Umwelt | Pestizide

Im toten Winkel

Am 30.11.2016 wurde in der Schweiz eine Volksabstimmung über ein Pestizid-Verbot auf Bundesebene eingeleitet! In Südtirol spricht niemand davon. Warum wohl?
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Schweizer Alpen
Foto: CC BY-SA 3.0 Fotograf: Tschubby

Was im toten Winkel liegt, das kann man nicht sehen. Darüber kann man nicht nachdenken. Darüber kann man nicht sprechen. Wer jedoch, so wie ich, von Aussen kommt, der erkennt diese Denk- und Diskussionsbarrieren recht deutlich. Der intensive Apfelanbau in Südtirol liegt in einem solchen toten Winkel. Eine sachliche, konstruktive Diskussion darüber ist nahezu unmöglich. 

Was allerdings möglich und populär ist: öffentlich, ungefragt und ungestraft zu diesem Thema zu polemisieren. 

Vor der Volksabstimmung in Mals wiederholte Südtirols Pestizid-Lobby unermüdlich, landauf und landab, dass eine Abstimmung, die so tief in das Grundrecht der Bauern eingreift, in das Grundrecht synthetische Pestizide großflächig auszubringen, dass eine solche Volksabstimmung mit dem Ziel europaweit zugelassen Pestizide zu verbieten sogar im Mutterland der direkten Demokratie, in der Schweiz also, undenkbar wäre.

Was sich jedoch soeben in der Schweiz ereignet, erinnert mich an eine Szene aus dem Film "Der Stadtneurotiker" von Woody Allen. 

Woody Allen stellt sich in dieser Szene in einer Warteschlange an. Ein Mann, der in der Warteschlange hinter ihm steht, redet ohne Unterlass auf seine Begleiterin ein. Woody Allen wendet sich gequält an seine Begleiterin. Wenn das so weitergehe, klagt er, werde er einen Schlaganfall erleiden. 

Der Dozent doziert weiter. Über Marshall McLuhan. Woody Allen macht drei Schritte auf die Kamera zu und fragt: „Was machst du, wenn du in einer Warteschlange steckst, mit so einem Typen hinter dir?“ 
Der Warteschlangen-Dozent wendet sich nun ebenfalls an die Zuseher und beginnt sich zu verteidigen. 
Woody hält dagegen. Er spreche nicht nur viel zu laut, sondern habe auch überhaupt keine Ahnung von Marshall McLuhan. 
"Rein zufällig", so der Dozent "halte ich Vorlesungen zu diesem Thema an der Columbia University". 
"Das ist lustig", erwidert Woody "denn zufällig habe ich Marshall McLuhan gerade hier" 
Er holt Marshall McLuhan hinter einem Plakatständer hervor und Marshall McLuhan  bestätigt kopfschüttelnd: "Sie verstehen rein gar nichts von meiner Arbeit." 
Woody Allen wendet sich nun seufzend ans Publikum und sagt direkt in die Kamera: 
"Boy, if life were only like this."

Genau jene Schweiz, in der eine Abstimmung zum Thema Pestizide undenkbar wäre, ist im Begriff eine solche Abstimmung durchzuführen. Die Fragestellung der Schweizer Abstimmung ist dabei weitgehend identisch mit der Fragestellung in Mals: synthetische Pestizide sollen verboten werden. Die Schweizer Fragestellung geht allerdings über die Fragestellung in Mals hinaus, denn in der Schweiz soll auch der Import von Lebensmitteln verboten werden, die mit synthetischen Pestiziden behandelt wurden. 

Während also Südtirols Pestizid-Freunde gerade noch darüber schwadronierten, wie unmöglich eine solche Abstimmung in der Schweiz wäre, ziehen wir den Vorhang zur Seite und … Voilà: genau diese Abstimmung wird in der Schweiz gerade vorbereitet. Natürlich wird man abwarten müssen, ob es tatsächlich zur Abstimmung kommt. Aber die ersten Schritte auf dem Weg dorthin sind gesetzt, geprüft und bewilligt. "Boy, isn’t it wonderful if life is like this.“

PS: Eidgenössische Volksinitiative «Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide»
Die Bundesverfassung soll wie folgt geändert werden: 
Der Einsatz synthetischer Pestizide in der landwirtschaftlichen Produktion, in der Verarbeitung landwirtschaftlicher Erzeugnisse und in der Boden- und Landschaftspflege ist verboten.
Die Einfuhr zu gewerblichen Zwecken von Lebensmitteln, die synthetische Pestizide enthalten oder mithilfe solcher hergestellt worden sind, ist verboten.
(Veröffentlicht am 30.11.2016 im Schweizerischen Bundesblatt)
https://www.admin.ch/opc/de/federal-gazette/2016/8433.pdf

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Ein Leser Mo., 02.01.2017 - 18:04

Danke dem Autor, dass er auch den Link zum Dokument hinzugefügt hat, damit man die Sache etwas eingehender prüfen kann. Ein paar Zusatzinformationen sind für die Leser vielleicht ganz nützlich:

Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine Volksinitiative, die einer formalen Vorprüfung unterzogen worden ist und die Freigabe zur Sammlung der notwendigen Unterschriften erhalten hat.
Diese Vorprüfung bedeutet aber nur , dass die Initiative einer rein formalen Prüfung unterzogen wird, ob der Text den rechtlichen Prinzipien zur Einbringung von Volksbegehren entspricht.

Die GÜLTIGKEIT der Initiative wird erst NACH ihrem Zustandekommen durch die Bundesversammlung geprüft (siehe hierzu auch das im Link beigefügte Dokument des Autors, erste Seite letzter Satz).

Laut Wikipedia:
"Eine formell zustande gekommene Volksinitiative wird innerhalb eines Jahres vom Bundesrat beraten. Wird zur Initiative ein Gegenentwurf vorgeschlagen, so kann er die Behandlungfrist auf eineinhalb Jahre verlängern. Die Beratungen der Exekutive münden schließlich in der bundesrätlichen Botschaft zur entsprechenden Volksinitiative.
Diese befasst sich zunächst stets mit der GÜLTIGKEIT der Initiative, also den Erfordernissen der Einheit der Form, der Einheit der Materie sowie der VEREINBARKEIT mit den zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts.
Als ungeschriebene Voraussetzung ist auch die FAKTISCHE Durchführbarkeit der Initiative anerkannt. Weiter werden die AUSWIRKUNGEN, hauptsächlich RECHTLICHER NATUR, bei Annahme der Initiative beleuchtet; zuweilen werden internationale Rechtsvergleiche herangezogen.
Die Botschaft wendet sich an die beiden parlamentarischen Kammern und empfiehlt anschließend die Zustimmung oder Ablehnung der Initiative. Diese Empfehlung, wie auch die Gültigkeitsfrage, haben indessen lediglich beratenden Charakter – die Entscheidungsgewalt obliegt der nun ins Spiel kommenden Legislative."

Mo., 02.01.2017 - 18:04 Permalink