Politik | Wahlgesetz

Wahlkreis Südtirol

Florian Kronbichler über das Diktat der SVP und den Vorschlag der Südtirol Oppositionsparteien für ein autonomes, demokratischeres Parlamentswahlgesetz.
Überzeugt begrüße ich die gemeinsame Initiative aller Minderheitenfraktionen im Landtag, mit einem Begehrensantrag des Südtiroler Landtags das italienische Parlament zu einem demokratischeren Wahlgesetz für Südtirol zu bewegen.
Mit dem Scheitern des sogenannten „Tedeschellum“ am 8. Juni 2017 in der Kammer ist auch der einseitig von der Südtiroler Volkspartei favorisierte Entwurf für den Südtirol betreffenden Teil des Wahlgesetzes hinfällig geworden. Mehr noch: Es war genau der fragwürdige Südtirol-Teil, der das gesamte Wahlgesetz zu Fall gebracht hat. Zu unverschämt war es der Südtiroler Volkspartei auf den Leib geschneidert, so dass die Mehrheit des Parlaments, Teile der Regierungsparteien eingeschlossen, dagegen gestimmt hat.
Nun besteht die Notwendigkeit, ein neues Wahlgesetz zu schreiben. Was uns anlangt, jenen Teil, nach dem künftig in Südtirol gewählt werden soll. Die Notwendigkeit wollen wir als Möglichkeit begreifen. Wir wollen einen Vorschlag machen, der dem Prinzip der Autonomie so wie der Demokratie im Land gerecht wird. Beides ist möglich. Auch das 2015 vom Parlament verabschiedete Wahlgesetz („Italicum“) und der im Juni dieses Jahres gescheiterte Entwurf („Tedeschellum) sahen für Südtirol ein Wahlsystem wie für einen anderen Staat vor. So sehr wich es von der gesamtstaatlichen Regelung ab. Warum sollte deshalb ein autonomes Wahlgesetz, das demokratischer und minderheitenfreundlicher ist, keine Chance haben?
Zu unverschämt war es der Südtiroler Volkspartei auf den Leib geschneidert, so dass die Mehrheit des Parlaments, Teile der Regierungsparteien eingeschlossen, dagegen gestimmt hat.

Der Vorschlag

 
Der Vorschlag, die Wahl für die Abgeordnetenkammer betreffend, ist, dass Südtirol einen einzigen Wahlkreis bildet (und das Trentino entsprechend auch einen), in dem die ihm zustehenden 5 oder 6 Abgeordneten nach dem reinen Verhältnissystem gewählt werden. Die Südtiroler Bevölkerung ist es gewohnt und reif genug, die Politik (speziell die „Außenpolitik“, als welche auch alles Rom Betreffende empfunden wird) südtirolweit wahrzunehmen.
Sie wählt auch den Landtag „landesweit“. Das Argument der Befürworter von mehreren Wahlbezirken lautet gern, die gewählten Politiker seien so „dem Wahlvolk bekannter“ und „näher am Bürger“. Das klingt nach Ausrede: Südtirol ist klein genug, dass sich ein Parlamentarier im ganzen Land bekannt und bürgernah machen kann. Was täten dann die Landtagsabgeordneten, die auch im ganzen Land gewählt werden müssen? 
Die Argumente für die Einpersonen-Wahlkreise sind leicht als einseitig mehrheitsfreundlich und außerdem bequem zu entlarven. Auf die herrschenden Mehrheitsverhältnisse zugeschnitten, ersparen sie der Mehrheitspartei und den Kandidaten jeden aufwändigeren Wahlkampf, es gibt keine Vorzugsstimmen, und was Kandidaten der Mehrheitspartei besonders schätzen: Sie brauchen nicht gegen einen Konkurrenten aus der eigenen Partei anzutreten, schlimmstenfalls sich mit keinem verfeinden.
Ein einziger Südtiroler Wahlkreis mit Proportionalsystem ist gewohnter, demokratischer und minderheitenfreundlicher. Für die Kleinen (politisch gleich wie sprachlich) ist das Proporz-System immer günstiger. Nur hier zählt jede Stimme gleich. Proportional ist gerecht. Das Mehrheitssystem - das sagt schon das Wort - nützt der Mehrheit, dem Stärkeren.
Das Argument für das Mehrheitssystem ist, dass es eher die Regierbarkeit sichert. Deshalb wird es in Italien immer wieder gefordert. Aber hat Südtirol ein Regierbarkeitsproblem? Es hat keines auf Landesebene, und bei Parlamentswahlen schon nur davon zu reden, ist pure Ablenkung.
 
