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Paradigmenwechsel im Bauernbund

Das Science Cafe in der Bozner Eurac (29. Mai 2013) wartete mit einer prominent besetzten Diskussionsrunde zum Thema „Boden“ auf. Die Diskussion ging aber weit darüber hinaus und wurde schlussendlich auf die grundlegende Frage ausgeweitet: wie umweltfreundlich ist Südtirols Landwirtschaft?
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Brunnerhaus Vaia
Foto: Arnold Hofer

Angelegt war die Diskussion als klassisches Pro und Contra: Hier der Bauernbund-Direktor Siegfried Rinner, dort Bioland-Präsident Michael Oberhollenzer. Hier der Mann des konventionellen Anbaus, geerdet und pragmatisch, dort der Ökofreak mit großen Visionen und einer großen Leidenschaft für alles, was wächst. Dazwischen sollte die Eurac-Wissenschaftlerin Ulrike Tappeiner die Diskussion auf wissenschaftlich fundierte Ebene heben. Und in der Tat war es so: mit der Wissenschaftlerin an ihrer Seite waren die zwei Herren besonders vorsichtig in ihrer Argumentation, versuchten „keinen Bock zu schießen“ und verzichteten auf allzu simple Argumente.

Mein besonderes Interesse galt den Ausführungen von Siegfried Rinner. Als Bauernbund-Direktor – durchaus redegewandt und mit sicherem Auftreten – hat er das Zeug zu einer großen politischen Karriere im immer noch sehr bäuerlich geprägten Südtirol. Das, was er sagt, hat also Gewicht. Was er vorgibt, kann richtungsweisend für die Südtiroler Landwirtschaft und mit ihr für die Südtiroler Natur und Landschaft sein. Und eines sei hier schon vorweggenommen: Rinner vermied die Konfrontation und wartete mit durchaus versöhnlichen Tönen auf. An den Ausführungen des Bauernbund-Direktors kann man einen Paradigmenwechsel feststellen, der sich im Bauernbund in den letzten Jahren vollzogen hat. Zahlreiche Argumente, die vor Kurzem noch aus den Mündern der Bauernbundvertreter und des Bauernbund nahen SVP-Bauernflügels undenkbar waren und den politischen Widersachern der Oppositionsparteien und Naturschützern vorbehalten waren, sind zu Gemeinplätzen geworden. Man hört sie jetzt sogar von Durnwalder höchstpersönlich, dem eigentlichen Chef der Südtiroler Landwirtschaft (während Ex-Landesrat Berger mit seinem Wechsel ins römische Parlament das Weite gesucht hatte und sich vorerst zur hiesigen Landwirtschaftspolitik gar nicht mehr äußert).

Bio ist in!

Nicht zuletzt durch die Anwesenheit des Bioland-Präsidenten Oberhollenzer war der biologische Anbau ein bestimmendes Thema in der Diskussion. Einerseits verwies die Eurac-Wissenschaftlerin Tappeiner mehrfach auf die ökologischen Vorteile des biologischen Anbaus. Rinner seinerseits bestritt niemals diese Vorteile, betonte aber, dass im Obstbau der Markt wohl noch zu klein sei, um einen flächendeckenden Umstieg auf Bio zu ermöglichen. In der Grünlandwirtschaft bedauerte er öffentlich den geringen Anteil an Biobauern und bestätigte damit indirekt den großen Nachholbedarf, der in Südtirol diesbezüglich besteht. Auch bestritt der Bauernbund-Direktor nicht, dass sich in der Milchproduktion für den einzelnen Bauern mehr Geld mit Bio als mit konventioneller Produktion gewinnen ließe.

