Politik | Gastbeitrag

Sammelplatz für Unerwünschtes

Außenminister Kurz denkt an eine Internierungsinsel für Flüchtlinge und schafft damit ein Paradoxon der besonders zynischen und perfiden Art. Von Anna Rottensteiner.

Mit seiner Forderung nach einer Internierungsinsel für aus ihrer Seenot auf dem Mittelmeer gerettete, vor allem afrikanische Flüchtlinge bringt Österreichs Außenminister Kurz eine zutiefst unbewusste Angst des Okzidents zum Ausdruck und zugleich eine der ältesten Metaphern und Realitäten gleichzeitig ins Spiel: die Angst vor dem Fremden und Unerwünschten, dessen man nur Herr werden kann, indem man es auf einen klar umgrenzten, kontrollierbaren Raum konzentriert und jegliches Ausweichen davon nur über den Tod, über die Selbst-Ausmerzung möglich ist. Eine Insel nun ist das Paradigma eines solchen Raumes schlechthin und bestens geeignet als „Sammelplatz für alles Unerwünschte, Verdrängte und Abwegige“, dessen man sich zu entledigen sucht, um sich selbst als fest umrissene, panzerartige Entität definieren zu können. Jahrhunderte alter Sehnsuchtsort einerseits, der Sozialromantiker wie Literaten zu utopischen Lebensentwürfen inspirierte, wohnte „der Insel“ gleichermaßen auch immer dessen Gegenteil inne. Beiden zugrunde liegt deren Abgeschiedenheit vom Festland und die natürliche Umgrenzung durch das Wasser. Zum einen führte dies zu Projektionen von selbstbestimmtem Leben in Freiheit und selbst gewählter Einsamkeit, beim anderen wurde die unüberwindliche Wasserbarriere, die weitere Sicherheitsmaßnahmen obsolet werden ließ, zur Basis, um unerwünschte, kranke oder gefährliche Personen zu isolieren.

Auf der venezianischen Insel San Clemente waren jahrhundertelang die psychisch kranken Frauen untergebracht, auf San Servolo die Männer. Die beiden „Inseln der Irren“ wurden erst in den späten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts anderen Bestimmungen zugeführt.

Von den zahlreichen Strafkolonien und Gefängnisinseln wurden die meisten im vergangenen Jahrhundert aufgelöst (Robben Island vor Kapstadt, deren prominentester Häftling Nelson Mandela war, oder Alcatraz, um nur zwei der bekanntesten und berüchtigsten zu nennen). Die Gefängnisinsel Rikers Island in East River in New York besteht weiterhin, ihre Insassen sind fast ausschließlich Schwarze oder Latinos.

Michel Foucault entwirft vor allem in seinen beiden Werken „Wahnsinn und Gesellschaft“ und „Überwachen und Strafen“ die Mechanismen der Ausgrenzung und Aussonderung des „Anderen“ in rationalen Gesellschaften und verknüpft dies mit dem Diskurs der Macht, die sich nur über Aussonderung behaupten kann.

Kurz‘ Aussage ist das Andocken an eine (Anti-)Vision, deren Auswüchse man im 20. Jahrhundert sowohl in aller Grausamkeit und mörderischer Kälte durchexerzierte als auch anschließend zu überwinden suchte. Ein auch nur ungefähres Andenken dieser Möglichkeit katapultierte Europa ins 19. Jahrhundert zurück. Flüchtlinge und Migranten im 21. Jahrhundert als „andere“ zu sehen, die es zu internieren und zu kontrollieren gilt, verstärkt zudem den Rassismus-Diskurs, der weltweit noch nicht in radikaler Weise aufgearbeitet wurde, anstatt ihn endlich in seinen Wurzeln zu hinterfragen.

Zudem ist die Aussage ein Paradoxon der besonders zynischen und perfiden Art: jene Menschen, die sich auf der Suche nach einem selbstbestimmten Leben in Freiheit aufmachten, die Utopie eines geglückten Lebens in der Seele, genau so wie es die Insel-Utopien westlicher Prägung jahrhundertelang imaginierten, zur dunklen, aus- und einsperrenden Seite des Insel-Daseins zu verurteilen. Sie für die Tatsache, dass sie im Gegensatz zu Tausenden anderen die Überfahrt woher auch immer, überlebt haben, zu bestrafen. Und hier schließt sich der Kreis zum Rassismus, der darauf beharrt, ein exklusives Recht auf ein geglücktes Leben vergeben und verwehren zu können.

