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„...dann bleibt nur die Flucht“

Was haben unsere Gletscher mit globalen Fluchtbewegungen zu tun? Der Ethnologe und Flüchtlingskoordinator Josef Pfattner ist Klimaflüchtlingen begegnet. Und warnt.
Josef Pfattner
Foto: Georg Hofer

Josef Pfattner ist 1966 in Brixen geboren. Er studierte Völkerkunde in Wien, Intercultural Relations in den USA und war noch während seines Studiums als Community Service Manager im Irak aktiv. Später war er für diverse internationale Organisationen unter anderem im Kosovo, in Jordanien, in der Zentralafrikanischen Republik und im Südsudan unterwegs. Derzeit nimmt er sich eine Auszeit von der humanitären Hilfe und arbeitet als Religionslehrer und Hirte in Südtirol.

 

Warum ist es Ihnen wichtig, über Klimaflüchtlinge zu sprechen?

Josef Pfattner: Was ein „Flüchtling“ ist, kann im rechtlichen Sinn einfach erklärt werden: Die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 liefert eine genaue Definition. Heute machen sich aber sehr viele Menschen aus Gründen auf den Weg, die zwar absolut legitim sind, im Recht aber überhaupt nicht vorkommen. Die Dimension dieses Phänomens stellt uns vor riesige Herausforderungen. Da hinkt die Gesetzgebung der Realität hinterher.


Wovor fliehen Klimaflüchtlinge?

Es gibt heute Menschen, die ihre Heimat verlassen müssen, weil sich die klimatischen Bedingungen ändern und ihnen so ihre Lebensgrundlage entzogen wird. Anders als bei Kriegsflüchtlingen kann die Ursache für die Flucht dieser Menschen weniger spontan sein. Sie beobachten die Veränderungen in ihrer Umwelt über längere Zeiträume und können sich daher vielleicht auf ihre Flucht vorbereiten. Aber wenn jemand sieht, dass auf dem Land, auf dem sein Großvater noch Vieh gehütet hat, kein einziger Grashalm mehr wächst, bleibt ihm nur die Flucht. Neben der Dürre gibt es auch Länder, die von schweren Überschwemmungen bedroht sind, so wie Sambia. Auch unerwartete Kälte, so wie ich sie einmal im Nahen Osten erlebt habe, kann Menschen das Leben kosten.
 

Das Fehlen von Abkommen schlägt sich auch in der Gesellschaft nieder. Da heißt es dann: ‚Was wollen diese Menschen hier, in ihren  Herkunftsländern herrscht ja kein Krieg.‘ Aber so einfach dürfen wir es uns nicht machen!


Könnte man für all diese Fälle eine rechtliche Absicherung schaffen?

Oft fällt es schwer, zwischen unterschiedlichen Fluchtmotiven zu unterscheiden, was die Frage nach einer angemessenen Gesetzgebung kompliziert macht. Ich war während des Bürgerkrieges in der Demokratischen Republik Kongo. Neben der Provinzhauptstadt befindet sich ein Vulkan, der immer wieder ausbricht, und ein See, im dem wegen Umweltverschmutzung keine Fische mehr leben. Diese Situation macht es für die Bevölkerung wahnsinnig schwer, dort zu überleben. Rechtlich gesehen könnte man Menschen, die von dort fliehen, kaum einordnen. Es wäre schwierig zu entscheiden, ob sie Kriegs-, Umwelt- oder Wirtschaftsflüchtlinge sind.


Wie schätzen Sie den politischen Willen ein, das Recht, wie Sie sagen, der Realität anzupassen?

In Genf habe ich das in einer Gruppe mit Diplomaten und Vertretern der UNO besprochen, die meinten, man dürfe die Genfer Konvention auf keinen Fall anrühren. Denn – sollte sie wirklich geändert werden – dann ginge dies sicher zulasten der Flüchtlinge.


Warum?

Weil es sehr schwierig wäre, mit der internationalen Staatengemeinschaft einen neuen, umfassenden Vertragstext oder auch nur einen Zusatzvertrag auszuhandeln. Vielleicht sind aber Maßnahmenpakete für Flüchtlinge, die nicht durch die internationalen Abkommen abgesichert sind, auf nationaler oder lokaler Ebene vorstellbar.


Wo sind Sie bei Ihrer Arbeit auf Menschen getroffen, die unter klimatischen Bedingungen leiden?

In vielen Gegenden der Erde regnet es seit Jahren nicht mehr, in Afrika betrifft das ganze Landstriche und Regionen, die einfach austrocknen. In Jordanien bin ich einmal mit dem Taxi gefahren, und plötzlich gab es einen kleinen Regenschauer. Der Taxifahrer, der vielleicht 60 Jahre alt war, hat getan, als würde der Himmel einstürzen – er hatte so etwas noch nie gesehen. In Mauretanien, Mali, Äthiopien und Tschad habe ich Orte gesehen, an denen die Dürre horrende Ausmaße annimmt. Der Tschadsee ist ungefähr um die Hälfte geschrumpft. Die Menschen können dort keinen Fisch mehr fangen, und das Wasser des Sees versalzt. Wenn die Menschen von diesen Orten fliehen, steht ihnen aber keinerlei rechtlicher Schutz zu. Sie sind allein auf den guten Willen des Aufnahmelandes oder der Hilfsorganisationen angewiesen und werden so zu Almosenempfängern. Und wenn Menschen kein festgeschriebenes Recht auf Unterstützung mehr haben, ist das ein großes Problem. Es nimmt den Menschen ihre Würde.


