Gesellschaft | Städteplanung

Denk' dir ein neues Bozen-Süd

Stadtplanung kann auch von unten nach oben angegangen werden. Wie, ist am Mittwoch Thema bei salto talk – am Beispiel Think Tank Süd.

Es gibt unterschiedliche Herangehensweisen, Stadtteile aufzuwerten. In der Landeshauptstadt scheint laut dem Ergebnis der Volksbefragung Ende März der Weisheit letzter Schluss zu sein: Von der Politik ist diesbezüglich weder Initiative noch Geld zu erwarten, deshalb lagern wir das Ganze an einen internationalen Investor aus. Gänzlich anders als die Wiedergewinnung des Busbahnhofsareals lässt sich die Transformation der Bozner Industriezone an. Ein Stadtteil, der stärker als viele andere die großen Entwicklungen, aber auch Wunden des vergangenen Jahrhunderts widerspiegelt. Noch bis 1935 gedeihte dort auf 320 Hektar Grund Obst. Dann fällten die Faschisten die Bäume kurz vor der Ernte und siedelten ihre Schwerindustrie samt Arbeitskräften an. Grund genug für ein seriöses Imageproblem der „walschen Zone“ bei der deutschsprachigen Bevölkerung, das auch noch lange über den in den Sechziger Jahren einsetzenden Niedergang der Industrie hinaus anhielt.

Auch In der jüngeren Vergangenheit passierte nicht wirklich viel, um daran bei allen Bevölkerungsgruppen etwas zu ändern: Auf die Sanierung verseuchter Böden folgte zwar die Ansiedlung zahlreicher heimischen Betriebe und Dienstleister, die Übersiedlung der Messe Bozen, die Eröffnung des TIS oder zuletzt des Techparks NOI. Infolge der Tremonti-Reform schossen neue Hallen und Bürogebäude aus dem Boden; trotz aller politischen Anstrengungen machte sich auch außerhalb der wenigen zugelassenen Produktkategorien der Handel immer breiter, mit dem vorläufigen Höhepunkt Twenty.  Dennoch fehlt in all der Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte die lenkende Hand, dennoch bleibt die Zone ein mit Verkehr überlasteter unattraktiver Teil Bozens, in den sich niemand verirrt, der dort nicht arbeitet, shoppt oder etwas zu erledigen hat. „So brutal es klingen mag“, sagt Eurac-Präsident Roland Psenner, „aber das letzte gute Konzept für diese Zone kam von Benito Mussolini.“

Vom Unort zur Kreativzone

Das soll nun aber tatsächlich Vergangenheit werden – dank eines konstruktiven wie innovativen Zusammenspiels von Institutionen und Generationen, von Persönlichkeiten und Fakultäten und vor allem von Visionen und Ideen. Think Tank Süd heißt das Projekt, das am morgigen Mittwoch bei einem salto-Talk sowie am Donnerstag in der Messe Bozen vorgestellt wird. Im Mittelpunkt stehen dabei 24 Architektur- und Design-Studierende der Universitäten Bozen und Innsbruck samt ihren Betreuern, dem in Innsbruck lehrenden Architekten Robert M. Veneri und dem Bozner Uni-Professor Antonino Benincasa. In einer fast 100-seitigen Broschüre haben sie nun die Ideen, Projekte und Lösungsansätze zusammengebracht, die vor allem bei einer gemeinsamen Woche in einer Hütte auf dem Würzjoch im vergangenen Februar entstanden sind.

Dazu beigetragen haben aber auch ein „Talent Scout“, wie der Bozner Kunstsammler Heinrich Gasser von Robert Veneri beschrieben wird oder die Uniprofessoren Harald Pechlaner (Eurac-Institut für Regionalentwicklung) und Gerhard Glüher. Sie haben mit ihrem  Projekt „Culture meets economy“ gewissermaßen den Humus für den  neuen Think Tank gestreut. Heinrich Gasser wiederum hat nicht nur mit realer Kost und Logis auf dem Würzjoch dafür gesorgt, dass sich die Studierenden aus Innsbruck und Bozen frei von jeglicher Ablenkung auf die Probleme und das Potential von Bozen-Süd konzentrieren können, sondern steht dem Projekt wie auch andere Köpfe der Südtiroler Kulturszene generell unterstützend zur Seite.  „Ich denke selber schon seit Jahren darüber nach, was man da unten besser machen könnte“, sagt er. „Und nun haben diese jungen Leute mit ihren wunderbaren Ideen die Voraussetzungen geschaffen, damit die kommenden Generation aus einem Unort Südtirols Kreativzone machen kann.“ Eine Zone, in der alle Platz finden sollen, die in Südtirol kreativ und innovativ unterwegs sind – ob in der Kunst, der Wirtschaft oder der Forschung.

