Umwelt | Insektensterben

Alarm aus dem Untergrund

Handfeste Beweise für ein Insektensterben in Südtirol gibt es nicht. Doch das, was man weiß, gibt Anlass zur Sorge.
Fliegen
Foto: Pixabay

Klatsch. Wer kennt es nicht, das triumphierende Gefühl, das sich breit macht, wenn die lästige Fliege erschlagen am Fensterglas klebt. Kaum jemand macht sich Gedanken über ein totes Insekt mehr oder weniger. Es gibt ja noch Unmengen der kleinen, meist störenden und ekligen Tierchen. Oder? Was im Kleinen arglos hingenommen werden kann, sorgt im Großen für immer größere Alarmstimmung: das Insektensterben.

In Deutschland seit Monaten Thema, ist es in Südtirol schwer, sich ein Bild zu verschaffen. Die Insektenlobby ist schwach, umfassende Studien gibt es keine. Petra Kranebitter weiß nicht so recht, wo sie anfangen soll. “Leider kann ich Ihnen nichts Aussagekräftiges sagen. Denn konkrete, flächendeckende und langzeitlich angesetzte Studien gibt es für Südtirol schlicht und einfach nicht”, seufzt die Konservatorin für Zoologie am Südtiroler Naturmuseum. Ja, da seien zwar Rote Listen für einige gefährdete Insektengruppen. Allerdings seien diese längst überholt und gehörten aktualisiert, meint Kranebitter: “Die erste und einzige offizielle Rote Liste stammt aus dem Jahr 1994.” Es fehlt an allem: Fachpersonal, finanziellen Ressourcen, aber insbesondere an Sensibilität für und Interesse an den kleinen Krabbel- und Flugtierchen. “Nicht nur vonseiten der Politik und der Landwirtschaft, sondern auch der Bevölkerung”, präzisiert Petra Kranebitter. “Viele sind sich nicht bewusst, was es bedeutet, wenn Insektenarten oder Populationen verschwinden und sind, ganz im Gegenteil, froh, wenn die Viecher nicht mehr stören.” Dabei würde ohne Insekten das gesamte Ökosystem zusammenbrechen. Die Alarmzeichen dafür werden immer deutlicher.

 

“Ökologisches Armageddon”

 

Die Erkenntnisse, die im heurigen Sommer in Deutschland veröffentlicht wurden, sprechen eine deutliche Sprache: Um bis zu 80 Prozent ist die Zahl der fliegenden Insekten in Teilen des Landes im Zeitraum von 24 Jahren gesunken. Über die so genannten Krefelder Studien, in deren Rahmen zwischen 1989 und 2014 ein Insektenschwund an über 200 Standorten beobachtet wurde, ist eine hitzige Debatte entbrannt. Doch erst am Mittwoch bestätigten Wissenschaftler, die nicht an der Studie beteiligt waren: Die Gesamtmasse der Fluginsekten hat in Deutschland seit 1989 um mehr als 75 Prozent abgenommen. Von einem “ökologischen Armageddon” ist die Rede. Die Ursachen konnten wissenschaftlich nicht festgemacht werden, viele Experten sind sich jedoch einig: Es sind der Klimawandel (dieser konnte jedoch im Falle der jüngsten Studie zu Deutschland ausgeschlossen werden), zunehmender Verkehr und Verstädterung, Lichtverschmutzung, aber vor allem der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, insbesondere in der industriellen Landwirtschaft mit Monokulturen.

 

Frag’ die Widderchen

 

Zurück nach Südtirol, wo wissenschaftliche Grundlagen, die auch nur ansatzweise großflächiges Insektensterben erkennen ließen, fehlen. Es lässt sich jedoch nicht abstreiten, dass auch in Südtirol etwas im Gange ist. Und das schon seit geraumer Zeit. Saubere Windschutzscheiben bei der Fahrt durch die Natur sind nur ein Zeichen dafür. Um zumindest eine Vorstellung vom Ausmaß der bedrohten Insektenwelt zu bekommen, liefert eine Studie, die 2009 erschienen ist, einen hilfreichen Ansatz. Sie stammt von Gerhard Tarmann, Gründer und langjähriger Leiter des Forschungszentrums für Schmetterlinge des Alpenraumes am Landesmuseum Ferdinandeum in Innsbruck. “Schmetterlinge reagieren extrem empfindlich auf Umwelteinflüsse und gehören daher zu den besten Bioindikatoren, die wir kennen”, sagt der Tiroler Wissenschaftler. “Fehlen Schmetterlinge auf Wiesen und in Gärten, können die schönsten Blumen nicht darüber hinwegtäuschen, dass in diesem Lebensraum eine schwere Umweltstörung vorliegt.”

