Umwelt | Neophyten

Invasive Pflanzenarten- verkannte Gefahr

Nachgefragt bei Dr. Thomas Wilhalm- Wie gefährlich sind Neophyten?
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Foto: upi

Neophyten sind ein Thema, das in Europa mittlerweile seit Jahrzehnten Heerscharen von Wissenschaftlern und Naturschützern beschäftigt. Zum Thema Neophyten und Probleme mit Neophyten in Südtirol ein Interview mit Dr. Thomas Wilhalm, Botaniker am Naturmuseum Südtirol:

Was sind Neophyten und was sind invasive Neophyten?
Neophyten sind pflanzliche Neubürger, also Pflanzenarten, die ursprünglich in einem Gebiet nicht heimisch sind. Voraussetzung, dass man von einem Neophyten sprechen kann, ist, dass sich die Art etabliert hat, dass sich also selbständig fortpflanzende und erhaltende Populationen gebildet haben. Bei zufällig verschleppten Pflanzen (aus dem Garten kurzfristig verwildert oder aus Vogelfutter gekeimt) spricht man noch nicht von Neophyten. Der Weg, wie zukünftige Neophyten in ein Gebiet kommen, ist vielfältig: über Verkehrswege (z.B. Senecio inaequidens), über Saatmischungen (z.B. Festuca filiformis), aus Gärten (z.B. Buddleja davidii, Helianthus tuberosus) u.s.w.
Von invasiven Neophyten spricht man, wenn die Etablierung im Gebiet sehr rasch und massiv erfolgt. D.h. die Art ist imstande, sich in wenigen Jahren oder Jahrzehnten stark auszubreiten und große Populationen zu bilden und dabei oft viele Nischen zu besetzen. In der Südtiroler Neophytenflora gelten 37 Arten als invasiv. Unter den Holzpflanzen sind die bekanntesten die Robinie (Robinia pseudacacia), der Götterbaum (Ailanthus altissima) und der Schmetterlingsstrauch (Buddleja davidii), unter den Krautartigen das Drüsige Springkraut (Impatiens glandulifera), das Südafrikanische Greiskraut (Senecio inaequidens), die Kanadische Goldrute (Solidago canadensis), Topinambur (Helianthus tuberosus) und die beiden Beifuß-Arten Artemisia annua und A. verlotiorum. Die anderen, nicht invasiven Neopyhten-Arten verhalten sich so unauffällig, dass ihre Einnischung in die heimische Flora ohne „Aufsehen“ und ohne erkennbare ökologische Folgen passiert ist (z.B. die Strahlenlose Kamille).

Welche Folgen hat die Invasion von Neophyten für die heimische Tier- und Pflanzenwelt?
Von den 37 invasiven Neophytenarten verändern nach aktuellen Erkenntnissen folgende Arten nachhaltig die Vegetation und damit auch das ökologische Gefüge. Dabei kann man heute meist noch gar nicht die ökosystemaren Folgen im Einzelnen benennen, also den direkten Einfluss auf andere Pflanzenarten und auf Tierarten (besonders Insekten!), auf die Nahrungskette, auf die Bodenchemie usw. Bei der Robinie ist hinlänglich bekannt, dass sie den Unterwuchs grundlegend verändert hin zu einer eher artenarmen, an Nährstoffüberschuss angepassten Vegetation. Dies geschieht durch Stickstoffanreicherung im Boden mithilfe Stickstoff fixierender Bakterien in den Wurzeln der Robinie und durch sogenannte Allelopathie, das ist eine chemische Beeinflussung der Umgebung:  Die Blätter der Robinie enthalten Giftstoffe, die dafür sorgen, dass v.a. die Robinie selbst im Unterwuchs wachsen kann, während andere Arten mit den auf dem Boden frei werdenden Giftstoffen oft nicht zurechtkommen bzw. in der Keimung gehemmt werden. Auch der Schmetterlingsstrauch (Buddleja davidii) verändert die Vegetation und Ökologie eines Standortes, indem er - so in den Porphyrschluchten des Unterlandes - ganze Schutthalden besiedelt und andere Sträucher in ihrem Aufkommen behindert. Unter den Kräutern ist im Naturschutz besonders das Drüsige Springkraut gefürchtet, weil es extrem invasiv ist und jede Störung in einem Feuchtgebiet (v.a. Auwälder) nutzt, um sich zu etablieren. Durch rasches Wachstum dieser einjährigen Arten, enorme Samenproduktion und effiziente Verbreitungsmechanismen ist der Pflanze – einmal etabliert – kaum mehr beizukommen, zumal auch die Samenbank im Boden über viele Jahre bestehen bleibt (bis zu 50.000 Samen pro Quadratmeter).

