Politik | Konvent

Die Region ist tot. Es lebe die Region.

Ebnet der Südtirol-Konvent den Weg für das endgültige „Los von Trient“?

Thomas Benedikters Argumentation (auf bbd) können wohl viele Landsleute folgen: Die Region muss weg. Halt! Die Analyse ist zwar richtig, aber die Strategie ist es nicht. Unsere Rhetorik hallt im Porzellanladen. Deshalb: langsam, nähern wir uns Punkt für Punkt.

1: Region ist nicht gleich Regionalrat. Juridisch denkende Verfassungsrechtler mögen jetzt den Kopf schütteln, aber Politik und Zwischenmenschlichkeit leben nun halt auch von Symbolik. Einigen wir uns doch auf die Formulierung: Der Mehrwert des heutigen Regionalrats ist überschaubar und die Reformbedürftigkeit ist gegeben. Eine Region mit ausgehöhltem Regionalrat mag vordergründig zwar nicht sehr sinnvoll sein, aber weh tut sie dann schließlich auch niemanden. Auf diese Erkenntnis kann man wieder konstruktiv aufbauen.

2: Sagen wir, die Region definiert sich als der Teil des EVTZ, der sich auf italienischem Staatsgebiet befindet.

3: Ganz im Sinne des EVTZ definieren sich die Länder Trentino und Südtirol als gegenseitig souverän, verpflichten sich aber gleichzeitig, Innenpolitik stets harmonisierend und in gegenseitiger Transparenz zu gestalten, außenpolitisch aber grundsätzlich geschlossen bzw. nach einem Rotationsprinzip zu agieren. (Beziehungen mit dem Bunderland Tirol innerhalb des EVTZ sind hierbei nicht als außenpolitisch zu verstehen).

4: Der Regionalrat delegiert sämtliche legislativen und exekutiven Zuständigkeiten an die Landtage und wird stattdessen mit der Harmoniserung beauftragt. Dazu erhält er juridische Werkzeuge. Zusätzlich übernimmt er die Koordinierung der den italienischen Staat betreffenden Belange des EVTZ, sowie sofern vom EVTZ dazu ermächtigt unseren Anteil an der Verwaltung des Grenzgemeindenfonds, der A22, des Stilfserjochparks, der Unesco-Dolomiten.

5: Die Region erhält die im Rahmen des Madrider Übereinkommens inklusive Zusatzprotokolle vorgesehene Ermächtigung mit Ländern außerhalb aber auch innerhalb des italienischen Staatsgebietes zusammenarbeiten zu können.

6: In der Logik eines konsequenten Subsidiaritätsprinzips werten die Länder Trentino und Südtirol im Zuge ihrer Autonomiereform (und in Abstimmung mit dem Bundesland Tirol) die Bezirke auf, die von einer möglichst schlanken Bürgermeisterversammlung getragen werden. Bezirke dienen auch als Wahlkreise, speziell für Nationalwahlen, können aber innerhalb der Region einem Regelwerk folgend Allianzen schmieden. Man denke an einen ladinischen Vertreter, der von Fassa, Gröden und Gadertal gemeinsam bestimmt wird, was natürlich neue Grenzziehung der Bezirke voraussetzt.

7: Politische Vertreter in Rom, ob Kammer oder Senat, werden zur Hälfte über landesweite Stimmen gewählt und zur anderen Hälfte über die Bezirke.

8: Im Artikel V der italienischen Verfassung werden wir weiterhin als „Regione e le Province autonome“ geführt. Dies ist zwar keine strategische Notwendigkeit, aber Gegenteiliges wäre taktisch unklug und eigentlich auch unnötig.

9: Der EVTZ erklärt sich grundsätzlich dafür aufgeschlossen, mit anderen Ländern Aufnahmeverhandlungen zu beginnen, die natürlich ergebnisoffen sind. Dazu sollten aber zuerst Referenzpunkte definiert werden (Beschränkung auf Alpenländer und Erhaltung einer Sprachgruppen-Balance wären zwei naheliegende Kandidaten hierzu). Siehe hierzu auch ausdrücklich Punkt 2. Das bedingt, dass EVTZ und Region auf restaurative Tirol-Symbolik konsequent verzichten.

10:  Zusätzlich zum EVTZ wird auch das Konzept der Euregio (wieder-)belebt. Während der EVTZ auf den formalen Säulen der Länder steht, können auch kleinere Verwaltungseinheiten wie Gemeinden oder Bezirke zur verstärkten Zusammenarbeit in der Euregio eingeladen werden. Münstertal, Pinzgau und Asiago seien hier beispielhaft zur Veranschaulichung genannt, ausdrücklich auch aber mögliche Exklaven wie die Sprachinseln Plodn oder Zahre. Für jene, die sich auf italienischem Staatsgebiet befinden, erhält die Region eine dem Grenzgemeindenfond ähnliche Möglichkeit, Steuergelder dort auszugeben, anstatt nach Rom zu liefern.

11: Eine Absichtserklärung wird verbrieft, den EVTZ als Vorreiter zu einem Europa der Regionen zu entwickeln, und zwar in partner- und freundschaftlicher Beziehung zu Österreich und Italien, eine kondominiumale Schirmherrschaft beider anstrebend.

12: Der Südtirol-Konvent bzw. Consulta werden als dauerhafte Gremien installiert, um diesen Werdegang zu begleiten - nicht zuletzt, um auf eventuelle Vertragsbrüchigkeit gesamtgesellschaftlich reagieren zu können.

