Politik | Wahlkampf

Die dreisten Drei

Migrationshysterie und Brennersyndrom prägen Österreichs rüden Wahlkampf.

Was die Dauerwahlkämpfer Sebastian Kurz, Wolfgang Sobotka und Günther Platter in Sachen Migration und Brenner von sich geben, hat längst Comedy-Status erreicht. Von der angekündigten Stationierung der Pandur-Panzer am Brenner bis zur Forderung nach Stillegung der Mittelmeerroute und Schließung der Brenner-Grenze haben die drei ein beachtliches Repertoir an Drohgebärden aufgeboten – gemessen an der Tatsache, dass die Alpenrepublik nicht zu den militärischen Großmächten gerechnet wird und Österreich weniger Einwohner als die Lombardei hat. Beachtlich war vor allem die Forderung von Außenminister Sebastian Kurz, Italien müsse alle Migranten auf Inseln wie Lampedusa festhalten und sie daran hindern, das italienische Festland zu erreichen.

Dass Kurz nie in Lampedusa war, kann ihm nachgesehen werden. Dass man aber Zehntausende Migranten auf einer gerade mal 20 Quadratkilometer großen, felsigen Insel mit einem einzigen Ort ohne Krankenhaus internieren könne, ist eine durchaus bizarre Vorstellung. Als 2011 nach der tunesischen Revolution mehrere tausend Maghrebiner nach Lampedusa gelangt waren, hatte sich die hygienische Situation so zugespitzt, dass die römische Regierung eine rasche Evakuierung anordnete, um die Seuchengefahr zu bannen. In diesem Jahr freilich wird mit einer Viertelmillion Migranten gerechnet. Im Wahlkampf aber zählt nicht die praktische Anwendbarkeit von Vorschlägen, sondern deren Propagandaeffekt.

Ohne Details zu erläutern, fordert Kurz die Schließung der Mittelmeerroute. Durchaus auf derselben Wellenlänge wie Ungarns rüder Rechtsausleger Viktor Orbán, der mit der Forderung nach "Schließung der italienischen Häfen" aufwartet. Eine Art Wiederauferstehung von Östereich-Ungarn. Österreich hat sich bisher auch standhaft geweigert, Italien die zugesagten 1490 Flüchtlinge aus dem EU-Relocation-Programm abzunehmen.

Was die drei Wahlkämpfer rhetorisch zum Schutz der Brennergrenze aufgeboten haben, ist beachtlich und kollidiert deutlich mit dem Bekenntnis des Außenministers, Südtirol sei für ihn eine "Herzensangelegenheit". Die Art, wie Kurz in seiner Krönungszeremonie die ÖVP zur Ein-Mann-Partei degradiert hat ("Meine Vorschläge sind nicht verhandelbar"), lässt den Schluss zu, dass in seiner rüden Machtpolitik reichlich wenig Raum für das Herz bleibt. Um die Wogen zwischen Wien und Rom zu glätten, musste Bundeskanzler Christian Kern die angedrohte Schließung der Brennergrenze dementieren: 

"Hier wird ein Notstand inszeniert, den es so nicht gibt: "Von einer Schließung der Grenze wäre Südtirol hauptbetroffen". 

Durchaus bemerkenswert, dass der Sozialdemokrat Kern offenbar mehr Verständnis für Südtirols Lage aufbringt als die Schwesterpartei der SVP.  Kern zog einen durchaus treffenden Vergleich: "Stellen wir uns vor, wie es 2015 gewesen wäre, wenn unsere Nachbarstaaten sich in einer ganz ähnlichen Situation gegen uns gestellt hätten."

Dafür wurde der Kanzler von der ÖVP massiv angegriffen. Innenminister Wolfgang Sobotka: "Kern verkennt offenbar die internationalen Entwicklungen." Rückendeckung erhielt Sobotka von Tirols Landeshauptmann Günther Platter, dessen wesentlichstes Merkmal Farblosigkeit ist: "Sebastian Kurz braucht Unterstützung und keine Quertreiberei." Benötigt werde ein "rot-weiß-roter Schulterschluss".

Am Rande ließ Platter auch eine Bemerkung zu Südtirol fallen: "Ich stimme mit Arno Kompatscher überein, dass es ein Durchwinken am Brenner nicht mehr geben wird." Freilich: Das "Durchwinken am Brenner" ist eine pure Erfindung der eifrigen Wahlkämpfer und existiert in der Realität nicht. Das bestätigt Platter selbst: "Der Kontrolldruck im grenznahen Raum ist massiv." Das hatte letzthin auch einer klargestellt, der es wissen muss: Tirols Polizeichef Tomac, der die Ankündigung von Personenkontrollen am Brenner als "nicht nachvollziehbar" kritisiert hatte.

Die populistischen Wahlstrategen interessiert das kaum. Wenn der Wahlkampf zur hochsommerlichen Ferienzeit so martialische Töne erreicht, kann man sich plastisch vorstellen, welch populistische Eskalation er im September und Oktober durch  Migrationshysteriker wie Kurz und  Sobotka erfahren wird. Fest steht, dass das bisher innige Verhältnis zwischen ÖVP und SVP durch die tägliche Kampfrhetorik um den Brenner beschädigt wird. Gut möglich, dass Kurz bei seinem nächsten Besuch in Bozen für Arno Kompatscher nicht mehr der "liebe Sebastian" sein könnte wie letzthin.

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Urban Nothdurfter Di., 25.07.2017 - 15:44

"Fest steht, dass das bisher innige Verhältnis zwischen ÖVP und SVP durch die tägliche Kampfrhetorik um den Brenner beschädigt wird." Davon war bis jetzt leider nicht allzu viel zu beobachten. Im Gegenteil, man hofiert den Herrn Kurz wo man nur kann. Bis jetzt. "Gut möglich, dass Kurz bei seinem nächsten Besuch in Bozen für Arno Kompatscher nicht mehr der "liebe Sebastian" sein könnte wie letzthin." Das wäre auch gut so. Sowohl Achammer als auch Kompatscher haben ihre Freundschaft mit dem lieben Sebastian ungleich mehr zelebriert als sie dies aufgrund ihrer institutionellen Verbundenheiten hätten tun müssen. Aber vielleicht gefällt er eigentlich ja doch. Immerhin kann man sich abschauen, wie man tun muss, damit einem die Blauen nicht zuviel das Wasser abgraben.

Di., 25.07.2017 - 15:44 Permalink