Gesellschaft | Soziales Verhalten

"Mobbing kann jedem passieren"

Über den Mobbing-Fall in Pordenone, wo sich eine 12-Jährige aus dem Fenster stürzte, spricht Ivo Passler, Sozialpädagoge am Schulsprengel Meran Obermais.

Am 18. Jänner kam es in Pordenone zu jenem tragischen Ereignis, das Anlass für dieses Interview ist. In der friaulischen Stadt sprang eine 12-Jährige aus dem Fenster der elterlichen Wohnung im 2. Stock; sie habe die schwierigen Verhältnisse zu den Mitschülern und das Mobbing in der Schule nicht mehr ertragen und keinen anderen Ausweg gesehen, schrieb sie in Briefen an die Eltern und die Schule. Das Mädchen wurde ins Krankenhaus gebracht, die Heilungsdauer ist mit 40 Tagen angegeben.

 

Eine 12-Jährige springt aus dem Fenster der elterlichen Wohnung, weil sie das Mobbing ihrer Mitschüler nicht mehr aushält. Herr Passler, ist das ein besonders tragischer Fall oder kennen Sie ähnliche Geschichten auch in Südtirol?
Ivo Passler: Der aktuelle Fall aus Pordenone ist schon besonders hart; leider sind es eben auch solche Fälle, durch die das Phänomen Mobbing in der Öffentlichkeit diskutiert wird. Mobbing ist natürlich auch in Südtirol ein weit verbreitetes Phänomen, dem wir Schul-Sozialpädagogen in unserer Arbeit nicht selten begegnen. Gott sei Dank habe ich noch nie direkt mit einem Suizidversuch auf Grund von Mobbing zu tun gehabt, aber im Zuge meiner Arbeit habe ich Fälle erlebt, wo im Kontext von Mobbing-Strukturen verschiedene Symptomen auftraten, von Beschwerden wie Bauchweh und Kopfweh bis hin zu aggressiven Verhaltensstörungen des Gemobbten oder bis zur Schulverweigerung.

In einer Mobbing-Dynamik sind immer alle beteiligt. Zum Beispiel auch die Wegschauer, die Mitläufer, und die möglichen Unterstützer des Opfers.

In Pordenone ist das Mädchen zuhause geblieben und hat den Schulbesuch verweigert, wie die Mutter laut Medienberichten sagte, auch ihre Freundinnen hätten über das Mobbing Bescheid gewusst, trotzdem war hier Hilfe nicht möglich?
Auch das ist ein Merkmal von Mobbing, das unbemerkte Andauern. Wo Gewalt gegenüber einer Person - oft sehr subtil und leise - über einen langen Zeitraum hin ausgeübt wird, und das System das irgendwann fast als Normalität einbaut, sprechen wir eben von Mobbing. Dabei bedeutet das nicht, dass die Gewalt von allen im System beteiligten Personen akzeptiert wird. Vor solchen pauschalen Vermutungen müssen etwa auch Lehrpersonen geschützt werden, denn das Phänomen Mobbing ist deswegen so wirksam, weil es eben oft sehr versteckt geschieht. Es sind auch nicht immer die aggressiven Rüpel, die mobben, sondern Kinder und Jugendliche, aber auch Erwachsene, die vor Autoritätspersonen durchaus sympathisch und angenehm auftreten, die sich von ihrer besten Seite zeigen und denen man das überhaupt nicht zutraut. Gerade deshalb ist der erste Schritt bei Verdacht auf Mobbing, dass die Gruppenleiter - etwa die Lehrpersonen -  "die Antennen schärfen" in Bezug auf die Gruppendynamik und die verschiedenen Positionen aller Akteure. Und in einer Mobbing-Dynamik sind immer alle beteiligt. Zum Beispiel auch die Wegschauer, die Mitläufer, und die möglichen Unterstützer des Opfers, die sich bisher noch nicht aktivieren konnten.