Welche Baumarten sind an Südtirols Fließgewässern als invasive Neophyten identifizierbar? Gibt es dazu Untersuchungen?
Unter den Bäumen spielt eigentlich nur die Robinie eine größere Rolle. Unter den Sträuchern wird in Südtirol der Japanische Knöterich (Fallopia japonica) zukünftig für enorme Probleme sorgen. Die Art ist entlang der Etsch im Unterland streckenweise fest etabliert und bildet dort ein Hunderte Meter langes, undurchdringliches Gebüsch, das praktisch nur mehr aus einer Art besteht, weil im Inneren alles erstickt wird. Außer den floristischen Beobachtungen gibt es in Südtirol keine spezifischen Untersuchungen zu den Neophyten an Fließgewässern.

Lassen sich invasive Neophyten, z.B. durch gezielte Maßnahmen, in den Griff bekommen?
Studien der Universität Bozen haben gezeigt, dass die Robinie als wichtigste neophytische Baumart (neben dem Götterbaum) in Niederwäldern des Etschtales 50 Jahre nach dem Schlag kaum mehr eine Rolle spielt. Sprich, nach einer Rodung tritt sie in den ersten Jahren und Jahrzenten auf den Schlagflächen massiv und dominant auf, um dann sukzessive von den wieder einwandernden heimischen Arten aus der Umgebung verdrängt zu werden. Man kann also davon ausgehen, dass in intakten Pflanzengesellschaften, wie es z.B. naturnahe Wälder und ökologisch funktionsfähige Schwarzerlen-Auwälder sind, die meisten invasiven Neophyten zwar auftreten können, auf längere Sicht aber natürlicherweise in Schach gehalten werden. Allerdings kann dies nicht verallgemeinert werden und es bleibt abzuwarten, ob zukünftige Neophyten – auch unterstützt durch den Klimawandel - nicht doch die intakte, natürliche heimische Vegetation „unterwandern“. In den Wäldern des Tessin (Schweiz) ist jedenfalls die sukzessive Einnischung von subtropischen Arten schon seit Jahrzehnten zu beobachten und wohl kaum reversibel.
Maßnahmen zum Schutz vor invasiven Neophyten müssen also in erster Linie den Erhalt natürlicher Lebensräume beinhalten. Das gilt insbesondere für sensible Schutzgebiete wie z.B. den Auwaldresten in den Talböden.
Eine andere wirksame Maßnahme ist erfahrungsgemäß die Entfernung sogenannter Pionierbestände. Dies ist v.a. beim Drüsigen Springkraut effizient: Sobald z.B. in einem Auwald erste Pflanzen auftreten, müssen diese konsequent und vor der Fruchtreife ausgerissen und richtig entsorgt werden, sodass sie weder Samen verstreuen noch aus vorort liegengebliebenen Teilen neue Wurzeln treiben können. Ist der Bestand erst etabliert, dann artet die Maßnahme in eine Sisyphusarbeit aus mit über Jahre hinweg zu wiederholenden Ausreißaktionen.

