Politik | Gastbeitrag

Dreifacher Missbrauch

Die SVP und der Gadertaler SVP-Parlamentarier Daniel Alfreider haben wieder einmal in Rom die Ladiner für die eigenen parteipolitischen Ziele missbraucht. Eine Chronik.
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Foto: Salto.bz
Mein Parlamentskollege Daniel Alfreider hat die Nettigkeit gehabt, in den „Dolomiten“ über mich zu sagen: „der kapiert nichts“. Er hat damit nämlich nicht ganz Unrecht. Hätte ich das Ladinergesetz, das er verzeihlicherweise jetzt als „sein“ Gesetz verkauft, wirklich kapiert, hätte ich ihm aus Gründen des politischen Anstands eher nicht zustimmen dürfen. In meiner Gutgläubigkeit habe ich mich bei Prüfung und Abstimmung mehr auf das konzentriert, was für die Ladiner an Besserstellungen drin ist. Zu wenig kapiert habe ich, wozu allem Alfreider oder für ihn seine Partei so ein Verfassungsgesetz und damit die Abänderung unseres Autonomiestatuts zu missbrauchen bereit sind. Das Ladinergesetz, es lässt sich nicht anders sagen, ist versuchter, teils gelungener und nur teils abgewendeter Ladinermissbrauch durch die Südtiroler Volkspartei.
 
Der Reihe nach: Der erste Missbrauch überstand die Abwehr schon im Verfassungsausschuss nur, weil dem Trentiner M5S-Kollegen Fraccaro und mir die Zusage gemacht wurde, er werde in unserem Sinn vermieden. Er betraf jene Bestimmung, wonach einer der drei von der Landesregierung ernannten Richter am Bozner Verwaltungsgericht den Ladinern zusteht. Längst ist es nicht nur der Südtiroler Opposition, sondern auch einer breiten Parlamentsmehrheit ein Ärgernis, dass Verwaltungsrichter nicht per Wettbewerb ihren Posten bekommen, sondern von der Politik ernannt werden. Die SVP kapierte, dass sie mit ihrer sturen Ausnahme vom Prinzip der Trennung von Exekutive und Gerichtsbarkeit nicht länger durchkommen würde. Doch nein: Die Partei will die politische Kontrolle über das Verwaltungsgericht nicht abgeben. Und wenn es sie den Ladiner kostet. So erledigte in der Endabstimmung der immer schamhafte PD-Trentiner Michele Nicoletti das Unvermeidliche und nahm den Gesetzesartikel insgesamt aus dem Spiel. Parteiräson erging vor Gesetzeswillen, die Ladiner bleiben ohne Verwaltungsrichter. Es wäre der gewichtigste Posten gewesen, den das Ladinergesetz den Ladinern gebracht hätte.
 
Zweiter Missbrauch, gescheitert. Die SVP-Abgeordneten bringen zum letztmöglichen Zeitpunkt, Montag, 9. Dezember, 13 Uhr, vier Abänderungsanträge zum eigenen Gesetzesentwurf ein. Sie scheinen bis Mittwoch früh, Tag der Behandlung im Plenum, im Amtsblatt der Kammer auf: Zwei, nicht gleich lautende, aber aufs Gleiche abzielende, Anträge betreffen die Wahl eines allenfalls von außen zu berufenden Landesrates (der nicht Ladiner sein muss). Dafür ist laut Autonomiestatut bis heute eine Zweidrittel-Mehrheit des Landtags notwendig. Die Latte wurde so hoch gelegt zu Zeiten, als für die SVP solche Mehrheiten noch realistisch waren. Inzwischen könnten sie es nicht mehr sein, und so wurde - gleich auf zweifache Weise - in den Ladinerzug der erste blinde Passagier eingeschmuggelt: Zweidrittelmehrheit „streichen“ oder „ersetzen mit absoluter Mehrheit“. Der Versuch war zu dreist. Verfassungsausschuss-Präsidium und -Sekretariat signalisierten: unannehmbar! Der Schmach zuvorkommend, zog Alfreider beide Anträge zurück.
„Die Abstimmung vom Mittwoch war auch erst der erste von den notwendigen mindestens vier Akten des Stücks.“
Dritter Missbrauch: Er verändert, genauer gesagt, öffnet die Tür zu einem neuen Wahlrecht für Landtag und Gemeinderäte. Der SVP ist das reine Proportional-Wahlrecht, wie es das Autonomiestatut vorsieht, schon lang zu demokratisch. Sie will Mehrheitswahl-Elemente einführen, so wie der Staat es zum Beispiel mit dem Mattarellum vor 20 Jahren getan hat. Die Partei traut sich nicht, das offen durchzuziehen. Also hinein mit dem nächsten blinden Passagier im letzten Wagon. Im Ladinergesetz hat sie einen Gummibegriff eingefügt, der schon bei der Schutzklausel in der gescheiterten Verfassungsreform Dienst getan hat und jetzt die Schmiere für eine Wahlreform in Land und Gemeinden liefern wird. Das Wahlsystem soll demnach nicht mehr „proportional“ sein, sondern „auf proportionaler Grundlage“ – „su base proporzionale“. Das alles garniert (mündlich), es geschehe den Ladinern zuliebe. Mir ist es mit meinen Debattenbeiträgen gelungen, die Spitzfindigkeit der Argumentation – für die wieder der gute Nicoletti sich hergab – reichlich lächerlich aufzudecken und selbst namhafte Mitglieder der Regierungsmehrheit auf meine Seite zu bringen, aber Mehrheit blieb Mehrheit. In diesem Fall ist der Ladinermissbrauch gelungen. Aber: Die Abstimmung vom Mittwoch war auch erst der erste von den notwendigen mindestens vier Akten des Stücks.
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Albert Hofer Fr., 13.01.2017 - 11:34

Fehler im Beitrag: "Die Partei will die politische Kontrolle über den Rechnungshof nicht abgeben." -> müsste wohl "Verwaltungsgericht" heißen. Der SVP kann man nun wirklich nicht eine "politische Kontrolle" des Rechnungshofs unterstellen...

Fr., 13.01.2017 - 11:34 Permalink
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Martin Daniel Fr., 13.01.2017 - 18:54

Der Ladinermissbrauch scheint in Südtirol Tradition zu haben. Das Duo Zeller-Brugger hat, wenn ich mich nicht irre, mit Verfassungsgesetzen im Jahre 2001 dafür gesorgt, dass ein Landesrat von außen berufen werden kann - eine maßgeschneiderte Aktion, um die starken, in der Bevölkerung verwurzelten Ladins zugunsten folgsamer Platzhalter auszubremsen. Eine Rechnung, die den SVP-Strategen bestens aufging - und zwar nachhaltig. Carlo Willeit war 1993 in den Landtag gewählt und 1998 bestätigt worden. So etwas Unerhörtes durfte sich nicht wiederholen. Also hievte die SVP 2001 zum ersten Mal in der Geschichte einen nicht gewählten - und aus dem Hut gezauberten - Ladiner (F. Mussner) als Nachfolger von Luis Kofler in die Landesregierung. Diesem nutzten die Segnungen des Amt weidlich, sodass die Ladins 2003 am Wiedereinzug scheiterten und bis heute nicht mehr zurückzukommen vermochten. Die SVP konnte hingegen seither den eigenen Anspruch auf Alleinvertetung dieser Sprachgruppe einlösen.

Fr., 13.01.2017 - 18:54 Permalink