Gesellschaft | Natz-Schabs

“Von den Atomwaffen hat niemand gewusst”

Während des Kalten Krieges waren bei Natz atomare Sprengköpfe gelagert. Auf dem ehemaligen NATO-Areal wird jetzt ein Geschichtspark entstehen.

 Noch liegt alles brach auf dem ehemaligen NATO-Areal, es fehlen Strom und Kanalisation. Das soll sich nun aber ändern, für die nächsten 30 Jahre bekommt die Gemeinde das ehemalige militärische Gelände vom Land zur Nutzung. Für die Aufwertung des Gebiets werden der Gemeinde eine Million Euro zur Verfügung gestellt. Die Fläche ist groß: Ein Erholungs- und Badeort, ein Geschichtspark und gleichzeitig ein Ort für Großveranstaltungen sollen darauf entstehen.

Wo einfache Bürger und Touristen bald Spaß haben und ihre Freizeit verbringen werden, hat man sich früher für den Ernstfall gewappnet. Unter dem Code-Namen „Site Rigel“ führte hier die NATO ein Sondermunitionsdepot, in dem auch Atomwaffen gelagert wurden. 1966 eingerichtet, war die Station vor allem während der Amtszeit des umstrittenen US-Präsidenten Richard Nixon aktiv. Zu diesem Zeitpunkt waren in der Giovanni-Ruazzi-Kaserne auf dem Militaer-Areal 1.200 italienische und an die 35 amerikanische Soldaten stationiert. Letztere betrieben das Sonderwaffendepot, in das die italienischen Soldaten keinen Zutritt hatten. Erst Mitte der 80-er Jahre zogen die US-Amerikaner wieder ab.

Warum gerade Südtirol? „Es war ein guter strategischer Ort um Kurzstreckenwaffen zu positionieren“, sagt der Architekt Klaus Ausserhofer, der den entstehenden Geschichtspark konzipiert. „Das neutrale Österreich hingegen konnte bei einem eventuellen Angriff kaum Gegenwehr leisten. Das Raketengeschwader in Natz war dazu gedacht, anderen Heereseinheiten wie etwa den Alpini Verstärkung zu geben.“ Die atomaren Kurzstreckenraketen sollten also im Kalten Krieg gegen die Sowjetunion für den Fall der Fälle einsatzbereit sein.

Von all dem hat die Bevölkerung nichts gewusst. Es habe zwar Vermutungen bezüglich der Atomwaffen gegeben, erklärt der ehemalige Bürgermeister von Natz-Schabs Peter Gasser. Aber die NATO und sogar das italienische Militär hätten das bislang dementiert oder übergangen. Offizielle Anfragen, wie etwa von einer Regisseurin für den RAI-Film „Der Kalte Krieg in Südtirol“, wurden abgelehnt mit der Begründung, dass die Informationen nicht von öffentlichem Interesse seien. Man hatte meistens nur deutliche Hinweise auf die Lagerung von Atomwaffen, wie etwa durch die Berichte aus einem internationalen Atom-Report. Doch inzwischen gibt es für die ehemaligen Vermutungen immer mehr Bestätigungen, sagt Ausserhofer.

„MGR-1 Honest John“ hieß die Kurzstreckenrakete, deren Sprengköpfe in Natz untergebracht waren. Klaus Ausserhofer konnte bereits eine solche Rakete ausfindig machen. Sie soll künftig im Geschichtspark, der im Ex-NATO-Areal entstehen wird, ausgestellt werden. Einst im Landesamt für Denkmalpflege, ist Ausserhofer der Richtige, um den Geschichtspark zu konzipieren und umzusetzen. Hier soll bald ganz allgemein zum Thema „Kalter Krieg“ informiert werden. „Es ist der bestgeeignete Ort, um sich über dieses Thema zu informieren. Wenn man etwas über das Mittelalter lernen will, geht man auch in ein Schloss. So ähnlich ist es mit diesem Geschichtspark.“

Das Grobkonzept sieht einen Zeitraum von etwa vier Jahren vor, bis der Geschichtspark fertig ist. Dann kann man sich hier direkt im einstigen Mittelpunkt des Geschehens über die Zeit des Kalten Krieges informieren. Und darüber, wie die Einwohner von Natz mit den uniformierten Nachbarn klarkamen.

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Hartmuth Staffler So., 07.08.2016 - 15:12

Von den Atomwaffen in Natz hat damals jeder gewusst. Aus diesem Grund fand auch am 3. April 1983 in Natz die große Friedensdemonstration statt, bei der gegen die Atomwaffen protestiert wurde, die gegen Nord- und Osttirol gerichtet waren. Ich habe damals an der Demonstration teilgenommen. In Natz waren übrigens nicht nur Honest-John-Kurzstreckenraketen gelagert, sondern auch deren Nachfolgemodell, die Mittelstreckenrakete MGM 52 (Lance). Dafür waren 44 Atomsprengköpfe vom Typ W 70 in Natz vorrätig. Im Ernstfall hätte man damit, getreu der verrückten Verbrannte-Erde-Strategie der Amerikaner, ganz Tirol in eine atomare Wüste verwandeln können, nur um den angeblich drohenden Einmarsch der Sowjets zu stoppen. Die Atomsprengköpfe wurden übrigens mit Hubschraubern vom höchst störanfälligen Typ Boeing-Vertol CH-47 Chinook über die Köpfe der Brixner hinweg Richtung Süden abtransportiert. Ein Absturz hätte zwar nicht zur Explosion geführt, aber als "schmutzige Bombe" durch die Verstrahlung zahlreiche Todesopfer gefordert und Brixen für einige Zeit unbewohnbar gemacht.

So., 07.08.2016 - 15:12 Permalink
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Hans Knapp Di., 09.08.2016 - 13:35

Daran, wie genau die Informationen damals waren, kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich hatte aber offernsichtlich genug Gründe, mir Sorgen zu machen, und ich habe an der Demonstration teilgenommen.

Di., 09.08.2016 - 13:35 Permalink
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Franz Linter Di., 09.08.2016 - 17:08

Die Bevölkerung hat vielleicht am Anfang nichts gewusst, aber durch die Geheimhaltung einerseits und die Stories der amerikanischen Soldaten, die in den umliegenden Gasthöfen viel Geld springen ließen, enstanden Gerüchte, welche durch Dokumente zum Nato-Doppelbeschluss deutlich vor der Friedensdemonstration Gewissheit werden ließen. An der Demonstration, als Ostermarsch organisiert nahmen viele teil und kann mich gut erinnern, wie wir über die Gefahren bei einem Abtransport diskutierten.

Di., 09.08.2016 - 17:08 Permalink