Umwelt | Pestizide

Die Entwarnung

Der Einsatz von Pestiziden hatte bisher keine relevanten Auswirkungen auf die Gesundheit der Südtiroler Bevölkerung - sagt eine Studie des Umweltmediziners Lino Wegher.
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Foto: Foto: Salto.bz

Es ist die Kernfrage des ideologischen Kampfes, der in Südtirol seit Jahren geführt wird: Kann die Behandlung mit Pflanzenschutzmitteln, die in langen Zulassungsverfahren getestet wurden, die Gesundheit des Menschen beeinträchtigen? „Auf Basis von evidenzbasierten Aussagen aus der Literatur und der Ergebnisse, die uns aus der Forschung zur Verfügung stehen, kann man eindeutig sagen, dass es diese Auswirkungen geben kann - und zwar zum Teil auch schwerwiegende“, beantwortet sie beispielsweise der Primar für Psychiatrie Andreas Conca. Zu einer völlig konträren Schlussfolgerung kommt dagegen der Umweltmediziner Lino Wegher. Er wurde von der Landesregierung bereits im Jahr 2013 mit einer entsprechenden Studie beauftragt. Am Dienstag präsentierte er gemeinsam mit Gesundheitslandesrätin Martha Stocker und special guest Anold Schuler die Ergebnisse von insgesamt drei Studien zu Auswirkungen von Pestiziden. Und obwohl der Landwirtschaftslandesrat am Ende der Präsentation unterstrich, dass nun nicht der Eindruck entstehen soll, „dass wir einen Persil-Schein ausstellen“ – das Resultat geht in Richtung komplette Entwarnung.

Zum Beispiel bei einem Vergleich von Daten des Südtiroler Sanitätssystems zur Häufigkeit und Mortalität von Tumorerkrankungen, zur Häufigkeit von Parkinsonerkrankungen, Alzheimer und Demenz, der Autoimmunerkrankung Hashimoto oder Fehlgeburten und Schwangerschaftsrisiken in  Gemeinden mit hoher und niederer landwirtschaftlicher Nutzung. Bei keiner dieser Pathologien wurden laut Wegher relevante Unterschiede in Gemeinden mit hoher landwirtschaftlicher Nutzung gefunden. Ja, die Inzidenz bestimmter Krankheiten wie Alzheimer und Demenz sei in Gemeinden mit intensiver landwirtschaftlicher Nutzung sogar niedriger als in der gesamten Provinz.

 

Die gesamte Studie ist derzeit leider nicht online einsehbar. Aus den verteilten Auszügen der Ergebnisse ergeben sich aber zumindest in einigen untersuchten Bereichen Unterschiede zwischen Gebieten mit niederer und intensiver landwirtschaftlicher Nutzung, auf deren Relevanz in der Pressekonferenz nicht genauer eingegangen wurde. So kommt man bei der  Häufigkeit von Tumorerkrankungen bei Männern in landwirtschaftlich intensiv genutzten Gebieten auf einen standardisierten Wert von 529,6, während dieser in Gebieten mit niederer landwirtschaftlicher Intensität 514,0 beträgt. Auch bei Krankheiten wie Alzheimer und Demenz oder Hashimoto sind die Grafik-Balken in Gebieten mit geringer landwirtschaftlicher Nutzung niederer. Nicht untersucht wurde der Zusammenhang der Pflanzenschutz-Behandlung mit Unfruchtbarkeit - laut Wegher gibt es dazu zu wenig zuverlässsige   Daten. 

Ein besonderes Augenmerk wurde auch dem umstrittenen Mittel Chlorpyriphos geschenkt. Dafür wurden die Belastung von Landwirten und Anrainern in Obstbau-Gemeinden wie Kastelbell. Latsch, Naturns, Marlin,  Dorf Tirol, Plaus oder Partschings untersucht. Die Sclussfolgerung: Während der Saison wiesen beide Untersuchungsgruppen höhere TCPy/Kreatinin-Konzentrationen im Urin als außerhalb auf. „Der geometrische Mittelwert von TCPy ist außerhalb der Pflanzenschutz-Behandlungs-Saison mit 2,6 (Landwirte) bzw. 3,7 (Anrainer) ug/g Kreatinin vergleichbar mit entsprechenden Werten in anderen Ländern“, heißt es wörtlich in der Zusammenfassung der Ergebnisse. Auch die Chlorpyriphos-Rückstände, die bei Proben in 23 Wohnungen neben Obstwiesen gefunden worden sind, liegen laut der Studie alle unter den entsprechenden Grenzwerten.