Letztendlich verhöhnt Kurz‘ Forderung jene Menschen, die seit Jahrhunderten auf Inseln wie Lampedusa leben: Für sie ist Gastfreundschaft höchstes Gut und bestimmt wesentlich ihre Identität. Eine Gastfreundschaft, die nicht mit dem Retten aus den Fluten des Meeres endet, sondern dort erst beginnt.

 

Anna Rottensteiner wurde 1962 in Bozen geboren, studierte in Innsbruck Germanistik und Slawistik und nahm anschließend ihre Tätigkeit als Buchhändlerin und Lektorin auf. Seit 2003 leitet sie das Literaturhaus am Inn. Ihr 2013 erschienenes Werk „Lebende Steine“ wurde vor Kurzem vom Verlagshaus Keller in Rovereto ins Italienische („Sassi Vivi“) übersetzt. Auch in ihrem Roman "Nur ein Wimpernschlag" (edition laurin 2016) beschäftigt sich die Autorin mit dem "Verteidigungskrieg des Glücks" sowie mit großen und kleinen Fluchten, in der Gegenwart und in der Vergangenheit.

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gorgias Mo., 06.06.2016 - 19:35

Ach diese "Gastbeiträge" von salto sind mir bald überdrüssig. Wenn jemand einen Gastbeitrag schreibt, sollte er es doch bitte mit einem eigenen Account tun. Damit er schon im Voraus entschuldigt ist nicht auf Komentare zu antworten. So wird aus salto, das was ich schon längst und allzuoft angeprangert habe, ein einseitiges Verkündigungsmedium.

Zur Antwort auf den Beitrag, und ganz besonders auf diese auf diese Zeilen:

möchte ich diese Video des Philosophen Slavoj Zizek hinweisen:

https://youtu.be/LVa4ERqz97o?t=10m4s ( ab 10:04 ich empfehle aber das Video von an Anfang anzusehen)

https://www.youtube.com/watch?v=5EYxqocgk9g

Vieleicht ist es Zeit für mehr Realismus und Sachlichkeit. Mit Germanisten, die sich für Intellektuelle halten, hatte man schon genug in der Oberschule zu tun.

Mo., 06.06.2016 - 19:35 Permalink
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Profil für Benutzer Mensch Ärgerdichnicht
Mensch Ärgerdi… Mo., 06.06.2016 - 19:56

Vielleicht braucht es wirklich einen Strache als Bundeskanzler oder einen Salvini als Regierungschef damit Germanisten und co. von ihren Elfenbeintürmen runterklettern.
Traurig...

Mo., 06.06.2016 - 19:56 Permalink
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Profil für Benutzer Martin Oberundunterkofler
Martin Oberund… Mo., 06.06.2016 - 21:29

Demnächst wird wohl auch Kurz bei der feinen Gesellschaft unbeliebt werden. Diese etwas rechthaberische und wertende Haltung hat wenig mit sozialer Inklusion und gelungener Integration zu tun, im Gegenteil veranschaulicht sie mehr eine tiefe Unsicherheit, wie man mit einem Kurz oder auch einen Norbert Hofer umgehen soll. Oder: Wenn man den Vorschlag von Kurz ablehnt, welchen konkrete Vorschläge hat man die Flüchtlingskrise zu lösen (welche auch in Haushaltskapitel aufgeteilt werden können und finanzierbar sind) ?

Mo., 06.06.2016 - 21:29 Permalink
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Celeste Unterk… Di., 07.06.2016 - 00:05

Ich denke dass man die 60 Mio Menschen, welche momentan auf der Flucht sind, nicht alle in Europa unterbringen kann ohne die Lage für für die Europäer dramatisch zu verschlechtern. Sollte dies uns trotzdem gut gelingen werden in diesem Moment weitere Menschen zu uns flüchten, weil sie sich ebenfalls bessere Bedingungen erhoffen. Ich persönlich denke dass es unrealistisch ist wenn man versucht jeden Weltbürger den Lebensstandard eines Westeuropäers zu geben.
Ich sehe in der Abschottung momentan den einzigen Ausweg.

