Gesellschaft | Interview

“Hier hat man eine Chance”

Heute lebt Alex Corti in München, sein Heimatort liegt aber in der Lombardei. Wie viele andere hat die Wirtschaftskrise auch seine Lebensgeschichte gezeichnet.
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Foto: Alex Corti (Mitte); Foto: Privat
Diejenigen, die den Mut haben zu gehen, sind meistens die Besten, die wir haben, sagt man. In München hat sich inzwischen schon eine ganze Gemeinde von “geflüchteten” Italienern gebildet. Einige von ihnen sind ebenjene “cervelli in fuga”, von denen man oft spricht: Wissenschaftler, Forscher, hochgradig Ausgebildete. Dass Italien wieder auf eine neue Vertiefung der Krise zugeht, ausgelöst durch die 360 Milliarden an faulen Krediten, denen italienische Banken derzeit aufsitzen, wundert hier die wenigsten. Zu sehr waren die jeweiligen Erfahrungen, die sie überhaupt erst ins Ausland getrieben haben, bereits Symptom eines kranken Landes, das kopflos gegen die Wand fährt.

Alex Corti, 26 Jahre alt, lebt seit 2013 in München und arbeitet heute im Hofbräuhaus nahe dem Marienplatz. Auch dieses Jahr wird er nicht nach Italien zurückkehren, denn die Jobaussichten in seinem Heimatort sind weiterhin düster und sehr optimistisch, was ein Ende der wirtschaftlichen und politischen Misere Italiens angeht, ist Alex nicht.

Salto.bz: Alex, wann hast du denn gemerkt, dass es Zeit ist, Italien zu verlassen?
Alex Corti: Sehr gebunden an mein Heimatland war ich nie. Mit 21 war ich ein Jahr lang in Neuseeland und von da an stand für mich schon fest, dass ich wieder für längere Zeit ins Ausland gehe. Das hatte aber noch nichts mit wirtschaftlichen Gründen zu tun. Das kam erst später.

Was geschah dann?
Im Zuge der Wirtschaftskrise verlor meine Mutter ihre langjährige Arbeitsstelle in einer Fabrik und die Firma, in dem mein Vater als Geschäftsführer arbeitete, wurde ebenfalls insolvent. Beide standen kurz vor der Pension. Wegen des Verlustes ihrer Stellen können sie jetzt nur noch auf wenige Hundert Euro hoffen. Aus den Jahrzehnten des wirtschaftlichen Aufschwungs, als man sich noch bedenkenlos Urlaub, ein Auto, oder eine Reise leisten konnte, wurden wir schlagartig in eine Zeit katapultiert, in der jeder einzelne Cent zählte. Ich selbst hatte eine Ausbildung als Krankenpfleger hinter mir: Dieser Wirtschaftszweig gilt als einer, wo man noch Stellen finden kann, aber selbst hier handelt es sich hauptsächlich um befristete oder Teilzeitverträge.

Im März 2013 gingst du dann mit deiner damaligen Freundin nach Deutschland. Ihr hattet es am Anfang nicht sehr leicht.
Das stimmt, ich hatte es anfangs schwer, dieses Land liebzugewinnen. Meine damalige Freundin und ich wurden von Wohnungsbetrügern abgezockt, anschließend wurde ich von italienischen Gastwirten als Arbeitskraft ausgenutzt. Als Italiener tendiert man im Ausland nämlich dazu, in italienischen Restaurants Arbeit zu suchen, um den sprachlichen Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen. Das ist aber ein großer Fehler, denn meistens wird man von den eigenen Landsleuten nur ausgebeutet, das ist hier inzwischen allgemein bekannt. Ähnlich erging es mir mit einer afghanischen Transportfirma. Gegen die hatte ich einen monatelangen, aber erfolgreichen Rechtsstreit, um den nicht bezahlten Lohn einzufordern. Seit ich hingegen im Hofbräuhaus angestellt bin, kann ich mich nicht beklagen.

Was hältst du hingegen jetzt, nach all den überwundenen Hürden, von diesem Land?
Die Erfahrungen der letzten zwei Jahre haben meine Persönlichkeit geformt und sicher auch gestärkt. Abgesehen davon habe ich nun selbst feststellen können, warum der deutsche Staat ein Apparat ist, der funktioniert. Das hat manche Aspekte, die weniger erfreulich sind, wie etwa die ganze Bürokratie, wenn man hier ankommt. Als Italiener hatte ich jedenfalls bei allem ein Aha-Erlebnis: So laufen die Dinge also in einem „normalen“ Land, in einem Land mit effizienten Institutionen. Man kann also sagen, dass zwischen Pro und Contra das Pro überwiegt.

Vor allem, wenn man den Vergleich zu anderen Ländern zieht. Italien zum Beispiel.
Jedes Mal, wenn ich zuhause bin, bekomme ich ein mulmiges Gefühl. Wohin man schaut, sieht man geschlossene Läden, verlassene Fabriken, ausgestorbene Gewerbegebiete. Von meinen Freunden, die noch in Italien geblieben sind, hat nur einer von 15 einen unbefristeten Arbeitsvertrag – das aber auch nur auf Teilzeit. Die Leute, die gerade dabei sind, sich etwas für ihre Zukunft aufzubauen, sind jetzt alle im Ausland: in den USA, in London oder Auckland.

Siehst du deine weitere Zukunft auch im Ausland?
So wie die Dinge jetzt stehen: Ja. Wenn die italienischen Verhältnisse anders wären, würde ich irgendwann von Herzen gerne wieder zurückkehren. Schließlich habe ich dort meine Heimat, meine Familie, meine Freunde. Aber um in einem Land zu bleiben, muss man es wenigstens versuchen können, sich dort eine Zukunft aufzubauen. Und das ist in Italien nicht mehr der Fall. Hier hingegen kann man morgens mit der Gewissheit aufwachen, etwas zustande zu bringen, wenn man sich bemüht. Hier hat man noch eine Chance, die man nutzen kann.

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Profil für Benutzer Hansjörg Zuech
Hansjörg Zuech Di., 01.11.2016 - 20:27

Herr Corti hat recht. Es ist immer wieder interessant, dass Italiener im Ausland eher zu den fleißigen Arbeiter zählen. Wenn man der Sache auf den Grund geht, dann gibt es nur eine Antwort. Nirgendwo in Europa wird der Italiener mit "Scheiß Gesetzen" und veralteter Bürokratie so traktiert wie in Italien. In der Schweiz, Österreich, Deutschland, England usw. weiß der Italiener was er bekommt und was er leisten muss. Und das klappt dann auch! Wir Südtiroler mit unserer SVP werden wohl die Letzten sein, die von solch einen verlotterten Staat gehen. Herr Zeller, vergessen Sie dann bitte nicht das Licht auszuschalten

Di., 01.11.2016 - 20:27 Permalink