taschler.png
Foto: zucco.inc
Gesellschaft | Pollo der Woche

Taschlers Fehlschüsse

Gottlieb Taschler wollte seinem Sohn helfen und hat dabei einen Fehler gemacht. Was er jetzt aber vor Gericht aufführt, ist eine Beleidigung für den Hausverstand.
Nichts zugeben und so wenig wie möglich sagen“: Das sind die zwei Grundregeln, die ein guter Strafverteidiger seinem Mandaten vor jedem Verhör oder vor jeder Gerichtsaussage einbläut.
Und genau das versucht Gottlieb Taschler an diesem Vormittag im Schwurgerichtssaal am Bozner Landesgericht umzusetzen. Kaum stellt der Leitende Staatsanwalt Giancarlo Bramante eine Frage, sucht der ehemalige Biathlet vor jeder Antwort Blickkontakt zu seinem Anwalt.
Flavio Moccia ist einer der besten Südtiroler Strafverteidiger. Ein Mann, der imstande ist, vor Gericht selbst aus aussichtslosen Fällen etwas zu machen. Moccia ist hier ganz in seinem Element. Wie ein Trainer lenkt er mit Blicken und Gesten die Aussage seines Schützlings. Wird der Staatsanwalt zu scharf, fährt der Verteidiger sofort dazwischen. Vor allem aber bremst Moccia seinen Schützling.
Gottlieb Taschler hält sich an diesem letzten Januartag perfekt an das vorher ausgemachte Regiebuch. Meistens behauptet er, er könne sich nicht mehr erinnern. Einem guten Schauspieler merkt man es nicht an, dass er rezitiert. Taschler aber schon.
Die Zeugenaussage an diesem Dienstag mag in der Verteidigungsstrategie liegen, der Glaubwürdigkeit des Südtiroler Biathlon-Papstes ist das Schauspiel aber ganz sicher nicht zuträglich.
„Die Zeugenaussage an diesem Dienstag mag in der Verteidigungsstrategie liegen, der Glaubwürdigkeit des Südtiroler Biathlon-Papstes ist das Schauspiel aber ganz sicher nicht zuträglich.“
Als Sportler hat Gottlieb Taschler Großartiges geleistet. Der heute 54-jährige Antholzer Biathlet holte bei der WM in Oslo 1986 und bei den Olympischen Spielen 1988 in Calgary mit der italienischen Staffel jeweils die Bronzemedaille. Die Krönung seiner Laufbahn folgt 1991 im finnischen Lahti: Taschler wird zusammen mit Wilfried Pallhuber, Hubert Leitgeb und Simon Demetz Weltmeister im Mannschaftsrennen. Nach der Olympiade in Albertville 1992 beendet Gottlieb Taschler seine Karriere als Sportler und startet als Biathlon-Funktionär durch. Als Vorstand und Vizepräsident der Internationalen Biathlon Union (IBU) leistet er einen wichtigen Beitrag dazu, dass Biathlon innerhalb von wenigen Jahren vom kaum beachteten Nischenprodukt zu einem Sport wird, der im Fernsehen Millionen Zuschauer begeistert und ebensoviel Geld umsetzt.
Dass der Biathlon-Weltcup in Antholz seit Jahren das größte Sportevent Südtirols ist und es noch lange sein wird, ist auch Taschlers Verdienst. Natürlich braucht es für diese Großveranstaltung viele Hände, doch der OK-Chef ist eindeutig der Vater des Erfolgs.
 
Weniger weltmeisterlich meistert Gottlieb Taschler allerdings die Niederungen und Schattenseiten des Lebens. Als im Dezember 2014 bekannt wird, dass Taschler seinen Sohn Daniel 2010 zum gesperrten Dopingarzt Michele Ferrari zur Behandlung gebracht haben und dieser den jungen Biathleten gedopt haben soll, spielt der Biathlonpapst von Anfang an die Jungfrau Maria.
Das ist Rufmord. Denn diese abgedruckten Telefongespräche hat es nie gegeben“, reagierte Taschler auf die Enthüllungen der „Gazzetta dello Sport“. In einem über 9 Minuten langen Fernsehinterview mit dem ZDF-Sportreporter Nils Kaben meldet er „Zweifel an der Echtheit der Telefonprotokolle“ an sowie an der Tatsache, dass es eine Ermittlung gegen ihn gebe. Den Umstand, dass er seinen Sohn zu Michele Ferrari gebracht habe, erklärt Taschler damit, „dass Daniel Schilddrüsenprobleme hatte“. Diese Erklärung wiederholt er später rund ein Dutzend Mal.
Aus der angeblich nicht existierenden Ermittlung ist inzwischen ein Hauptverfahren wegen Dopings vor dem Landesgericht Bozen geworden. Die Beweislast gegen Daniel und Gottlieb Taschler ist dabei erdrückend.
Es ist bezeichnend, dass Gottlieb Taschler an diesem Dienstagvormittag im Gerichtssaal das Wort „Schilddrüsenprobleme“ nicht einmal in den Mund nimmt. Plötzlich geht es um eine Immunschwäche seines Sohnes.
 