Wie viel Potential dafür vorhanden ist, zeigt sich in den zahlreichen Ideen, die in dieser Woche der Öffentlichkeit und allen voran den Vertretern der insgesamt 2500 Unternehmen und ihrer Beschäftigten vorstellt werden sollen, die in Bozen-Süd zu Hause sind. Von innovativen Verkehrskonzepten, dank denen die Lebensqualität in der Zone erhöht werden kann, bis hin zu Kulturvereinen, die mit gezielten Initiativen Kunst und Industrie in der Zone besser vernetzen sollen. Von einer temporären Nutzung der unzähligen leerstehenden Gebäude und Flächen für “temporary event locations“ bis hin zu fixen Räumen für die unter den Beschränkungen der Innenstadt leidenden Musikszene oder dem neuartigen Restaurantkonzept KunstCucina. Breite Aufmerksamkeit hat auch die Idee erhalten, über eine Verbindung der Dachflächen eine zusätzliche Freizeit-, Ausstellungs-, Erlebnis- und Wohnebene für Unternehmen wie BoznerInnen zu schaffen.  Ein Konzept, das laut Robert Verneri ursprünglich vor allem metaphorisch gedacht war. „Doch die Unternehmer reagieren so begeistert darauf, dass eine Umsetzbarkeit nun bereits viel näher gerückt ist.“

 

Dem Himmel so nah: die Idee eine Ebene auf den Dächern der ehemaligen Indsutriezone zu schaffen begeistert. 

Bottom-up-Prinzip

Bottom-up heißt das Prinzip, nach dem im Think Tank gearbeitet wird, von unten erarbeitet statt von oben aufgesetzt. Dem wird nun auch in der nächsten Stufe des Projekts die Treue gehalten. Denn nach den Inputs der Universitäten und der Eurac, der Studierenden und ihrer Begleiter, sind nun die Unternehmen und ihre Beschäftigten an der Reihe. Sie sollen die bereits vorliegenden Ideen in einer nun zu gründenden Interessensgemeinschaft weitertragen und –entwickeln – um dann erst mit gemeinsamen und konkreten Vorstellungen und Forderungen an die neue Stadtverwaltung heranzutreten.

Nicht ausgespart wird dabei schon jetzt die heißeste politische Diskussion dieser Tage: jene des Bozner Flughafens. Der wird  von den Studierenden und ihren Betreuern durchaus positiv bewertet, da er die notwendige Anbindung der neuen Kreativzone ermögliche. Sorgen vor möglichen Einschränkungen durch Risikopläne hat Robert Veneri nicht. Im Gegenteil: Wie sich beim Workshop gezeigt habe, sei der Flughafen mit seinen Auflagen vielmehr ein Garant dafür, dass in der Zone nicht weiter gebaut werden. Damit wird laut Veneri ein wichtiges Anliegen des Projekts erfüllt: Rund ein Fünftel der insgesamt 1 Million Quadratmeter Fläche sind heute in Bozen-Süd brachliegend oder ungenutzt – und sollen in Zukunft erhalten bzw. als urbaner Freiraum aufgewertet werden.

Die nächste städtebauliche Diskussion der Landeshauptstadt kann in jedem Fall als eröffnet betrachtet werden. Und sie verspricht spannender zu werden als jene der vergangenen Jahre.

Der salto talk zum Thema „Kreative Köpfe, dynamische Orte“ findet am Mittwoch 18. Mai 2016 ab 19 Uhr bei EOS Solutions, G. di Vittorio Straße 23 statt. Die Vorstellung des Projekts in der Messe Bozen folgt am Donnerstag 19. Mai ab 17.30 Uhr im Saal Latemar.

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paolo zucconi Do., 19.05.2016 - 07:47

Flughafen als Anbindung an die Welt? Bahnhof Messe Bozen auf der BZ-Meran-BZ Linie gibt es schon, im Fall eine weitere Haltestelle auf der Brenner-Verona-Brenner Linie und Bozen süd ist angebunden ...

Do., 19.05.2016 - 07:47 Permalink