Politik | Nordkurdistan

Türkischer Staatsterror gegen die Kurden

Die Kurden der Türkei wollen Autonomie, das Erdogan-Regime antwortet mit Terror und Europa schaut weg.
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Die Türkei überzieht seit Monaten verschiedene Städte im Südosten (Nordkurdistan) mit einer militärischen Offensive wie im Krieg. Junge Leute, linke Widerstandsgruppen, Aktivisten der HDP-Partei hatten Barrikaden errichtet und werden jetzt gnadenlos mit Panzereinsatz und Artilleriebeschuss niedergewalzt. In Cizre, Silopi, Sur und vor allem der Kurdenhochburg Amed (Diyarbakir) herrscht offener Staatsterror, wie kurdische Medien berichten. Die Armee bombardiert ganze Stadtviertel, wie Assad in Syrien. Die Armee hat schon hunderte angeblicher „PKK-Kämpfer“ getötet, doch meist sind es Zivilisten, die als solche bezeichnet werden.

Währenddessen gehen die Drohungen des türkischen Ministerpräsident Davutoglu gegen kurdische Städte und deren Bevölkerung weiter: "Wir werden die Städte Cizre und Silopi in befreite/freie Zonen verwandeln. (...) Wir erlassen die Ausgangssperren, damit die Terrororganisation (gemeint ist die PKK) den Menschen vor Ort keinen Schaden zufügen kann", so Davutoglu. In einer Rede am Montag sprach er davon, die Stadtviertel, in denen es Barrikaden und Widerstand gäbe, von den Terroristen zu "bereinigen". Zum ersten Mal in der Geschichte der Türkei gibt es mehr als zwei Monate dauernde Ausgangssperren in mehreren Städten.

Viele Bewohner der kurdischen Regionen packen - wie in den 1980er und 1990er Jahren - ihre Sachen und fliehen vor "Verhaftungen, Razzien, Ausgangssperren, extralegale Hinrichtungen und Bombardierungen", wie ein Bericht der Informationsstelle Kurdistan ISKU erklärt. Schon sind 80.000 Menschen geflohen Richtung Europa. So schafft Erdogan weitere Flüchtlingsströme.

Ein Konflikt zwischen der PKK und dem türkischen Staat? Bislang hat sich die PKK auf Statements beschränkt. Aktionen gegen das türkische Militär kamen von anderen Widerstandsorganisationen. Was häufig unter den Teppich gekehrt wird, ist, dass es auch andere türkische/kurdische linke Organisationen gibt, die ihre eigenen Ziele verfolgen. Deren Aktionen werden dann der PKK angelastet. In unseren Medien wird meist die Darstellung der türkischen regierungstreuen Medien übernommen, wonach es sich um Kämpfe zwischen der PKK und der türkischen Armee handele. Tatsächlich ist es aber die Bevölkerung in den kurdischen Städten, vorwiegend Jugendliche und Frauen, die ihre Städte und Selbstverwaltungen gegen das Militär und die Sondereinheiten Erdogans verteidigen.

Die deutsche Regierung, die derzeit in der Türkei über die Flüchtlingsfrage verhandelt, hüllt sich in Schweigen. Getrieben von der Angst, die Türkei könnte auch den Rest der Syrien-Flüchtlinge nach Griechenland übersetzen lassen, ist man bereit, Erdogan frei Hand zu lassen. Er müsse die Flüchtlinge fernhalten und könne dafür ohne Einmischung von außen in Nordkurdistan tun, was er wolle. Damit droht allerdings die nächste Fluchtwelle. Statt sich dafür einzusetzen, dass der Dauerbeschuss der kurdischen Wohnviertel beendet wird, hofiert Deutschland und die EU dem AKP-Staat, weil sie den Flüchtlingsstrom unter Kontrolle bekommen will. Man stellt sogar die Fortsetzung der Beitrittsverhandlungen in Aussicht. Das kann nicht gut gehen. Europa kann nicht auf Kosten der Kurden seine Politik zur Eindämmung des Flüchtlingszustroms betreiben. Der Staatsterror des AKP-Staats gegen die Kurden wird auf die EU zurückfallen, wenn die gesamte Region noch stärker in Gewalt versinkt.

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Stephan H. Mo., 25.01.2016 - 06:26

"Die Armee bombardiert ganze Stadtviertel, wie Assad in Syrien"

Da sieht man mal wieder, dass es nur darauf ankommt, auf welcher Seite man steht und welchen Interessen man dient und nicht auf die Menschenrechte. Assad steht den Interessen der USA/NATO im Wege, die Türkei natürlich nicht weil sie Teil davon ist. Jetzt will man sie sogar in die EU holen. Die EU war besonders für uns Südtiroler eine Hoffnung, um die Regionen zu stärken und Staatszentralismus zu schwächen.
Heute wissen wir es besser und sind uns darüber im Klaren, dass die EU von transatlantischen Think Thanks "erfunden" wurde, um erstens die Vormachtstellung des US-Imperiums auch in Europa zu sichern und zweitens den Hebel dieses Imperiums, die Großkonzerne und das Großkapital, zu fördern und zu schützen.