Obstbau: Konsens statt Konfrontation

Durchaus versöhnliche Töne gab es bezüglich intensivem Obstbau, wenngleich keine wirkliche Trendwende bevorsteht – zu wichtig ist der Wirtschaftsfaktor Apfel innerhalb der Südtiroler Bauernschaft, um am Erfolgsmodell etwas zu ändern. Der Bauernbund-Direktor verteidigte natürlich den integrierten Obstbau als bestmöglichen Weg, um Ökologie und Wirtschaftlichkeit unter einen Hut zu bringen. Für Neuanpflanzungen kündigte er verpflichtende Heckenreihen zum Schutz der anliegenden Flächen an. Zahlreiche Details blieb er den Zuhörern allerdings schuldig. Kommt irgendwann ein Herbizidverbot auch in der Landwirtschaft und nicht nur im öffentlichen Raum, vor allem von Glyphosaten? Reichen die angekündigten Maßnahmen wirklich, um angrenzende Flächen (von Nicht-Bauern oder Biobauern) vor der Abdrift zu schützen, und vor allem, was wird in Zukunft unternommen, damit sich die Bauern auch an die Bestimmungen halten, etwa an den Mindestabstand zu Wasserläufen oder Verkehrswegen – all das blieb an diesem Abend ausgespart (zum Teil wohl auch aufgrund des beschränkten Zeitrahmens der Diskussion).

Milch: Weg von der Massenproduktion

Dass es an der Milchproduktion einen großen ökologischen Haken gibt, kam ganz am Ende der Diskussion zur Sprache. Zwar werden die regionalen Kreisläufe gerne öffentlich angepriesen, doch ist es in der Milchwirtschaft Standard, dass die Kühe einen großen Teil ihrer Futtermittel aus der Ferne beziehen (woher genau, konnte weder Rinner noch Oberhollenzer beantworten). Es handelt sich also nicht um einen geschlossenen Kreislauf, sondern um einen einseitigen Input: in Osteuropa oder gar Südamerika wird ordentlich Düngemittel in die Felder „gebuttert“, werden im großen Stil Mais, Getreide oder Hülsenfrüchte produziert, während hierzulande das Ganze im Magen der Wiederkäuer und indirekt durch Ausbringung von Gülle und Mist auf den Feldern endet. Der Stickstoff aus der Düngerfabrik landet somit auf Umwegen vor unserer Haustür. Ein einseitiger Kreislauf, der eindeutig zu Lasten unseres Naturhaushaltes geht. Rinner beschönigte zwar die Gülleproblematik, bestritt die Problematik an sich jedoch keineswegs; er gab auch zu, dass die Rechnung am Ende nicht aufgeht. Schlussendlich verdient der Bauer an dem Ganzen eigentlich kaum etwas, weil die Preise für die Futtermittel letzthin explodiert sind. Daher wurde von allen Seiten ein „weniger ist mehr“ propagiert. Wie die Milchhöfe mit der vorprogrammierten Milchknappheit umgehen würden, wurde nicht erörtert. Genausowenig wurde eine Absenkung der Großvieheinheiten pro Fläche vorgeschlagen, die Maßnahme, die wohl am effizientesten diesem Irrsinn entgegenwirken würde.

Ein großer Themenblock wurde in der Eurac überhaupt nicht angesprochen: Wie sehr die Südtiroler Landwirtschaft, v.a. die Milchwirtschaft auf Beitragszahlungen aus Brüssel angewiesen ist. Zur Sprache kam auch nicht, dass diese Gelder immer mehr an Natur- und Landschaftsschutz gebunden sind. In der Diskussion wurde zwar mehrmals angesprochen, dass der Bauer in seinem Feld anpflanzen kann, was er will, allerdings wurde den Zuhörern (bewusst?) vorenthalten, dass der Steuerzahler durch all diese Beitragszahlungen sehr wohl ein gewichtiges Wort mitzureden hat, wie das Ganze von statten gehen muss, sprich: in einer Form, dass der Allgemeinheit ein größtmöglicher Nutzen zu Teil wird.

Fazit des Abends: Die Fronten sind bei weitem nicht so verhärtet, wie es oft scheint. Der Bioland-Präsident ist alles andere als ein Öko-Fundamentalist sondern ein Fachmann in seinem Bereich mit profunden Kenntnissen, die von Stalltechniken bis zu Produktmanagement reichen. Der Bauernbund-Direktor seinerseits hat durchaus ein offenes Ohr für ökologische Belange und scheint einer gründlichen Ökologisierung der Südtiroler Landwirtschaft nicht abgeneigt zu sein. In den kommenden Jahren werden wir sehen, ob sich die positiven Signale auch in konkrete Verbesserungen verwandeln.

