Chronik | Stadtpolizei

Verblasener Amtsmissbrauch

Drei Jahre lang mussten sich zwei Bozner Stadtpolizisten gegen eine Anzeige ihres Kommandanten vor Gericht wehren. Die Hintergründe einer unglaublichen Geschichte.
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Foto: salto
Drei Jahre und drei Monate.
So lange dauerte der Alptraum, der am 31. Mai 2017 sein vorläufiges Ende nahm. An diesem Tag sprach der Bozner Richter Ivan Perathoner einen Bozner Stadtpolizisten vom Vorwurf des Amtsmissbrauches frei.
Er war nicht der Einzige, der sich urplötzlich auf der Anklagebank wiederfand. Eine ranghöhere Kollegin des Mannes war im selben Fall in den Fokus der Bozner Gerichtsbarkeit geraten.
Der Freispruch ist ein glückliches Ende einer absurden Geschichte. Einer Geschichte, die aufzeigt welche Stimmung und welches Klima mitunter im Korps der Bozner Stadtpolizei herrschen. Es ist aber auch ein Lehrstück, wie man mit Beamten oder Polizisten umgeht, die Befehle nicht einfach hinnehmen, sondern hinterfragen.
 

Die Gruppe India

 
Im Jahr 2012 gab die Gemeinde Bozen eine interne Untersuchung in Auftrag. Bei der anonymen Umfrage und Studie mit dem Titel „Ricerca Clima“ wurden das Arbeitsklima und die Zufriedenheit der Bediensteten am Arbeitsplatz erhoben. Im Endbericht kam heraus, dass das Personal der Stadtpolizei die unzufriedenste Abteilung der ganzen Stadtgemeinde war.
Dass es immer wieder zwischen der Führung der Bozner Stadtpolizei und den unteren Rängen starke Spannungen gibt, kam auch bei den Ermittlungen zu diesem Gerichtsfall zu Tage.
Bei der Bozner Stadtpolizei gibt es eine eigene Gruppe für Unfälle, den sogenannten „Gruppo infortunistico“. Er wird im Polizeikorps allgemein als „Gruppo India“ abgekürzt. Im Herbst 2013 kommt es in dieser Gruppe zu harten Auseinandersetzungen.
 
Die Gründe dafür sind vielfältig. Zum einen sind es inhaltliche Vorgaben. So legt man in Bozen von oben herab fest, dass bei Unfällen bei allen Beteiligten automatisch Alkoholtests durchgeführt werden müssen. Auch bei Blechschäden und auch bei jenen Autofahrern, die Opfer und nicht Schuldige sind. Die Straßenverkehrsordnung lässt hier den Verwaltungen eigentlich einen Spielraum. Im Gesetz findet sich eine Kannbestimmung. Die gängige Umsetzung: Gibt es Verletzte müssen alle Fahrzeuglenker blasen. Bei einem Blechschaden aber nicht.
In Bozen wurde die Weisung ausgegeben, dass bei jedem Unfall bei allen Beteiligten Alkoholtests durchgeführt werden müssen. Diese Vorgangsweise stieß bei manchen der beauftragten Polizisten auf offene Kritik.
 

Der Eklat

 
Am 16. Oktober 2013 kommt es zum Eklat. Bei einer Sitzung der „Gruppe India“ wird den Stadtpolizisten von der Führung diktiert, dass sie auch bei Jugendlichen einen Alkoholtest durchführen müssen. Einige Anwesende verweisen darauf, dass diese Anordnung gegen das Gesetz verstoße. Minderjährige können laut Gesetz nur im Beisein der Eltern oder eines Tutors einem solchen Test unterzogen werden. Die Führung beharrt aber darauf, dass Alkoholtests auch bei Minderjährigen ohne Eltern oder Vertrauensperson durchzuführen sind.
Jener Stadtpolizist und die Stadtpolizistin, die später auf der Anklagebank sitzen werden, weigert sich diese Anordnung umzusetzen.
Doch bei dieser Sitzung fliegt auch auf, dass einer der Vorgesetzten, die Arbeitsgespräche heimlich aufzeichnet. Spätestens jetzt ist Feuer am Dach. Man fordert eine Aussprache mit dem Kommandanten Oberst Sergio Ronchetti.
Offizielle Wortführerin ist dabei die Polizistin. Sie ist als Superintendent (sovrintendente) rangmäßig die Höchste in der Gruppe der Kritiker. Bei der Aussprache werden die Probleme offen angesprochen. Es ist ein harter Schlagabtausch, der dazu führen soll, dass sich die Spannungen legen.
Es passiert aber eher das Gegenteil. Das zeigt sich nur wenige Monate später.
 

