ausländischen Kindern ist in den letzten Jahren in die Höhe geschossen. Darunter auffallend viele italienische Militärangehörige (...)…"

Fr., 22.01.2016 - 11:28 Permalink
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Martin B. Fr., 22.01.2016 - 15:15

Antwort auf von Sepp.Bacher

Keine Frage, die Realitäten sind urban deutlich anders als rural. Den Fakt das z.B. in Bozen and deutschen Schulen Schüler mit Eltern deutscher Muttersprache in die Minderheit kommen, habe ich auch als belastend für die Klassen angeführt (Niveauunterschiede etc.). Und weiters habe ich auch ausgeführt, das Schüler welche zuhause oder in der Freizeit kein Deutsch verwenden, auch mit anderen Modellen die Sprache kaum besser lernen werden, weil bis auf die Talentierten (auch durch fähige Lehrer) das Interesse und die Notwendigkeit fehlt. Nun gibt es die Gemischtssprachigen welche immer vehementer "ihre Schule" fordern: Nehmen wir an es gibt eine "vierte Südtiroler Volksgruppe" der Gemischtsprachigen; wieviele sind diese (Kinder)? Ich hatte an anderer Stelle hier vor einigen Tagen gefragt. Sollen Schul-Modelle für diese rein auf gemischtssprachige Familien ausgerichtet sein, d.h. was bleibt die Empfehlung für einsprachige Familien und Zuwanderer? Wird das alles nicht zu kompliziert und komplex? Sicherlich schöne prestigeträchtige Projekte für Uni-Studien, Direktoren, "Pionier"-Lehrer (Landes-Boni) mit jährlichen Erfolgsmeldungen zum Mehrssprachgebrauch bereits bei Kleinkindern. Wie schon versucht auszudrücken: ich bin sehr skeptisch vom wirklichen Nutzen und auch bezüglich Zersplitterung der hochsprachlichen Bildungsmöglichkeiten der staatlichen Minderheiten in Südtirol. Kinder haben eine begrenzte Aufmerksamkeits- und Aufnahmefähigkeit: wenn mehr dazu kommt, muss anderswo gestrichen werden oder jenes leidet eben. Sehen wir seit mindestens 20 Jahren durch die Einbringung von immer mehr Fachbereichen und Inhalten (Sprache einmal ausgenommen). Kaum ist eine Prüfung vorbei, verschwinden Inhalte aus dem Kurzzeitgedächtnis, immer weniger bleibt lange (gibt ja auch Google wo die Wahrheit schnell gefunden werden kann *Ironie*).
Ich bin kein Brötträger von Herrn Knoll aber einige seiner Aussagen sind korrekt (z.B. Minderheitengebiete können in Studien nicht mit "einsprachigen" Einzugsgebieten verglichen werden) und die Thematik ist spitz und gut von pérvasion (siehe dessen Link) ausgeführt. Zum Abschluß: ich habe derart viele Willige erlebt, welche mit über 20 noch beeindruckend in einer Fremdssprache kommunizieren gelernt haben, das mir nicht der frühe Beginn, die Anzahl der Stunden und vielleicht auch nicht die Fähigkeit der Lehrer entscheidend scheinen: es ist der Schüler und dessen Interesse und Motivation und ev. natürlich ideologische Hürden, welche meiner Meinung nach den Erfolg bestimmen.

Fr., 22.01.2016 - 15:15 Permalink
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Sepp.Bacher Fr., 22.01.2016 - 18:15

Antwort auf von Martin B.

Jeder hat seinen persönlichen Wissens- und Erfahrungshintergrund. Ich vermute, du bist Lehrer, ich war Berufsberater. In meinem Bekanntenkreis in Bozen gab es aber viele mit dem Hintergrund Mutter deutsch, Vater italienisch. Diese klagten und erzählten Dinge, die mich als Pseirer-Dialekt-Muttersprachler stutzig machten und umdenken ließen. Ebenso hatte ich Freunde oder Freundespaare in solcher Konstellation. In der Regel war es selbstverständlich, dass jeder Elternteil mit dem Kind in seiner Sprache spricht. Die Eltern untereinander meistens italienisch. Es war aber auch selbstverständlich, dass die Kinder in den deutschen Kindergarten und in die deutsche Schule gehen. Wegen Wohnungswechsel zog ich in ein sehr großes Mehrfamilienhaus (drei Stiegenhäuser, acht Stockwerke mit je 4 Wohnungen). Aufgrund der Namen auf den Klingeln sollten hier fast nur Italiener wohnen. Ich war überrascht zu hören, wie viele Kinder untereinander bzw. wie viele Mütter mit ihren Kindern deutsch sprachen. Von der Erfahrung als Berufsberater habe ich schon geschrieben. Ich kannte zwar keine statistische Zahlen, die es angeblich auch nicht gibt. Meine subjektive Wahrnehmung und Erfahrung sagten mir, dass die Gemischtsprachigen viel häufiger anzutreffen sind, als angenommen und zugegeben.

Fr., 22.01.2016 - 18:15 Permalink
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Martin B. Mo., 25.01.2016 - 00:40

Antwort auf von pérvasion

Ja hab auf pérvasion's Hinweis nun auch die Interessante Erhebung gefunden: http://www.provinz.bz.it/astat/de/haushalte-soziales-leben/537.asp?Sons…
"Dies weist darauf hin, dass es in den vergangenen Jahrzehnten seltener zu gemischtsprachigen Ehen kam. Das Phänomen breitet sich nicht weiter aus; der Anteil in der jüngsten Altersklasse ist nicht signifikant höher als jener der Erwachsenen. "
"Deutsch 258.900
Italienisch 99.200
Ladinisch 16.900
Gemischtsprachig 15.900
Andere 31.200"
Also sind Gemischtsprachige an 5. und letzter Stelle der erhobenen Sprachzuordnungen und meiner Meinung nach sollte die Priorität weiterhin auf die Mehrheiten ausgelegt und ausgerichtet sein. Eine Einführung von immersiven DE/IT Modellen an Pflicht- und Oberschulen (Schüler verlieren die Wahlmöglichkeit) finde ich also nicht richtig, bevor es nicht langjährige Versuche an z.B. 1-2 Mittelschulen und einem Sprachlyzeum gibt (sinnvollerweise in Bozen).

Mo., 25.01.2016 - 00:40 Permalink