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Sylvia Rier Di., 04.06.2013 - 12:24

für diesen sehr schönen Text, macht richtig Freude, Mut und Hoffnung.

Di., 04.06.2013 - 12:24 Permalink
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Sepp.Bacher Di., 04.06.2013 - 14:45

Andreas, vielen Dank für den ausführlichen und gut verständlichen Bericht. Er lässt Hoffnung zu, im Gegensatz zum Leserbrief heute in der Dolomiten, wo der Bauernbund-Obmann alles abschmettert, was ich mir vor einigen Tagen erlaubt habe vorzubringen. Da schreckt er auch nicht zurück, mich als einen Ignoranten hinzustellen. Dabei habe ich in etwa die selbe Position bezüglich Turbo-Grün-Landwirtschaft vertreten, wie auch schon in deinem ersten Blog. Hoffentlich setzt sich die von dir beschrieben Tendenz durch.

Di., 04.06.2013 - 14:45 Permalink
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Sylvia Rier Di., 04.06.2013 - 17:34

Antwort auf von Sepp.Bacher

Ha! Sepp, das erinnert mich an einen hitzigen :-) Leserbrief-Wechsel, den ich mit Herrn Rinner vor einem Weilchen in der "Dolomiten" geführt hatte, war recht lustig, ich glaube, da gingen so etwas wie 6 Leserbriefe hin und her. Damals ging's um den Urlaub auf dem Bauernhof, und ich hatte den Eindruck, der Mann ist ziemlich überzeugt von sich selbst und seinem Tun. Aber das muss er wohl auch sein.

Di., 04.06.2013 - 17:34 Permalink
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Andreas Hilpold Di., 04.06.2013 - 17:40

Antwort auf von Sepp.Bacher

Hab mir soeben den Leserbrief von Tiefenthaler durchgelesen. das ist die übliche Schwarz-Weiß-Malerei von einigen Bauernbundfunktionären, die weder den Bauern weiterhilft noch der Sache wirklich dienlich ist. Erst wenn man die Probleme wirklich erkennt anstatt sie schönzureden, kann man sie auch konkret angehen. Wie intensiv die Landwirtschaft ist misst man übrigens nicht an Kühen im Stall sondern in Großvieheinheiten (GVE) pro Fläche…

Di., 04.06.2013 - 17:40 Permalink
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Sylvia Rier Mi., 05.06.2013 - 07:29

