Kultur | Salto Weekend

Weiterbrennen

"Unser gesellschaftliches Gewebe benötigt regelmäßige Pflege und Sorgfalt, um elastisch und anschmiegsam zu bleiben."
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Foto: Salto.bz

Arno Dejaco

Wenn den neuen, sauber gebügelten Nationalisten die Idee Europäische Union gegen den völkischen Zerrblick gehalten wird, so präsentieren die Liberalen ein offenbar sauberes Hemd namens Europa. Oder diese keimfreie blaue Weste, die nach alten Werten und Götterfunken riecht, tatsächlich aber nichts anderes, als eine enorme und etwas träge Verwaltungseinheit ist. Eine, die ihren Ökonomien verspricht, am weltweiten Wettbewerb besser zu bestehen. Der Markt war das Ziel.
Am Markt ist der stärkste Hebel im Regalkampf der Preis. Price-off Promotions im Marketing sind laut Lehrbuch der allerletzte Trumpf im Buhlen um Käufer. Sobald es nur mehr um den Preis geht, geraten Qualitäten in den Hintergrund, Mengen, Nutzen, Haltbarkeiten ebenso wie Markenversprechen und die ’schöne Welt’-Bilderflut. Unser Preis ist eindeutig unmissverständlich, gezielt gesetzt und der letzte Mechanismus, der dieses System zusammenhält. Er zurrt unseren Bewegungsspielraum zu einem berechenbaren Block fest und taktet die Möglichkeiten der Entfaltung zu planbaren Standardpaketen für den zu konsumierenden Tag.

Und genau so fühlt es sich am Markt unseres Zusammenlebens an. Nach dem zügellosen Umherwerfen von ’Werten’, dem Hinunterbrechen und Vermarkten von komplexen Verhaltensordnungen, scheinen sich jetzt die kleinsten Nenner durchgesetzt zu haben. Ausdruck dafür sind wertlose Bilder, die als nichtssagegende Floskeln plötzlich in den Kühlregalen unserer Gesellschaft verhandelt werden: Worte wie Leitkultur, Integration, Flüchtlingskrise…
Wir sind dabei, unsere Kostbarkeiten, den Weihnachtsschmuck unserer Existenzen in undifferenzierte Plastikformen zu gießen und diese nicht einer frischen Tanne, sondern einem alten Strommasten umzuhängen, leere Worthülsen einer etwas perfiden Marktidee anzudichten, um sie zuerst zu bauen und dann zu rechtfertigen.
Warum suchen rechte Bewegungen andauernd den ungebremsten Markt-Liberalismus, obwohl sie sich nach außen dem „einfachen” Volk und seiner sozialen Idee verpflichtet fühlen? Vielleicht weil eine ungehemmte Marktwirtschaft einfach nur der beste Boden ist, wo rechtes Gedankengut, gut gedüngt, gedeihen kann. Sie ist sie ein blendendes Werkzeug für Zündler und Psychopathen. Je instabiler eine Gesellschaft ist, desto wuchtiger ist sie als Sprungbrett für größenwahnsinnige Machtmenschen. Entfesselter Konsum fesselt die Haltungen der Menschen, kreiert unüberwindbare Abhängigkeiten. Das plötzliche Fehlen oder bereits ein Rückgang erzeugt Angst. Und Angst brennt sich wie ein Feuer in unsere Seele. Sie lässt uns erstarren, so wie den letzten Preis im Regal; sie macht uns unbeweglich, unnatürlich und berechenbar, sie macht uns zur Tiefpreisgarantie, wertlos.

Die europäische Rechtssprechung, das Strafgericht, das Parlament, die Freihandelszone gründen auf gewissen Werteordnungen, aber es gibt beim besten Willen keine europäischen Werte!

Werte des Zusammenlebens können nur zwischen Menschen verhandelt werden, nicht zwischen Institutionen, nicht zwischen Firmen, nicht zwischen Parteien. Diese können die Diskussion moderieren, aber SIE dürfen unsere Wertvorstellungen nicht verhandeln. Das müssen jene erledigen, die diese Werte leben. Natürlich auch IN Europa, vielleicht in einer Kirche, vielleicht in der Bar, in der Schule, am Arbeitsplatz, vielleicht hier im Stadttheater oder im Parlament am Gang, vielleicht im Radio, im Kurzwarengeschäft. Vielleicht zwischen Generationen, zwischen Geschlechtern, zwischen Menschen aus verschiedenen Milieus, Kulturen, zwischen Machtpositionen. Sie müssen aber direkt und auf Augenhöhe formuliert werden, im Gespräch, in der Haltung, in der Handlung, offen im Ausgang, ehrlich und leicht formbar, nie erstarrt. Immer wieder, mit dem Bewusstsein für die Fragilität und Verletzlichkeit jedes Einzelnen. Im Wissen um die Einzigartigkeit der Phantasie und die Verantwortung ihres Trägers oder ihrer Tägerin. Niemand ist wertfrei. Institutionen und öffentliche Positionen wollen mit einer gewaltsamen Wertediskussion ein Verhalten bewirken und unterwandern mit Begriffen wie Leitkultur oder Integration zugleich unsere Verfassungen, Sie höhlen die Grundpfeiler unserer Demokratien aus.
Unser gesellschaftliches Gewebe benötigt regelmäßige Pflege und Sorgfalt, um elastisch und anschmiegsam zu bleiben. Der Weichmacher im System, die soziale Fürsorge für schwache Fasern, muss in allen auch noch so kleinen Poren ankommen. Sonst verzerrt und verdreht sich der Stoff, wird kaputt und hart. Und es könnte ein unbequemes Erwachen geben: in einem hartgebügelten, glattgestrichenen braunen Hemd, mit ein paar ausgeblichenen gelben Sternen darauf.

Ich wünsche mir so sehr den Ausstieg aus der Logik des Kühlregals. Hinein in eine wärmende und gemeinschaftliche Logik von Menschlichkeit. Ich wünsche uns, dass wir mit unseren Nachbarn gemeinsam Kirschen essen können und zwar von dem Baum der die schönsten und reifsten trägt. Dass keine Euros auf unsere Monokulturen prasseln, sondern dass es Millionen von Regentropfen sind, die alles Mögliche wachsen lassen. Ich wünsche mir, dass Menschen gut sein wollen dürfen, und schlau oder schnell und langsam im Warten auf Wichtiges, im Verlieben in die Zeit, dass sie dort sitzen können, mit wandernden Gedanken und guten Freunden.
Ich wünsche mir und meinen Kindern einen Frieden, der sich an der Vielfalt nährt, damit sie im Leben noch Hunger auf mehr haben. Dafür lohnt es sich, weiter zu brennen.

 

SALTO in Kooperation mit: SAAV, Südtiroler Autorinnen- und Autorenvereinigung