Politik | Verkehr

Ein Stau kommt selten allein

Blockabfertigung, Fahrverbote, Obergrenze: Die Diskussion um den Transitverkehr auf der Brennerachse reißt nicht ab. Von Klagen, Klötzen und Blöcken.
LKW-Stau
Foto: wiki

Es knirscht gewaltig auf der Brennerachse. Weil das Land Tirol nach Feiertagen eine LKW-Blockabfertigung durchführte, drohen Frächter und Politiker nördlich von Kufstein und südlich des Brenners mit rechtlichen Schritten. “Wir werden gegen die verkehrsbeschränkenden Maßnahmen in Tirol klagen”, wetterte der Obmann der Frächter im lvh Elmar Morandell jüngst. Und der neue deutsche Verkehrsminister Christian Schmidt von der bayerischen CSU hat bereits die EU-Kommission informiert. “Die LKW-Blockabfertigung ist ein klarer Verstoß gegen den EU-Grundsatz des freien Warenverkehrs”, heißt es in dem Schreiben.

 

Klagen und Klage

Die Situation ist verzwickt. Jahr für Jahr nimmt der Verkehr über den Brenner zu. Allein heuer ist die Zahl der Transit-LKW um 101.000 Fahrzeuge im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Um zu verhindern, dass zu viel Schwerverkehr das Inntal belastet, hat das Land Tirol letzthin drei Mal auf eine LKW-Blockabfertigung nach den Feiertagen, an denen ein Fahrverbot für Brummis gilt, zurückgegriffen. Die Folge war zuletzt am Allerseelentag auf der A22 zu sehen: Ab 9 Uhr durften am vergangenen Donnerstag sowohl am Brenner als auch bei Kufstein nur noch zwischen 250 und 300 LKW pro Stunde passieren. In Südtirol staute der Verkehr am 2. November über 100 Kilometer zwischen Brenner und Neumarkt zurück. Auch auf bayerischer Seite gab es kilometerlange Staus. “Die logische Folge der Blockabfertigung”, meint Elmar Morandell lapidar, die die Transportwirtschaft 37 Millionen Euro gekostet habe. Der Frächterobmann setzt sich gemeinsam mit der Bozner Handelskammer für ein Aus der Verkehrsbegrenzungen und Fahrverbote für LKW auf Tiroler Seite ein. “Verbote nützen nichts, der Verkehr nimmt zu. Das ist die Realität”, schimpft Morandell und stellt eine Klage gegen die Blockabfertigung in Aussicht. Unterstützung kommt aus Bayern. Auch dort betonte zuletzt Verkehrsminister Joachim Herrmann, dass eine “derartige Behinderung nicht hinzunehmen” sei.

 

Geht's auch anders?

Die Südtiroler Grünen können den Klagedrohungen nichts abgewinnen. Sie begrüßen die Tiroler Maßnahmen, einen Teil der LKW von der Straße zu holen und fordern “Südtiroler Solidarität”: “Entschiedene Maßnahmen sind auch südlich des Brenners zur Nachahmung empfohlen”, sind Hans Heiss, Brigitte Foppa und Riccardo Dello Sbarba überzeugt. Dass das Verkehrsproblem auf der Brennerachse die beiden Tiroler Landesteile vielmehr einen als spalten solle, dieser Meinung ist auch Landeshauptmann Arno Kompatscher. So weit wie die Grünen geht er nicht, aber im Interview mit der Tiroler Tageszeitung sagt Kompatscher: “Es ist besser, untereinander zu reden, als zu klagen.”

“Nicht klagen, sondern LKW auf die Schiene verlagern!” Diese Forderung kommt von der Süd-Tiroler Freiheit (STF). Mit einem Beschlussantrag, der diese Woche im Landtag behandelt werden soll, will die STF nach eigenen Angaben “Druck auf die Landesregierung machen”, um “wirkungsvolle Maßnahmen” zu erzielen, um den Transitverkehr auf die Schiene zu verlagern. “Die Brennerstrecke hat sich zu einer ‘Anarchiestrecke’ entwickelt, auf der geltendes staatliches und internationales Recht im Bereich der Schadstoff- und Lärmgrenzwerte immer wieder gebrochen wird, ohne dass die Politik dies unterbindet”, heißt es in einer Aussendung. “Die Interessen des sogenannten ‘freien Warenverkehrs’ werden dabei über das Grundrecht auf Gesundheit gestellt.” Zustimmung kommt vom Transitforum Austria-Tirol. Deren Obmann, Fritz Gurgiser, war vor wenigen Wochen bei der Landesversammlung der STF als Gastredner zugegen und unterstützt deren Antrag. Gurgiser fordert von der Politik nördlich und südlich des Brenners Mut, “konsequente verkehrs- und finanzrechtliche Rahmenbedingungen” zu schaffen.