 

Im Sommer 2007 untersuchte Tarmann 23 Trockenrasenflächen im Vinschgau – mit erschreckendem Ergebnis: In gewissen Gebieten sind die Widderchen – die von Tarmann untersuchte Schmetterlingsfamilie – verschwunden. Nur im Obervinschgau, in höheren Lagen und den Seitentälern, sprich “in den vom Obstbau (damals noch, Anm.d.Red.) nicht beeinflussten Lagen entsprechen die Artenzahl und die Individuendichte den historischen Erfahrungen”, hält Tarmann in seiner Studie fest. Nahe den Intensivobstbaugebieten seien hingegen “massive Veränderungen” nachzuweisen. Für den Forscher steht fest: “Schuld an dieser Situation ist zweifelsfrei die Tagesthermik, die durch Pestizide verschmutzte Luft aus dem Talboden nach oben transportiert.” Diese Zeilen schrieb Tarmann zuletzt 2016 in einer Abhandlung nieder. Er lässt keinen Zweifel daran, dass die Pestizid-Abdrift aus den Obstanlagen im Tal für das Verschwinden der Schmetterlinge verantwortlich ist. Denn: “Widderchen reagieren besonders empfindlich auf Luftverschmutzung und sind daher eine anerkannte Modellgruppe, um Luftverunreinigungen, besonders auch Gifteintrag durch Industrie und Landwirtschaft, aufzuzeigen. Nicht nur in Südtirol, sondern auch in anderen Bereichen des Alpenraumes, sind diese Widderchen in den Tallagen der großen Täler überall dort verschwunden, wo intensiver Obst- und Weinbau betrieben wird. Große Monokulturen erfordern intensiven Pestizideinsatz, da sie ja geradezu ein Eldorado für pflanzenfressende Lebewesen darstellen. Allerdings erkauft man sich den Ertrag mit dem weitgehenden Verschwinden einer natürlichen Artenvielfalt an Tieren und besonders eben auch an den bunten Schmetterlingen.”

 

Was ist ein “guter” Boden?

 

Die Worte sitzen. Pestizide als einer der Hauptverursacher von Insektenschwund – das ist wohl nicht von der Hand zu weisen. Schließlich sind die Mittel dazu da, Pflanzen vor “Schädlingen” zu schützen. Dass dabei auch “Nützlinge” zu Schaden kommen, darauf weisen nicht nur einige engagierte Imker seit Jahren hin. “Dass die Biodiversität und die Biomasse in intensiv genutzten Flächen abnehmen, ist fast selbsterklärend”, schließt sich Petra Kranebitter an. Zu einem ganz anderen Schluss könnte kommen, wer die Studie “SOILDIV” in die Hände bekommt. An südtirolweit 70 Standorten entnahmen Mitarbeiter der EURAC und der Uni Innsbruck im Sommer 2011 Bodenproben und analysierten die darin gefundenen Bodenlebewesen. “Den Südtiroler Böden geht es gut!” lautete die gemeinhin verbreitete Botschaft nach der Präsentation der Studienergebnisse. Wer mit Insektenfreunden spricht, erntet jedoch Kopfschütteln. Die Studie basiere auf einem rein quantitativen Ansatz, man habe vielmehr die Biomasse, sprich die Anzahl der Organismen pro Quadratmeter erhoben, als der Frage nach der Anzahl der vorkommenden Arten nachgegangen zu sein, kritisiert einer, der “SOILDIV” aufmerksam verfolgt hat: “Wären die Erhebungen auf Artenebene herunter gebrochen worden, wären die Ergebnisse anders ausgefallen.” Auf die Problematik des quantitativen Ansatzes von “SOILDIV” hatte schon Andreas Hilpold, Biologe und Vorstandsmitglied der Vereinigung Südtiroler Biologen 2014 auf salto.bz hingewiesen: “Wer komplexe Studienergebnisse auf einfache Aussagen herunterbrechen möchte, für den ist größte Vorsicht geboten!”

 

Zu wichtig, um wegzuschauen

 

Insektensterben geht schleichend vonstatten, bleibt von vielen unbemerkt. Doch die langfristigen Auswirkungen sind fatal, wie nicht zuletzt Vogelkundler warnen, die seit mehreren Jahren einen Rückgang der Artenvielfalt und der Anzahl der Individuen in der hiesigen Vogelwelt beobachten. “Der Hauptgrund dafür ist, dass die Insektennahrung massiv zurückgeht”, steht für den Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft für Vogelkunde und Vogelschutz Südtirol, Leo Unterholzer fest, der Anfang Oktober im Naturmuseum einen Vortrag zum Thema hielt.