Ehrlich gesagt bin ich die ganzen mehr oder weniger intellektuellen Kolumnisten leid welche versuchen einem mit einer Wulst von beeindruckenden Wörtern das Offensichtliche auszureden.

Was ich noch loswerden will:
In der Schule (lang war's her) wurde mir immer gesagt dass wir Europäer die Schuld tragen wenn es irgendwo in der Welt zu Massakern kommt. Es wurden in der Kolonialzeit willkürlich Grenzen gezogen und Völker zusammengebracht welche nicht zusammen passten.
Wenn jetzt aber alle Völker nach Europa kommen dann ist dies eine Bereicherung.
Ich will dabei nicht die Völker kritisieren, mich stört vielmehr das heuchlerische: Aus dem eigenen Wunschdenken generiert, das bedarfsangepasste Zurechtzimmern der jeweils passenden Lüge und schlussendlich garniert entweder mit dem Zitat eines mehr oder weniger bekannten Philosophen oder mit irgendwelchen historischen Beispielen welche die Problematik nur mit Begriffsähnlichkeiten streifen

Di., 07.06.2016 - 00:05 Permalink
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Waltraud Astner Di., 07.06.2016 - 00:41

Tja Frau Rottensteiner, es ist natürlich viel besser allen die ein besseres Leben wünschen, ein solches zu versprechen, sie übers Meer zu locken, wo dann viele umkommen, sozusagen als Kollateralschaden um unser Willkommenskultur eindrucksvoll unter Beweis zu stellen. Danach ist es sehr sinnvoll sie nach ganz Europa weiterreisen zu lassen, natürlich ohne Pass, die Asylanträge dürfen überall in Europa gestellt werden. Dann bei Ablehnung kehren alle brav in die Heimatländer zurück, illegal untertauchen geht nicht. Bleiben ob legal oder illegal dürfen nur jene die jung gesund und männlich und vor allem reich genug sind einen Schlepper zu bezahlen . Wie überhaupt die Schlepper bestimmen wer nach Europa kommt. Das soll also so bleiben, wenn es nach Sozialromantikern geht, die im Elfenbeinturm sitzen und mit der realen Wirklichkeit offenbar nichts zu tun haben.
Wenn jemand wie Herr Kurz dann umsetzbare Vorschläge macht, wie jenen dass Asylwerber an den Eu Außengrenzen (Insel oder anderswo) ihren Asylbescheid abwarten sollen oder dass via Resettlement die Ärmsten der Armen direkt aus Lagern eine Chance bekommen sollen und nicht mehr das Recht des Stärkeren gilt, dann wird das verteufelt, weil das inhuman sei. Ja die humanere Lösung ist ja die bestehende, ganz klar. Aber es geht ja nicht um die Flüchtlinge, nein es geht um unsere Befindlichkeiten. Schlimme Bilder von Lagern können wir nicht ertragen, da sind die Ertrunkenen schon besser, die sieht man nur höchstselten.
Übrigens, der kollektive Aufschrei von Eu Kommission, Menschenrechtsorganisationen usw. beweist dass Kurz recht hat. Wer selber keine Lösung anbieten kann, der verteufelt jene, die eine haben.

Di., 07.06.2016 - 00:41 Permalink
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Profil für Benutzer alfred frei
alfred frei Di., 07.06.2016 - 09:33

Dazu ein Vorschlag, weiterzuleiten an Außenminister Kurz: die Repubblik Österreich, die, obwohl selig, leider selbst keine Insel besitzt, mietet von Italien die Insel Montecristo und verwaltet dort in Eigenregie eine Art Internierungsoase für Flüchtlinge, die in der ehmaligen K.und K. Monarchie keinen Platz mehr finden. Allerdings, die dort “ansässigen” Ziegen, seinerzeit als lebender "Fleischvorrat" für Schiffs-Besatzungen angesiedelt, sollen nicht angetastet werden und die sagenumwobene Montecristo-Viper - die giftigste Schlange Europas, darf in keinem Fall als natürlicher Selektionsfaktor eingesetzt werden.

Di., 07.06.2016 - 09:33 Permalink