Politik | Verkehr

Kampf dem Stau

Eine staufreie Brennerautobahn? Was sich utopisch anhört, könnte Wirklichkeit werden. Wie? Das erklärten Sven Knoll & Co. am Dienstag Vormittag.
Stau
Foto: Südtirolfoto/Othmar Seehauser

Der Zeitpunkt für die Pressekonferenz hätte kaum besser gewählt sein können. Ein langes Feiertagswochenende gerade vorbei, ein weiterer Feiertag in Aussicht. Für viele, die an Pfingsten und Fronleichnam ihre freien Tage nicht zuhause, sondern weiter im Süden verbringen wollen, bedeutet das erstmal eines: Stau.
Nichts geht mehr hieß es an den vergangenen Wochenenden gleich mehrmals auf der Brennerautobahn. “Ich selbst stand zuletzt bei Bozen zwei Stunden im Stau”, berichtet ein hörbar entnervter Sven Knoll am Dienstag. Gemeinsam mit seinen Parteikollegen präsentierte der Landtagsabgeordnete der Süd-Tiroler Freiheit (STF) am Vormittag einen Maßnahmenkatalog für eine “Staufreie Brennerautobahn”.

“Ist Ihnen aufgefallen, dass sich Staus vor allem auf Südtiroler Seite der Brennerautobahn bilden?”, fragten die STF-Exponenten in den Raum. Fünf Gründe, warum das so sei, haben Knoll & Co. über Anfragen im Landtag und bei Nachfragen bei der Autobahngesellschaft, in Erfahrung gebracht: Zum einen ist da die Mautstelle Sterzing, auf deren Mängel die STF in der Vergangenheit bereits mehrere Male hingewiesen hat. Dazu kommen die zahlreichen Baustellen, auf denen tagsüber und auch zu Stoßzeiten gearbeitet wird. Unterschiedliche Verkehrsregeln nördlich und südlich des Brenners, eine fehlende Koordinierung zwischen der A22 und der A13 auf Nordtiroler Seite sowie die Überlastung der Autobahn zu Stoßzeiten an starken Reisetagen tragen das Übrige dazu bei, dass “die Situation für Autofahrer, Touristen, aber vor allem die Anrainer im Eisacktal unzumutbar ist”, so Sven Knoll. Weil auch der HGV auf seiner jüngsten Landesversammlung erneut vor dem Imageschaden warnte, den Südtirol davon trage, wenn die Hauptverkehrsachsen “bei jeder größeren Reisewelle im Stau ersticken”, sieht man sich bei der STF bestätigt: “Sich ständig wiederholende Staus sind nicht nur ein Ärgernis für die Autofahrer, sondern verursachen volkswirtschaftliche Schäden durch Zusatzkosten und sind für den Tourismus in ganz Tirol im höchsten Maße schädigend.”

Nach dem Vorbild des deutschen Bundeslandes Hessen fordert die STF nun ein grenzüberschreitendes verkehrstechnisches Gesamtkonzept für die Brennerautobahn. In einem Beschlussantrag, den die Abgeordneten im Landtag eingereicht hat, geben sie Impulse dafür (Auszug aus dem Maßnahmenkatalog):

  • Einheitliches Mautsystem für die gesamte Brennerautobahn: Durch eine Vereinheitlichung der drei verschiedenen Mautsysteme (Vignette, Maut Europabrücke, Maut Brennerautobahn) würde die Staubildung vor den Mautstellen wegfallen.
  • Koordinierung und gemeinsame Planung aller Baustellen auf und entlang der Brennerautobahn: Um parallele Baustellen in bestimmten Streckenabschnitten sowie Bauarbeiten an starken Reisetagen zu vermeiden.
  • Nachtbaustellen: Die Unterbrechung einer Spur für Bauarbeiten sollte nur mehr in den Nachtstunden erfolgen. Tagsüber müssen Baustellen zurückgebaut werden oder, wo möglich, überbrückt werden.
  • Koordinierte Verkehrsbeeinflussungsanlage: Die gesamte Brennerautobahn (A13 und A22) sollte mit einer einheitlichen und koordinierten digitale Anzeige über der Fahrbahn ausgestattet werden, die den Verkehr z.B. durch eine Temporeduzierung bei Staugefahr reguliert. Das wäre wesentlich effektiver, als einfach nur in Sterzing Mauthäuschen zu schließen und dahinter ein Verkehrschaos zu verursachen.
  • Einheitliche Verkehrsregeln: Insbesondere in den Bereichen Tempolimits, LKW-Überholverbot und Rettungsgasse.
  • Tourismusgesteuerte Verteilung der Stoßzeiten: Über eine gezielte und aufeinander abgestimmte Kampagne der Tourismuswerbung in den einzelnen Tiroler Landesteilen, sollten Gästeschichten dazu angeregt werden, bestimmte Tageszeiten für die An- und Abreise zu vermeiden.”

Der Beschlussantrag “Staufreie Brennerautobahn” wird voraussichtlich noch diese Woche im Landtag behandelt werden.

