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Ist Selbstbestimmung links oder rechts?

Versuch einer politwissenschaftlichen Definition
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Foto: bungy4rent

Ist Selbstbestimmung links oder rechts?

Kürzlich postete Riccardo Dello Sbarba mehrere Artikel, in denen er den Wunsch nach Selbstbestimmung bzw. die Erwähnung dieses Begriffes im Schlussdokument des Konvents als „rechts“ bezeichnete.

Ich möchte diesen Gedanken aufgreifen, um eine Definition von LINKS und RECHTS der Selbstbestimmung zu versuchen:

1.

Alle italienischen Rechtsparteien in Südtirol verwehren sich regelmäßig und vehement (je weiter rechts, umso vehementer) gegen eine eventuelle Volksabstimmung zur Sezession Südtirols von Italien. Für einen Außenstehenden muss das heißen, wer in Südtirol RECHTS steht, für den ist die Selbstbestimmung bzw. die Sezession mit rechten Positionen unvereinbar! Sie muss - ergo - das Gegenteil davon sein!

Das heißt also: Selbstbestimmung ist LINKS!

2.

Alle deutschen Linksparteien und die interethnischen Grünen sagen seit Jahrzehnten: die deutschen Rechtsparteien wollen die Selbstbestimmung bzw. die Sezession von Italien, also ist diese auch ein rechtes Thema! Ein Linker oder ein Grüner kann nicht für die Sezession sein!

Das heißt also: Selbstbestimmung ist RECHTS!

Nachdem sich PLUS und MINUS aufheben, postuliere ich hiermit: Selbstbestimmung ist weder LINKS noch RECHTS! Sie ist ein politisches Anliegen.

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Benno Kusstatscher Di., 20.06.2017 - 22:41

Ich glaube, da kann ich weiterhelfen: Mit links verbindet man Selbstbestimmtheit und Progressivität, aber nicht Fremdbestimmung und Reaktionismus. Ein Selbstbestimmungreferendum wäre bei uns eine ethnisch-motivierte Majorisierung, Sezession zielt auf restaurative Wiederbelebung eines verklärt-nostalgischen Tirolertums ab, mit entweder mir-sein-mir, oder einem mir-kennens-besser Grundton, der einem Egalite automatisch widerspricht. Mit links verbindet man auch kosmopolitische Offenheit in alle Himmelsrichtungen, bei uns argumentieren aber Freistaatler jeglichen politischen Coleurs mit mehr oder weniger unterschwelligem Italien-Bashing (Abgrenzung widerspricht dem Fraternite), und tun so, als ob Mikronationalismen Makronationalismen moralisch überlegen wären. Bleibt die Liberte, die für sich nur auf Kosten anderer zu realisieren ist, und nur dann, wenn das Geldsackl grad voll ist. Mit links verbindet man eben auch, das volle Geldsackl zu teilen. Somit kann ich durchaus nachvollziehen, wie schwierig es ist, der Welt zu erklären, dass man ein linker Freistaatler sei.

Di., 20.06.2017 - 22:41 Permalink
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Sigmund Kripp Mi., 21.06.2017 - 06:39

Antwort auf von Benno Kusstatscher

Sie haben sicher recht damit, dass es in dieser Diskussion eher wenige linke bzw. liberale Sezessionisten gibt. Das schließt aber nicht aus, dass man die Sezession auch aus dieser Sicht betrachten kann. Dass damit verbunden auch die Vision des eventuellen neuen Staates von jener der rückwärtsgewandten "Tirolisten" abweicht, ist implizit.
Wieviele Personen denn wirklich die Sezession wünschen, ließe sich nur durch eine seriöse Umfrage klären. Evtl. sogar nach Sprachgruppen getrennt.

Mi., 21.06.2017 - 06:39 Permalink
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Harald Knoflach Mi., 21.06.2017 - 08:41

@Benno
"Sezession zielt auf restaurative Wiederbelebung eines verklärt-nostalgischen Tirolertums ab"
Doch nicht notwendigerweise. Das ist ja genau das Problem, das Siegmund aufzeigt und du steigst voll darauf ein und verknüpfst einen neutralen Prozess (der vom dahinterliegenden Prinzip her eher links ist, da er mit einer basisdemokratischen Ermächtigung des Demos einhergeht) mit der Ideologie mancher, die den Prozess vorschlagen.