Der Unfall

 
Am frühen Nachmittag des 12. Februar 2014 kommt es in Bozen zu einem leichten Auffahrunfall mit Blechschaden. Obwohl die Schuldfrage zwischen den beiden Lenkerinnen eindeutig geklärt ist, verständigt jene Lenkerin, die unschuldig ist, die Stadtpolizei. Der Grund: Das Auto gehört nicht ihr und sie will deshalb lieber alles amtlich machen.
Es kommt eine erste Streife an den Unfallort. Es ist jener Polizist, der später angeklagt wird und ein Kollege. Weil es nicht nur darum geht den Unfall aufzunehmen, sondern nebenher auch der Verkehr geregelt werden muss, fordert man Verstärkung an. Es kommt eine zweite Streife: Ein weiterer Stadtpolizist und jene Superintendent, die offen als Wortführerin der Kritiker aufgetreten war. 
Inzwischen ist die erste Streife zum obligaten Alkoholtest übergegangen. Während die Unfallverursacherin 0,0 Promille hat, zeigt der Alkomat bei der Lenkerin, die Opfer geworden ist, 0,64 Promille an. Da die Grenze 0,50 Promille ist, wäre das der unmittelbare Führerscheinentzug und eine saftige Geldstrafe.
Wie vom Gesetz vorgesehen, lässt man die Frau wenig später aber eine zweites Mal blasen. Diesmal zeigt der Alkoholtest 0,48 Promille an. Also alles in Ordnung.
Für die Frau. Aber keineswegs für zwei der vier Polizisten. Die Ermittlungen werden später ergeben, dass sich die Beteiligten nicht einmal kennen.
 

Die Anzeige

 
Denn jemand in der Zentrale der Stadtpolizei scheint ein Auge auf die beiden Kritiker geworfen zu haben. Ihre abgelegten Akten werden genau kontrolliert. Dabei fällt einem besonders akribischen Vorgesetzten auf, dass zwischen dem ersten Alkoholtest und dem zweiten mehr als 20 Minuten vergangen sind. Zudem trägt der erste Test die Nummer 132 und der zweite die Nummer 134.
Was bis dahin niemand weiß: Die Software des Alkomaten lässt es zu, die Daten nachträglich noch einmal abzurufen. So wird der Alkoholtest mit der Nummer 133 nochmals ausgedruckt. Er hat den Wert 0,54 Promille.
 
Danach geht alles sehr schnell. Am 25. Februar 2014 sitzen der Kommandant der Stadtpolizei Sergio Ronchetti und der Leiter der Abteilung Unfälle bereits vor Oberstaatsanwalt Guido Rispoli und machen eine Strafanzeige wegen Amtsmissbrauch. Die Anzeige wird vom Kommandanten der Stadtpolizei auch unmittelbar der zuständigen Personalabteilung in der Gemeinde Bozen zugestellt, die bereits am 28. Februar 2014 ein offizielles Disziplinarverfahren einleitet.
Dass die Sache stinkt, wird aus einem Schritt mehr als klar. Im Einsatz sind vier Beamte, angezeigt werden aber nur zwei Beamte. Jener Beamten, der den Alkoholtest gemacht hat und die Superintendent.
Es sind zufällig genau jene beiden, die offen die Gangart ihrer Vorgesetzten kritisiert hatten.
 

Die Ermittlungen

 
Die Auswahl der Angezeigten macht bereits deutlich, dass es hier weniger um die Ahndung einer Straftat geht, als um die Bestrafung unbequemer Mitarbeiter. Noch deutlicher wird das wenig später.
Oberstaatsanwalt Guido Rispoli übergibt den Fall an den damaligen stellvertretenden Staatsanwalt Giancarlo Bramante. Bramante lässt die Ermittlungen - ob ihrer Brisanz - unter Verschluss halten (secretare).
Bevor aber die Ermittlungen überhaupt begonnen haben, erscheinen bereits am 15. und 16. März 2014 in der Tageszeitung „Alto Adige“ zwei Artikel mit dem Titel „Due Vigili Urbani sotto accusa. Denunciati dal commandante“. Die Artikel garniert mit einem Foto von Sergio Ronchetti nennen zwar keine Namen, doch alle Details der Anzeige. Es ist eine bewusste medial lancierte Vorverurteilung.
In der Wirklichkeit sieht das Ganze aber etwas anders aus. Bereits im Herbst 2014 beantragt Staatsanwalt Giancarlo Bramante die Archivierung der Strafanzeige gegen die Superintendent. Die Ermittlungen ergaben, dass sie mit den Alkoholtest nichts zu tun hatte. Ihr Fall wird am 24. November 2014 von Richter Walter Pelino archiviert.
Das Verfahren gegen ihren Kollegen geht drei Jahre lang weiter. Die Staatsanwaltschaft ändert den Strafbestand von Amtsmissbrauch in „Falsità ideologica commessa dal pubblico ufficiale in certificati o in autorizzazioni amministrative“ ab. Am Ende wird der Stadtpolizist vom Bozner Landesgericht aber auch von diesem Vorwurf freigesprochen.
Laut Gesetz bekommen öffentliche Angestellte bei einem Freispruch in einem Strafverfahren die Verfahrens- und Anwaltskosten rückerstattet. Genau das dürfte am Ende der Gemeinde Bozen blühen. Beiden Polizisten haben ein Recht auf Rückerstattung. Sollte der Freispruch rechtskräftig sein.
Auf eine Entschuldigung ihrer Vorgesetzten werden sie wohl kaum hoffen können.
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Albert Hofer Mi., 14.06.2017 - 07:20

Hm... bin ich der einzige, der am interessantesten an der Geschichte findet, dass Stadtpolizisten den positiven Alkoholtest Nr. 133 verschwinden haben lassen?

Mi., 14.06.2017 - 07:20 Permalink
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Frei Erfunden Mi., 14.06.2017 - 10:08

Ich kann mich in diesem Fall des Eindruckes einer tendenziösen (Salto) Berichterstattung nicht erwehren.
Nichtsdestotrotz mfG
Ein treuer Leser

Mi., 14.06.2017 - 10:08 Permalink