Wie stark wird denn über Internet und soziale Chats gemobbt?
Die Neuen Medien bieten Nährboden für Mobbing. Hier wird es teilweise wirklich schwierig mit der Verantwortung. Fast jede Klasse – zumindest in der Mittelschule – betreibt heute einen Klassenchat über whatsapp, der sich dem Mitwissen und auch der Verantwortung der Lehrer natürlich oft entzieht. Hier gibt es ja wirklich keinen schulischen Auftrag, diesen zu überprüfen. Trotzdem ist es ein Klassenchat und betrifft die Klasse als solche. Welche erwachsene Bezugsperson steht in der Verantwortung, die Gruppe hier zu begleiten? Wir würden wohl kaum eine Gruppe von 12jährigen über längere Zeit regelmäßig alleine absolut unbeaufsichtigt und unkontrolliert in einem Jugendtreff lassen, oder? In Pordenone ermittelt die Staatsanwaltschaft nun eben auch gegen die Eltern jener Kinder die mit deren facebook-Konten gemobbt haben oder die facebook-Konten eröffneten, obwohl sie das altersmäßig noch nicht dürften.

Es kann irgendein körperliches Merkmal sein genauso wie der kulturelle Hintergrund, die Hautfarbe genauso wie die Tatsache dass sich ein Neider gegen mich aufbaut, weil ich besser in Sport bin.

Trotzdem muss es Freiräume, wie eben den Klassenchat doch geben für Schüler und Schülerinnen, die Frage ist, wie ich einem eventuellen Missbrauch vorbeuge?
Natürlich fordern besonders Jugendliche ihre Freiheit und Privacy, aber in jedem sozialen Raum braucht es auch in Werten geankerte und demokratisch legitimierte Regeln, die gelten und durchgesetzt werden. Weil sonst machen sich die Akteure ihre Regeln halt in Eigenregie, und dann gilt erst einmal die Macht des Stärkeren, das Gesetz des Dschungels. Wir Schul-Sozialpädagogen haben die Möglichkeit, ein besonderes Augenmerk auf Dynamiken in Gruppen zu lenken. Aber die Frage der Klassen-Chats bleibt ein Grenz-Bereich.

Wie ist das Geschlechterverhältnis beim Mobbing, sind Jungen oder Mädchen gefährdeter?
Nach meinen Angaben, die ich aus Literaturrecherche und auch aus dem Austausch mit den Expertinnen - etwa vom Forum Prävention - beziehe, hält sich das die Waage, es gibt etwa genauso viele Mädchen wie Buben bei Mobbingopfern und –tätern. Jeder kann Opfer werden, es gibt hier keine Kriterien. Es kann irgendein körperliches Merkmal sein genauso wie der kulturelle Hintergrund, die Hautfarbe genauso wie die Tatsache dass sich ein Neider gegen mich aufbaut, weil ich besser in Sport bin. Jeder Anlass ist schlecht genug, kann man fast sagen.

Und wenn ein Mobbing-Fall auftritt, wie sollte dann reagiert werden?
Also wenn Mobbing an der Schule vorkommt, liegt eine Hauptverantwortung an der Schule. Das Opfer muss sofort geschützt werden. Eltern von Opfern stehen in der Verantwortung, sich an der Schule Gehör zu verschaffen. Wenn - im schlimmen Fall - einige Lehrpersonen kein Verständnis zeigen, dann geht der Weg eben weiter, zur Schulführungskraft, oder zu externen Fachkräften. Etwa bei den Pädagogischen Beratungszentren oder beim Forum Prävention. An einigen Schulen gibt es ja auch einen Sozialpädagogen wie mich. Für die Intervention gibt es dann verschiedene mögliche Methoden. Wichtig dabei ist immer ein starkes Teamwork. Und ein konstruktiver Ansatz. Also mit der Logik "wir bestrafen die Täter und dann wird sich alles legen" ist da nichts getan. Damit Mobbing aufgelöst wird, und in Zukunft weniger Chancen hat, muss sich die Kultur der gesamten Gruppe ändern. Eine wesentliche Verantwortung dabei tragen natürlich die Leitungspersonen, bei Schulklassen etwa die Lehrpersonen.