Mi., 21.06.2017 - 08:41 Permalink
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Sigmund Kripp Mi., 21.06.2017 - 09:42

Antwort auf von Benno Kusstatscher

@Benno Kusstatscher
zu 1: ist statistisch belegbar, sowohl innerhalb Italien wie auch in Europa
zu 2: ein Staat hat nun mal Außengrenzen, in diesem Falle nach Westen, Norden, Osten und auch nach Süden, ja. Aber die Europäisten sagen uns ja immer, dass die Grenzen in Europa unwichtig sind. Also können sie sein wo sie wollen.
zu 3: Südtirol ist bereits jetzt Nettozahler in den ital. Haushalt und würde es als EU-Staat auch bleiben.

Mi., 21.06.2017 - 09:42 Permalink
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Harald Knoflach Mi., 21.06.2017 - 11:19

Antwort auf von Benno Kusstatscher

@Benno
Diese "Grundprinzipien" hast du aufgestellt. Sie haben jedoch mit "Selbstbestimmung" an sich nix zu tun. Und genau das ist eben das Problem, das Siegmund gekonnt anspricht. Aber ehrlich. Mir ist das jetzt echt zu fad, das wieder und wieder durchzukauen. Tut mir leid.

Mi., 21.06.2017 - 11:19 Permalink
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Martin Daniel Mi., 21.06.2017 - 09:56

Ich bin kein Unabhängigkeitsexperte wie ihr von "bbd" und Sigmund, mein Eindruck ist aber jener, dass die Abspaltungen und Abspaltungsversuche der letzten 2 Jahrzehnte, die zu staatlichen Neugründungen geführt haben/führen wollen, durchwegs nationaler oder nationalistischer Natur waren: Die Albaner im Kosovo wollten weg von den Serben, die Slowaken eigene Wege gehen gegenüber den Tschechen, dasselbe galt auf dem Balkan; die Katalanen fühlen sich als ein Volk wie die Basken, die Schotten scheinen sich ganz weit in die Vergangenheit auf keltische Wurzeln zu besinnen, um ihre Nicht-Anglizität zu behaupten. Es scheint, dass der Main-Driver doch meist jener war/ist, einer als homogen angesehenen Volksgruppe ein eigenes staatliches Gebilde zu verschaffen - schon ein bisschen so wie beim Verfall des k.u.k.-Reichs. Also nationalstaatliche Bestrebungen, die geschichtlich tendentiell rechts eingeordnet wurden. Andererseits gibt es Guerilla-Rebellen ist, die gegen eine Besatzungsmacht oder für einen eigenen Staat wie in Kurdistan kämpfen. Da ist es dann nicht mehr so einfach, diese als links oder rechts einzustufen. Darf man die Iren in Nordirland als rechts apostrophieren, weil sie gegen ein - aus ihrer Sicht - historisches Unrecht ankämpfen und die Wiedervereinigung mit der Heimat fordern? Da habe ich - aus dem Bauch heraus - die Ulster-Unionisten als vieeel weiter rechts empfunden.
Kann es helfen, zu berücksichtigen, ob Unabhängigkeitsbestrebungen aus einer Not heraus entstehen (Nichtbeachtung grundlegender Menschen-, Bürger- und Minderheitenrechte durch den Zentralstaat, siehe Türkei) oder aus patriotisch-kulturellen Erwägungen? Was ist dann aber mit Beweggründen, die eigentlich überwiegend wirtschaftlicher Natur sind? Ist volkswirtschaftlicher Egoismus rechts?
Vielleicht ist diese Frage auch überflüssig und es sollte vielmehr danach gefragt werden, was und wieviel mit einer Unabhängigkeit gewonnen und was und wieviel damit zerstört werden kann.

