Wirtschaft | Interview

“Kein Bauer spritzt mit großer Freude”

VOG-Obmann Georg Kössler über ‘Pestizidtirol’, die Daten zum Pestizideinsatz in der Obstwirtschaft und Bauern, die sich nicht kleinkriegen lassen.

salto.bz: Herr Kössler, möchten Sie als VOG-Präsident einen Beitrag zur ‘Pestizidtirol’-Debatte leisten? Immerhin bewirtschaften die über 5.000 Mitglieder des Verbands der Südtiroler Obstgenossenschaften über 10.000 Hektar und zählen damit zur “kleinen Gruppe Grundbesitzer und Grundbesitzerinnen”, die laut Umweltinstitut München “ohne Rücksicht auf die Gesundheit ihrer Mitmenschen, die Natur, den Tourismus und den Rest der Landwirtschaft Gift spritzt”.
Georg Kössler: Prinzipiell muss ich sagen, dass ich mich nicht gerne an Diskussionen beteilige, in der sachlich begründete Argumente keine Gültigkeit haben. Wir stellen uns gerne Diskussionen, bei denen man die Dinge fachlich, ruhig und fundiert bespricht. Auf das Niveau, wo einfach in billiger Art und Weise Polemiken geschürt werden – und das auch noch von außen, von Leuten, die nicht einmal den Unterschied zwischen Obst- und Weinbau kennen – begebe ich mich nicht gerne. Ich glaube, dass die zuständigen Institutionen – Landesregierung und IDM – eigentlich alles gesagt haben, was es zu sagen gibt und fühle mich nicht bemüßigt, noch längere Kommentare abzugeben.

Greifen wir eine objektive Zahl auf: Im Jahr 2014 wurden 45,02 Kilogramm Pflanzenschutzmittel je Hektar behandelbarer Fläche eingesetzt – ein Mehrfaches des italienweiten Durchschnitts. Das sind Daten des ISTAT, die vom Münchner Umweltinstitut aufgegriffen werden. Allerdings beziehen sich die Zahlen des italienischen Statistikinstituts auf die Region Trentino-Südtirol und es wird nicht zwischen Mitteln, die in der Landwirtschaft eingesetzt werden und jenen für den Privatgebrauch unterschieden. Haben Sie genauere Daten zum Einsatz von Pestiziden in Südtirol?
Damit haben Sie mir all die Argumente, die ich zu diesem Thema bringen wollte, vorweg genommen. Wir beschäftigen uns derzeit mit diesen ISTAT-Daten und wollen rekonstruieren, wie sie überhaupt entstanden sind. Bevor wir nicht genau wissen, wie diese Daten zustande kommen, möchte ich mich dazu nicht unbedingt äußern.

Wissen Sie, wie viele Pestizide tatsächlich auf den landwirtschaftlichen Flächen der VOG-Mitgliedsbetriebe landen?
Derzeit haben wir noch keine genauen Daten, um sagen zu können, wie viel unsere Produzenten heute aufwenden. Aber es gilt zu betonen, dass jeder unserer Produzenten ein so genanntes Betriebsheft führt. Darin werden alle Anwendungen, sei es im Pflanzenschutz oder von Düngern, aufgezeichnet. Wir sind dabei, alles zu digitalisieren. Aber wir monitiorieren regelmäßig durch Kontrollen auf den Wiesen und Blattanalysen zu verschiedenen Zeitpunkten, ob die vorgeschriebenen Aufwandmengen, die auf der Etikette eines jeden Pflanzenschutzmittels angegeben sind, eingehalten werden oder nicht.

Dinge, die früher gespritzt wurden, sind heute verpönt, verboten und werden nicht mehr angewandt.

Wie hält es sich mit der Rücksichtslosigkeit, die den Südtiroler Bauern in München unterstellt wird?
Dieses Monitoring machen wir ja bereits seit Jahren. Es wird geschaut, wie viele Rückstände zu finden sind, ob die zulässigen Höchstmengen, zum Beispiel bei der Anwendungsmenge pro Hektar, überschritten werden. Die Daten sind recht zuversichtlich. Sprich, bis auf ganz ganz wenige Ausnahmen betreiben unsere Leute die Dinge sehr ernsthaft und halten sich strikt an die Vorgaben des Beratungsringes und der Laimburg.