 
Das Mehrheitssystem - das sagt schon das Wort - nützt der Mehrheit, dem Stärkeren.
Eine Prozenthürde ist möglich, aber überflüssig. Es sorgt schon die kleine Anzahl der Zu-Wählenden (5 oder maximal 6 Abgeordnete) für eine „natürliche Hürde“. Je weniger Parlamentarier, desto höher ist die Hürde. Selbstverständlich muss die berüchtigte, selbst von SVP-Vertretern undemokratisch bezeichnete 20-Prozent-Hürde für Minderheiten-Listen weg. 
 Mit einem einzigen Südtiroler Wahlkreis können auch die Vorzugsstimmen wieder angeboten werden. Der Wunsch danach ist in Südtirols Bevölkerung weiterhin stark verankert. Und im Gegensatz zu gewissen Gegenden im Staat, ist in Südtirol mit Vorzugsstimmen auch nie größerer Unfug getrieben worden. Gerade wegen der Präsenz einer dominanten Partei, stellt die Vorzugsstimme für viele die einzige reale „Wahlmöglichkeit“ dar.
 

Der Senat

 
Ein Wort noch zum Senat: Hier sollen weiterhin drei Wahlkreise, so wie bisher, bestehen bleiben. Dies ist schon durch die Paketmaßnahme 111 so vorgesehen.
 Ein „Südtiroler Wahlgesetz“ in diesem Sinn würde nicht nur auf breiten Zuspruch in der Bevölkerung stoßen, es würde auch den Vertretern der Südtiroler Volkspartei in Rom Respekt abnötigen und neuen Handlungsspielraum eröffnen. Die Partei würde damit aus der Erpresser-Possition herausfinden, in die sie sich hineinmanövriert hat, nach ihrem Mauern rund um die bisherige Regelung und mit der Drohung, andernfalls die Regierung zu stürzen. Sie sollte einsehen, dass sie inzwischen im römischen Machtspiel missbraucht wird. Möchtegern-Wiederpremier Renzi nimmt das „Ultimatum“ der SVP zum Vorwand, um gar kein neues Wahlgesetz mehr zu machen. Der Schaden für den Staat und die Demokratie, der dadurch entsteht, trifft auch Südtirol.
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Martin Daniel Do., 14.09.2017 - 11:58

Sehr wichtige Gegendarstellung, die zeigt, dass der Minderheitenschutz nicht automatisch durch Mehrheitswahlrecht gewährleistet wird, sondern damit im Gegenteil die Minderheit auf einen (wenngleich ihren größten) Teil reduziert wird, was die innere Demokratie im Lande unverhältnismäßig und unnötigerweise einschränkt. Die SVP verfolgt seit Langem die Strategie, die Mehrheitswahlkreise in Rom als verfassungsmäßig und statutarisch gebotenen Minderheitenschutz zu verkaufen, die sogar vom Völkerrecht gefordert würden. So wird beispielsweise Daniel Alfreider gestern im Sole 24 Ore wie folgt zitiert:
"La previsione dei collegi uninominali era dovuta in base a ragioni costituzionali, agli accordi internazionali e allo Statuto di Autonomia, perché i collegi uninominali erano e restano il modello elettorale che risponde ai principi di garanzia e di tutela dei diversi gruppi linguistici, la cui piena rappresentatività è il fondamento del nostro sistema di convivenza e istituzionale".
Das ist eine unhaltbare Verdrehung der Fakten, denn ein reines Verhältniswahlrecht mit bspw. 4 zu vergebenden Mandaten in einem einzigen Wahlkreis Südtirol würde der deutschen Bevölkerung - beim aktuellen Anteil von knapp 70% der ansässigen Wählerschaft - genau wie bei den Einmannwahlkreisen 3 der 4 Sitze bescheren, der italienischsprachigen denselben einen Sitz, den sie ansonsten im Wahlkreis Bozen-Leifers erhalten (allerdings ohne dafür die Unterstützung der SVP zu benötigen und dadurch in deren Abhängigkeit zu geraten). Die Repräsentativität der Sprachgruppen wäre damit auf jeden Fall gewährleistet. Nur dass mit diesem System auch die Repräsentativität innerhalb der Sprachgruppen gegeben wäre, was die SVP verständlicher (aber nicht legitimer-) weise verhindern will.
In Bedeutung und Rolle der SVP bei der Reform des gesamtstaatlichen Wahlrechts gibt der erwähnte Artikel einen guten Einblick:
http://www.ilsole24ore.com/art/notizie/2017-09-13/legge-elettorale-arri…

Do., 14.09.2017 - 11:58 Permalink