Wie werden diese Flüchtlinge in anderen Ländern aufgenommen?

In Mali haben wir ein Projekt unterstützt, bei dem es um Tuareg ging, die über die Grenze nach Mauretanien fliehen. Dort kommt es immer wieder zu Konflikten, weil sie ihr Vieh mitnehmen oder in Mauretanien nach Arbeit suchen, wo es kaum Arbeitsplätze gibt. Es gibt aber auch positive Beispiele, bei denen Menschen sehr hilfsbereit empfangen werden. Für mich in der humanitären Hilfe ist es letztlich egal, aus welchen Gründen sich diese Menschen auf den Weg gemacht haben – da sehe ich einfach nur, dass es ihnen bereits am Nötigsten fehlt.


Warum geht dieses Phänomen uns alle etwas an?

Auch in Südtirol gibt es Menschen, die den Klimawandel anzweifeln. Da frage ich sie, wie weit die Gletscher früher gereicht haben – unsere Großeltern wissen das noch genau. Sieht man einmal von den periodischen Klimaschwankungen ab, hängt der Klimawandel sicher auch von unserem Konsumverhalten ab. Wir in den Industrienationen sind die Gewinner der Globalisierung, kaufen billige Produkte, die oft im globalen Süden produziert werden und denken über die Auswirkungen unseres Konsums auf gerade diese Länder kaum nach.
 

Heute machen sich sehr viele Menschen aus Gründen auf den Weg, die zwar absolut legitim sind, im Recht aber überhaupt nicht vorkommen. Die Gesetzgebung hinkt der Realität hinterher.


Wie können wir uns diese Zusammenhänge bewusst machen?

Als Religionslehrer rede ich mit den Schülern über ethische Regeln des Zusammenlebens. Dabei stellen wir uns die Frage, ob man nur das tun sollte, was rechtlich zulässig ist oder auch das, was wir als Menschen, Politiker*innen, Institutionen für moralisch notwendig halten. Recht und Gerechtigkeit lässt sich nicht einfach gleichsetzen. Wir sind zum Schluss gekommen, dass es oft leichter ist, die Schuld anderen zuzuweisen, als bei sich selbst nachzuforschen. Das muss sich ändern.


Wo könnte man als erstes aktiv werden?

Warum nicht bei Aktionsfonds, in die auch viele Südtiroler*innen investieren und dabei oft nicht wissen, was mit ihrem Geld passiert? Wer bewusst leben möchte, sollte sich Gedanken machen, wohin sein Geld fließt und ob es nicht etwa in Aktivitäten investiert wird, die Menschen letztlich auch zur Flucht zwingen. In demokratischen Staaten hat man darüber hinaus die Möglichkeit, mitzubestimmen und zu entscheiden, wer regiert und wer letztlich die großen internationalen Verträge aushandelt.


Die globalen Zusammenhänge beginnen also auf der lokalen Ebene?

Genau. Es ist für uns als internationale Gemeinschaft zu einfach, nur dort einzugreifen, wo es Krieg gibt – und selbst das geht oft nur schwerfällig. Bei anderen Themen, wie zum Beispiel den Klimaflüchtlingen, stehlen wir uns aus der Verantwortung. Hier müssen international verbindliche Regelungen her. Das Fehlen von Abkommen schlägt sich auch in der Gesellschaft nieder. Da heißt es dann: ‚Was wollen diese Menschen hier, in ihren  Herkunftsländern herrscht ja kein Krieg.‘ Aber so einfach dürfen wir es uns nicht machen!

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Karl Trojer Fr., 13.10.2017 - 11:45

Dieser Beitrag gefällt mir sehr, er berichtet an Hand persönlicher Erfahrungen über die Not von Menschen, denen unsere Gesellschaft häufig das Recht auf Hilfe abspricht. Ich glaube zwar, dass man diesen Menschen Ihre Würde werder nehmen noch geben kann, diese Würde haben sie aufgrund ihres Menschseins, doch diesen offensichtlich Notleidenden zur Seite zu stehen ist, zumindest für Christen vorrangige Pflicht. Da gibt es Parteien die sich "christlich" nennen und bei 80 Mio Enwohnern auf einen jährlichen Zustrom von maximal 200.000 (= 0,25% der Einwohner) "berechtigten" Flüchtlingen pochen. Dieses Flüchtlings-Problem (vorrangig durch Klimawandel hervorgerufen) wird in den nächsten Jahrzehnten gewaltig ansteigen, wenn es uns nicht gelingt, rasch humane Lösungen umzusetzen. So muss einerseits den Notleidenden vom lokalen / regionalen Umfeld Soforthilfe (Nahrung, Kleidung, Unterkunft und möglichst eine sinnvolle Beschäftigung) angeboten und gleichzeitig durch die EU in den Herkunftsländern Befriedung und Lebensfähigkeit gefördert werden.

Fr., 13.10.2017 - 11:45 Permalink