Politik | Kein neues Wahlrecht

Das Parlament als Tollhaus

Wahlrecht versenkt, vorgezogene Neuwahl gestoppt.
Tabellone
Foto: upi

Alles wie gehabt: dass sich der damastbespannte Sitzungsaal des ehrwürdigen Palazzo Montecitorio als Tollhaus erweist, kann kaum überraschen. Und dass eine Vereinbarung zwischen den stärksten Parteien das Papier nicht wert ist, auf dem sie festgehalten wurde, ist keineswegs neu. Zumindest in Italien, wo Instabilität die einzige politische Richtschnur ist, an der sich Beobachter orientieren können. Es ist purer Zufall, dass das fragile Abkommen über das neue Wahlrecht ausgerechnet an der Regelung für Trentino-Südtirol scheiterte. Bereits in der ersten geheimen Abstimmung wurden 66 franchi tiratori registriert - jene politischen Heckenschützen, die seit Jahrzehnten zum tristen Erscheinungsbild des italienischen Parlaments gehören. Etliche dieser Stimmen waren nicht politisch motiviert, sondern stammten von Abgeordneten, die eine vorzeitige Auflösung des Parlaments verhindern wollten, um sich ihr Gehalt für ein weiteres Halbjahr zu sichern.

Das Votum war von einem technischen Missgeschick begleitet: obwohl es sich um eine geheime Abstimmung handelte, leuchtete auf der Anzeigetafel der Kammer 23 Sekunden lang das detaillierte Ergebnis auf. Es zeigte, dass die Zahl der Heckenschützen aus allen Parteien kamen, aber im Lager der Fünfsterne-Bewegung besonders zahlreich waren. Das konnte kaum verwundern, denn der Antrag war vom Trentiner M5S-Abgeordneten Riccardo Fraccaro eingebracht worden - und in demselben Wortlaut von Michaela Biancofiore. Partito Democratico und Forza Italia nutzten die Gelegenheit, um den Grillini Wortbruch vorzuwerfen. Die Fünfsterne-Bewegung hatte das Abkommen zwar von ihrer Basis absegnen lassen. Doch vor allem unter den Fundamentalisten um Taverna und Lombardi wurde heftige Kritik daran laut.

Nun ist die Vereinbarung vom Tisch und eine zweite wird es wohl nicht mehr geben. Und vom Tisch scheinen plötzlich auch die vorgezogenen Neuwahlen Ende September. Ausgerechnet Matteo Renzi, der bereits ungeduldig in den Startlöchern scharrte, erteilte dem Vorhaben nach dem Debakel in de Kammer eine Absage: "Fallimento impressionante". Die Legislatur wird regulär zu Ende geführt - bis Februar 2018. Dann werde nach dem bestehenden Wahlrecht gewählt. Und der Partito Democratico wünsche eine Koalition mit jener Linkspartei, an der seit Wochen der ehemalige Mailänder  Bürgermeister Giuliano Pisapia bastelt und in der mit Bersani und D'Alema einige seiner Intimfeinde sitzen. Dass diese beiden Parteien mit Mehrheiten in Kammer und Senat rechnen können, ist extrem unwahrscheinlich. Aber realitätsfremde Spekulationen gehören in der italienischen Politik zum Alltagsgeschäft.

Freilich könnte schon morgen alles wieder anders sein. Und ob Staatschef Mattarella eine Neuwahl zulässt, die zu unterschiedlichen Mehrheiten in Kammer und Senat führen kann, bleibt abzuwarten. In der Börse löste das Abstimmungsdebakel der Abgeordnetenkammer jedenfalls Jubelstimmung aus - denn es garantiert den Fortbestand der Regierung Gentiloni - des einzigen ruhigen Pols in der künstlichen und permanenten Aufgeregtheit der italienischen Politik.

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Bernhard Oberrauch Fr., 09.06.2017 - 15:08

Sehr geehrter Herr Mumelter, einerseits bin ich froh, dass der absolut undemokratische Vorschlag unserer Südtiroler Parlamentarier zu Fall gebracht wurde. Andererseits würde es mich freuen, wenn die Parteien in Italien ein echtes repräsentatives Wahlrecht zustande bringen würden. Da gibt es auch abseits der 5%-Hürde noch viel zu tun. Hier möchte ich an die Artikel der deutsch-italienischen Jornalistin Petra Reski erinnern, die in der Zeit online vom 3.12.16 einen spannenden Beitrag geschrieben hat: http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-12/italien-referendum-verfassun… . In einem anderen Artikel beschreibt sie, wie in Italien auch Personen ins Parlament kommen können, die von niemandem gewählt werden. Siehe dazu
http://www.petrareski.com/2016/11/25/il-travaso-di-potere-dai-cittadini… . Wird das im neuen Wahlrecht abgeschafft? Sehr geehrter Herr Mumelter, können Sie mir diese Frage beantworten?

Fr., 09.06.2017 - 15:08 Permalink
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Bernhard Oberrauch Sa., 10.06.2017 - 08:06

Antwort auf von pérvasion

pardon, das leider bezog sich auf diesen Kommentar: das »Mattarellum« ist auch sehr undemokratisch, und ich hoffe dass die Parteien noch einmal in kurzer Zeit kreativ werden und sich etwas ausdenken, was den Namen "demokratisch" verdient. Und das vielleicht auch in den eigenen Reihen so erarbeiten, dass der Prozess als "demokratisch" bezeichnet werden kann. Zuviel verlangt? Schliesslich zahlen wir sie dafür...

Sa., 10.06.2017 - 08:06 Permalink