 

Petra Kranebitter nickt. “Insekten haben, wie jede Tiergruppe, eine Aufgabe”, erklärt die Zoologin, “zum einen spielen sie eine große Rolle im Nahrungskreislauf, zum anderen haben sie eine wichtige Funktion als Bestäuber, insbesondere für die Landwirtschaft”. Welch dramatische Ausmaße das Verschwinden der Fluginsekten annehmen kann, zeigt sich heute bereits in China: In bestimmten Regionen haben Menschen das Bestäuben der Obstbäume übernommen.

 

“Insektenschutz” einmal anders

 

Bienen und Schmetterlinge sind nur zwei Gruppen von knapp einer Millionen Insektenarten weltweit. Aber laut Kranebitter bestens geeignet, die Bevölkerung aufzurütteln: “Mit einer Roten Liste der Mücken wird man die Allgemeinheit wahrscheinlich nicht berühren – auch wenn natürlich auch eine Mücke aus ökologischer Sicht eine Daseinsberechtigung hat. Mit Sympathieträgern wie der Biene ist es einfacher, zu sensibilisieren. Vor allem die Honigbiene gilt gemeinhin als ‘Nützling’ und wenn man erreicht, dass Maßnahmen zu ihrem Schutz getroffen werden, schützt man gleichzeitig auch viele andere Insektengruppen.” Um das Ausmaß und die Gefährdung eines “Insektensterbens”, das bei vielen ein müdes Schulterzucken hervorruft, zu erfassen, brauche es “seriöse, kontinuierliche, politisch gewollte” Erhebungen, sind sich viele Insektenfreunde in Südtirol einig. “Im Großen, Globalen ist die Entwicklung wahrscheinlich nicht mehr zu stoppen, aber für ein Umdenken im Kleinen ist noch Zeit”, appelliert Petra Kranebitter.

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Klemens Kössler Fr., 20.10.2017 - 08:59

Man tut sicher gut daran nicht einfach alles auf die Landwirtschaft zu schieben, Licht- und Luftverschmutzung sind eben nicht ohne Folgen. Gut ist sicherlich diesen eigenen Kosmos der Insekten zu erforschen und verstehen. Neue arten oder fremde Arten kommen nach Südtirol, was die Kirschessigfliege und Mittelmeerfruchtfliege im ländlichen Gebiet ist das ist die Tigermücke und die marmorierte Wanze für den Städter. Unsere Umwelt verändert sich, verändern wir Menschen Handystrahlung, Magnetfelder und vor allem der Ausstoß von Stickoxyden, CO2 und Feinstaub hat Einfluss nicht nur auf unsere menschliche Gesundheit.

Fr., 20.10.2017 - 08:59 Permalink
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Ludwig Thoma Sa., 21.10.2017 - 16:28

Antwort auf von Klemens Kössler

Sicherlich ist nicht allein die Landwirtschaft schuld am Insektensterben. Einen erheblichen Anteil daran hat sie aber sicherlich, sind wir doch mittlerweile soweit, dass imkern im städtischen Raum einfacher geworden ist als auf dem Land, da in der Stadt die Pestizide ein Faktor sind, den man durchaus vernachlässigen kann. Während man im größten geschlossenen Obstbaugebiet Europas, will man nicht in höhere Lagen flüchten, immer Angst um seine Bienen haben muss, wenn die Obstbauern wieder eine SMS vom Beratungsring bekommen.

Sa., 21.10.2017 - 16:28 Permalink
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gelber enzian Fr., 20.10.2017 - 17:28

was noch vor einigen jahren als ergebnis von 1 (einem!) monat arbeit als e-mail versandt wurde, wird heute magari im sekundentakt pro haushalt verplescht .... unvorstellbar und kaum infrage gestellt
also die kartoffelkäfer und die bremsen fehlen nicht....
hatte heuer soviel insekten im betrieb wie noch nie, schön!
gott sei dank!

Fr., 20.10.2017 - 17:28 Permalink
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Rudi Rieder Sa., 21.10.2017 - 11:25

http://www.chemtrails-info.de/chemtrails/aluminium-in-boden-wasser-luft…
In Europa passiert lediglich das, was in den USA bereits ein Jahrzehnt früher eingetreten ist.: die Zerstörung der Umwelt und des Ökosystems durch die Versprühung von Schadstoffen aus der Luft. Es ist naiv zu glauben , daß die Dürrekatastrophe in Italien, oder die erheblichen Vermurungen, Hagelschäden und andere Ereignisse nicht mit den Geoingegneering Aktivitäten zu tun hätten. Ein Blick zum Himmel sollte genügen, um sich Gedanken darüber zu machen, was unsere Metereologen als "harmlosen Schleierwolken" bezeichnen. Traurig, daß Politik, Medien und Verbände die ganze Sache verschleiern, trotz der großen Schäden die auch einheimische Bauern mittlerweile zu tragen haben, um nicht von unserer unmittelbaren Umwelt zu sprechen.

Sa., 21.10.2017 - 11:25 Permalink