Thomas, vielleicht konnte ich mich diesmal besser erklären. Solange ich diesen Traum träumen kann, bleibe ich Verfechter der Region. Mit Herz und Verstand.

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Karl Gudauner Fr., 05.02.2016 - 22:46

Die Architektur der Regionalautonomie kann nur im Einvernehmen mit dem Trentino abgeändert werden. Es braucht also eine gemeinsame Position.

Fr., 05.02.2016 - 22:46 Permalink
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Thomas Benedikter So., 07.02.2016 - 23:09

Ein anspruchsvoller und phantasievoller Entwurf, die Region zu retten, lieber Benno, mit vielen interessanten Anstößen. Region und EVTZ mit ihren ganz verschiedenen Rechtsgrundlagen sind allerdings etwas durcheinander geraten.
Hier nur einige kurze Widerworte:
1. "Weh tut sie niemanden".
Demokratisch gesehen hat die Region keine echte Legitimation, denn die Mehrheit der Südtirol würde sie abschaffen, darf aber nicht. Wichtige Regeln für unsere Demokratie (z.B. die Gemeindeordnung, das Gemeindewahlrecht) werden von der Region den Ländern aufgedrückt, warum? Die Region verhindert einen echten Statut-gebenden Prozess, ohne Zustimmung des Regionalrats gehen keine in Südtirol partizipativ und demokratisch gefassten Vorschläge ans Parlament. Und so fort.
2. Falsch
Die Region ist nicht Teil der EVTZ, sondern die Länder und die Region sind Träger der Rechtskörperschaft EVTZ.
3. Wenn die Länder "souverän" wären, bräuchten sie keine Region als verfassungsrechtliches Korsett und könnten ganz freiwillig den EVTZ zusammen mit Tirol betreiben.
4. Furchtbar komplizierte und unnötige Konstruktion. Die Region wäre immer nur die 6. (überflüssige) Regierungsbene neben den Gemeinden, dem Land, dem EVTZ, dem Staat und der EU. Nur gut für "poltrone" und Doppelgleisigkeiten.
6. Nichts gegen Bezirke als Verwaltungseinheiten. Als Wahlkreise eher nur bei Mehrheitswahlrecht sinnvoll, was für Südtirol nicht in Frage kommt.
7. Unbegründet.
Das Senatswahlrecht sieht inzwischen ganz anders aus. Senatoren und Abgeordnete sollen ganz Südtirol in Rom vertreten und in ganz Südtirol gewählt werden.
8. "Taktisches Vorgehen" mag für Parteizentralen wichtig sein, wir argumentieren hier doch über das Pro und Contra einer sinnvollen politischen Lösung, oder?
9-11 Über die Entwicklungsmöglichkeiten des EVTZ wäre gesondert zu diskutieren, unabhängig von der Region. EVTZ werden normalerweise von Regionen, Ländern, Provinzen getragen, die eigenständige Körperschaften sind. Es gibt 30 EVTZ in der EU, manch efunktionieren schon länger und besser als die Europaregion Tirol. Zweck ist jedenfalls die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, nicht das "Europa der Regionen". Es gibt 278 NUTS-Regionen in der EU, die Mehrheit liegt nicht an einer Grenze.
12. Den Südtirol-Konvent mit seinem partizipativ unzuriechendem Ansatz auf Dauer installieren, nein, danke. Eine Autonome Region Südtirol mit Statutshoheit kann jederzeit ihr Statut demokratisch ändern (mit anschließender Ratifizierung durchs Parlament).
Einen Punkt, lieber Benno, schaffe ich einfach nicht rüberzubringen: freiwillig und dauerhaft zusammenarbeiten, das können auch eigenständige Länder, es braucht dafür keine von oben aufgzwungene Region.

So., 07.02.2016 - 23:09 Permalink
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Benno Kusstatscher Mo., 08.02.2016 - 08:31

Thomas, danke. Wenn die Region aufgelöst gehört, nur weil sie (damals) nicht demokratisch legitimiert wurde, dann spricht Du indirekt auch die Zugehörigkeit zu Italien an. Versuchen wir die Zukunft doch bitte ohne historisches Trauma zu diskutieren.

Als Nicht-Experte lasse ich das "phantasievoll" gerne auf mir sitzen, dass aber eine "Vision" wie mein Punkt "falsch" sein kann, dient nicht dem offenen Dialog. Das Wort hatte ich beim nicht-perfekten Konvent noch nicht gehört.

Du magst Recht haben, dass auf dem Reißbrett gewisse Dinge anders entworfen werden würden, aber wir befinden uns nunmal in einem Italien, das sowohl Autonomien als ,auch Provinzen und Kleinregionen am liebsten abschaffen möchte. "Taktik" nenne ich, in diesem Ambiente die Dinge zu ändern, die wichtig sind und nicht mehr schaden als nutzen. Wenn wir die Aufgaben des Regionalrats ändern, wird das in Rom kaum jemand mitbekommen, wenn wir aber mit Schall und Rauch zwei neue autonome Mini- Regionen schaffen wollen und uns vor großem Publikum mit Trient in die Haare geraten, dann ist das dümmer als Parteipolitik jemals sein könnte.

Auch verstehe ich nicht, wie man Weichen in Sachen Autonomie oder Region stellen soll, ohne einen gewissen gesellschaftlichen Grundkonsens zu entwickeln, wie das große Bild zu gestalten sei. EVTZ ist für mich das große Bild und kann deshalb von mir nicht aus der ganzen Selbstfindungsdebatte ausgeschlossen werden. Es gehört genau hier her.

Mo., 08.02.2016 - 08:31 Permalink