Da scheint es also, als haben (hätten) wir es mir sehr selbstbewussten Vertretern eines sehr selbstbewussten Standes zu tun. Das ist auch gut so, denn ich glaube, es gab einmal eine Zeit (als das mit dem Tourismus begann?), da war der Bauer nicht so gut angesehen. Geringschätzung der Landwirtschaft ist stets ein Armutszeugnis für eine Gesellschaft. Inzwischen aber sind wir an einem Punkt angekommen, wo das Selbstbewusst zum Teil schon in Arroganz und Präpotenz umzuschlagen scheint, und (auch) das ist nicht gut und kann gefährlich werden. Mir will schon scheinen, als würde das Verständnis in der Bevölkerung und für die Bauern nicht mehr überaus und immer sehr groß zu sein, vor allem angesichts der doch zahlreichen Privilegien, die in vielen Fallen sehr, aber halt nicht immer gerechtfertigt scheinen. Wir alle brauchen die Bauern, das ist gar keine Frage, aber die Bauern scheinen zu vergessen, dass sie uns mindestens genauso sehr brauchen, und nicht nur im Sinne z. B. der viel zerredeten "Zusammenarbeit zwischen Tourismus und Landwirtschaft". In dem Zusammenhang würde mich schon sehr interessieren, wie dein vorletzter Absatz (Steuergelder, die unsere Bauern am Sinne des Natur- und Landschaftsschutzes binden und verpflichten) in der praktischen Anwendung/Auswirkung zu verstehen ist. Das ist interessant, scheint aber alleweil und sehr breitflächig verschluckt zu werden? Und: Du sagst diesen wunderbaren Satz, in deiner Antwort an Sepp Bacher, dass nämlich die Probleme erst erkannt und anerkannt werden müssen und nicht nur immer schön geredet, bevor an ihre Lösung gedacht werden kann. Ich denke mir manchmal, das ist ein Grundproblem unserer Südtiroler Gesellschaft: Den Problemen wird einfach nicht ins Gesicht geschaut, vielmehr werden sie unter den Teppich gekehrt, nach dem Kinder-Motto, was ich nicht sehe (und was die anderen nicht sehen...), gibt es nicht. Schon ziemlich eigenartig, nicht wahr, für eine erwachsene, fortgeschrittene Gesellschaft? Ja, und dann bedrückt mich eigentlich schon seit langem, dass man z. B. auf die Frage, warum wir denn keine Kornfelder mehr haben, oder warum die schönen alten Sorten einfach dem Vergessen überlassen werden, stets dieselbe Antwort erhält: "Des bringg nix". Ah ja. Es geht nur noch um das Geld, und nie mehr um die Sache selbst, um das Tun an sich, um das Tun der Freude und der schönen (!) Ergebnisse wegen. Erfolg definiert sich nur noch über das materielle. Das kann doch nicht gut gehen, und dieses Denken bestürzt bei den Bauern ganz besonders, und noch mehr bei den Kleinbauern, glaubt doch der romantische Städter, der Bauer sei der, der der Natur am nächsten sein müsse, und der, dem ihr Schutz und ihr langfristiger Erhalt am meisten am Herzen liegen müssten - ist doch er der, der seinen Lebensunterhalt am direktesten aus ihr zieht. Ich finde übrigens, es wäre positiv, wenn die einzelnen Berufsgruppen (hier die Bauern) weniger "geschlossen" lebten, weniger am Rest der Gesellschaft vorbei, die "andere" Bevölkerung müsste m. E. viel mehr in die Probleme, Lösungsfindung und Lösungen der bäuerlichen Bevölkerung mit einbezogen werden. Aber da greift wohl wieder das Prinzip des "wenn niemand nichts weiß, macht's niemanden heiß".

Mi., 05.06.2013 - 07:29 Permalink
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Andreas Hilpold Mi., 05.06.2013 - 23:38

zu zwei Punkten von Silvia Rier:
1. Steuergelder für konkrete Leistungen
aus vielerlei sinnvollen Gründen geht die EU davon weg, Beiträge auf die produzierte Menge auszuschütten. Ein solcher Beitrag ist z.B. die Milchprämie. Ähnlich kritisch werden mittlerweile reine Flächenprämien gesehen, d.h. ohne qualitative Kriterien zu erfüllen. All diese Maßnahmen unterstützen zu guter letzt die großflächige Landwirtschaft mehr als die kleinstrukturierte Südtiroler Landwirtschaft. Die Tendenz geht dahin, dass Subventionen v.a. für solche Maßnahmen gezahlt werden, welche die Landschaft, den Naturhaushalt und die Biodiversität möglichst fördern. Außerdem werden Maßnahmen gefördert, die die Abwanderung verhindern können. Bei diesem letzten Maßnahmenpaket gibt es aber einen großen Interpretationsspielraum, teilweise werden damit auch Dinge subventioniert die dem ersten Zweck zuwiderlaufen, z.B. sogar Meliorierungen.
2. Geld
Leider ist in der Milchwirtschaft der Stundenlohn so gering, dass man von den Bauern nicht fordern kann, dass sie aus reinem Idealismus etwas ändern, wenn sie gleichzeitig finanzielle Einbußen erleiden würden. Es müssen schon die politischen Rahmenbedingungen passen, die von unseren lokalen Politikern aber ganz wesentlich mitgestaltet werden. Brüssel spuckt jede Menge Geld in die Südtiroler Landwirtschaft, unsere Politiker sollten dieses aber so verwenden, dass alle Anliegen (Entlohnung der Bauern, Erhalt von Natur und Landschaft, Erhalt der sozialen Funktion des Bauernstandes...) erfüllt werden. Das ist leider im Moment nicht der Fall.

Mi., 05.06.2013 - 23:38 Permalink