Kann Gesundheits-Landesrätin Martha Stocker also eindeutig sagen, dass es für die Bevölkerung keinen Grund gibt, sich wegen Planzenschutzmitteln um ihre Gesundheit zu sorgen? „Wir haben den Auftrag gegeben, die Daten, die zur Verfügung stehen, zu analysieren“, antwortete Martha Stocker,"und ich denke, ich tue gut daran, wenn ich dem Wissenschaftler, dem wir diesen Auftrag gegeben haben, auch vertraue. Denn sonst haben wir ein Grundproblem.“

Auch Landesrat Arnold Schuler zeigte sich nicht nur als Politiker, sondern auch als Ausbringer und Familienvater erleichtert über die Ergebnisse der Studie: „Denn man will ja als Bauer nicht die eigene Familie in Gefahr bringen“, meinte er. Selbst wenn die Studie  gesundheitliche Auswirkungen der Behandlung mit Pestiziden aufgezeigt hätte – „was zum Glück ja nicht der Fall war“, so Schuler, hätten sich diese auf die Situation in der Vergangenheit bezogen, als „weit heftigere Chemiekeulen im Einsatz waren und damit viel weniger vorsichtig umgegangen worden war“, so der Landesrat. „Das heißt nicht dass wir trotz dieses positiven Zwischenberichts die Hände in den Schoß legen werden“, versprach Arnold Schuler. „Wir müssen den bisherigen Weg weitergehen und Pflanzenschutzmittel auf ein Minimum reduzieren,um so auch eine entsprechende Abdrift zu vermeiden.“ 

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Armin Kobler Di., 01.08.2017 - 17:43

Pestizide des konventionellen, integrierten und biologischem Anbaus sind genauso wenig absolut unbedenklich wie Aspirin oder Kochsalz. Es kommt darauf an, wieviel, wo und wann die jeweilige Substanz verwendet wird, ob sachgemäß oder missbräuchlich.
"Pestizide wären absolut unbedenklich" habe ich jedenfalls im obigen Artikel nicht gelesen.
Aber bekanntlich kann nicht sein, was nicht sein darf.
Sehr wohl und mit Befriedigung festgestellt, dass die Vorreiterrolle Südtirols im integrierten Pflanzenschutz, welche vor einigen Jahrzehnten hier begonnen wurde, weit vor anderen Produktionsgegenden, Früchte zeigt.
D.h. weiter an der Gesamtnachhaltigkeit arbeiten, sich nicht zufrieden zurücklehnen, sich aber auch nicht von weitestgehend landwirtschaftsfremden Öko-Populisten umsonst treiben lassen.

Di., 01.08.2017 - 17:43 Permalink
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Klemens Kössler Mi., 02.08.2017 - 12:30

Vertrauen
Genau um das Vertrauen geht es doch. Will man Wissenschaftlern vertrauen oder nicht, oder will man nur Wissenschaftlern vertrauen welche schlechte Nachrichten bringen oder gar wie Herrn Dr. Conca Aussagen von Ärzten welche eine Meinung widergeben aber keine Wissenschaftliche Arbeit.
Vertrauen wir auf Meldungen welche uns Sicherheit geben oder nicht. Warum soll Frau Stocker nicht der Studie vertrauen?
Niemand hat gesagt dass ab nun mehr Pflanzenschutzmittel ausgebracht werden weil es sogar Statistiken gibt wo Menschen in einem solchen Umfeld sogar bestimmten Krankheiten weniger erliegen.
Vor allem vertrauen soll man aber auch dass all diese Wissenschaftlichen Arbeiten dazu dienen unsere Umwelt besser zu machen wo es geht und auch der Landesrat für Landwirtschaft unterstreicht dass der zukünftige Weg in noch bessere Leistungen und Umweltschonendere Landwirtschaft geht.
Frau Pitro hingegen vertraut auf die Aussagen von Conca und Gluderer, weshalb sie Ihre diesbezüglichen Artikel damit verknüpft hat.
Für manche kann eben nicht sein was ihrer Meinung nach nicht sein kann.

Mi., 02.08.2017 - 12:30 Permalink
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Sudabeh Kalantari Do., 03.08.2017 - 13:48

Wer es glaubt, wird selig, bzw. gesund! Bitte nachfolgende Frage nicht als Witz verstehen: gibt es aktuelle Statistiken zum Zusammenhang von Krebserkrankungen und Intensivlandwirtschaft hier in Südtirol?

Do., 03.08.2017 - 13:48 Permalink