 

Nur gemeinsam

Indes zeigen sich die Südtiroler Frächter dialogbereit: “Wir sind gesprächsbereit, um nachhaltige Lösungen für den Verkehr zu finden”, schreibt Elmar Morandell in einer Aussendung am Dienstag, aber: “Diese sollten aber auf jeden Fall auch wirtschaftsfreundlich sein.” Ob man von einer Klage gegen die Blockabfertigung absehen wird, lässt er offen – und spricht sich klar gegen eine LKW-Obergrenze aus.

Die Grüne Landeshauptmann-Stellvertreterin in Tirol, Ingrid Felipe hatte den Vorschlag gemacht, die Transitfahrten am Brenner auf 1 Million Fahrten pro Jahr zu begrenzen. 2017 werden insgesamt über 2 Millionen LKW den Brenner passieren. “Eine Obergrenze wird das Verkehrsproblem nicht lösen, im Gegenteil”, befürchtet Morandell, “die Brennerautobahn in Südtirol wird durch solche Zwangsmaßnahmen zu einem großen LKW-Parkplatz”. Zur vielfach geforderten Verlagerung des LKW-Verkehrs auf die Schiene meint Morandell: “Wir haben derzeit kaum Alternativen zur Brennerautobahn, da es von Verona Richtung Brenner nur ein Gleispaar gibt und dieses nachts aufgrund von dringenden Instandhaltungsarbeiten nicht befahrbar ist. Bis der Brennerbasistunnel fertig gestellt ist, wird es noch ein paar Jahre dauern, aber bis dahin dürfen dem Güterverkehr nicht dauernd Bremsklötze in den Weg gelegt werden”.

Eigentlich hatten die politischen Vertreter der Euregio bereits im heurigen Herbst auf einem Euregio-Verkehrsgipfel das heiße Eisen Transit und eine “gemeinsame Politik der Lenkung und Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Scheine” besprechen wollen. Nun wird der Gipfel auf Jänner verschoben. Und indes laufen in Tirol die Vorbereitung für die nächste Blockabfertigung Anfang Dezember rund um Maria Empfängnis (8. Dezember). Dann wird es aus der Verkehrsmeldezentrale wieder heißen: “In Richtung Norden Kolonnenverkehr und Stau wegen Überlastung.”

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Stefan T Di., 07.11.2017 - 15:54

Nachdem eine Lösung kurzfristig nur entweder gesundheitsfreundlich oder transitfreundlich sein kann (so lange bis eben große Infrastrukturprojekte geplant bzw. fertig gebaut sind), kann es nur die gesundheitsfreundliche sein , die man dem Bürger zumuten darf. Außerdem verstehe ich nicht, warum eine Einschränkung des Gütertransits (über welche Maßnahmen auch immer) wirtschaftsfeindlich sein soll. Es gilt die Einschränkung ja für alle Frächter gleichermaßen. Die Mehrkosten werden dann sowieso dem Endkunden der transportierten Produkte aufgerechnet. Das senkt dann klarerweise die Wettbewerbsfähigkeit im Ausland. Der Verkehr wird dann vielleicht auch wieder besser über mehrere Routen (auch über die teurere Schweiz) aufgeteilt. Um die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern, sollten die Frächter und Unternehmen besser für sinnvolle Infrastrukturprojekte im Schienenverkehr lobbyieren, anstatt abzuwarten, bis die Bevölkerung die Krebsraten, Lungenerkrankungen und den Lärm nicht mehr hinnehmen will.

Di., 07.11.2017 - 15:54 Permalink
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Michael Demanega Di., 07.11.2017 - 20:57

Wenn man weiß, dass ein beachtlicher Teil des Verkehrs über den Brenner Umwegverkehr ist, wenn man auch noch weiß, dass die Schiene derzeit wirtschaftlich kaum konkurrenzfähig ist, weil sie nun einmal im Vergleich zur Straße zu teuer ist und wenn man auch noch bedenkt, dass der Transitverkehr durch Nord-, Süd- und Welschtirol eine immense Belastung für Boden, Luft, Gewässer, Lebensmittel, Lebensqualität und Menschen ist, dann sind mitunter auch drastische Maßnahmen erforderlich.