Mi., 21.06.2017 - 09:56 Permalink
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Harald Knoflach Mi., 21.06.2017 - 11:37

Antwort auf von Martin Daniel

@Martin Daniel
Guter Kommentar mit interessanten Fragen. Richtig. Es gab in den letzten Jahren und Jahrzehnten viele Sezessionen, die nationalistisch bis hypernationalistisch motiviert waren. Und es gibt solche rechten Strömungen nach wie vor (Lega Nord usw.). Bei Katalanen, Basken, Schotten, Nordiren, Kurden usw. sieht die Sache - wie auch du richtig bemerkst - schon etwas anders aus. Die Gründe für Sezessionsbestrebungen (nicht aus einer Notlage heraus) sind wohl immer eine Mischung aus ideologischen, kulturellen und wirtschaftlichen Gründen. Ich glaube nicht, dass man das aufdröseln kann. Es konkurrieren Regionalismus vs. Nationalismus, Föderalismus vs. Zentralismus, Subsidiarität vs. Bevormundung ...
Was Siegmund zeigen will ist, dass es keinen Kausalzusammenhang zwischen dem Prinzip der Selbstbestimmung und nationalistischem Egoismus gibt. Schottland ist sozialer und solidarischer als der Rest des UK. Es ist pro-europäischer und für mehr europäische Integration als der Rest des UK. Es ist grüner als der Rest des UK. Es ist inklusiver als der Rest des UK (bei der Abstimmung über die Unabhängigkeit war das Stimmrecht nicht an das Blut sondern an den Boden gebunden - sprich - fast - alle, die in Schottland lebten, durften abstimmen - auch EU- und Commonwealth-Ausländer, während schottische UK-Staatsbürger, die nicht in Schottland ansässig sind, nicht mitstimmen durften).
Die letzte Frage, die du stellst, ist für mich eine entscheidende und sehr interessante! Die könnte man einmal ausführlich und ohne Scheuklappen diskutieren.

Mi., 21.06.2017 - 11:37 Permalink
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Sigmund Kripp Mi., 21.06.2017 - 14:28

@Martin Daniel: Du triffst es: Selbstbestimmung im Sinne von Sezession kann ein Anliegen linker, rechter und mittiger Menschen sein. Sie können sich einig darin sein, einen Staat zu verlassen, sind aber nachher, in diesem neuen Staat, durchaus wieder bzw. weiterhin drei verschiedene politische Gruppierungen. (Siehe Slowakei.)
Die SVP hat das ja in Bezug auf die Autonomiebestrebungen als Sammelpartei nahezu perfekt vorgemacht. Und so werden sich wieder Menschen aller politischer Richtungen finden, die die Autonomie nicht als das Ende der Fahnenstange sehen.

Mi., 21.06.2017 - 14:28 Permalink
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Manfred Klotz Sa., 24.06.2017 - 09:27

Herr Kripp, Ihr erster Syllogismus ist, mit Verlaub, schlichtweg falsch. Er "funktioniert" nämlich ausschließlich aus dem ethnischen Blickwinkel. So gesehen ist auch die 2. These falsch oder austauschbar.
Klammern sie die ethnische Komponente aus den Syllogismen aus, lautet der logische Schluss: Selbstbestimmung IN SÜDTIROL ist sicher kein linkes Thema (links ist die einzige politische Schnittmenge, in der es weitreichende Konvergenz zum Nein gibt). Also ist es rechts. Während die Ablehnung der Selbstbestimmung sowohl ein rechtes wie linkes Thema ist (wenn auch aus völlig anderen Beweggründen).

Sa., 24.06.2017 - 09:27 Permalink
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Profil für Benutzer Klaus Griesser
Klaus Griesser Mi., 28.06.2017 - 17:36

...selbstbestimmt? Wer, welche Bürgerschaft & wessen Republik angehörend ist schon selbstbestimmt? Ich gebe zu: der Anlass zu dieser Diskussion ist der Autonomiekonvent hierzulande. Aber die Selbstbestimmung ist doch nicht nur eine Frage der Zugehörigkeit zu einem Nationalstaat! Bestimmt denn irgend eine Wählerschaft selbst, wer arm und wer reich sein darf? Oder ob sie für die Zockereien der Banken einsteht und "selbstbestimmt" deren Spielschulden zahlt? Bestimmen das unsere Regierungen? „Der G20-Gipfel: eine Lakaien-und-Vasallen-Versammlung!“ – kommentiert es Jean Ziegler in aller Deutlichkeit in http://www.nachdenkseiten.de/?p=38935. Bei der Selbstbestimmung geht es nicht um Worthülsen sondern um die Umstände unseres Lebens, Freunde!

Mi., 28.06.2017 - 17:36 Permalink