Genaue Daten gibt es aber keine?
Wir sind dabei, das aufzuarbeiten. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es mir noch zu früh, Zahlen dazu zu sagen. Sobald wir genaue Zahlen haben, werden wir sie auch öffentlich mitteilen. Uns stört nämlich diese Pauschalverdächtigung, die absolut nicht zutreffend ist. Die Pflanzenschutzmittel kosten wahnsinnig viel Geld und niemand fährt mit großer Freude hinaus, schon gar nicht um zu versuchen, die vorgeschriebenen Mengen zu überschreiten.

Es sollte auf der Hand liegen, dass Landwirte nicht vorsätzlich die Natur und damit ihre Lebensgrundlage zerstören würden…
Die Alpenländer sind traditionell sehr sparsame Leute – und speziell die Landwirte. Bauern, die von vornherein mit Lust und zu viel spritzen, treffe ich in meiner täglichen Arbeit keine an. Wir produzieren Lebensmittel und ein ernsthafter Umgang ist für uns von vornherein Standard. EU-weit gibt es große Produktionen, in allen Bereichen der Landwirtschaft. Mit unseren kleinstrukturierten Betrieben haben wir Südtiroler nur eine Chance, wenn wir eine besondere Qualität bieten und unseren Konsumenten eine gewisse Sicherheit vermitteln können, dass wir ein sicheres Lebensmittel produzieren.

Die ‘Pestizidtirol’-Kampagne erweckt ja nicht gerade diesen Eindruck?
Mit diesen Polemiken will man uns an einer Stelle verletzen, wo wir – gegebenenfalls – absolut unbegründet verletzt würden.

Wie sehr verletzt Sie die letzthin auch laut gewordenen Kritik, es fehle an Transparenz vonseiten der Obstwirtschaft?
Den Vorwurf, wir wären nicht transparent, finde ich unbegründet. Seit es das Programm zur integrierten Produktion in Südtirol gibt und es Standard für jeden Obstbauer ist, also seit zwei Jahrzehnten, findet jede Anwendung nach bestimmten Regeln statt und wird minutiös aufgezeichnet. Auf der Homepage der AGRIOS (Arbeitsgruppe für den Integrierten Obstanbau in Südtirol, Anm. d. Red.) kann jeder genau einsehen, was, wann angewandt wird und wie viel wir anwenden dürfen. Wenn jemand Interesse hat, hätte er die Möglichkeit, sich zu informieren. Es ist nicht so, dass wir wenig transparent sind – die Öffentlichkeit war eigentlich nie an diesen Dingen interessiert.

Es gibt nichts zu verstecken?
Die Diskussion, die jetzt ins Rollen gekommen ist, scheuen wir nicht so sehr, weil wir immer relativ ruhig unsere Arbeit verrichtet und nie übertrieben haben. Auch weil wir in Südtirol Gott sei Dank günstige klimatische Voraussetzungen für Apfel- und Weinanbau haben.

Man sollte über Zahlen nur sprechen, wenn man sie klar vorliegen hat. Wir sind an der Sache absolut dran. Ich glaube, dass man sich diesem Thema nur seriös und fachlich begründet nähern kann. Sonst bringt es nichts.

Eine plumpe Frage: Wozu braucht es Pflanzenschutzmittel?
Die Probleme, die wir haben, sind Pilzkrankheiten, Insektenbefall und andere Pflanzenkrankheiten. Gegen die versucht man sich mit Pflanzenschutzmitteln zu wehren. Mit den Anwendungen versucht der Bauer ja nur, seine Ernte zu schützen.

