Politik | Ceta

Mercie, Wallonie

Soll weniger als ein Prozent der europäischen Bevölkerung ein Freihandelsabkommen verhindern können? Meinungen zum symbolischen Ceta-Gau.
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Foto: Le Quotidien

Man kann es als definitiven KO-Schlag der Europäischen Union sehen oder auch als Sieg der Zivilgesellschaft. Fakt ist, dass 3,5 Millionen Wallonen das seit sieben Jahren verhandelte Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Kanada zum Scheitern bringen könnten. Denn trotz nächtelanger Verhandlungen und Nachbesserungen verweigert die belgische Region bislang ihr grünes Licht zum Ceta-Abkommen. Sie verlangt weitreichende Garantien zum Schutz ihrer Bauern und gegen einen übermäßigen Einfluss internationaler Konzerne. Da Belgiens Zentralregierung Ceta nur durchwinken kann, wenn die Wallonie zustimmt, steht die für den 27. Oktober angesetzte Unterzeichnung des umfangreichen Abkommens auf der Kippe.

Eine Tatsache, die in ganz Europa Diskussionen befeuert. Applaus für den wallonischen Regierungschef Paul Magnette kommt naturgemäß von den Ceta-Gegnern . „Indem Sie sich dem Ultimatum der Europäischen Kommission widersetzt haben und den Drohungen der letzten Tage, haben Sie einer lebendigen Demokratie einen Dienst erwiesen", heißt es beispielsweise in einem Brief von 90 Parlamentariern. Ganz anders wird dies auch in großen deutschen Meinungsmedien gesehen: „Europa, demokratisch gelähmt“, titelt beispielsweise „Die Zeit“ und schreibt: „Die Kleinstaaterei ist eine gefährliche Bedrohung für die EU-Handlungsfähigkeit.“

„Es ist ein Teufelskreis. Die EU hat in den Augen vieler Europäer so abgewirtschaftet, dass sie ihr jede demokratische Legitimation absprechen. Doch der Rückfall in die Kleinstaaterei lähmt die ohnehin schon komplizierten Entscheidungsprozesse vollends. In Belgien reden fünf Regionalparlamente bei Handelsfragen mit. ...Hinzu kommt, dass Walloniens sozialistischer Regierungschef dem liberalen belgischen Premier recht gern Schwierigkeiten bereitet. Und Regierungschef Charles Michel nimmt Ceta als Gelegenheit, der Welt vorzuführen, zu welch absurden Auswüchsen die – vor allem von den Flamen vorangetriebene – belgische föderale Reform geführt hat. Innerbelgisch wird also im Kleinen die Debatte ausgetragen, die auch Europa beschäftigt: Welche politische Zuständigkeit gehört auf welche staatliche Ebene?“

 

Von einem „miesen Timing“ spricht die Brüsseler ARD-Korrespondentin Karin Bensch. Sie findet Einspruch und Widerspruch zwar wichtig, doch kämen sie hier zum falschen Moment. Allerdings müsse sich niczt nur der wallonische Ministerpräsident Paul Magnette vorwerfen lassen, erst im letzten Moment die Brechstange angesetzt zu haben, schreibt die Korrespondentin.

„Wo war eigentlich die EU-Kommission, als die Wallonie begann ihre Sorgen über CETA zu formulieren? Und vor allem: Wo war die belgische Zentralregierung? Vielleicht haben sie die Wallonen vergessen oder unterschätzt. Ein kleines Völkchen im Süden Belgiens, wirtschaftlich heruntergekommen und sozial abgestiegen, weit außerhalb des Brüsseler Blicks.“

Was bleibt, ist die eindrucksvolle Demonstration, dass eine Maus ein Abkommen zwischen zwei Elefanten verhindern kann – oder es zumindest zu verhindern droht. Und dies hat eine Wirkung, die noch weit über den 26. Oktober hinausstrahlen wird.

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Bernhard Oberrauch Mo., 24.10.2016 - 14:15

Die Frage, welche Rolle Wallonien innerhalb Belgiens hat, darf nicht ablenken von der Frage, welche drastischen negaiven Auswirkungen CETA auf die Entwicklung der Demokratie in Europa hat, siehe https://www.campact.de/ceta/ . Herr Dorfmann, würden Sie als Südtiroler Vertreter in der EU bitte auf die Kritikpunkte von Campact eingehen?

Mo., 24.10.2016 - 14:15 Permalink
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gorgias Mo., 24.10.2016 - 15:43

Der Artikel hinterlässt einen fahlen Beigeschmack, weil er keine Eigenperspektive einnimmt, sondern zwischen den kontrahierenden Positionen hin- und herspringt.

Man sollte doch auch selbst Fragen aufwerfen, über sieben Jahre Verhandlungen abseits der Öffentlichkeit, Demokratiemangel der Europäischen Institutionen, provisorische Anwendung, Investorenschutz, parallele Gerichtsbarkeit, Notwendigkeit einer europäischen Öffentlichkeit und die Möglichkeit einer bestätigenden Volksabstimmung wären nur einige Punkte, die man hätte einbauen können, um einen eigenen kritischen Bezug aufzubauen. Das hier ist eine Kollage ohne echten Mehrwert.