Auf welchen Standorten treten Neophyten in erster Linie auf?
Typisch für Neophyten ist, dass sie zunächst an anthropogenen Standorten stark in Erscheinung treten, also auf Ruderalstandorten wie Baustellen, aufgeschütteten Erdhäufen, auf unbenutztem Eisenbahngelände, an stark gestörten (gemulchten!) Straßenböschungen und Flussdämmen. Die meisten Neopyhten, auch die invasiven, harren, nachdem sie über die verschiedensten Wege ins Land gekommen sind, zunächst mal eine Zeit lang fast unauffällig in kleinen Beständen aus. Irgendwann scheint ihre Zeit gekommen zu sein und sie verbreiten sich dann plötzlich auffallend schnell aus. So blieb das Südafrikanische Greiskraut in Südtirol über viele Jahre auf Bahnhöfe und Bahndämme beschränkt und verhielt sich dort relativ unauffällig. Dann plötzlich in den 1990er Jahren fand es neue Korridore und verbreitete sich besonders rasant entlang von Straßenböschungen, um dann vor ca. 15 Jahren erstmals auch in naturnähere Lebensräume, v.a. Trockenrasen, einzudringen.

Sind Neophyten nur negativ zu sehen oder, provokant gefragt, erhöhen sie nicht auch die Biodiversität?
Biodiversität zu bewahren und wann immer möglich zu fördern, ist in Europa eine gesellschaftliche Verpflichtung geworden (siehe Grundgedanke von Natura2000, verschiedene Biodiversitätsabkommen). Aber dabei geht es in erster Linie um die Qualität der Biodiversität! Florenfremde Pflanzenarten zu fördern und solche, die intakte heimische Lebensräume in Gefahr bringen, ist kontraproduktiv! Ein floristisch gesehen monotoner natürlich entstandener Schilfgürtel mit 5 Pflanzenarten ist aus dieser Sicht höher zu bewerten als ein Ruderalstandort mit 50 Arten, bei denen mehr als die Hälfte von florenfremden Arten gestellt werden (Gartenflüchtlinge usw.).
Abgesehen von einigen äußerst aggressiven Neophyten, die besonders dem Naturschutz große (ökologische) Probleme bereiten (von den Arten, die eine Gefahr für die Gesundheit und für die Landwirtschaft darstellen, ist hier nicht die Rede), ist das Thema Neophyten aber auch mit einer gewissen Gelassenheit zu sehen. Die Globalisierung ist Fakt und damit auch die ungehemmte Ausbreitung von Pflanzen- und Tierarten. NB: Viele Pflanzenarten, die vor Jahrtausenden mit dem Getreide aus dem Orient nach Europa gelangt sind und sich damals als Neophyten ausgebreitet haben, werden zwar als Archäophyten (Alteingesessene) kategorisiert, aber den heimischen Aren gleichgestellt. Viele von ihnen sind in den Roten Listen angeführt und genießen höchsten Schutzstatus – z.B. die Konrade.

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martin hilpold Do., 27.10.2016 - 13:31

Ein Leser des Interviews sagte mir, er hätte jetzt ein schlechtes Gewissen, weil er einen Schmetterlingsstrauch im Garten gepflanzt hat. Ein Schmetterlingsstrauch ist, wie der Name schon sagt, ein Gehölz, das gerne von Schmetterlingen besucht wird. In diesem Sinn leistet er im Garten einen guten Dienst für die Biodiversität. Auch die kanadische Goldrute ist eine Art, die von vielen Wildbienen besucht wird und in einem Garten sicher nicht stört. Auch wenn alle Gartenbesitzer sämtliche Schmetterlingssträucher aus ihren Gärten verbannen würden, die Art hat sich schon fest etabliert. Damit sich invasive Neophyten nicht weiter verbreiten, sollte in der Natur weniger gebaggert werden, dann gäbe es weniger gestörte Flächen auf denen sich invasive Neophyten noch weiter ausbreiten. Zum Schutz von naturnahen Lebensräumen, wie Trockenrasen, müssen, wo notwendig, Maßnahmen zur Neophytenbekämpfung zur Anwendung kommen.

Do., 27.10.2016 - 13:31 Permalink