Di., 07.11.2017 - 20:57 Permalink
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Sigmund Kripp Mi., 08.11.2017 - 09:15

Südtirols Politik muss endlich ihre Rolle im Sinne der Menschen wahrnehmen und die Kosten für die Benutzung der A22 massiv hinauffahren. Zumindest auf das nordtiroler Niveau von 85 cent pro Kilometer für LKW. Dazu Nachtfahrverbote und sektorale Einschränkungen, so, wie es andere vormachen. Ich bin sicher: wir werden auch damit nicht verhungern!

Mi., 08.11.2017 - 09:15 Permalink
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Fritz Gurgiser Do., 09.11.2017 - 13:16

Nun, eines Voraus: Frächter, Spediteure etc. waren noch NIE dialogbereit und daher sind solche Aussagen in das Reich der Fabel zu verweisen - sie haben immer, und nach bescheidenen mehr als 30 Jahren Erfahrung vor allem an der Brennerroute steht das schwarz auf weiß fest, Respektlosigkeit und Verantwortungslosigkeit, gepaart mit Unwahrheiten, bewiesen. Was sonst auch, wenn das einzige Interesse immer nur darin bestanden hat, möglichst billig und bequem und wenn möglich rund um die Uhr den Brenner - unsere ureigenste Heimat und wirtschaftliche Existenzgrundlage - im Transit zu queren.
Heute jammern sie, dass sie in genau dem Stau mit ihrer Nahversorgung stehen, den sie selbst über Jahre produziert haben: Denn in einem Binnenmarkt ist es eben so, dass, wenn "freie Fahrt" gefordert wird, dies nicht für die eigenen Fahrzeuge allein, sondern eben für alle gilt, die irgendwo gerade in einem der 27 Mitgliedsstaaten (ohne GB) steuerschonend angemeldet sind.
So einfach und banal ist das und wer immer noch meint, die Bedingungen in unseren engen Gebirgstälern von Rosenheim bis Verona (Anwendungsbereich der Alpenkonvention) würden die "freie Fahrt" erlauben, unterliegt einem gravierenden Grundirrtum - im Süden Tirols dauern solche Erkenntnisse eben länger, denn im Norden haben die eigenen Transportwirtschaftsvertreter mit dem gleichen Verlangen die eigenen ehemaligen Transitfrächter längst in den Ruin getrieben.
Wenn sie also unbedingt "klagen" wollen, dass sich in Tirol die zuständigen Behörden an die geltende Rechtslage halten und Maßnahmen treffen, welche die "Sicherheit, Flüssigkeit und Leichtigkeit" des Verkehrs aufrechterhalten, so können sie das gerne und werden sich ebenso deutlich blamieren, wie die Bayern.
Denn ob der Mülltransit über den Brenner durch eine gesetzlich notwendige Blockabfertigung eingebremst wird oder nicht, ist unwichtig - er hat grundsätzlich auf der ganzen Strecke von Rosenheim bis Verona auf der Straße und im Grunde auf der Schiene auch nichts verloren. Sollen Sie besser schauen, dass sie in Neapel die Müllentsorgung sicher stellen, für die unter anderem eine gewisse "Salini impregilo" verantwortlich war; die ist heute Baupartner der STRABAG beim BBT und lässt sich mit Milliarden an Steuergeld für einen Tunnel füttern, der zu keiner Verlagerung führen kann.
Man muss sich das ja nur auf der Zunge zergehen lassen: Seit Jahrzehnten nicht einmal im Stande, auf der kurzen Strecke von Kufstein bis Salurn die gleichen Schutzmaßnahmen zustande zu bringen, ist ein bereits heute für die Tiroler Geschichte unrühmliches Mahnmal ohne Beispiel.
Sie alle können sicher sein, dass nicht Güterbeförderer bestimmen werden, wie der Verkehr über den Brenner durch unsere Täler rollt, sondern die politischen Entscheidungsträger sowie in erster Linie die betroffenen Zivilgesellschaft.
"Die Gesundheits- und Wirtschaftsbelastungen kennen keine Brennergrenze, kennen keine partei- oder ideologischen Grenzen - die Stickstoffdioxide schleichen bei allen in die Lungen und der Lärm dröhnt ebenso alle Ohren zu - ob Einheimische oder Gäste."
LG
Fritz Gurgiser
Bürgerrrechtler und Obmann des Transitforum Austria-Tirol

Do., 09.11.2017 - 13:16 Permalink