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Markus Lobis Mo., 24.10.2016 - 16:17

Ich halte es für einen Segen, dass die Wallonen da konsequent bleiben. Und nun kommt auch das Brüssler Regionalparlament dazu. Das alles passiert wahrscheinlich nur, weil die Kräfte, die hinter CETA (und TTIP, TISA etc.) stehen, vergessen haben, belgische Regionalpolitiker rechtzeitig in die "transatlantischen Freundschaftsbünde" und in die "strategische Personalpolitik" von Goldman Sachs oder Blackrock einzubinden.

Zu diesem Thema ist übrigens in "Blätter für deutsche und internationale Politik" ein sehr aufschlussreicher Artikel von Werner Rügemer erschienen. Ich habe auf meinem Blog daraus zitiert (https://zigorimedia.wordpress.com/2016/10/22/verschwoerungspraxis-der-b…).

Mo., 24.10.2016 - 16:17 Permalink
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Markus Lobis Mo., 24.10.2016 - 16:18

Antwort auf von Markus Lobis

Rügemer kommt zu folgender Schlußfolgerung:

"Das voraussichtliche Scheitern von TTIP gibt dabei immerhin Anlass zu vorsichtiger Hoffnung – vor allem dann, wenn die Auseinandersetzung dabei nicht stehen bleibt, sondern sich auch auf die Interessen und Strukturen hinter den Freihandelsverträgen richtet."

Dito gilt natürlich für CETA.

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Martin B. Mo., 24.10.2016 - 17:49

Es wird Zeit das sich andere Mitentscheider exponieren und den Deregulierungs- und Konzernschutzpakten mit Lobbys als Ghostwriter den Todesstoss geben. Von wegen Freihandel zugunsten der Bürger und Arbeitenden.

Mo., 24.10.2016 - 17:49 Permalink
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Wolfgang Mair Mo., 24.10.2016 - 19:05

Die Welt wartet nicht mehr auf Europa. Während wir uns freudestrunken nach Verhinderung von Ceta und Ttip im eigenen Demokratiesud aalen, haben amerikanische Konzerne längst (oft mit unserem Einverständnis) die Hohheit über den wichtigsten Rohstoff des Informationszeitalters, nämlich unser aller Daten, übernommen. Leider erweist sich Europa, zur Freude aller anderen Mächte zerstritten nach innen und handlungsunfähig nach aussen. So bleibt uns nur, aufzuräumen und zu zahlen, wo immer auf der Welt die USA und Russland ihre Stellvertreterkriege führen.

Mo., 24.10.2016 - 19:05 Permalink
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Ferdinand Tessadri Mo., 24.10.2016 - 19:41

Mein Gott, die Wallonie. Ein vollkommen heruntergewirtschaftetes Land, das sich nur im Neid und Hass gegen die Flamen ergötzt. Der Mehrheit der Wallonen ist die Ceta vollkommen gleichgültig, so wie der Mehrheit der restlichen Europäer. Aber die Politiker (diese Geisel der Menschheit) haben ihre Spielwiese, um sich, auf Kosten der Bürger, zu profilieren. Und die Demokratie-Träumer feiern schon, während, wie W.Mair richtig sagt, wir schon bei allem was wichtig ist, am Tropf Amerikas hängen.

Mo., 24.10.2016 - 19:41 Permalink
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Martin Daniel Di., 25.10.2016 - 08:29

Martin Schulz hat sehr gut dargelegt, dass es hier nicht um ein Unvermögen Europas geht, sondern dass schlicht und einfach ein Mitgliedsstaat von 28 aufgrund seiner internen Regelungen die Zustimmung verweigert. Dass auf der supranationalen Ebene der EU jedes Mitglied ein Veto hat, weil Einstimmigkeit verlangt wird, ist nichts Neues, sondern Altbekanntes und aus meiner Sicht veränderungsbedürftig.
Ich bin durchaus skeptisch gegen diese Freihandelsabkommen, wobei Ceta (im Unterschied zu TTIP) eingehender zu studieren wäre (warum sind immer noch Schiedsgerichte drin, nachdem sie doch entfernt wurden?), aber der Umgang von solchen Veti wie jener in der Wallonie hat mit Demokratie nichts zu tun. Hier rechnet in der Tat eine Partei, die soeben aus der Regierung geworfen wurde, mit ihrer ex-Koalition ab. Sehr ähnlich wie beim Brexit, wo es zumindest den Betreibern (Cameron, Gove, Johnson) um innenpolitische Machtspiele ging. Das kann auf Dauer die Demokratie unterminieren und die Völker nach Tribunen rufen lassen!

Di., 25.10.2016 - 08:29 Permalink