Bild
Profil für Benutzer Sigmund Kripp
Sigmund Kripp Di., 06.06.2017 - 16:09

Zu den Forderungen:
1. die einheitliche Maut wird sogar von der EU vorgeschlagen: 6,5 cent/km in ganz Europa, elektronisch abzubuchen über vorinstallierte Systeme im Auto. Das wäre ein Schritt zur Kostenwahrheit. Technisch leicht zu realisieren. Aber: Proteste aus allen Billig-Mautländern / Freifahrländern.
2.+3. Koordinierung Baustellen: gut, aber wenn heute an 60 statt an 20 Tagen Hochbelastung herrscht, fehlen irgendwann die Bautage. Ob die geplagten Anrainer auch noch große Lust auf Nachtbaustellen haben, sollte man sie zuerst fragen...
4. Gut, dass auch die STF die Geschwindigkeitsreduzierung als Mittel zur Erhöhung der Kapazität nennt. Das ist sehr vielen nicht klar: bei 80 km/h herrscht die größtmögliche Autodichte pro km.
5. Das Problem der südtiroler A22 sind die 2 Spuren. Die werden bei Höchstbelastungstagen immer zu wenig sein!
6. Tourismus: ja, der könnte da ein Wenig helfen, aber die Feiertage liegen nun mal da wo sie im Kalender liegen. Viel mehr könnte der Tourismus erreichen, wenn er sich mit all seiner Wirtschaftsmacht ENDLICH für den Ausbau der Bahnverbindungen einsetzen würde! Die Gleise haben wir. Das Rollmaterial haben wir auch. Die Schienenkapazität ebenfalls. Was fehlt, sind gut getaktete Züge in dichter Frequenz. Lieber Manfred Pinzger: hier gibts was zu tun!

Di., 06.06.2017 - 16:09 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Karl Lunger
Karl Lunger Mi., 07.06.2017 - 08:13

Antwort auf von Sigmund Kripp

Staus entstehen an der Mautstelle, an den Baustellen und immer wieder auch irgendwo grundlos zwischen Neumarkt und Rovereto Süd. Dabei ist die Kapazitätsgrenze der 2 Spuren das Problem und Sven eröffnet damit eine Diskussion, die eigentlich nur wenige wollen! Oder wollen wir wirklich die 3. Spur und damit noch mehr Kapazität und noch mehr Belastung?

Mi., 07.06.2017 - 08:13 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Sigmund Kripp
Sigmund Kripp Do., 08.06.2017 - 20:48

Antwort auf von Karl Lunger

Der Stau aus dem Nichts: Hintergrund (ex wikip.)

Der Stau aus dem Nichts entsteht, wenn nachfolgende Fahrzeuge in einer Kolonne stärker abbremsen müssen als die jeweils vorausfahrenden Fahrzeuge. Dies kommt vor wegen zu geringen Sicherheitsabstands, wegen erheblicher Geschwindigkeitsunterschiede oder eines Stauendes hinter einer unübersichtlichen Stelle (Kurve, Kuppe). Das übermäßige Bremsen verstärkt sich dermaßen von Fahrzeug zu Fahrzeug, bis ein erstes Fahrzeug zum Stillstand kommt – ein Stau aus dem Nichts entsteht. Diese Abläufe, die auf Nicht-Einhaltung des Sicherheitsabstandes, in der Folge übermäßigen Bremsens, kurzfristiger Geschwindigkeitsschwankungen oder verzögertem Beschleunigen beruht, wird durch das Nagel-Schreckenberg-Modell beschrieben.

Bei geringer Verkehrsstärke bleiben Staus aus dem Nichts lokal beschränkt und lösen sich schnell wieder auf, bei einer größeren Anzahl von Fahrzeugen pro Streckenabschnitt treten die einzelnen Verkehrsbehinderungen in Beziehung zueinander und verbinden sich zu längeren Staus.

Bei der Untersuchung der Universität Köln traten vier Ursachen zutage:

Zu dichtes Auffahren, was ein abruptes Abbremsen des ersten und aller folgenden Autos auslösen kann,
zu schnelles Aufschließen und dadurch bedingtes ebenso schnelles Abbremsen und
eine geistige Unterforderung, in zähfließendem Verkehr ständig einen ausreichenden Abstand einzuhalten, weil die Autofahrer mit ihren Gedanken abschweifen.
kontraproduktives Fahren, um auf der Spur mit vermeintlich fließenderem Verkehr schneller voranzukommen (Kolonnenspringen).

Die Fahrer, die zu Anfang den Stau verursachen, erleben dabei die Folgen ihres kurzsichtigen Handelns nicht, weil der Stau erst eine ganze Reihe Fahrzeuge hinter dem Verursacher beginnt und sich entgegen der Fahrtrichtung fortbewegt. Der Stauverursacher erhält damit keine unmittelbare Rückmeldung und kann sein Verhalten nicht in Frage stellen.

Do., 08.06.2017 - 20:48 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Paul Schöpfer
Paul Schöpfer Mi., 07.06.2017 - 09:10

Wenn der Herr Knoll mal mit den Verantwortlichen der A22 sprechen würde statt nach Hessen zu fahren, dann würde er feststellen, dass Pardatscher & Co. verdammt viel Ahnung haben und europaweit in der allerersten Liga spielen.

Vollkommen richtig: der allwöchentliche Stau wird zum touristischen Problem. Allerdings, mit den rechtspopulistischen Vorschlägen aus der Sandkiste von Herr Knoll, wird dieser höchstens ein paar Stimmen von Ahnungslosen fangen. Zur Lösung des Problems tragen solche Lächerlichkeiten gepaart mit Utopien nichts bei.

Mi., 07.06.2017 - 09:10 Permalink