Gottlieb Taschler kennt Michele Ferrari noch aus seiner Zeit als aktiver Biathlet. Ferrari betreute damals als Arzt die italienische Nationalmannschaft.
Im späten Frühjahr 2010 wendet sich Taschler an Ferrari, der damals als Arzt wegen Doping von Radsportlern bereits international gesperrt war.
Im Gerichtssaal erklärt Gottlieb Taschler allen Ernstes, nichts von der Sperre und den Dopingvorwürfen gegen Ferrari gewusst zu haben. Dabei war „Doktor EPO“ bereits sechs Jahre zuvor in einem aufsehenerregenden Prozess in Bologna verurteilt worden. Seitdem kam der Arzt nicht mehr aus den Schlagzeilen.
Vor allem aber liegt in den Prozessakten ein mitgeschnittenes Gespräch zwischen Michele Ferrari und Daniel Taschler, in dem der Arzt erklärt, dass die Kontaktaufnahme konspirativ erfolgen müsse:
 
Michele Ferrari: "Ich gebe dir auch noch eine andere Telefonnummer, die du aber nicht über dein Telefon anrufen darfst. Du musst ein anderes Telefon verwenden, das nicht registriert ist und das du nur für diese Gespräche benutzt. Du besorgst dir ein anderes Telefon über eine dritte Person, die nicht du und auch nicht Gottlieb ist, die aber ein Telefon und eine Sim-Karte kauft. Du darfst diese Sim-Karte aber auch nicht in deinem Telefon benutzen, denn sonst kann man das zu dir zurückverfolgen. Also, ich gebe dir jetzt meine andere Nummer, es ist eine Schweizer Rufnummer, die du aber nur für diese Sache gebrauchst. Es ist auf jeden Fall besser, wenn du überhaupt nicht anrufst.....“
 
Die Ermittlungen ergaben, dass es keinerlei direkte Telefongespräche zwischen Daniel Taschler und Michele Ferrari gab. Die Kontakte liefen immer nur über den Vater.
Daniel spricht schlecht Italienisch“, erklärte Gottlieb Taschler bei seiner Zeugenaussage am vergangenen Dienstag diese Tatsache lapidar. Auch er selbst beherrsche die Sprache eher schlecht.
Das Absurde: Gottlieb Taschler machte diese Aussage auf Italienisch, weil er und sein Verteidiger diese Prozesssprache gewählt haben.
 
Die Worte EPO und Doping fallen in der Stunde von Taschlers Zeugenaussage kein einziges Mal. Gottlieb Taschler erklärt, er sei bei keiner Behandlung seines Sohnes dabei gewesen. Damit glaubt er, durchkommen zu können.
Chefstaatsanwalt Giancarlo Bramante braucht dazu keinerlei Erklärungen. Diese liegen in den Akten vor ihm auf den Tisch. Die Ermittler haben erdrückende Beweise dafür gesammelt, dass Michele Ferrari Daniel Taschler mit EPO gedopt hat.
In den abgehörten Gespräche am Telefon und in Ferraris Camper erklärt der Arzt den Umgang mit dem Medikament.
Ein paar Auszüge:
 
Michele Ferrari: "Die andere Hälfte kannst du in der Spritze lassen. So bleibt es dir eine Weile besser erhalten...und dann tust du es weg".
Daniel Taschler: "Ah...in der Spritze".
Ferrari: "...in der Spritze und du machst dir nur die Hälfte.“
 
Am 17. Oktober 2010 treffen sich Michele Ferrari und Daniel Taschler bei der Autobahnausfahrt Ferrara Nord in Ferraris Camper, der dem Arzt bekanntlich als Behandlungsraum für illegale Methoden diente. Die Ermittler registrieren dabei die Aus- und Einfahrt eines BMW, der auf Gottlieb Taschler zugelassen ist.
Vor allem aber schneiden die Ermittler mit, wie Michele Ferrari Daniel Taschler auf die Gefahr hinweist, das Epo zu Hause aufzubewahren.
 