Mo., 25.01.2016 - 06:26 Permalink
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Thomas Benedikter Di., 26.01.2016 - 10:16

Ihrem Kommentar kann ich eher nicht zustimmen, Stephan, denn die EU als von den USA ferngesteuertes Projekt hinzustellen, um das US-Imperium in Europa zu sichern,ist eine ziemlich widersprüchliche These. Zum einen hätten sich die USA zwecks Sicherung der Weltmärkte mit einem in Nationalstaaten verzettelten Europa leichter getan, zum anderen gab es damals in den 1950er Jahren schon auch breite demokratische Mehrheiten in Westeuropa sowohl für die NATO als auch für die EU (nicht nur Think Tanks, die die Linie vorgeben).
Auch im zweiten Punkt haben Sie nicht ganz recht. Richtig ist, dass die NATO unter Federführung der USA die Türkei anscheinend machen lässt, was Erdogan will und noch nie ernsthaft auf die Einhaltung der Grundrechte der Kurden und andren Minderheiten gepocht hat. Und das in einem NATO-Mitgliedsland. Nicht richtig ist, dass Assad den USA und der NATO so sehr im Wege steht: hätte man ihn dann geschlagene 5 Jahre Zeit gegeben, sein eigenes Volk so zu terrorisieren mit 250.000 Todesopfern und 11 Millionen Vertriebenen? Hätte man darauf verzichtet eine einzige kleine Flugverbotszone zu errichten wie 1991 und 2003 in Irakisch-Kurdistan. Leider wiederholt sich in Syrien, das was wir vor 20 Jahren grauenhaft in Bosnien erlebt haben. Wenn den Militärpakten ein Land strategisch nicht wichtig und interessant genug ist (Somalia, Darfur, Syrien) und es "nur" um den Schutz der Zivilbevölkerung geht, überlässt man es sich selbst bzw. seinen zu allem entschlossenen Diktatoren.

Di., 26.01.2016 - 10:16 Permalink
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Stephan H. Di., 26.01.2016 - 11:13

Antwort auf von Thomas Benedikter

"die EU als von den USA ferngesteuertes Projekt hinzustellen, um das US-Imperium in Europa zu sichern,ist eine ziemlich widersprüchliche These"

Erstmal danke für Ihre Antwort.
Jedenfalls sieht man am Beispiel der BRD, dass die USA sich nicht, wie etwa die Sowjetunion, aus den Besatzungszonen des 2.WK zurückgezogen haben, sondern immer noch wie in Ramstein eine Militärbasis betreiben, wo militärische Operationen wie etwa Kampfdrohnen-Einsätze ausgeführt werden. Oder der Dagger Complex (BRD), von wo aus die NSA Millionen Europäer überwacht hat. Wenn man aber Literatur von und über sämtliche politische Berater oder Ex-Minister der USA betrachtet, wird der EU oft eher nur ein Vasallenstatus zuerkannt. Da kann man sich nur Zbigniew Brzezińskis Aussagen anschauen oder etwa die Respeklosigkeit einer Victoria Nuland ("F...ck the EU"), wenn es mal nicht ganz nach US-amerikanischer Vorstellung läuft.

"Wenn den Militärpakten ein Land strategisch nicht wichtig und interessant genug ist und es "nur" um den Schutz der Zivilbevölkerung geht"