Wovon hängt die Anzahl und Intensität der Anwendungen ab?
Zum Beispiel vom Wetter. Heuer im Frühjahr war die Witterung insofern günstig, als dass es wenig Niederschlag gegeben hat und die Pilzkrankheiten, die den Apfel befallen, im Vergleich zu anderen Jahren sehr gering aufgetreten sind. Wenn es hingegen einen sehr nassen Frühling gibt, wird vielleicht ein, zwei Mal mehr gespritzt. Heuer hat sich das aber absolut in Grenzen gehalten.

Die Landwirte passen Häufigkeit und Menge der Ausbringung von Pflanzenschutzmitteln je nach äußeren Einflüssen an?
Die Philosophie des integrierten Anbaus ist folgende: Zuerst werden die Anlagen kontrolliert und festgestellt, ob der Schädling bzw. die Pilz- oder Pflanzenkrankheit eine gewisse Schadensschwelle erreichen könnte. Erst wenn das der Fall ist, wird eingegriffen. Bevor man dieses derart genaue Wissen hatte, wurden im Abstand von Tagen oder Wochen einfach Behandlungen gemacht. Heute wird nur mehr gezielt eingeschritten. Insofern hat sich die Landwirtschaft bei uns schon sehr gut entwickelt und auch zum Positiven gewandelt. Auch dank der Ausbildung und den Besuch der landwirtschaftlichen Schulen unserer Bauern. Es wird sehr bewusst gearbeitet. Aber kritisieren kann man ja alles…

Sollten wir tatsächlich einen Schaden erleiden, werden wir die notwendigen Schritte einleiten.

Befürchten Sie, dass der Südtiroler Obstwirtschaft durch die Kampagne aus München ein wirtschaftlicher Schaden entsteht? Schon 2016 kursierten Gerüchte über ein Boykott der größten deutschen Handelsketten. Damals, weil auf Südtiroler Äpfeln Rückstände von Pflanzenschutzmitteln aus dem Weinbau befürchtet wurden. Würden die Abnehmer in Deutschland wegfallen, wäre das wohl ein Desaster?
Bis jetzt hat das Thema mehr Südtirol intern beschäftigt als draußen in München oder Deutschland. Mich wundert sowieso, wo Herr Bär diesen Missionierungsgeist hernimmt. Hat er in Deutschland oder Bayern, wo er sich ja anscheinend für den Bundestagswahlkampf rüstet, nichts anderes zu tun? Oder ist er einfach um die Volksgesundheit in Südtirol besorgt? Ich kenne den Herrn Bär nicht, aber ich wundere mich schon – was sollen wir denen angetan haben? Denn es muss ja einen Grund geben, warum er sich auf einmal so für die Landwirtschaft bzw. einen bestimmten Anbau in Südtirol engagiert. Wir haben ihn nicht gerufen… Ich kann ihnen nur sagen, dass wir die Dinge sehr genau beobachten. Und sollten wir merken, dass die erträgliche Grenze bei uns überschritten werden sollte…

Wann wäre das?
Wenn wir tatsächlich einen Schaden erleiden sollten, werden wir die notwendigen Schritte einleiten. Es ist nicht so, wie der Herr Bär sagt – dass er alles sagen darf. Er darf viel sagen, aber alles nicht. Um sich ein Urteil zu bilden, ist nicht der eine oder andere Richter ausschlaggebend, sondern wir appellieren auch ein bisschen an den Hausverstand der Leute.

Frost, Hitze, Hagel, letzthin Vandalenakte – dazu die Attacken aus München. Fragt man sich als Bauer irgendwann: Warum tue ich mir das noch an?
Die Natur hat uns heuer schon ein bisschen gebeutelt. Angefangen bei den Spätfrösten Ende April, und nun die wiederholten Hagelschläge. Ich kann feststellen, dass sich unsere Bauern aber nicht so einfach kleinkriegen lassen. Vor einigen Tagen hat die Ernte begonnen und wir machen unsere Arbeit.