Michele Ferrari: „Occhio hey, du weißt, dass das ….. besser nicht im Haus zu behalten ist. Es ist eine Straftat. Hast du nicht einen anderen Platz?.....Jetzt wird es draußen ja schön frisch, deshalb kannst du....wichtig ist aber, dass es nicht gefriert. Ich weiß nicht, verstecke es unter der Erde oder unter Blättern. Aufgepasst, lass es nicht im Haus. Habt ihr nicht einen anderen Platz, wo...."
Daniel Taschler: "Nein, ich behalte es im Haus, das macht nichts..."
Ferrari: "Gibt es nicht einen Platz, der nicht der Eisschrank ist und wo die Temperatur zwischen Null und zehn Grad ist....(...).... Das Beste wäre unter Blättern, ich weiß nicht, ob du einen Keller oder eine Holzlege hast...wenn du eine Holzlege (legnaia) hast, geht es auch gut, dann kannst du es dort lassen.“
 
Gottlieb Taschler kennt diese Abhörprotokolle. Trotzdem tut er so, als sei nichts gewesen. Dreimal kommt Ferrari auch nach Antholz: Am 22. Juli, am 13. August und am 1. Oktober 2010. Die Ermittler zeichnen dabei detailliert nach, wie Gottlieb Taschler den Sportarzt am Dorfeingang in Empfang nimmt.
Die Behandlung nach der „Methode Ferrari“ endet im Dezember 2010. Am 14. Jänner 2011 schafft Daniel Taschler mit einem 5. Platz im Europacup das beste Resultat seiner sportlichen Karriere. Als Staatsanwalt Giancarlo Bramante Gottlieb Taschler am Dienstag danach fragt, ob es hier nicht einen Zusammenhang gebe, antwortet der Mann, der sein Leben dem Biathlonsport gewidmet hat, allen Ernstes, dass er sich nicht mehr daran erinnern könnte. „Es kann sein, dass er dort ein Top-10-Ergebnis erzielt hat“, sagt Taschler senior.
„Es ist normal, dass ein Vater seinem Sohn hilft und beisteht. Auch wenn der Sohn und auch er selbst dabei einen großen Blödsinn machen. Das kann wahrscheinlich jeder verstehen, der selbst Vater ist. Auch ein Staatsanwalt und ein Richter.“
Es ist normal, dass ein Vater seinem Sohn hilft und beisteht. Auch wenn der Sohn und auch er selbst dabei einen großen Blödsinn machen. Das kann wahrscheinlich jeder verstehen, der selbst Vater ist. Auch ein Staatsanwalt und ein Richter.
Aber man sollte – wenn es wirklich brenzlig wird - zu seinem Fehler stehen. Ansonsten verliert man als Mensch seine Glaubwürdigkeit und demontiert damit sein eigenes Denkmal.
Genau das tut Gottlieb Taschler seit zwei Jahren. Schade.
Bild
Profil für Benutzer G G
G G Sa., 04.02.2017 - 17:37

„Nichts zugeben und so wenig wie möglich sagen“ ... abgesehen von diesem konkreten Fall - besser gesagt: weit über diesen konkreten Fall hinaus ist es schon traurig - oder noch mal besser gesagt: weit über diesen konkreten Fall hinaus ist es der blanke Wahnsinn, dass wir unser Kultur- und Wertesystem auf solche Grundpfeiler aufgebaut haben. Und die Verteidiger dieser Grundwerte gehören zu den erfolgreichen Bestverdienern unserer menschlichen Gemeinschaft - das Patriarchat lässt in Anzug und Krawatte überlegen strahlend grüßen. Und wir Schafherde halten weiterhin eisern an all dem fest - objektiv betrachtet schon fast unglaublich!

Unsere Kultur ist von vornherein zum Scheitern verurteilt, denn solche Grundwerte treten jedes natürliche Grundgesetz von Kooperation und Zusammenarbeit innerhalb eines funktionierenden Biotops in höchstem Maße sträflich mit Füßen.

Sa., 04.02.2017 - 17:37 Permalink