Jedenfalls braucht es für die Mobbing-Intervention verantwortliche Personen, die wissen, wie mit solchen Gewalt-Strukturen umzugehen ist. Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. Und ich habe durch eigene Fehler gelernt, dass es auch Interventionen gibt, die nach hinten losgehen. Es gibt aber auch erprobte Methoden und Ansätze, an denen man sich orientieren kann. Etwa die FARSTA-Methode oder den NO BLAME APPROACH. Dazu gibt es im Internet viel griffige Lektüre. Zu Mobbing finden sich auch sehr brauchbare Leitfäden für Opfer, oder Eltern der Opfer, oder Lehrpersonen.

Was es braucht, sind aktive und zivilcouragierte Persönlichkeiten an der Schule, die sich für eine solche inklusive Wertegemeinschaft stark machen. 

Welche Altersgruppen sind denn besonders von Mobbing gefährdet?
Das sind die Kinder und Jugendlichen der Grund- und Mittelschule, und es gibt auch Gründe dafür. Mobbing passiert dort am ehesten, wo sich Menschen in Zwangssituationen befinden. Eine Schulklasse ist ja an sich keine spontane Gemeinschaft. Ich suche mir meine Freunde aus, aber nicht meine Klassenkameraden. Aus der Gruppendynamik einer Klasse komme ich schwer aus. In der Oberschule habe ich als Schüler dann zumeist schon mehr Handlungs-  und Bewegungsspielraum: ich kann leichter schwänzen, ich kann die Schule leichter wechseln. Das ist in den unteren Schulstufen noch nicht so möglich. Überall dort, wo eine Gruppe engmaschig organisiert ist, also gruppendynamisch wenig Spielraum besteht, ist Mobbing begünstigt. Natürlich auch dort, wo steile hierarchische Machtgefälle bestehen, die nicht demokratisch legitimiert werden.

Also ist auch die Schule noch in diesen hierarchischen Machtgefügen gefangen?
Die Schule hat eine jahrhundertelange Geschichte mit teils stark autoritativen Charakterzügen, aber so wie die Schule heute in Südtirol da steht, gibt es durchaus klare Hoffnungen. Die wertvollen Konzepte der Inklusion sind in unseren Gesetzen teilweise schon fest verankert. In den Rahmenrichtlinien ist etwa grundsätzlich festgehalten, dass alle Schüler  das Recht haben, in ihrer Einzigartigkeit geschätzt, geschützt und gefördert zu werden. Wir müssen diese humanistischen Leitlinien und Regelrahmen aber auch wirklich für uns ernst nehmen und schätzen, und uns für ihre Umsetzung engagieren, dann haben wir eine gute Chance, eine wertvolle Gesellschaft zu bauen. Was es dazu braucht sind aktive und zivilcouragierte Persönlichkeiten an der Schule, die sich für eine solche inklusive Wertegemeinschaft stark machen. Unter dem Deckmantel der brüchigen Wirtschaftslage wird auch dem Bildungswesen zunehmend Energie entzogen. Parallel dazu steigt bürokratischer Aufwand. Es ist fatal, wenn dadurch Stress und Frustration weiter angetrieben werden.  Die Qualität der Erziehung und Bildung aller Bürger muss höchstes Interesse einer Gesellschaft sein. Kooperation und Team-Geist müssen über die fatale Logik der Ellbogen-Konkurrenz siegen. Sonst lachen sich Mobbing und Burn-Out gewaltig ins Fäustchen. 

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kurt duschek Fr., 22.01.2016 - 14:54

Einverstanden mit Passler! Beachten und beobachten , bei Vorkommnissen sofort melden und auf keinen Fall unterschätzen. Wichtig ist, die Aussagen der "Opfer" ernst nehmen.

Fr., 22.01.2016 - 14:54 Permalink
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Ischia Frizzi Fr., 22.01.2016 - 15:39

Gli insegnanti spesso faticano ad affrontare il tema del bullismo. E’ giusto prestare maggiore attenzione ai segnali lanciati dalle vittime. Mi piacerebbe sapere il disagio affrontato con un lavoro di gruppo in classe, con un supporto pedagogico, atto a far prendere coscienza alla classe dell’ingiustizia. Spesso l’intervento consiste nel punire i bulli, ma solo se beccati in flagrante. Non lo conidero un modo adeguato per affrontare il problema.

Fr., 22.01.2016 - 15:39 Permalink