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Sigmund Kripp Sa., 19.08.2017 - 18:54

Zu den 45 kg PSM/ha: Herr Kössler wundert sich einerseits, wie dies Daten zustande gekommen wären, andererseits führt er - richtigerweise - das digitale Spritzheft an, das der Bauer führen muss. Mit zwei, drei Mausklicks hat jeder Bauer seinen Jahresverbrauch am Bildschirm. Also dieses Problem müsste gelöst sein! Und die 45 kg erscheinen als sehr plausibel...

Sa., 19.08.2017 - 18:54 Permalink
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Thomas Hofer Mo., 21.08.2017 - 21:01

Antwort auf von Sigmund Kripp

...sehr plausibel, wenn man Düngemittel, Herbizide, Insektizide und andere Pflanzenschutzmittel zusammenzählt und sich um die Dosierung der enthaltenen Wirkstoffe nicht kümmert und genauso nicht um die Frage, ob es sich um Nährstoffe handelt, die man ja wieder mit der Ernte dem Grund entzieht. Sie trinken auch eher viel im Jahr, wenn Sie Wein mit Wasser, Bier und Säften zusammenzählen. Sinn hat das keinen.

Mo., 21.08.2017 - 21:01 Permalink
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Profil für Benutzer Sigmund Kripp
Sigmund Kripp Di., 22.08.2017 - 12:40

Antwort auf von Thomas Hofer

@Thomas Hofer : Sind Sie Bauer? Wenn ja, öffnen Sie Ihr digitales Betriebsheft und schauen, was Sie 2016 an reinem Pflanzenschutzmittel - ohne Dünger - pro ha ausgebracht haben. Per Mausklick können Sie sowohl die absolute Menge, wie sie eingekauft wird, als auch die Menge des reinen Wirkstoffes feststellen. Bitte posten Sie dann das Ergebnis hier, danke! Wenn Sie aber kein Bauer sind, fragen Sie einen Obstbaukollegen, ob er Ihnen diese Daten - ganz anonymisiert - rübermailen kann! Es geht ja genau um diese Daten in der Diskussion!

Di., 22.08.2017 - 12:40 Permalink
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Martin B. Di., 22.08.2017 - 23:06

Die VOG scheint einen guten Obmann zu haben, er reagiert bedächtig auf das verleumderische Guerilla-Marketing. "Die Pflanzenschutzmittel kosten wahnsinnig viel Geld und niemand fährt mit großer Freude hinaus, schon gar nicht um zu versuchen, die vorgeschriebenen Mengen zu überschreiten." Die alten verbotenen Mittel waren meines Wissens meist deutlich günstiger als die heutigen Ersatzmittel die wegen geringerer Giftigkeit der Logik nach auch geringer wirken. Also wohl oft ein gutes Geschäft für die Hersteller und Wiederverkäufer sind. Die Bauern wollen mit Pflanzenschutzmitteln nur ihre Ernte schützen, genauso wie mit Hagelnetzen und neuerdings Kameras, aber sicher nicht Einsatzrekorde in Italien oder Europaweit brechen. Die Situation der Grenzwertprüfungen auch privatwirtschaftlich durch Lebensmittelkonzerne zwingt zumindest die Genossenschaften seit Jahren das Thema ernst zu nehmen und den Mitgliedern bzw. Zulieferern die Daumenschrauben anzulegen bezüglich minimalem Pflanzenschutzmitteleinsatz. Die aufgebauschte dilletantische Kampagne vom UI Münschen widert mich an, da sie weder "ein Überbringer der Nachricht" sind, noch eine sinnvolle Diskussion fördern und ermöglichen. Anstatt dessen scheint es ein Verdun-Stellungskrieg zu sein und Aluhut-Bürger haben nun neben den Autismus und sonstwas auslösenden Impfmitteln ein wunderbares neues Feld alles erdenklich Negative einer Ursache zuzuschanzen.
Nützliche Hintergrundinfos finden sich in all den Artikeln zu dem Thema nur in homeopathischen Mengen. Also viel Energie und wenig Produktives, weswegen wohl auch die "externen" Pro-Malser am ausbrennen (Burn Out) sind?

Di., 22.08.2017 - 23:06 Permalink