Das ist wirklich das Traurige an der ganzen Geschichte und das stimmt einen sehr nachdenklich. Ich denke Sie sind sicher jemand der sich hart an die Fakten hält, die Sie von Informanten aus Menschenrechtsorganisationen bekommen. Fakt ist aber wahrscheinlich auch, dass in den von Ihnen genannten Konflikten Geheimdienste und NGO's verschiedenster Länder ihre Finger im Spiel hatten und haben, um etwa Stellvertreterkriege um Einflussbereiche auszufechten. Oder etwa nicht? Und es ist schon ein bemerkenswerter Zufall, dass immer dort die größten Konflikte ausbrechen, wo es um die Einflussphären der USA vs. Russland geht bzw. um lukrative Ressourcen (Erdöl usw.). Das war in Afghanistan so, in der BR Jugoslawien so, in der Ukraine so, das ist in Syrien, Irak usw. so und das wird wohl auch in Zukunft so sein. Je nachdem wo man lebt, begleitet wie immer auch die Presse das Geschehen wenig objektiv, dass es besonders als Laie -wie ich es im Gegensatz zu Ihnen etwa bin- oft sehr schwer ist, die Lage richtig einzuschätzen. Weil man ja auch nicht vor Ort war bzw. ist. Aber ich persönlich hatte halt immer das Gefühl, dass etwa in Lybien, Syrien usw. zwar schreckliche Zustände mit unterdrückerischen Diktatoren herrsch(t)en, was ja für die dortige Bevölkerung schlimm genug ist, aber dass das was nachher kommt (IS) auch nicht gerade Hoffnung für die Zukunft der Leute dort macht. Kann es nicht unter Umständen sein, dass es überhaupt das Beste wäre oder gewesen wäre, dass sich der sog. Westen nicht in Dinge anderer Länder/Völker einmischt, um weniger Chaos zu erzeugen? Oder muss es überall auf der Welt "unser" System geben?

Di., 26.01.2016 - 11:13 Permalink
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Thomas Benedikter Di., 26.01.2016 - 21:18

Lieber Stephan, ich verstehe Ihre Argumente, aber leider ist Ihre Darstellung immer noch nicht stimmig. Ich schicke voraus, dass meine Quellen tatsächlich meistens Menschenrechtsorganisationen sind, aber auch vertrauenswürdige Medien und Webseiten, die unter schwierigsten Bedingungen ein Mindetsmaß an objektiver Information aufrechterhalten.
Sie schreiben, dass "immer dort die größten Konflikte ausbrechen, wo es um die Einflussphären der USA vs. Russland geht bzw. um lukrative Ressourcen (Erdöl usw.). Das war in Afghanistan so, in der BR Jugoslawien so, in der Ukraine so, das ist in Syrien, Irak usw. so und das wird wohl auch in Zukunft so sein." Dem ist nicht so. Unbestritten gibt es die klassischen Militärinterventionen um sich die Kontrolle von strategischen Ressourcen zu sichern. Das waren die Bush-Interventionen im Irak 1991 und 2003. Doch aus dem Krieg in Somalia haben sich die USA rasch wieder zurückgezogen, weil dort nichts zu holen war. Andererseits stützen die USA wieder Regierungen, die ihr eigenes Volk unterdrücken. Der Fall Ukraine ist wieder anders gelagert, und mit Gewissheit ging es der NATO und den USA in Jugoslawien nicht ums Öl oder Ressourcen, wie manche Verschwörungstheoretiker behaupten. Im Gegenteil: es ging vor allem um den Schutz der Zivilbevölkerung in einem implodierenden Staatswesen, und die NATO hat 3,5 Jahre zugesehen, wie täglich dutzende Menschen in Sarajevo massakriert wurden. Wenn Sie den aktuellen Fall Syrien nehmen, spielt das Öl eine sehr geringe Rolle. Die USA brauchen kein syrisches Öl und schon gar nicht Russland, selbst eine rder größten Exporteure. Es geht um die Kontrolle der Region und um das Versagen der "Staatengemeinschaft", bei Bürgerkriegen und Völkermordverbrechen rechtzeitig einzugreifen. Wir haben leider noch keine UNO, die in solchen Fällen aufgrund geltenden Völkerrechts ihre "responsibility to protect" ausübt.

Di., 26.01.2016 - 21:18 Permalink
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Stephan H. Di., 26.01.2016 - 21:51

Antwort auf von Thomas Benedikter

Ich denke schon, dass es in den meisten den von mir genannten Konflikten auch um Stellvertreterkriege zwischen Russland und den USA geht. Das kann, aber muss nicht immer Erdöl sein, das meinte ich auch nicht. Die Konflikte in der Welt werden immer kontrovers diskutiert, auch in der gängigen Literatur. Jedenfalls vielen Dank für die Antworten, man lernt viel von Leuten die sich mit diesen Themen seit Jahrzehnten beschäftigen und vom Fach sind.

Di., 26.01.2016 - 21:51 Permalink
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Karl Trojer Mi., 06.04.2016 - 18:29

Die Kurden, eines der ältesten und friedfertigsten Völker, waren von europäischen Kolonialmächten als Volk zerrissen und auf vier Staaten (Iran, Irak, Syrien, Türkei) aufgeteilt worden. Seitdem kämpfen sie ums Überleben. Diesem Volk steht ein unabhängiger, eigener Staat oder zumindest eine jeweils umfassende und international abgesicherte Autonomie zu. Und Europa muß sich seiner geschichlichen Verantwortung stellen und ehestesn dazu beitragen, dass dies passiert.

Mi., 06.04.2016 - 18:29 Permalink